Urteil vom Verwaltungsgericht Halle (4. Kammer) - 4 A 318/16

Tatbestand

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Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zu einem Schmutzwasserbeitrag.

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Sie sind in ungeteilter Erbengemeinschaft Miteigentümer des unbebauten Grundstücks Gemarkung Laucha, Flur 6, Flurstücke 146/30 und 146/31. Die beiden Flurstücke werden durch die Lindenstraße getrennt. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Stadt Laucha aus dem Jahre 1994, der es als Bauland ausweist.

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In den 1990er Jahren errichtete die D. Erschließungs- und Bauträger GmbH, deren Geschäftsführer der Erblasser war, u.a. die Abwasserkanalisation im Bebauungsplangebiet. Grundlage bildete ein zwischen ihr, der MIDEWA GmbH und dem Abwasserzweckverband Laucha – Bad Bibra, dessen Rechtsnachfolger der Beklagte ist, geschlossener Vorfinanzierungsvertrag zur Erweiterung der Wasserversorgungseinrichtungen und Entwässerungskanalisation vom 15. November 1994.

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In dem Vertrag wurde unter „C." u.a. folgende Regelung getroffen:

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„3. (…) Die Abwasseranlagen werden bei Schlussabnahme Bestandteil des öffentlichen Kanalnetzes und gehen in das Eigentum des Abwasserzweckverbandes Laucha – Bad Bibra über.

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Die MIDEWA und der Abwasserzweckverband Laucha – Bad Bibra haben der Firma D. GmbH sämtliche Kosten für die Erweiterung der Wasserversorgungseinrichtungen und der Entwässerungskanalisation nach ihren Bedingungen zu erstatten, und zwar die MIDEWA hinsichtlich der Anlagen der Wasserversorgung zu 30 % und der AZV hinsichtlich der Kosten der Entwässerungsanlagen (Schmutzwasser) zu 100 %.

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Hinsichtlich der Kosten des Regenwasserkanals besteht zwischen den Vertragsteilen Einigkeit darüber, dass hiervon ca. 30 v. 100 auf die Straßenentwässerung entfallen. Der Abwasserzweckverband Laucha – Bad Bibra wird von den Eigentümern der in dem in Abschnitt B. § 1 näher bezeichneten Gebiet gelegenen Grundstücken nach Maßgabe des § 6 des KAG und den jeweils gültigen Beitragssatzungen Beiträge erheben. Die danach auf die Grundstücke der Firma D. GmbH entfallenden Beiträge werden mit der Erstattungsforderung der Firma D. GmbH verrechnet. Soweit nach einer endgültigen Bebauung nach der jeweiligen Satzung eine Neuberechnung stattfindet, werden die jeweiligen Beiträge nach den gesetzlichen Vorschriften erhoben. Eine Ablösung ist somit mit der Verrechnung nicht verbunden. Hinsichtlich der in dem Abschnitt B. § 1 näher bezeichneten Gebiet gelegenen und nicht im Eigentum der Firma D. GmbH stehenden Grundstücke sind die Anschlussbeiträge unabhängig von der vorstehenden Regelung nach Entstehen der Anschlussbeitragspflicht vom Abwasserzweckverband nach näherer Maßgabe der entsprechenden Beitragssatzungen zu erheben.

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Soweit im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht die Firma D. GmbH selbst Beitragsschuldnerin im Sinne des KAG und des jeweils geltenden Satzungsrechtes ist, werden Beiträge gegen sie festgesetzt und bis zur Höhe des Gesamtrückerstattungsanspruchs verrechnet. Übersteigen die bescheidsmäßig geltend gemachten Beiträge für die entsorgungstechnischen Anlagen die angefallenen Kosten für die Leitungen im Erschließungsgebiet, so geht dies zugunsten des Abwasserzweckverbandes Laucha – Bad Bibra; dies wird nur klarstellend vermerkt. Eine sich aufgrund der Erhebung der Beitragsbescheide ergebende Kostenunterdeckung geht zu Lasten des Abwasserzweckverbandes Laucha – Bad Bibra. Bis zur Verrechnung bzw. Weiterleitung der entsprechenden Anschlussbeiträge sind die Erstattungsbeträge dem Abwasserzweckverband Laucha – Bad Bibra jeweils zinslos gestundet. Der Differenzbetrag (sogenannte Kostenunterdeckung) ist bis zum Ablauf zinslos gestundet."

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Mit bestandskräftigen Bescheiden vom 20. September 1996 zog der Abwasserzweckverband Laucha – Bad Bibra die D. Erschließungs- und Bauträger GmbH zu Schmutzwasserbeiträgen in Höhe von insgesamt 394.068,02 DM (201.483,78 Euro) für die Flurstücke 146/25, 146/26, 146/6, 146/7, 146/9, 146/10, 146/21, 146/22, 146/23 und 146/24 heran. Diese Grundstücke standen zu diesem Zeitpunkt bereits im Eigentum des Erblassers.

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Mit Schreiben vom 30. März 1998 legte die D. Erschließungs- und Bauträger GmbH dem Abwasserzweckverband Laucha – Bad Bibra für die Erstellung der Abwasserbeseitigungsanlagen in dem Erschließungsgebiet eine Rechnung über 449.950,55 DM (227.499,60 Euro).

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Nachdem weder die Beiträge gezahlt noch die Rechnung beglichen worden war, erhob die D. Erschließungs- und Bauträger GmbH vor dem Landgericht Halle (4 O 592/03) Klage gegen den Abwasserzweckverband Laucha – Bad Bibra, mit der sie eine Erstattungsforderung in Höhe von 47.336,26 Euro geltend machte. Das Verfahren wurde durch Vergleich beendet. Darin wurde bestimmt:

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„1. Der Beklagte verpflichtet sich, an die Klägerin 25.000,00 Euro zu zahlen.

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2. Mit der vorstehenden Regelung sind die wechselseitigen Ansprüche der Parteien im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Vorfinanzierungsvertrag zur Erweiterung der Wasserversorgungseinrichtungen und der Entwässerungskanalisation vom 15.11.1994 erledigt.

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3. Die Klägerin verzichtet zugunsten des Beklagten auf ihre Rechte an den in Ausführung des vorgenannten Vertrages hergestellten Entwässerungseinrichtungen".

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Mit Schreiben vom 26. Oktober 2004 bat der Erblasser den Rechtsvorgänger des Beklagten um Bestätigung, dass die geforderten Anschlussbeiträge in Höhe von 201.483,78 Euro mit dem Vergleich vom 18. März 2004 abgegolten und als bezahlt verbucht worden seien. Der Abwasserzweckverband Laucha – Bad Bibra teilte dem Erblasser mit Schreiben vom 04. November 2004 mit, dass er gemäß dem Vergleich die Beitragsforderungen in der genannten Höhe mit den Erschließungskosten verrechnet habe und somit keine Beitragsforderung mehr bestehe.

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Mit Bescheid vom 27. November 2015 zog der Beklagte den Erblasser für das Flurstück 146/31 zu einem Schmutzwasserbeitrag in Höhe von 68.687,39 Euro heran. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2016 zurück und erhöhte zugleich die Beitragsforderung um 2.210,09 Euro, da auch das zum Buchgrundstück gehörende Flurstück 146/30 zu berücksichtigen sei.

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Der Erblasser hat am 29. Juli 2016 Klage erhoben. Zur Begründung wird der Eintritt der Verjährung geltend gemacht. Zudem verstoße die Beitragserhebung gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit; die Regelungen der §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA trügen dem nicht hinreichend Rechnung. Außerdem stehe der Beitragserhebung der vor dem Landgericht Halle geschlossene Vergleich entgegen. Dieser habe die Abgeltung sämtlicher Kosten für die Herstellung der Erschließungsanlagen im Erschließungsgebiet zum Gegenstand gehabt und sich nicht lediglich auf einzelne Flurstücke bezogen. Jedenfalls sei der geltend gemachte Beitragsanspruch verwirkt. Darüber hinaus sei die Veranlagung des Flurstücks 146/30 schon deshalb unzulässig, weil es aufgrund seines Zuschnitts nicht nach den planerischen Maßgaben bebaubar sei. Zudem liege dort kein Schmutzwasseranschluss an, weshalb es an der vollständigen Erschließung fehle, die erst bei Fortführung der Anlage im 2. Bauabschnitt gegeben wäre. Auch habe der Beklagte fehlerhaft die Billigkeitsregelung für übergroße Wohngrundstücke nicht angewandt. Schließlich erfülle der der Beitragserhebung zugrundeliegende Bebauungsplan nicht mehr die städtebaulichen Anforderungen, weshalb die Stadt Laucha verlautbart habe, den Bebauungsplan in den Jahren 2016 und 2017 grundlegend zu überarbeiten.

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Die Kläger beantragen,

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den Beitragsbescheid des Beklagten vom 27. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juni 2016 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er macht im Wesentlichen geltend, der vor dem Landgericht Halle geschlossene Vergleich umfasse ausdrücklich nicht das streitgegenständliche Grundstück. Auch das Flurstück 146/30 sei in die Beitragsberechnung einzubeziehen, weil es zusammen mit dem Flurstück 146/31 ein Buchgrundstück bilde und der Bebauungsplan keine Festlegungen enthalte, die die Nutzbarkeit entzögen. Dass die Schmutzwasseranlage nicht bis an das Flurstück heranreiche, sei unerheblich, weil ausreichend sei, dass sie an das Buchgrundstück heranführe.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer entscheidet ohne mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

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Die Klage hat im Wesentlichen keinen Erfolg.

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Der angegriffene Beitragsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit damit ein Beitrag von mehr als 68.687,39 Euro erhoben wird. Im Übrigen ist er rechtmäßig.

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Rechtliche Grundlage der Beitragserhebung bildet die „Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserbeseitigung im Abwasserzweckverband Unstrut-Finne für den Einzugsbereich der Kläranlage Laucha, Einzugsbereich Kläranlage Krawinkel und im Einzugsbereich der Kläranlage Burkersroda – Schmutzwasserbeitragssatzung Bereich Laucha-Bad Bibra – (Neufassung)" vom 22. Oktober 2014 (SBS 2014), die am 19. November 2014 bekanntgemacht wurde, in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 15. Dezember 2015, die gemäß ihres Art. 2 rückwirkend zum 20. November 2014 in Kraft getreten ist.

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Gemäß der §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 SBS 2014 erhebt der Beklagte für die Herstellung der zentralen öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage Schmutzwasserbeiträge von den Beitragspflichtigen im Sinne von § 6 Abs. 8 KAG LSA, denen durch die Inanspruchnahme oder die Möglichkeit der Inanspruchnahme ein Vorteil entsteht. Der Beitrag wird nach dem in § 4 SBS 2014 näher ausgestalteten nutzungsbezogenen Maßstab (Vollgeschossmaßstab) erhoben und beträgt nach § 5 Abs. 1 SBS 2014 4,26 Euro/m².

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1. Auf der Grundlage dieser Regelungen, gegen die von den Klägern substantiierte Einwände nicht erhoben wurden und gegen die auch ansonsten keine rechtlichen Bedenken bestehen, ist die Beitragspflicht für das Grundstück der Kläger dem Grunde nach entstanden.

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2. Der Beitragsanspruch ist nicht durch Festsetzungsverjährung erloschen. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG LSA i.V.m. den §§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen ist, die mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist. Nach § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA i.V.m. § 7 Abs. 1 SBS 2014 entsteht die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die leitungsgebundene Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem In-Kraft-Treten der Satzung. Danach ist der Beitragsanspruch erst mit dem In-Kraft-Treten der SBS 2014 am 20. November 2014 entstanden, da es sich dabei um die erste wirksame Satzung handelt. Das vorangegangene Satzungsrecht des Beklagten und das seines Rechtsvorgängers (AZV Laucha – Bad Bibra) ist nichtig (Urteil der Kammer vom 18. August 2016 – 4 A 118/15 HAL – Juris Rn. 14 ff.). Die vierjährige Festsetzungsfrist war daher bei Erlass des Bescheids vom 27. November 2015 noch nicht abgelaufen.

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3. Die vorgenannten Vorschriften und der angegriffene Beitragsbescheid begegnen auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Anschlussbeitragsrecht keinen rechtlichen Bedenken. Dieses Gebot verlangt Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhebung von Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann (BVerfG, Beschluss vom 05. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – Juris).

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Dem wird nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt durch die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA, die durch Artikel 1 Nr. 9 und 12 des Gesetzes zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2014 (GVBl. LSA S. 522) eingefügt worden und am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten (Art. 6) sind, hinreichend Genüge getan. Danach ist eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit dem Ablauf des zehnten Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen (§ 13b Satz 1 KAG LSA). Die nach Maßgabe des § 13b zu bestimmende Ausschlussfrist endet nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA). Damit hat der Gesetzgeber eine zeitliche Obergrenze für die Festsetzung von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben eingeführt.

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Diese trägt in rechtlich nicht zu beanstandender Weise den berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich einerseits und der Einzelnen an Rechtssicherheit andererseits hinreichend Rechnung. Die gewählte Ausschlussfrist von grundsätzlich 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage, die jedoch nicht vor dem Ende des Jahres 2015 abläuft und daher im Einzelfall bis zu 24,5 Jahre betragen kann, hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber insoweit zustehenden weiten Gestaltungsspielraums (siehe dazu: BVerfG, Beschluss vom 05. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – Juris Rn. 46) und belastet die Abgabenpflichtigen nicht unzumutbar. Zum einen unterschreitet sie die auch dem öffentlichen Recht nicht fremde 30jährige Verjährungsfrist (vgl. etwa § 53 Abs. 2 VwVfG) deutlich, die grundsätzlich aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens erforderlich, aber auch genügend ist (BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2008 – BVerwG 3 C 37.07 – Juris Rn. 10). Zudem wirken die Vorteile, die durch die Erschließung eines Grundstücks und die Schaffung der erstmaligen Anschlussmöglichkeit an die leitungsgebundene öffentliche Einrichtung vermittelt werden, lange in die Zukunft fort, während ein besonderes wirtschaftliches Interesse der Beitragspflichtigen an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs nicht besteht, sondern deren Interesse nur darin liegt, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen ist (VG Cottbus, Urteil vom 10. April 2014 – 6 K 370/13 – Juris Rn. 87). Schließlich sind die nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit bestehenden Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung und bei der Gründung von Zweckverbänden sowie die sonstigen Schwierigkeiten, in einem neuen Bundesland wie Sachsen-Anhalt überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, in Rechnung zu stellen. Die vorgesehene Ausschlussfristenregelung ermöglicht damit einerseits die Sicherung der Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen und damit der Erbringung der im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben der Abwasserentsorgung und schränkt andererseits die Abgabenerhebung nach Eintritt der Vorteilslage zeitlich ein, nämlich auf einen Zeitraum von höchstens 24,5 Jahren. Insoweit enthält sie einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit (Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Januar 2017 – LVG 1/16 –; ständige Rechtsprechung OVG LSA, Urteil vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Juris Rn. 46 ff., Urteil vom 04. Juni 2015 – 4 L 24/14 – Juris Rn. 39 f.; Beschlüsse vom 25. April 2016 – 4 L 89/15 – und vom 07. Oktober 2016 – 4 L 124/16 – n.v.).

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Schließlich haben die im Anschlussbeitragsrecht geltenden Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt, namentlich die durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit sowie des Kommunalabgabengesetzes vom 06. Oktober 1997 (GVBl. LSA 1997, S. 878) in § 6 Abs. 6 KAG LSA eingefügte und am 09. Oktober 1997 in Kraft getretene Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA, auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (– 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 – Juris) zum Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg keine unzulässige Rückwirkung zur Folge (Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Januar 2017 – LVG 1/16 –; OVG LSA, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 – Juris Rn. 55 ff.).

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Insoweit fehlt es von vornherein an einem Anknüpfungspunkt für die Annahme einer (echten oder unechten) Rückwirkung, weil sich die Rechtslage sich durch das vorgenannte Änderungsgesetz nicht geändert hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt bedurfte es schon nach der bis zum 08. Oktober 1997 geltenden Fassung des § 6 Abs. 6 KAG LSA vom 11. Juni 1991 (GVBl. LSA 1991, S. 105), wonach die Beitragspflicht mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme, in den Fällen des Absatzes 2 mit der Beendigung der Teilmaßnahme und in den Fällen des Absatzes 4 mit der Beendigung des Abschnitts entsteht, im Zeitpunkt der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme nicht des Vorliegens einer wirksamen Beitragssatzung. Insofern beinhaltet die gesetzliche Neuregelung lediglich eine Klarstellung des bis dahin ohnehin geltenden Rechts (zum Anschlussbeitragsrecht: OVG LSA, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –; Beschluss vom 23. Oktober 2000 – 1 M 209/00 –; Urteil vom 06. März 2003 – 1 L 318/02 –; Urteil vom 03. Dezember 2014 – 4 L 59/13 – Juris Rn. 21; zum Ausbaubeitragsrecht: Beschluss vom 19. Februar 1998 – B 2 S 141/97 – Juris; Beschluss vom 04. November 1999 – B 2 S 434/99 – Juris; Urteil vom 04. Dezember 2014 – 4 L 220/13 – Juris Rn. 29; so auch Kirchmer/Schmidt/Haack, KAG LSA, 2. Auflage 2001, § 6 S. 275; Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Januar 2017 – LVG 1/16 –).

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4. Der Beitragsfestsetzung steht zudem nicht der unter dem 18. März 2004 vor dem Landgericht Halle (4 O 592/03) zwischen der D. Erschließungs- und Bauträger GmbH und dem Rechtsvorgänger des Beklagten geschlossene Vergleich entgegenstehen.

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Mit diesem Vergleich hatten sich die vom Erblasser zu unterscheidende D. Erschließungs- und Bauträger GmbH und der Rechtsvorgänger des Beklagten abschließend (lediglich) über die wechselseitigen Ansprüche im Zusammenhang mit dem Vorfinanzierungsvertrag vom 15. November 1994 und insoweit über den Erstattungsanspruch der GmbH geeinigt, der sich aus der Verrechnung der gegenüber der GmbH festgesetzten Beiträge mit deren Erstattungsforderung ergibt. Gegenstand des vor dem Landgericht Halle geführten Klageverfahrens war ein von der GmbH beanspruchter Erstattungsanspruch hinsichtlich der von ihr aufgewandten Erschließungskosten, der die gegen sie festgesetzten Beiträge überstieg. Dem lag die im Vorfinanzierungsvertrag getroffene Regelung zugrunde, wonach der AZV Laucha-Bad Bibra der GmbH die Herstellungskosten der Entwässerungsanlagen, die nach der Schlussabnahme Bestandteil des öffentlichen Kanalnetzes würden und in das Eigentum des AZV Laucha – Bad Bibra übergingen, erstatte, soweit nicht die gegen die GmbH festgesetzten Beiträge gegen diese Forderung verrechnet würden (vgl. Buchstabe C. Ziffer 3 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 des Vertrags).

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Für das streitgegenständliche Grundstück hatte der Rechtsvorgänger des Beklagten jedoch keinen Beitrag festgesetzt, so dass eine diesbezügliche Beitragsforderung nicht Teil der Verrechnung im Zusammenhang mit dem Vorfinanzierungsvertrag und deshalb auch nicht Teil des Vergleichs war. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der AZV Laucha – Bad Bibra auch auf nicht bereits festgesetzte Beiträge im Rahmen des Vergleichs verzichten wollte und sich die Beteiligten darauf verständigt haben. Dafür geben weder der Vergleich als solcher noch das Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht Halle etwas her. Vielmehr wurde auch der Vergleichswert mit der geltend gemachten Klageforderung angenommen. Dies entspricht zudem dem Inhalt des Schreibens des Erblassers vom 26. Oktober 2004, mit dem er den Rechtsvorgänger des Beklagten um Bestätigung gebeten hatte, dass mit dem Vergleich die von diesem „geforderten Anschlussbeitragsbescheide in Höhe von 394.068,02 DM" abgegolten und als bezahlt verbucht worden seien. Dies bestätigte der Rechtsvorgänger des Beklagten dem Erblasser mit Schreiben vom 04. November 2004. Soweit in diesem Schreiben ausgeführt wird, dass „seitens des AZV Laucha – Bad Bibra keine Beitragsforderung mehr" bestehe, bezieht sich dies ersichtlich auf die Erfüllung der festgesetzten Beiträge durch die Verrechnung. Das Recht zur Beitragserhebung betrifft zudem keinen Anspruch aus dem Vorfinanzierungsvertrag, sondern ergibt sich aus dem Satzungsrecht des Zweckverbands. Insoweit wird auch im Vorfinanzierungsvertrag darauf verwiesen, dass die Beiträge nach Maßgabe des § 6 KAG LSA und der jeweils gültigen Beitragssatzungen erhoben werden und der Vertrag keine Ablösevereinbarung enthalte.

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5. Entgegen der Auffassung der Kläger liegt auch kein Fall der Verwirkung vor. Die Verwirkung ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben, der für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat. Sie bildet einen Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (sog. Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (sog. Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BVerwG, Urteil vom 09. Dezember 1998 – BVerwG 3 C 1.98 – Juris Rn. 31). Hier fehlt es an einem über die bloße Untätigkeit hinausgehenden besonderen Verhalten des Beklagten, dass die Grundlage eines Vertrauens der Kläger bzw. des Erblassers bilden könnte, der Beklagte werde keine Beiträge mehr erheben. Insbesondere lässt sich ein derartiges Vertrauen aus den unter Ziffer 4. genannten Gründen weder auf den zwischen der D. Erschließungs- und Bauträger GmbH und dem AZV Laucha – Bad Bibra vor dem Landgericht Halle geschlossenen Vergleich noch auf das Schreiben des Rechtsvorgängers des Beklagten vom 04. November 2004 stützen. Zudem ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Erblasser Dispositionen getroffen hatte, so dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Beitragsanspruchs ein unzumutbarer Nachteil entstünde.

39

6. Der Beklagte hat den Beitrag jedoch der Höhe nach fehlerhaft berechnet. Er hat insoweit unzutreffend auch die Fläche des Flurstücks 146/30 in die Berechnung einbezogen. Gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 SBS 2014 gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, die – wie hier – insgesamt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegen, zwar die Gesamtfläche des Grundstücks, wenn es baulich oder gewerblich nutzbar ist. Jedoch bedarf diese Regelung durch das im Kommunalabgabengesetz verankerte Vorteilsprinzip einer einschränkenden Auslegung, wenn das Grundstück oder eine Teilfläche davon jeder abwasserrechtlich relevanten Nutzbarkeit entzogen ist. Das ist etwa dann der Fall, soweit der Bebauungsplan eine „öffentlichen Grünfläche“ i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB festsetzt. Denn selbst wenn die davon nicht betroffene Restfläche des Grundstücks baulich oder in vergleichbarer Weise nutzbar ist, besteht gerade keine einheitliche Nutzbarkeit mit der als „öffentliche Grünfläche“ ausgewiesenen Teilfläche. Entsprechendes gilt für die Grundflächen von anderen Erschließungsanlagen, denen durch eine Festsetzung im Bebauungsplan eine Bebaubarkeit deshalb entzogen ist, weil sie selbst der Erschließung i.S.d. §§ 30 ff. BauGB dienen (OEufach0000000014, Beschluss vom 09. August 2006 – 4 L 255/06 – Juris Rn. 5 f.).

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Nichts anderes muss auch für die Fälle gelten, in denen die Flächen eines Buchgrundstücks räumlich getrennt liegen und sich der Vorteil der Anschlussmöglichkeit einer Fläche an die öffentliche Einrichtung auf andere durch andere Grundstücke getrennte Flächen des gleichen Buchgrundstücks nicht auswirken kann. Auch insofern besteht lediglich ein (räumlich) eingeschränkter Vorteil (OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. Februar 1992 – 9 M 158/92 – Juris Rn. 3; Blomenkamp und Haack in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand März/2016, § 8 Rn. 1035b und 2192). Dergestalt verhält es sich hier. Das streitgegenständliche Buchgrundstück besteht aus den Flurstücken 146/31 und 146/30, die durch die Lindenstraße getrennt werden. Das Flurstück 146/30 erlangt durch die streitgegenständliche öffentliche Einrichtung keinen Vorteil, weil es durch die räumliche Trennung vom Flurstück 146/31 mit diesem nicht einheitlich genutzt werden kann und der Schmutzwasserkanal nach dem unbestrittenen Vorbringen der Kläger nicht bis an das Flurstück heranreicht und dieses daher abwassertechnisch nicht erschlossen wird. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von dem vom Beklagten gebildeten Beispielsfall der hintereinanderliegenden, zu einem Buchgrundstück gehörenden Flurstücke. In dem Beispielsfall ist nämlich die Möglichkeit des Anschlusses an den in der Straße verlaufenden Kanal insgesamt gegeben, weil auch die Hinterliegerflurstücke über das jeweilige Vorderliegerflurstück angeschlossen bzw. alle Flurstücke einheitlich genutzt werden können. Diese Möglichkeit besteht aber nicht, wenn – wie hier – zwischen den das Buchgrundstück bildenden Flurstücken eine Straße verläuft. In diesem Falle kann für das „abgetrennte" Flurstück erst eine Beitragspflicht entstehen, wenn die öffentliche Einrichtung auch vor diesem Flurstück betriebsfertig errichtet ist.

41

Der Beitragsberechnung ist sonach lediglich die Fläche des Flurstücks 146/31 zugrunde zu legen, die sich auf 7.329 m² beläuft.

42

Diese Fläche ist gemäß § 4 Abs. 4 Nr. 1 SBS 2014 mit dem Nutzungsfaktor für die im Bebauungsplan festgesetzte höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse zu vervielfachen, somit mit dem Faktor 2,2 für drei Vollgeschosse (§ 4 Abs. 2 Satz 1 SBS 2014), wie dies im Bescheid vom 27. November 2015 erfolgte. Dass der Bebauungsplan für Teile des Flurstücks lediglich eine Bebauung mit zwei Vollgeschossen zulässt, ist unerheblich, da die Satzungsregelung auf die höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse abstellt (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1986 – BVerwG 8 C 9.86 – Juris Rn. 35 ff.; Blomenkamp, Haack, a.a.O., § 8 Rn. 1039a und 2196).

43

Soweit die Kläger geltend machen, der aus dem Jahr 1994 stammende Bebauungsplan erfülle nicht mehr die Anforderungen an die städtebauliche Entwicklung in Laucha, weshalb die Stadt Laucha beabsichtige, in den Jahren 2016 und 2017 den Bebauungsplan zu überarbeiten und das Gebiet teilweise zurück zu planen, steht dies der Zugrundelegung der Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entgegen. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht, mithin hier der 20. November 2014, zu dem der Bebauungsplan Geltung beanspruchte. Zwar kann eine bauplanerische Festsetzung ausnahmsweise wegen Funktionslosigkeit ihre Wirksamkeit verlieren. Das ist aber nur dann der Fall, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (BVerwG, Urteil vom 03. Dezember 1998 – BVerwG 4 CN 3.97 – Juris Rn. 22). Dafür ist hier nichts ersichtlich.

44

Im Hinblick auf den Beitragssatz von 4,26 Euro/m² ergibt sich daher der im Bescheid vom 27. November 2015 festgesetzte Beitrag von 68.687,39 Euro (7.329 m² x 2,2 x 4,26 Euro/m²).

45

Die Anwendung eines reduzierten Beitragssatzes nach § 11 Abs. 1 SBS 2014 scheidet aus. Danach wird bei der Beitragsermittlung bei übergroßen Wohngrundstücken, die nach der tatsächlichen Nutzung vorwiegend Wohnzwecken dienen oder dienen werden, die Begrenzungsfläche von 1.011 m² in vollem Umfang, die verbleibende Fläche zur Hälfte mit 50 % des Beitragssatzes und die weitere Hälfte mit 30 % des Beitragssatzes veranlagt. Das Grundstück der Kläger unterfällt nicht dieser Regelung. Sie können sich nicht darauf berufen, dass ihr unbebautes Grundstück vorwiegend Wohnzwecken „dienen werde". Dieser Teil der Satzungsregelung ist nichtig, da er gegen höherrangiges Landesrecht verstößt. § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA in der seit dem 24. Dezember 2014 geltenden Fassung sieht eine begrenzte Veranlagung lediglich noch für übergroße Grundstücke vor, die nach der tatsächlichen Nutzung vorwiegend Wohnzwecken dienen.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.


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