Beschluss vom Verwaltungsgericht Hamburg (9. Kammer) - 9 E 3964/20
Tenor
Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass den Antragstellern anlässlich ihrer Hochzeitsfeier am 26. September 2020 im Hotel A. gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO die Aufführung eines Hochzeitstanzes erlaubt ist.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu 2/3 und die Antragsgegnerin zu 1/3.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
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Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg. Der Haupt- und der erste Hilfsantrag sind jedenfalls unbegründet. Der zweite Hilfsantrag hat – bei sachdienlicher Auslegung – Erfolg.
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1. Der Hauptantrag, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass die Antragsteller berechtigt sind, ihre Hochzeitsveranstaltung am 26. September 2020 im Hotel A. in Hamburg durchzuführen, ohne dass den Teilnehmern und Teilnehmerinnen das Tanzen untersagt ist, hat keinen Erfolg.
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Es kann dahinstehen, ob der Antrag zulässig ist. Insbesondere bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob Feststellungsbegehren, mit denen – wie hier – wegen einer ersichtlich begehrten Vorwegnahme der Hauptsache tatsächlich eine endgültige Feststellung erstrebt wird, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgt werden können (zweifelnd OVG Hamburg, Beschl. v. 20.5.2020, 5 Bs 77/20, juris Rn. 13 ff. m.w.N.). Denn auch wenn der Antrag zulässig wäre, bliebe er mangels Begründetheit ohne Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass die tatsächlichen Voraussetzungen sowohl eines Anordnungsgrunds, der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet, als auch eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, glaubhaft gemacht werden (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Da das vorläufige Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich nur der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses dient und einem Antragsteller hier regelmäßig nicht bereits das gewährt werden soll, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen kann, kann einem Eilantrag nach § 123 VwGO im Falle einer Vorwegnahme der Hauptsache nur stattgegeben werden, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG schlechterdings unabweisbar ist. Dies setzt hohe Erfolgsaussichten, also eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in der Hauptsache sowie schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile im Falle des Abwartens in der Hauptsache voraus (OVG Hamburg, Beschl. v. 6.7.2018, 3 Bs 97/18, juris Rn. 35 m.w.N.). Diese strengen Anforderungen gelten im vorliegenden Verfahren, da die von den Antragstellern begehrte Feststellung eine solche endgültige Vorwegnahme der Hauptsache bewirken würde. Die Antragsteller könnten auch in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr erreichen als die begehrte Feststellung, dass den Teilnehmern ihrer Hochzeitsveranstaltung das Tanzen nicht untersagt ist. Aufgrund des zeitlich gebundenen Begehrens könnte aber eine entsprechende Entscheidung in einer – bisher noch nicht anhängig gemachten – Hauptsache vor der geplanten Feier am 26. September 2020 nicht mehr ergehen.
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Unter Zugrundelegung des vorgenannten Maßstabs haben die Antragsteller einen Anordnungsanspruch, und damit die erforderliche weit überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in der Hauptsache, nicht glaubhaft gemacht. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung haben die Antragsteller voraussichtlich keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung.
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Das Ausrichten einer Hochzeitsfeier, bei der getanzt wird, unterfällt dem Verbot in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 der Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 15. September 2020 (HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO). Danach ist den Teilnehmern und Teilnehmerinnen das Tanzen auf Veranstaltungen untersagt. Bei der geplanten Hochzeitsfeier der Antragsteller handelt es sich – wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen – um eine Veranstaltung gem. § 2 Abs. 4 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO.
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Die Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO erweist sich voraussichtlich als rechtmäßig und beansprucht deshalb auch gegenüber den Antragstellern Gültigkeit.
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Die Hamburgische SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung findet in §§ 32 Satz 1 und 2, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine hinreichende gesetzliche Grundlage. Die Verordnungsermächtigung in §§ 32 Satz 1 und 2, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist mit höherrangigem Recht vereinbar, sie ist insbesondere bestimmt genug (VGH München, Beschl. v. 30.3.2020, 20 NE 20.632, juris Rn 45; OVG Münster, Beschl. v. 15.4.2020, 13 B 440/20.NE, juris Rn. 47 ff.) und beachtet die Vorgaben von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG und des Parlamentsvorbehalts (OVG Hamburg, Beschl. v. 20.8.2020, 5 Bs 114/20, juris Rn. 8 m.w.N.).
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sind aufgrund der gegenwärtig bestehenden Corona-Pandemie weiterhin erfüllt (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 20.8.2020, 5 Bs 114/20, juris Rn. 10). Das Robert-Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland auch aktuell noch insgesamt als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. An dieser Bewertung hält das Robert-Koch-Institut nach wie vor fest (Risikobewertung zu COVID-19 vom 18.9.2020: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Zwar war eine vorübergehende Stabilisierung der Fallzahlen auf einem erhöhten Niveau zu verzeichnen, aktuell ist jedoch bundesweit ein weiterer Anstieg der Übertragungen zu beobachten (täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 vom 22.9.2020:https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Sept_2020/2020-09-22-de.pdf?__blob=publicationFile).
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Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – „wie“ des Eingreifens – räumt die Bekämpfungs-Generalklausel der zuständigen Behörde Ermessen ein. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt. Dabei begrenzt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG den Handlungsrahmen der Behörde nicht dahingehend, dass allein Schutzmaßnahmen gegenüber der als möglichem Überträger festgestellten Person in Betracht kommen. Die Vorschrift ermöglicht Regelungen gegenüber einzelnen wie mehreren Personen. Vorrangige Adressaten sind die in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG benannten Personengruppen. Bei ihnen steht fest oder besteht der Verdacht, dass sie Träger von Krankheitserregern sind, die bei Menschen eine Infektion oder eine übertragbare Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 1 bis Nr. 3 IfSG verursachen können. Wegen der von ihnen ausgehenden Gefahr, eine übertragbare Krankheit weiterzuverbreiten, sind sie nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehr- und Polizeirechts als „Störer“ anzusehen. Es können aber auch (sonstige) Dritte („Nichtstörer“) Adressaten von Maßnahmen sein, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen (BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, 3 C 16/11, juris Rn. 24 ff.). Gemessen an diesen Vorgaben ist das in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO normierte Tanzverbot auf Veranstaltungen bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.
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Bei dem Tanzverbot auf Veranstaltungen handelt es ich um eine notwendige Schutzmaßnahme, die den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt. Die Regelung erscheint nach derzeitiger erkennbarer Sach- und Rechtslage und im Lichte des dem Verordnungsgeber hier zustehenden Entscheidungsspielraums als geeignet, erforderlich und angemessen. Mit dem Ziel, die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus in der Freien und Hansestadt Hamburg einzudämmen, um hierdurch die Gesundheit und das Leben der Bürgerinnen und Bürger zu schützen und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens zu gewährleisten (vgl. § 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO), dient das Tanzverbot auf Veranstaltungen einem legitimen Zweck. Zur Förderung dieses Zwecks ist das Tanzverbot auf Veranstaltungen auch geeignet. Der Hauptübertragungsweg des SARS-CoV-2-Virus ist nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts die Aufnahme virushaltiger Flüssigkeitspartikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen und Niesen entstehen. Während größere Tröpfchen schnell zu Boden sinken, können Aerosole (feinste luftgetragene Flüssigkeitspartikel und Tröpfchenkerne, kleiner als 5 Mikrometer) auch über längere Zeit in der Luft schweben und sich in geschlossenen Räumen verteilen. Durch die Anreicherung und Verteilung von Aerosolen im Raum wird die Gefahr einer Infektion derart erhöht, dass auch das Einhalten von Mindestabständen ggf. nicht mehr ausreichend sein kann. So weisen bisherige Beobachtungen darauf hin, dass auch schwere körperliche Arbeit bei mangelnder Lüftung zu hohen Infektionsraten führen kann (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=8B06D8D73916F101C3497D265A375307.internet082#doc13776792bodyText2).
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Der Verordnungsgeber durfte daher zu Recht davon ausgehen, dass das Tanzen auf Veranstaltungen ein erhöhtes Infektionspotenzial aufweist. Dies folgt zum einen aus üblicherweise stattfindenden Körperkontakten oder jedenfalls der Unterschreitung des Mindestabstands, dessen Beachtung aufgrund von ausgelassener Stimmung und (möglicherweise) von Alkoholkonsum in Vergessenheit gerät, zum anderen aber auch aus der körperlichen Aktivität und der damit einhergehenden erhöhten Atemfrequenz und somit dem vermehrten Ausstoß von Aerosolen, die möglicherweise mit Viren belastet sind. Das Tanzverbot auf Veranstaltungen hat auch bei privaten Veranstaltungen mit ausschließlich geladenen Gästen zur Folge, dass engerer Kontakt zwischen Teilnehmern der Veranstaltung, die sich ansonsten nicht so nah kommen würden, und ein vermehrter Ausstoß von Aerosolen, wodurch das Virus übertragen werden könnte, unterbunden werden.
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Der hamburgische Verordnungsgeber darf es im Rahmen seines Einschätzungsspielraums nach wie vor für erforderlich halten, das Tanzen auf Veranstaltungen zu verbieten, um das Ziel der Eindämmung einer erhöhten Infektionsgefahr durch das SARS-CoV-2-Virus zu erreichen. Ein milderes Mittel, das zur Erreichung dieses Zwecks gleich geeignet wäre, ist nicht ersichtlich. Eine Regelung, vergleichbar mit der in § 19 Abs. 1, 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO, wie sie für Tanzschulen gilt, wonach das Tanzen erlaubt ist, soweit sich die Teilnehmer nicht durchmischen und die beteiligten Personen in geschlossenen Räumen einen Mindestabstand von 2,5 Metern zueinander einhalten, wäre auf einer privaten Veranstaltung realistischerweise nicht umzusetzen. Anders als in Tanzschulen, bei denen es einen strukturierten Unterrichtsablauf gibt, die Teilnehmer den Anweisungen des Tanzlehrers folgen und somit kontrollierte, aufeinander abgestimmte Bewegungen ausführen, bei denen die Einhaltung des Mindestabstands gewährleistet werden kann, kann hiervon bei „freiem Tanzen“ auf privaten Veranstaltungen nicht ausgegangen werden.
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In diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung ist die im Prinzip nicht zu beanstandende Strategie der Antragsgegnerin, durch schrittweise Lockerungen der Beschränkungen bei ständiger Überprüfung ihrer möglichen Auswirkungen auf die Infektionszahlen einerseits und der Berücksichtigung des Gewichts der verbleibenden Grundrechtseingriffe andererseits in möglichst vielen Bereichen eine zunehmende Annäherung an die Situation vor Beginn der Corona-Pandemie zu erreichen. Diese Vorgehensweise bedingt es, die in Betracht kommenden Lockerungen zeitlich weiter nach hinten zu verlagern, mit denen ein spezifisch höheres Infektionsrisiko verbunden ist. In der Zwischenzeit hat der Verordnungsgeber zu prüfen, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass bisher bereits vorgenommene Lockerungen zu einer (signifikanten) Erhöhung der Infektionszahlen geführt haben könnten, und ggf. zu versuchen, mögliche Zusammenhänge zu erkennen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass zwischen der Ansteckung, dem Beginn der ersten Symptome, einer Testung und der statistischen Verarbeitung des Testergebnisses einige Tage vergehen, sodass eine einigermaßen tragfähige Einschätzung zu den möglichen Auswirkungen einer Lockerung auf die Infektionszahlen erst entsprechend später getroffen werden kann (OVG Hamburg, Beschl. v. 20.5.2020, 5 Bs 77/20, juris Rn. 34). Angesichts dessen erscheint es plausibel, dass der Verordnungsgeber mit der Erlaubnis des Tanzens auf Veranstaltungen jedenfalls noch so lange zuwartet, bis die eventuellen Auswirkungen der zuletzt vorgenommenen (infektionstechnisch weniger riskant erscheinenden) Lockerungen besser eingeschätzt werden können.
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Das Tanzverbot auf Veranstaltungen ist auch noch angemessen. Die damit einhergehenden Belastungen stehen nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck. Gegenüber den bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG auch verpflichtet ist, hat die Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit von Veranstaltern und Veranstaltungsteilnehmern derzeit zurücktreten. Außerdem ist die angegriffene Regelung zunächst bis zum 30. November 2020 befristet. Damit ist sichergestellt, dass die Verordnung unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden muss. Hierbei ist stets unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots zu prüfen, ob die Einschränkungen beim Ausrichten von Veranstaltungen noch aufrechterhalten werden können oder eine Lockerung verantwortet werden kann.
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Die Anzahl der neu übermittelten Fälle an Erkrankungen an Covid-19 in Deutschland steigt nach einer Stabilisierungsphase derzeit wieder an (s.o.). In verschiedenen Landkreisen gibt es Ausbrüche, die mit unterschiedlichen Situationen in Zusammenhang stehen, darunter unter anderem auch größere Feiern im Familien- und Freundeskreis (täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 vom 22.9.2020:https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Sept_2020/2020-09-22-de.pdf?__blob=publicationFile). Die Anzahl der neu Erkrankten liegt in Hamburg deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt. Die aktuelle Lage ist nach der Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts weiterhin dynamisch und ernst zu nehmen. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird insgesamt weiter als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch. Zwar verläuft die Erkrankung in der überwiegenden Zahl der Fälle mild, die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe nimmt aber mit zunehmenden Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Darüber hinaus kann es auch bei jungen Menschen ohne bekannte Vorerkrankungen zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen, auch nach leichten Fällen, sind derzeit noch nicht abschätzbar. Nach wie vor gibt es keine zugelassenen Impfstoffe und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und langwierig. Auch wenn die Belastung des Gesundheitssystems aktuell in weiten Teilen Deutschlands gering ist, kann sie örtlich sehr schnell zunehmen und dann insbesondere das öffentliche Gesundheitswesen, aber auch Einrichtungen für die ambulante und stationäre medizinische Versorgung stark belasten, so dass Belastungsspitzen im Gesundheitswesen zu vermeiden sind (zum Ganzen: Risikobewertung zu COVID-19 vom 18.9.2020: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html).
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Das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit überwiegt das Interesse der Antragsteller, ihre Hochzeitsfeier uneingeschränkt frei gestalten zu können. Dabei ist zu berücksichtigten, dass den Antragstellern das Ausrichten ihrer Hochzeitsfeier ohne Tanzmöglichkeit nicht verwehrt wird. Die Antragsteller tragen selbst vor, dass das Tanzen auf Hochzeiten ein wichtiger Bestandteil von vielen sei. Dass die Feier für sie ohne die Möglichkeit des Tanzens derart an Wert verlieren würde, dass sie sich zu einer Verlegung oder Stornierung gezwungen sehen würden, machen sie nicht geltend. Die vorgetragenen wirtschaftlichen Nachteile im Falle einer Verlegung oder Stornierung sind daher vorliegend außer Acht zu lassen. Hierbei wäre zudem zu berücksichtigen, dass die Antragsteller ihre Hochzeitsfeier – wie sich aus dem vorgelegten Veranstaltungsvertrag ergibt – bereits zu Zeiten der Corona-Pandemie geplant haben. Sie haben daher das Risiko von Einschränkungen während der Feier bewusst in Kauf genommen.
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Eine Verletzung der Antragsteller aus ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) ist vor dem Hintergrund der vorstehenden Erwägungen nicht ersichtlich. Die allgemeine Handlungsfreiheit gilt nicht schrankenlos; im vorliegenden Fall muss sie angesichts der durch die Pandemie bedingten Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 GG auch verpflichtet ist, und der in diesem Zusammenhang verordneten, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Beschränkung derzeit zurücktreten.
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Auch eine Verletzung der Antragsteller aus ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG (Eheschließungsfreiheit) kommt nicht in Betracht. Durch Beschränkungen hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung von (Hochzeits-)Veranstaltungen werden die Antragsteller nicht in ihrem Recht auf ungehinderten Zugang zur Ehe verletzt, zumal die Antragsteller bereits am 8. August 2020 standesamtlich geheiratet haben.
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Schließlich werden die Antragsteller durch das Tanzverbot auf ihrer Hochzeitsfeier nicht in ihrem allgemeinen Gleichheitsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Es sind nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfG, Beschl. v. 18.7.2012, 1 BvL 16/11, juris Rn. 30).
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Dies zugrunde gelegt, stellt die unterschiedliche Behandlung von Veranstaltungen gegenüber Tanzschulen keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar. Es handelt sich um Sachverhalte, die im Hinblick auf die jeweilige Gefahr von Infektionen und schweren Krankheitsverläufen unterschiedlich zu würdigen sind; insoweit wird auf die vorstehenden Erwägungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Bezug genommen. Auch die unterschiedlichen Behandlungen von Veranstaltungen und Fitnessstudios sowie Sportbetrieben stellen keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar. Bei Veranstaltungen und Fitnessstudios handelt es sich ebenso wie bei Veranstaltungen und Sportbetrieben nicht um wesentlich gleiche Sachverhalte, die eine wesentlich gleiche Behandlung erfordern würden. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung kann sich darüber hinaus auch nicht daraus ergeben, dass das Tanzen auf Veranstaltungen in anderen Bundesländern mittlerweile wieder erlaubt sein mag. Der Gleichheitssatz bindet jeden Träger der öffentlichen Gewalt allein in dessen Zuständigkeitsbereich, weshalb der Gleichheitssatz nicht dadurch verletzt wird, dass ein anderes Bundesland den gleichen Sachverhalt anders behandelt (BVerfG, Beschluss v. 12.5.1987, 2 BvR 1226/83, juris Rn. 151).
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2. Der Antrag hat auch mit dem ersten Hilfsantrag, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Antragsteller berechtigt sind, ihre Hochzeitsveranstaltung am 26. September 2020 im Hotel A. in Hamburg durchzuführen, ohne dass den Teilnehmern und Teilnehmerinnen das paarweise Tanzen untersagt ist, keinen Erfolg.
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Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit des Feststellungsantrags (s.o.), ist der Antrag jedenfalls nicht begründet. Die Antragsteller haben auch insoweit keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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Auch das paarweise Tanzen unterfällt dem Verbot in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO. Bei dem generellen Tanzverbot, ohne Ausnahmemöglichkeit für Paartanz, handelt es sich auch um eine geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
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Bei einem Tanzverbot mit Ausnahme von Paartanz würde es sich auch nicht um ein milderes Mittel handeln, das im Vergleich zu einem generellen Tanzverbot gleich geeignet wäre. Dies ist vorliegend schon deshalb ausgeschossen, weil die Antragsteller eine Duldung von Paartanz begehren, bei der „in der Regel“ stets mit den gleichen Lebenspartnern getanzt wird. Bei dieser begehrten allgemeinen Duldung von Paartanz ist daher nicht ausgeschlossen, dass es zu Körperkontakten zwischen Personen käme, die nicht vom Abstandsgebot gem. § 3 Abs. 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO ausgenommen sind. Darüber hinaus vermag der Paartanz das Risiko von Körperkontakten oder jedenfalls des Unterschreitens von Mindestabständen zu anderen Tanzpaaren und den vermehrten Ausstoß von Aerosolen aufgrund der körperlichen Aktivität und der damit einhergehenden erhöhten Atemfrequenz nicht zu beseitigen.
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3. Der Antrag hat jedoch mit dem zweiten Hilfsantrag Erfolg.
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Der von den Antragstellern wörtlich gestellte Antrag, festzustellen, dass die Antragsteller berechtigt sind, ihre Hochzeitsveranstaltung am 26. September 2020 im Hotel A. in Hamburg durchzuführen, ohne dass dem Hochzeitspaar der Hochzeitstanz untersagt ist, ist mit Blick auf das von den Antragstellern verfolgte Rechtsschutzziel dahingehend auszulegen (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO), dass sie im Wege einer einstweiligen Anordnung begehren festzustellen, dass ihnen die Aufführung eines Hochzeitstanzes anlässlich ihrer Hochzeitsfeier am 26. September 2020 im Hotel A. nach der HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO erlaubt ist.
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Der so verstandene Antrag ist zulässig. Er ist insbesondere als Antrag gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft, da mit ihm nicht die endgültige Klärung der Wirksamkeit einer Verbotsnorm begehrt wird (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 20.5.2020, 5 Bs 77/20, juris Rn. 15).
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Der Antrag ist auch begründet. Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht, dass mit der für die erstrebte endgültige Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund bestehen.
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Den Antragstellern ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO erlaubt, anlässlich ihrer Hochzeitsfeier am 26. September 2020 einen Hochzeitstanz aufzuführen.
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Der geplante Hochzeitstanz der Antragsteller unterfällt nicht dem Tanzverbot in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO, sondern ist nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO zulässig. Nach dieser Vorschrift sind Darbietungen zulässig, wenn zwischen dem Publikum und Bühnen oder Podien, auf denen Darbietungen stattfinden, ein Mindestabstand von 2,5 Metern gewährleistet wird. Der Begriff der Darbietung ist in der HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO nicht legaldefiniert. Unter ihm ist daher nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und aufgrund des Regelungszusammenhangs im Rahmen von Veranstaltungen eine Art Vorstellung bzw. Aufführung zu verstehen. Bei einem Hochzeitstanz handelt es sich um eine solche Aufführung. Bei ihm geht es nicht allein um den Tanz als solchen, sondern vielmehr um seine symbolische und rituelle Bedeutung. In dieser Funktion zieht er meist die Aufmerksamkeit der gesamten Hochzeitsgäste, vergleichbar mit einem Publikum, auf sich, und ist mit dem allgemeinen freien Tanzen der Hochzeitsgäste nicht vergleichbar. In dieser Sonderfunktion ist der Hochzeitstanz daher als Darbietung unter Einhaltung des Mindestabstands von 2,5 Metern zu den zuschauenden Gästen zulässig.
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Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Eilbedürftigkeit der vorläufigen Regelung ergibt sich daraus, dass die Hochzeitsfeier der Antragsteller bereits am kommenden Samstag, dem 26. September 2020, stattfinden soll und eine Entscheidung in der Hauptsache somit zu spät erginge.
II.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Aufgrund der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache sieht das Gericht von einer Reduzierung des Streitwerts im Eilverfahren ab (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
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Referenzen
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- IfSG § 2 Begriffsbestimmungen 3x
- IfSG § 28 Schutzmaßnahmen 5x
- VwGO § 122 1x
- VwGO § 88 1x
- VwGO § 123 5x
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- VwGO § 155 1x
- § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 5 Bs 77/20 3x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (3. Senat) - 3 Bs 97/18 1x
- 13 B 440/20 1x (nicht zugeordnet)
- 5 Bs 114/20 2x (nicht zugeordnet)
- 3 C 16/11 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvL 16/11 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 1226/83 1x (nicht zugeordnet)