1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21.06.2018 wird hinsichtlich Ziffern 4 bis 6 AufenthG aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Äthiopien vorliegt.
Im Übrigen wird die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
|
|
| Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren. Denn in den ordnungsgemäßen Ladungen ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO). |
|
| Die zulässige Klage ist teilweise begründet, teilweise unbegründet. Der mit Ausnahme von Ziffer 2 angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 21.06.2018 ist rechtmäßig, soweit die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes abgelehnt worden ist, und verletzt insoweit den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (1.) und kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG zu (§ 113 Abs. 1 und 5 Satz 1 VwGO) (2.). Der Kläger hat aber einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf Äthiopien (3.). Deshalb waren Ziffern 4 bis 6 des Bescheids vom 21.08.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Äthiopien vorliegt. |
|
| Nach § 3 Abs. 1 und 4 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559 f.) – Genfer Flüchtlingskonvention –, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 2 lit. a) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2 lit. b). |
|
| Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Hand-lungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Diese Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen (vgl. Art. 9 Abs. 1 und 2 RL 2011/95/EU). Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach § 3a AsylG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29.17 -, juris, Rn. 11 m.w.N.). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1), gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (Nr. 2), sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3). § 3b Abs. 1 AsylG konkretisiert die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob dieser tatsächlich die flüchtlingsschutzrelevanten Merkmale aufweist, sofern ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden. |
|
| Ausgehen kann die Verfolgung gemäß § 3c AsylG (vgl. Art. 6 RL 2011/95/EU) vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 RL 2011/95/EU) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). |
|
| Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung „wegen“ eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86, 2 BvR 962/86 -, BVerfGE 76, 143 [157, 166 f.]). Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein. Für die „Verknüpfung“ reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29.17 -, a.a.O., Rn. 13 m.w.N.). |
|
| Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer - bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr - die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ("real risk") abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteile vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22 Rn. 22, vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 Rn. 32, vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, juris, Rn. 13, vom 04.07.2019 - 1 C 33.18 -, juris, Rn. 15 und vom 04.07.2019 - 1 C 31.18 -, juris, Rn. 16). Hierfür ist erforderlich, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine individuelle Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU neben den Angaben des Antragstellers und seiner individuellen Lage auch alle mit dem Herkunftsland verbundenen flüchtlingsrelevanten Tatsachen zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht der Gesamtumstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 Rn. 32). Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn bei einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise ein Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für dessen Eintritt besteht. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus; ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Bei der Abwägung aller Umstände ist die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in die Betrachtung einzubeziehen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist (BVerwG, Urteile vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, juris, Rn. 15; stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29.17-, a.a.O., Rn. 13 und Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- und Asylrecht Nr. 19 Rn. 37). |
|
| Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU (vom 13.12.2011 - sog. Qualifikationsrichtlinie -) ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden; es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die widerlegliche Vermutung ist widerlegt, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377, Rn. 23 und Urteil vom 19.04.2018, a.a.O., Rn. 15 m.w.N.; EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. –, juris, Rn. 92 ff.). |
|
| Aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflichten nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO und § 15 und § 25 Abs. 1 AsylG ist der Schutzsuchende gehalten, von sich aus die in seine eigene Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen. Sein Vortrag muss danach insgesamt geeignet sein, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1983 - 9 C 68.81 -, juris, Rn. 5 und Urteil vom 19.10.2001 - 1 B 24.01 -, juris, Rn. 5). Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt dies entsprechend. |
|
| Das Gericht hat sich auch in Ansehung der "asyltypischen" Tatsachenermittlungs- und -bewertungsprobleme die nach § 108 Abs. 1 VwGO erforderliche Überzeugungsgewissheit zu verschaffen (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, a.a.O., Rn. 16). Kann das Gericht auf der Grundlage der zu seiner Überzeugung feststehen den Prognosebasis hinsichtlich der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger individuell drohenden Verfolgung weder in die eine noch in die andere Richtung eine Überzeugung gewinnen und sieht es keine Anhaltspunkte für eine weitere Sachverhaltsaufklärung, hat es die Nichterweislichkeit des behaupteten Verfolgungsschicksals festzustellen und eine Beweislastentscheidung zu treffen (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, a.a.O., Rn. 23). Der Schutzsuchende trägt die (materielle) Beweislast für das Vorliegen der (positiven) Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und insoweit geht ein non liquet zu seinen Lasten. Dies gilt jedenfalls bei einem nicht vorverfolgt ausgereisten Antragsteller hinsichtlich der Frage, ob ihm bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, a.a.O., Rn. 23 ff.). |
|
| Die Asylberechtigung eines - nicht staatenlosen - Asylsuchenden ist allein danach zu beurteilen, ob ihm in dem Land seiner Staatsangehörigkeit politische Verfolgung droht (BVerwG, Urteil vom 18.10.1983 - 9 C 158.80 -, juris, Rn 10 und Urteil vom 06.08.1996 - 9 C 172.95 -, juris). Das folgt aus dem Prinzip der Subsidiarität, das sowohl dem Asylrecht als auch dem Flüchtlingsrecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention zugrunde liegt. Für den Anspruch auf asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist ebenfalls bereits entschieden, dass dieser durch die Möglichkeit, Schutz in nur einem Staat der Staatsangehörigkeit zu finden, ausscheidet (Sächs. OVG, Beschluss vom 03.03.2020 - 6 A 593/18.A -, juris, Rn 17f m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit verpflichtet § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO das erkennende Gericht, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln (BVerwG, Urteil vom 19.07.2012 - 10 C 2.12 -, juris, Rn. 14). |
|
| Personen, die zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, kann weder die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG zuerkannt werden, wenn sie den Schutz eines der Länder ihrer Staatsangehörigkeit in Anspruch nehmen können (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 16.12.2020 - 19 A 555/19.A -, juris, Rn. 17 m.w.N., 09.07.2020 - 19 A 2877/17.A -, juris, Rn. 12 f. m. w. N. und vom 18.06.2020 - 19 A 1107/19.A -, juris, Rn. 13 m.w.N. und unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 18.12.2019 - 1 C 2.19 -, juris, Rn. 13). |
|
| Der Kläger ist aufgrund seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung somalischer und äthiopischer Staatsangehöriger (1.1.). Ihm droht weder eine Verfolgung von Seiten des äthiopischen Staates (§ 3 Nr. 1 AsylG) (1.2.) noch von der Liyu-Police, als einem in Frage kommenden nichtstaatlichen Akteur (§ 3c Nr. 3 AsylG) (1.3.), noch vom somalischen Staat (1.4.). |
|
| Gemäß Art. 3 Abs. 1 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23.12.2003 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht) ist jemand äthiopischer Staatsangehöriger, wenn zumindest ein Elternteil die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 24.04.2020 [Stand: März 2020], V. 4 - AA, Bericht vom 24.04.2020 -. Der Kläger stammt seinen Angaben zufolge von Volkszugehörigen der Somali, und zwar vom Clan der Isaaq bzw. dem Unterclan der Reer Cisman Malowbe. In der mündlichen Verhandlung hat er glaubhaft vorgetragen, dass seine Mutter einen äthiopischen Ausweis besaß, der in der Stadt Degehabur (Somali: Dhagaxbuur, andere Schreibweise Dhaga Xbur) ausgestellt worden ist, in der sie, die Mutter und die Familie, lebten: Deshalb ist davon auszugehen, dass die Mutter äthiopische Staatsangehörige ist. Demzufolge ist auch der Kläger äthiopischer Staatsangehöriger. |
|
| Der Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 setzt eine willentliche Entscheidung der betreffenden Person für den Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit voraus (Sächs. OVG, Beschluss vom 03.03.2020 - 6 A 593/18.A -, a.a.O., Rn. 13; einschränkend VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.01.2003 - A 9 S 397/00 –, juris zu Eritrea). Die Vorschrift des Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 ist dahingehend zu verstehen, dass ein äthiopischer Staatsangehöriger seine äthiopische Staatsangehörigkeit nur dann verliert, wenn er sich willentlich für den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit entscheidet. Sofern der äthiopische Staatsangehörige hingegen ohne sein Zutun und möglicherweise gegen seinen Willen ipso iure eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, führt dies nicht zu einem automatischen Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit gem. Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 16.12.2020 - 19 A 555/19.A -, juris, Rn. 17 m.w.N, vom 29.06.2020 - 19 A 1420/19.A -, juris, Rn. 70 ff., 82 ff.). |
|
| Nach dem somalischen Staatsangehörigkeitsrecht spielt der Geburtsort ebenfalls keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr die Abstammung von einem somalischen Vater (Art. 2 a des Gesetzes Nr. 28 über die somalische Staatsangehörigkeit vom 02.12.1962, abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Danach kann der Kläger nach seinen Angaben seine somalische Staatsangehörigkeit von seinem Vater ableiten. Es besteht außerdem für jeden Somalier - nach der Legaldefinition in Art. 3 des Gesetzes Nr. 28 über die somalische Staatsangehörigkeit vom 02.12.1962 jede Person, die durch Geburt, Sprache oder Tradition zur somalischen Nation gehört - unabhängig von seinem Wohnsitz sogar die Möglichkeit, einen mündlichen Antrag beim Distriktkommissar oder - bei einem Wohnsitz im Ausland - beim Konsulat zu stellen und so die somalische Staatsangehörigkeit zu erwerben (Art. 2 b des Gesetzes Nr. 28 über die somalische Staatsangehörigkeit vom 02.12.1962 i.V.m Art. 2 der Verordnung Nr. 129 vom 19.02.1963, ebenfalls abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 13.01.2021 - A 1 K 6530/18 -, juris, Rn. 21). Davon hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht, weshalb davon auszugehen ist, dass er die äthiopische Staatsangehörigkeit nicht verloren hat. |
|
| Das Gericht konnte nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger vorverfolgt ist und aus Furcht vor Verfolgung sein Heimatland verlassen hat. Seine diesbezüglichen Angaben sind teilweise widersprüchlich und abgesehen davon in wesentlichen Punkten zum Kerngeschehen oberflächlich, detailarm und stereotyp. Letzteres trifft für seine Ausführungen dazu zu, die Liyu-Beamten hätten ihn eines Tages bei der Arbeit als Schuhputzer angesprochen und gesagt, er eigne sich als Spion für sie und dies habe sein in der Nähe arbeitender Vater mitbekommen und abgelehnt. Dass Kinder somalisch-stämmiger Eltern zwangsweise zur Mitarbeit gegen die ONFL als Spione eingesetzt werden, mag tatsächlich vorgekommen sein; es ist aber nach der Erfahrung des erkennenden Gerichts ein von nicht wenigen Somaliern aus Äthiopien stereotypes Vorbringen, das ohne nähere Details zu selbst Erlebtem nicht überzeugt. An solchen konkreten und lebensnahen Einzelheiten zu seiner angeblich verweigerten Unterstützung der Liyu-Police und des daraus abgeleiteten Verdachts der Zugehörigkeit zur ONLF fehlt es hier. Der Kläger vermochte zu dem fraglichen Hergang, wo und wie ihn die Liyu-Beamten angesprochen haben sollen, keine lebensnahen Einzelheiten berichten. Seine Darstellung in der mündlichen Verhandlung, sie hätten ihm gesagt, „du bist der Junge“, der fit und als Spion geeignet ist, wirkt künstlich. Das Gericht vermisst u.a. Einzelheiten zu den angeblichen Liyu-Beamten, deren Aussehen, Zahl, dem Ort des fraglichen Geschehens und dem angeblichen Hinzukommen seines Vaters. Ähnlich schilderte er diesen Vorgang beim Bundesamt. Danach sei der Vater dazugekommen, als die Liyu-Beamten ihn hätten holen wollen, wobei unklar blieb, wo sich dies zugetragen haben soll. Dabei sei der Vater verhaftet worden. Unter welchen Umständen sein Vater, er selbst, seine Mutter und alle Geschwister verhaftet worden seien, vermochte er weder vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung ansatzweise nachvollziehbar schildern. Insoweit drängt sich die Annahme auf, dass er nicht von selbst Erlebtem sprach. Sein Hinweis, der Dolmetscher beim Bundesamt habe falsch übersetzt und einiges weggelassen, überzeugt nicht, weil der Kläger ausweislich der Niederschrift über seine Angaben vor dem Bundesamt erklärt hat, es habe keine Verständigungsprobleme gegeben. Hinzu kommt, dass er angebliche Übersetzungsfehler erst in der mündlichen Verhandlung geltend machte, obwohl er hierzu bereits bei Klageerhebung und im Laufe des Verfahrens Gelegenheit hatte. |
|
| Seine diesbezüglichen in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben zu der angeblichen Verhaftung seines Vaters und der gesamten Familie sowie zu den Haftbedingungen detailarm und oberflächlich. Es fehlt an annähernd konkreten Einzelheiten, wann und wie der Vater verhaftet worden sei. Das Gericht vermisst ferner eine nachvollziehbare Schilderung der angeblichen Haftbedingungen. Das Vorbringen des Klägers zur angeblichen Haft der Familie erschöpft sich in Stichworten, wonach sie in einem großen Raum, auf Nachfrage des Gerichts zusammen mit anderen Gefangenen, gewesen seien. Vor dem Bundesamt hieß es dagegen, ihr Lager sei durch Stacheldraht abgetrennt gewesen, sie hätten die anderen Gefangen sehen können. Auch auf Nachfragen des Gerichts, wie das Essen verteilt worden sei, ob sie sich mit den anderen Gefangenen unterhalten hätten können und ob sie sich hätten waschen können, blieb der Kläger weitgehend allgemein gehalten und vermochte keinerlei konkrete Einzelheiten zu nennen. So konnte der Kläger von sich aus weder den fraglichen Raum bzw. die Zelle im Gefängnis beschreiben noch Mitgefangene. Erst auf Befragen des Gerichts schilderte er, dass seine Familie einen „Haufen“ Essen auf einem Blechteller bekommen habe, das sie mit den Händen gegessen hätten. Seinen Hinweis darauf, andere Gefangene hätten Mitgefangene versorgt, vermochte er nicht ansatzweise zu erklären. Insoweit und auch auf Nachfragen des Gerichts zu den hygienischen Verhältnissen im Gefängnis erschöpft sich sein Vorbringen in allgemeingehaltenen Stichworten, ohne lebensnahen Bezug zu den Örtlichkeiten, Personen oder sonstigen Realkennzeichen. Dass in dem Raum nur eine Toilette zur Verfügung gestanden habe und das Wasser braun und ekelhaft gewesen sei, weshalb es schwierig gewesen sei, sich zu waschen, erwähnte er auf Nachfrage des Gerichts, ohne irgendwelche Details zu nennen, z. B. über die räumliche Anordnung des fraglichen Lagers bzw. der Zelle und der Toilette im Raum. |
|
| Ebenfalls detailarm sind seine Angaben dazu, dass zwei Tage nach der Freilassung der Familie die Mutter erfahren habe, dass der im Gefängnis verbliebene Vater umgebracht worden sei. Von wem die Mutter dies erfahren habe, blieb offen. Dass sie den Vater vor dem Gefängnis auf der Straße liegend vorgefunden habe, erklärte er zwar übereinstimmend vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung jeweils mit knappen Worte. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 11.02.2021 ist nicht geeignet, die Verhaftung und Ermordung des Vaters zu beweisen. Sie ist auf der Grundlage der Angaben des Klägers erstellt. Unterschiedliche und unabhängig davon detailarme sowie lückenhafte Angaben machte er dazu, wie er der angeblich ihn suchenden Liyu-Police entkommen sein will. Während es vor dem Bundesamt hieß, als seine Mutter die Männer gesehen habe, habe sie die Tür verschlossen, die dann von den Männern aufgebrochen worden sei. Schützend habe sich die Mutter vor die Männer gestellt, die sie weggeschubst hätten. Von wo aus der Kläger dies gesehen oder wie er dies mitbekommen haben will, blieb im Dunkeln. Durchs Fenster will er geflüchtet sein und die Männer hätten auf ihn geschossen und einen Tag lang gesucht. Die Nacht habe er versteckt auf dem Markt verbracht und sei dann am nächsten Tag mit dem Bus nach Jigjiga gefahren. Von den angeblichen Schüssen der ihn verfolgenden Liyu-Police und der fraglichen Nacht auf dem Markt war in der mündlichen Verhandlung nicht mehr die Rede. Stattdessen will der Kläger unmittelbar nach seiner Flucht aus dem Haus nach Jigjia mit dem Bus gefahren sein, wobei er 40 Birr dabeigehabt habe, die für den Bus gereicht hätten. Überdies fehlt eine annähernd lebensnahe Schilderung des fraglichen Eintreffens der Liyu-Police im Haus der Mutter. |
|
| Allgemein gehalten verblieben seine Ausführungen dazu, dass sie als Kinder „alles über die ONLF mitbekommen hätten“, weil die Eltern darüber gesprochen hätten. Was er als Kind erfahren habe, vermochte er nicht ansatzweise zu beschreiben. Dass ihm die Differenzierung zwischen OLF und ONLF und deren Entwicklung nicht bekannt war (AA, Bericht vom 24.04.2020, I. 1. und 3.), geschweige denn deren vollständigen Namen nannte, und er auf Nachfragen des Gerichts erklärte, es gebe nur eins, nur die ONLF, lässt die Annahme zu, dass er weitgehend unpolitisch aufgewachsen ist und sich mittlerweile lediglich einige Schlagworte angeeignet hat. Dass ein Onkel ONLF-Kämpfer gewesen und deshalb getötet worden sei, besagt nichts dazu, was der Kläger selbst erlebt hat. |
|
| Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Klärung, worauf die unterschiedlichen Angaben zum fraglichen Plan seiner Flucht herrühren sollen, ob die Mutter nach der angeblichen Tötung des Vaters gesagt habe, er solle verschwinden oder ob es beim Eintreffen der Liyu-Beamten im Haus der Mutter sein spontaner Entschluss gewesen sei, worauf er in der mündlichen Verhandlung Wert gelegt hat. |
|
| Selbst wenn es zuträfe, dass sein Vater unter dem Verdacht, ein Separatist zu sein oder die ONFL unterstützt zu haben, verhaftet und tot vor das Gefängnis gelegt worden wäre, ist das Gericht nicht überzeugt, dass der Kläger (und seine Familie) deshalb durch den äthiopischen Staat oder die Liyu-Police (dazu 1.3.) verfolgt wurden. Anhaltspunkte für eine generelle Sippenhaft lassen sich den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht entnehmen. |
|
| Bei der regionalen Liyu-Polizei handelt es sich um einen nichtstaatlichen Akteur im Sinne von § 3c Nr. 1 AsylG, denn die Liyu-Polizei ist eine eigene Staats- bzw. Sonderpolizeieinheit, die jeweils den regionalen Behörden untersteht (BFA, Länderinformationsblatt, 2019, S. 15). In der Somali-Region im Osten Äthiopiens wurden lokale Milizen, die sogenannte Liyu-Police, gegen die - im Juli 2018 ebenfalls entkriminalisierte - Ogaden National Liberation Front (ONFL) eingesetzt. Der Liyu-Police werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Diese werden weiterhin von äthiopischen Behörden untersucht. Die Streitkräfte wurden in den letzten Jahren mit dem Ziel umstrukturiert, sie von Aufgaben der inneren Sicherheit, die der Polizei obliegen und für die die Streitkräfte nicht ausgebildet sind, zu entbinden. Dies ist noch nicht landesweit umgesetzt. In einigen Regionen (Oromia, Somali Region/Ogaden, Gambella, Sidamo) werden weiterhin auch Militäreinheiten bei Unruhen oder Bekämpfung krimineller Handlungen eingesetzt (AA, Bericht vom 24.04.2020, I. 3.). |
|
| Die Gefahr einer Verfolgung durch regionale Milizen, u.a. der den regionalen Behörden unterstehenden Liyu-Police, besteht dann, wenn es sich bei der rückkehrenden Person um eine Person handelt, die aufgrund politisch motivierter Probleme oder Schwierigkeiten ihren Heimatort verlassen hat (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Äthiopien: Rolle der Clanzugehörigkeit für ethnisch somalische Rückkehrer in größeren Städten; systematische psychische oder physische Bedrohungen bzw. Übergriffe; Diskriminierungen; Clan der Gaadsen: Anzahl der Mitglieder in Jijiga und Addis Abeba [a-11426-v2], Bericht vom 22.12.2020). Dazu berichtet ACCORD Folgendes: „Wenn es sich um eine Person handelt, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die sich entschlossen hat, um einer Abschiebung zuvorzukommen, freiwillig nach Äthiopien zurückzukehren, dann kommt bei der Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden raus, wenn es sich um jemanden handelt, der mit den regionalen Behörden in der Somali-Region aneinandergeraten ist. Dann wird es für diese Person unangenehm. Die äthiopischen Behörden lassen manchmal Personen ins Land, um sie in die Finger zu kriegen. Bis sie sicher sind, dass die Person keine Unruhe stiftet, würde sie beobachtet werden. Die äthiopischen Sicherheitsdienste sind eines der effizientesten Staatsorgane in Äthiopien. Eines der am besten ausgestatteten Staatsorgane. Sie verfügen über ein riesiges Archiv, das alle Personen umfasst, die irgendwie mit der Polizei oder für die Security auffällig wurden. Wenn jemand verhaftet wird, werden Fingerabdrücke genommen und das wandert in eine Datenbank. In Äthiopien gibt es eine ausgezeichnete elektronische Datenbank, in der die Hälfte der Bevölkerung erfasst ist, auch Studenten zum Beispiel. Die elektronische Ausstattung zur Datenspeicherung etc. ist sehr gut. Seit 1998 wurden auch alle Dokumente der früheren Regierung digitalisiert.“ (Experte, 10.12.2020). Letzteres bestätigt das Auswärtige Amt (Bericht vom 20.04.2020, I. 3.), indem es ausführt, der äthiopische Geheimdienst NIC (National Intelligence Center) ist als Sicherheits- und Abwehrbehörde gut aufgestellt und verfügt über ein funktionierendes Netz an Zuträgern in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens. Der Telefon- und Internetverkehr wird überwacht. Es ist davon auszugehen, dass sämtliche nicht satellitengestützte Kommunikation abgefangen werden kann. |
|
| Nach der Überzeugung des Gerichts kann dem Kläger nicht geglaubt werden, dass er mit den Sicherheitsorganen in Konflikt geraten oder ihnen wegen des Verdachts, die ONFL oder OLF unterstützt zu haben, bekannt ist. Deshalb droht dem Kläger weder aufgrund Sippenhaft noch aus anderen Gründen keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung, auch wenn zu seinen Gunsten unterstellt wird, dass sein Vater wegen des Verdachts, die ONFL oder OLF unterstützt zu haben oder Mitglied zu sein, weil viele ONFL-Anhänger aus dem Stamm der Isaaq seien, inhaftiert und getötet worden sei. |
|
| Selbst wenn der Kläger neben der äthiopischen Staatsangehörigkeit auch die des somalischen Staates besitzen würde, droht ihm durch den somalischen Staat keine Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG (1.4.). Diesbezüglich hat der Kläger keinerlei Verfolgungsgründe geltend gemacht und solche sind auch nicht erkennbar. |
|
| Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG (i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG) ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Für die Feststellung des drohenden ernsthaften Schadens gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, Urteil vom 07.09.2010 - 10 C 11.09 - und Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, jeweils in juris). Die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung setzt voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal der „tatsächliche(n) Gefahr eines ernsthaften Schadens“ in § 4 Abs. 3 AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, a.a.O, Rn. 20 m. w. N.). Nach der Beweiserleichterung (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, juris, Rn. 22) des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) ist die Tatsache, dass ein Antragsteller vor der Ausreise bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, juris, Rn. 26 ff.). Die Zuerkennung subsidiären Schutzes darf nicht aus schwerwiegenden Gründen i.S.d. § 4 Abs. 2 AsylG ausgeschlossen sein. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten die §§ 3c bis 3e entsprechend. |
|
| Wie bereits ausgeführt, kann Personen, die zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG nicht zuerkannt werden, wenn sie den Schutz eines der Länder ihrer Staatsangehörigkeit in Anspruch nehmen können (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 20.07.2020 - 19 A 3157/18.A -, juris, Rn. 26 und vom 18.06.2020 - 19 A 1107/19.A -, juris, Rn. 13 m.w.N.). Dem Kläger droht an seinem Herkunftsort, Dhagaxbuur (Dhaga Xbur), in Äthiopien (2.1.) kein Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 (2.2.), auch nicht unter dem Aspekt einer unmenschlichen Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) (2.3.) oder eines Konflikts gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (2.4.). In Bezug auf Somalia bedarf es deshalb keiner Entscheidung, ob im Falle einer Rückkehr eine der Anforderungen des § 4 AsylG erfüllt ist (2.5.). |
|
| Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 und 2 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 14 m.w.N. zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.). Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, a.a.O., Rn. 14; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, juris, Rn. 87 ff.; zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG: EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 -, www.curia.europa.eu, Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -,a.a.O., juris, Rn. 16; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.10.2019 - A 11 S 1203/19 -, juris, Rn. 27 m.w.N.). Der Kläger hat nach seinen Angaben in der Vergangenheit bis zu seiner Ausreise mit seiner Familie in der Stadt Dhagaxbuur (Dhaga Xbur) gewohnt, weshalb darauf als Herkunftsort abzustellen ist. Degehabur ist eine Stadt in der Somali-Region Äthiopiens. Sie ist Hauptstadt der Degehabur-Zone und liegt im Gebiet der Somali, vom Clan der Ogadeni-Darod. Gemäß Volkszählung von 2005 hatte sie 42.815 Einwohner. 1997 waren von 28.708 Bewohnern 95,92 % Somali und 2,53 % Amharen (https://de.wikipedia.org/wiki/Degehabur-Zone). |
|
| Die Gefahr von Folter (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) droht dem Kläger nicht. Das in der Verfassung verankerte Verbot von Folter wird zwar in der Praxis unterlaufen. Die Zentralregierung unter Premierminister Abiy Ahmed hat sich mittlerweile öffentlich von der Anwendung von Folter in Gefängnissen distanziert und Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet, gleichwohl bleibt unklar, ob tatsächlich eine grundlegende Abkehr von dieser Praxis stattgefunden hat. Zusammenfassend gibt es einzelne glaubwürdige Berichte über die Anwendung von Folter bzw. Misshandlung durch Polizei, Militär und andere Mitglieder der Sicherheitskräfte, insbesondere in Fällen, in denen der Verdacht oppositioneller Tätigkeit oder der Mitgliedschaft in bewaffneten Oppositionsgruppen und ein (vermuteter) Zusammenhang mit Terrorismus bestehen (AA, Bericht vom 24.04.2020, III. 2. und 3.). Diese Anforderungen erfüllt der Kläger nicht. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass gegen ihn die in Äthiopien zulässige Todesstrafe (AA, Bericht vom 24.04.2021, III. 3.) verhängt werden soll. |
|
| Die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG unter dem Aspekt der schlechten humanitären Situation scheidet in Bezug auf Äthiopien aus. Schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris, Rn. 109 zu Afghanistan). Die Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und damit auch Art. 15b RL 2011/95/EU erfordert ein zielgerichtetes Handeln bzw. Unterlassen eines Akteurs und daher können reine Kausalitätserwägungen hier nicht anspruchsbegründend wirken (BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11.19 -, juris, Rn. 25 m.w.N. und Beschluss vom 13.02.2019 - 1 B 2.19 -, juris, Rn. 13 m.w.N.). |
|
| In Äthiopien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert (AA, Bericht vom 24.04.2020. IV.1.,1.1 und AA, Bericht vom 08.04.2019, IV.1.,1.1.). Es besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung im Rahmen der Dürrehilfe und Abhilfe gegen eine Heuschreckenplage. Darüber hinaus sind 7 Mio. Menschen auf ein staatliches Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen (AA, Bericht vom 20.04.2020, IV., 1.,1.1.), nach anderer Einschätzung 8,5 Millionen (BAMF, Entscheiderbrief 11/2020, Seite 6 ff.: Covid-19 und Heuschreckenplage in Äthiopien: Auswirkungen und Maßnahmen Covid-19 Pandemie). Äthiopien hat eine der weltweit größten Binnenvertriebenenpopulationen, die laut dem humanitären Reaktionsplan der Vereinten Nationen für 2020 auf 1,78 Millionen Menschen geschätzt wird. Die größten Ursachen waren Konflikte (ca. 80 % der Binnenvertriebenen), gefolgt von Dürre und einer saisonalen Überschwemmung (insgesamt ca. 20 % der Binnenvertriebenen) (AA, Bericht vom 24.04.2020, Seite 5 und II. 2.) sowie der Heuschreckenplage (siehe http://www.fao.org/home/en). Die Gefahr ist in Südäthiopien (Oromia, Southern Nations, Nationalities and Peoples‘ Region - SNNPR) aktuell am größten ist. Eine Vielzahl von internationalen Organisationen sind um Hilfe bemüht. So arbeitet beispielsweise die Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen (FAO) schon seit Jahren mit der äthiopischen Regierung zusammen und hat auch umfangreiche Maßnahmen im Zuge der Heuschreckenplage ergriffen. Nach Auftreten von Corona in Äthiopien profitierte das Land unter anderem schon frühzeitig von Hilfsmaßnahmen zum Beispiel der chinesischen Jack Ma Foundation und der Ali Baba Foundation (BAMF Entscheiderbrief 11/2020, Seite 7). |
|
| Äthiopien ist zudem ein wichtiges Durchgangs- und Zielland für Geflüchtete aus dem subsaharischen Afrika, die in der sich abzeichnenden Krise zusätzliche Unterstützung benötigen werden. Alles in allem gilt Äthiopien als Hochrisikoland, das durch einen ungebremsten Covid-19-Ausbruch soziale, politische und ökonomische Folgen größten Ausmaßes zu erwarten hat (Nizar Manek und Alexander Meckelburg vom 24.04.2020: Am Ende kann nur Gott uns helfen. Das Corona-Virus in Äthiopien. In: APUZ 18 - 19/2020. CC BY-NC-ND 3.0 DE). Am 08.04.2020 hat die Regierung beschlossen, landesweit für fünf Monate den Ausnahmezustand gemäß Artikel 93 der Verfassung zu erklären. Die landesweit geltenden Restriktionen umfassten u.a. das Verbot größerer Veranstaltungen (ab vier Personen), Schließung aller Schulen, Restaurants und Clubs sowie die Besetzung von (auch privaten) Fahrzeugen nur bis zur Hälfte ihrer Kapazität einhergehend mit der Verdoppelung des Fahrpreises für Busse und Taxis, Reisebeschränkungen und Schließung der Landesgrenzen (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopiennode/aethiopiensicherheit Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Stand: 22.02.2021, unverändert seit 12.02.2021). Die Zahl der Covid 19-Fälle befindet sich in exponentiellem Wachstum (siehe ETHIOPIA: COVID-19 Humanitarian impact Situation Update No. 15, vom 31.10.2020). Am 23.12.2020 zeigte sich folgendes Bild: 120898 Infizierte, 1870 Tote, 105824 Genesene und 13295 Aktiv Infizierte (https://afrika.info/corona/ und https://docs.google.com/spreadsheets/d/1mtT9gza2K7cb-kzqA0VjDyaGWaCHo_qBeegd7a2eMRk/edit#gid=0&range=B21). Am 14.02.2021 waren folgende Zahlen erreicht: 147092 Infizierte, 2194 Tote, 128742 Genesene, 16156 Aktiv Infizierte (afrika.info.corona, Stand: 14.02.2021). |
|
| Auch wenn das Wirtschaftswachstum in Äthiopien in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 33 f; Bayerischer VGH, Urteil vom 12.12.2019 - 8 B 19.31004 -, juris, Rn. 40 f). Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o. ä. werden von der äthiopischen Regierung nicht erbracht (AA, Bericht vom 24.04.2020, IV. 1.,1.1. und Bericht vom 08.04.2019, IV.1.,1.1.). Vor dem Hintergrund, dass mehrere Faktoren, u.a. Naturkatastrophen, für die schlechte humanitäre Situation verantwortlich sind, spricht mehr dagegen, einen der in Frage kommenden Akteure (siehe § 3c AsylG) als Verursacher zu qualifizieren. Abgesehen davon ist die Versorgungslage in der Heimatregion des Klägers derzeit nicht derart unzureichend, dass die Anforderungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind, weshalb es keiner Entscheidung bedarf, ob dies einem der Akteure zuzurechnen ist. |
|
| Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG sind ebenfalls nicht erfüllt. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 30.01.2014 - C-285/12 - Diakité, NVwZ 2014, 573; BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, LS. 2, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 05.03.2020 - A 10 S 1272/17 –, juris, Rn. 53 - 54). Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 -, juris, Rn. 17). |
|
| Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn er eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Die Annahme eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Sie setzt das Vorliegen stichhaltiger Anhaltspunkte dafür voraus, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen (EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - Elgafaji - NVwZ 2009, 705 und vom 30.01.2014, a. a.O., Rn. 30; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 05.03.2020 - A 10 S 1272/17 -, juris, Rn. 53 - 54). |
|
| Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, juris, Rn. 75 ff. und Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, a.a.O., m.w.N.). Dies erfordert eine quantitative Ermittlung der verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung erfolgen (BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11.19 -, juris, Rn. 21, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, a.a.O., Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris, Rn. 24 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, aaO, Rn. 78 ff. m.w.N.). Dabei sind auch die angewandten Methoden und Taktiken, die in dem Konflikt angewendet werden, die Anzahl der als Konfliktfolge Binnenvertriebenen und die kumulativen Effekte lang andauernder bewaffneter Konflikte und die medizinische Versorgungslage in den Blick zu nehmen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, a.a.O., Rn. 91 ff. m.w.N.). |
|
| Die Sicherheitslage in Äthiopien ist seit Beginn der Militäraktion im Bundesstaat Tigray besonders volatil. Die äthiopische Regierung führte seit 14.11.2020 Militäraktionen gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) durch und hat für sechs Monate den Ausnahmezustand für die Region Tigray ausgerufen (s. z. B www.faz.de vom 27.12.2020 „Kein Ende der Gewalt in Äthiopien“ https://www.presseportal.de/st/Äthiopien „Storys zum Thema Äthiopien“; https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504#content_0, Stand: 22.02.2021; https://apps.derstandard.de/privacywall/story/2000121748581/die-kaempfe-in-aethiopien-drohen-zur-geopolitischen-katastrophe-zu-werden). Der Konflikt in Tigray wirkt sich auch auf andere Teile Äthiopiens aus. So berichteten Medien, dass landesweit Tausende gegen die in Tigray regierende TPLF demonstriert hätten (BAMF, Briefing Notes vom 16.11.2020). |
|
| Die Lage in den Grenzgebieten zu den Regionen Amhara (im Norden Äthiopiens) und Afar (im Nord-Osten Äthiopiens) bleibt ebenfalls volatil. Es kommt überall im Land regelmäßig zu Unruhen mit Protesten und Straßenblockaden mit teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen und mit Sicherheitskräften. Inländische Flugverbindungen in Krisengebiete sind weitgehend eingestellt. Es kommt zu Abschaltungen des Internets. In den letzten Wochen und Monaten führten Proteste in mehreren Landesteilen immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, insbesondere im Bundestaat Oromia. Auch die Hauptstadt Addis Abeba war davon betroffen (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504#content_0, Stand: 22.02.2021; AA, Bericht vom 24.04.2020, I.1.2. und 1.3.). |
|
| In Folge des gewaltsamen Todes des Oromo-Künstlers Hacalu Hundeessaa am 29.06.2020 kam es in Addis Abeba und im Bundesstaat Oromia zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften (https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/in-aethiopien-gibt-es-435-beatmungsgeraete-und-105-millionen-menschen- i.80905; tagesschau.de vom 02.07., 04.07. und 05.07.2020; FAZ vom 03.07.2020: Der Tod des Protestsängers und die Folgen; https://www.presseportal.de/nr/10349 Frankfurter Rundschau vom 26.11.2020 „Vom Paulus zum Saulus“). |
|
| Im Grenzgebiet zwischen Benishangul-Gumuz, in der Metekel-Zone (im Westen Äthiopiens, an der Grenze zum Sudan) und in der Oromia-Region finden seit Jahren und erneut in den letzten Wochen bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen lokalen Milizen und der äthiopischen Armee statt. Die Grenzgebiete der Oromo- und Somali-Regionen sind von wiederholten gewaltsamen und teilweise tödlichen Zusammenstößen beider Volksgruppen geprägt (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504#content_0, Stand: 22.02.2021; AA, Bericht vom 24.04.2020, I.1.2. und 1.3.). Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.; vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 12.12.2019 - 8 B 19.31004 -, juris, Rn. 48). Seit Jahrzehnten wird gewaltsam um Weiderechte, Land und andere Ressourcen gestritten, was zu ethnischen Spannungen geführt hat (BAMF, Briefing Notes vom 13.08.2018 und 27.08.2018). |
|
| Im Jahr 2018 kam es in der Somali-Region zu folgenden Ereignissen: Am 03.08.2018 versuchte die Armee, den Präsidenten der Somali-Region, Abdi Mohomud Omar, bekannt als Abdi Illey, in der Regionshauptstadt Jijiga festzunehmen. Als die regionale paramilitärische Polizei Liyu Widerstand leistete, kam es zu mehrtägiger Gewalt, die mehrere Dutzend Todesopfer gefordert haben soll. Am 06.08.2018 übernahm die Armee die Kontrolle über Jijiga. Illey wurde abgesetzt oder trat zurück, blieb aber Chef der regionalen Regierungspartei Ethiopian Somali People’s Democratic Party (ESPDP). Präsident der Somali-Region wurde sein bisheriger Stellvertreter und Finanzminister der Region, Ahmed Abdi. Im Vorfeld hatte es Rücktrittsforderungen an Illey gegeben, dem Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen worden waren. Die Ogaden National Liberation Front (ONLF), die für eine Autonomie des in der Region Somali gelegenen Ogaden kämpft, verkündete am 12.08.2018 einen einseitigen Waffenstillstand. Am 07.08.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der Oromo Liberation Front (OLF) in Eritreas Hauptstadt Asmara ein Versöhnungsabkommen (BAMF, Briefing Notes vom 13.08.2018; https://taz.de/Machtkampf-in-Aethiopien/!5526607/Machtkampf in Äthiopien - Reformer auf die Probe gestellt). Am 03.01.2020 trafen sich die Vorsitzenden von drei Oromo-Parteien zur Unterzeichnung eines Abkommens für eine regionale Koalition. Die Vereinbarung sollte es den drei Parteien ermöglichen, gemeinsam einen Kandidaten für die Oromia Regional State Council vorzuschlagen. Die OLA, mittlerweile abgespalten von der OLF, gab im Januar 2019 öffentlich bekannt, dass die Partei keinen bewaffneten Flügel mehr habe. In anderen Zonen (Western Wollega) stehen OLA-Aufständische und Regierungstruppen im Zentrum des Kampfes (AA, Bericht vom 20.04.2020, Seite 7). |
|
| Von Reisen in die Somali-Region südlich und östlich von Harar und Jijiga rät das Auswärtige Amt ab. Der bewaffnete Konflikt zwischen äthiopischen Streitkräften und Teilen der ONLF, der Zustrom somalischer Flüchtlinge sowie mögliche Infiltrationsversuche islamischer Fundamentalisten stellen erhebliche Risikofaktoren dar (Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Stand: 22.02.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit). Laut dem UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UNOCHA) wurden durch Gewalt in Gedeo (Southern Nations, Nationalities, and Peoples' Region – SNNPR) und West Guji (Region Oromia) im Süden des Landes etwa 987.000 Menschen landesintern vertrieben. Der Konflikt um Weideland und andere Ressourcen begann in den dicht besiedelten Gebieten im April dieses Jahres und eskalierte im Juni (BAMF, Briefing-Notes vom 13.08.2018). |
|
| Vor diesem Hintergrund lässt sich jedoch nicht feststellen, dass für ganz Äthiopien ein innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG besteht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der aktuellen Unruhen in Äthiopien. Hierbei handelt es sich um einzelne über das Land verteilte Unruhen (vgl. VG Bayreuth, Urteil vom 31.08.2020 - B 7 K 20.30443 -, juris, Rn. 59 m.w.N.; i.Erg. ebenso VG Würzburg, Urteil vom 03.07.2020 - W 3 K 19.31666 - juris). Offenbleiben kann auch, ob für die Somali-Region im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von einem bewaffneten innerstaatlichen Konflikt im oben genannten Sinne auszugehen ist oder das nach wie vor bestehende Gewaltniveau nicht eher als Folge einer durch ethnische Konflikte teilweise gewaltbereiten und teilweise bewaffneten Gesellschaft ist, in der bewaffnete Personen und Gruppen sowie regionale Milizen wie die Liyu-Police ihre Ansprüche, u.a. um Land und Weiderechte mit Waffengewalt austragen. |
|
| Mangels ausreichender Informationen u.a. zu Anzahl der Opfer und Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung und weiterer Daten (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O., Rn. 33; BVerwG, Urteil vom 17.11. 2011 - 10 C 11.10 -, a.a.O., Rn. 21) ist eine qualitative Gesamtbetrachtung nicht möglich (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 13.02.2019 - 8 B 31645 -, juris zur Somalia-Region). |
|
| Jedenfalls lässt sich für die Stadt Dhaga Xbur, aus der der Kläger stammt und in der er sich zuletzt aufgehalten hat, nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Gefahrerhöhende persönliche Umstände weist der Kläger nicht auf. Seine somalische Herkunft begründet für sich genommen keine erhöhte Gefahr. |
|
| In Bezug auf Somalia bedarf es keiner Entscheidung, ob im Falle einer hypothetisch zu beurteilenden Rückkehr nach Mogadischu, dem Zielort einer Abschiebung, eine der Anforderungen des § 4 AsylG erfüllt ist. |
|
| Der Kläger hat aber einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Äthiopien. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umfasst dieser Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungsverbote, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (sog. „zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse, vgl. dazu nur BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris, m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.07.2019 - A 9 S 1566/18 -, juris, Rn. 25 m.w.N.). |
|
| Die Feststellung in dem Bescheid des Bundesamts, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, bezieht sich nur auf den in der Abschiebungsandrohung als Zielstaat benannten Staat Äthiopien. Dass das Bundesamt mit seiner Feststellung zu Abschiebungsverboten weitere Staaten erfassen wollte, ist nicht ersichtlich. Etwas Anderes kann insbesondere nicht dem nach § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorgeschriebenen allgemeinen Hinweis in der Abschiebungsandrohung entnommen werden, dass der Ausländer auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 04.12.2001 - 1 C 11.01 -, BVerwGE 115, 267-274 zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG; Sächs. OVG, Beschluss vom 03.03.2020 - 6 A 593/18.A -, juris, Rn. 20). Für die rechtliche Beurteilung ist grundsätzlich unerheblich, ob der Ausländer die Staatsangehörigkeit des Zielstaates besitzt (BVerwG Beschluss vom 01.09.1998 - 1 B 41.98 -, BeckRS 1998, 30442392, beck-online). Sofern der Betroffene nicht Staatsangehöriger des Zielstaates ist, ist maßgebend, ob er dort zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 59 Rn 65 ff., 68). Zielstaat in der Abschiebungsandrohung ist Äthiopien. Darauf beschränkt sich die Beurteilung des Bundesamtes bezüglich der Abschiebungsverbote. Der Kläger hat bis zu seiner Ausreise in Dhagaxbuur bzw. Dhaga Xbur in der Somali-Region in Äthiopien bei seiner Familie gewohnt. Die Stadt liegt ca. 785 km von Addis Abeba entfernt, ca. 162 km von Jijiga. |
|
| Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei "nichtstaatlichen" Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein "verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, juris, Rn. 11 ff. mwN unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, a.a.O., Rn. 25). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR , Urteil vom 13.12.2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16.02.2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127], C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19.03.2019 - C-297/17 u.a. [E-CLI:EU:C:2019:219], Ibrahim - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:EU:C:2019:218], Jawo - Rn. 90 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre" (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, a.a.O. , Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, juris, Rn. 114 ff. und Rn. 136 und Urteil vom 26.06.2019 - A 11 S 2108/18 - und Urteil vom 17.07.2019 - A 9 S 1566/18 -, jeweils in juris). |
|
| Der Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine - zwar notwendig hypothetische, aber doch - realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, a.a.O., Rn. 16 m.w.N.). |
|
| Für die Beurteilung, ob solche außerordentlichen Umstände vorliegen, ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.01.2018 - A 11 S 1265/17 -, juris, Rn. 171 ff., 173 m.w.N.). Dies ist bei einer Rückkehr nach Äthiopien derzeit der internationale Flughafen in Addis Abeba (AA, Bericht vom 24.04.2020, IV. 3.). Es bestehen Direktflugverbindungen mit Ethiopian Airlines von und nach Frankfurt. Die Landesgrenzen sind aufgrund der Militäraktion in Tigray teilweise geschlossen. Deshalb ist eine Einreise auf dem Landweg derzeit eingeschränkt. Ausnahmen davon hat das Auswärtige Amt nicht näher bezeichnet, erwähnt aber im Zusammenhang mit Covid-19-Infizierten den Landweg (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopiennode/aethiopiensicherheit Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Stand: 22.02.2021). |
|
| Wie bereits ausgeführt, rät das Auswärtige Amt von Reisen in die Somali-Region südlich und östlich von Harar und Jijiga ab. Der bewaffnete Konflikt zwischen äthiopischen Streitkräften und Teilen der ONLF, der Zustrom somalischer Flüchtlinge sowie mögliche Infiltrationsversuche islamischer Fundamentalisten stellen erhebliche Risikofaktoren dar (Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Stand: 22.02.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit). |
|
| Deshalb ist für den Kläger eine Rückkehr in seine Heimatstadt in der Somali-Region nicht zumutbar, und zwar unabhängig davon, ob er dort noch Verwandte hat. Die Entfernung von Addis Abeba bis Dhaga Xbur beträgt ca. 785 km, wobei insbesondere der letzte Teil der Strecke als gefährlich eingestuft wird und das Auswärtige Amt von Reisen in die Somali-Region abrät (siehe zur Somali-Region Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Stand: 22.02.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit). Eine Einreise über Hargeisa in Somaliland ist derzeit u.a. wegen der Schließung der Landesgrenzen wegen der allgemeinen Bürgerkriegssituation und Terrorgefahr in Somalia ebenfalls gefährlich und deshalb unzumutbar (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somaliasicherheit/203132, unveränderter Stand seit 03.12.2020). Der Kläger müsste deshalb im Falle seiner hypothetischen Abschiebung nach Äthiopien, dem Zielstaat, in Addis Abeba verbleiben. |
|
| Auf dem Arbeitsmarkt fordert Corona auch in Addis Abeba einen hohen Jobverlust, die Regierung befürchtet u.a. infolge des coronabedingten Rückzugs chinesischer Investoren bzw. Arbeitgeber den Verlust der Arbeit für 1,4 Millionen Einwohner (siehe https://www.politico.com/news/2020/04/16/coronavirus-china-africa-191444: „In Ethiopia alone, the government has estimated that 1.4 million jobs will be lost over the next three months, according to a document seen by POLITICO, roughly 3 percent of the workforce“). Die Corona-Pandemie dürfte Äthiopiens Wirtschaft hart treffen (https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/bericht-wirtschaftsumfeld/aethiopien/aethiopien-und-das-coronavirus-237438: Äthiopien und das Coronavirus vom 09.04.2020). |
|
| Eine Rückkehr nach Addis Abeba ohne Verbindungen zu einem Clan der Somali ist für einen aus Äthiopien stammenden ethnischen Somali mit Risiken verbunden. Nach Auskunft des Experten für die Region Horn von Afrika in einem Dezember 2020 mit Vertretern von ACCORD (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Äthiopien; Bericht vom 22.12.2020) geführten Gespräch, sei es für einen ethnischen Somali möglich, dort zu überleben, wo es größere Somali-Gemeinschaften gibt, was auch in Addis Abeba der Fall sei. Im städtischen Bereich, in den größeren Städten, wo es wirklich funktionierende Somali-Gemeinschaften gebe, könne eine Person mit ethnisch somalischem Hintergrund überleben. Aber es gebe keine soziale Absicherung, Sozialhilfe oder ähnliches. (Experte, 10.12.2020). Somalis würden in Addis Abeba in einem Stadtteil leben, der „Little Mogadishu“ genannt werde und sich in der Gegend der Botschaft von Ruanda und Bole Mikael befinde. Dort sei das Stadtbild sehr somalisch. Es gebe somalische Geschäfte, somalische Restaurants, die Somali Microfinance Institution habe dort eine Zweigstelle, es gebe Hotels, die im Eigentum von Somalis stünden und auch nur von Somalis frequentiert würden. Man gehe laut Auskunft des Experten davon aus, dass in Addis Abeba circa 100.000 Somalis leben würden. Somalierinnen berichteten, selbst wenn sie keine direkten Verwandten gehabt hätten, an die sie sich bei Ankunft in Addis Abeba wenden konnten, hätten sie Kontakt zu anderen Somalis herstellen können, die ihnen geholfen hätten, sich niederzulassen. Dies basiere alles auf dem Clan-System. Allerdings stellt sich nach Meinung von Experten die Frage der Marginalisierung, da die Mietpreise horrend hoch seien, vor allem für jene in prekären Situationen. Eigentumserwerb dürfte aufgrund der Preise nicht möglich sein. Der äthiopische Überwachungsstaat sei auch innerhalb der somalischen Community in Addis Abeba sehr stark (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Äthiopien; Bericht vom 22.12.2020). |
|
| Der Kläger hat nach seinen unwiderlegbaren Angaben in der mündlichen Verhandlung keine Kontakte mehr nach Äthiopien, obwohl er bei seiner Anhörung beim Bundesamt erwähnt hat, alle zwei Wochen telefoniere er mit seiner Mutter. Sein letzter telefonischer Kontakt mit seiner Mutter war seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge vor drei Jahren. Die Mutter habe ihm gesagt, dass auch sie mit den Kindern flüchten werde. Andere Verwandte leben nicht mehr. Wo sich die Mutter und die Geschwister aufhalten, wusste der Kläger nicht. In Addis Abeba, in der Hauptstadt, verfügt er über keine sozialen oder wirtschaftlichen Kontakte, weil er dort noch nie gelebt hat. Dort wäre er auf die Unterstützung des Clan-Systems angewiesen, gegebenenfalls auch auf einen über seinem Clan stehenden Clan. Einen Verwandten, der ihm bei der Vermittlung eines Kontakts vom Ausland aus behilflich sein könnte, gibt es nicht. Vor dem Hintergrund der hohen Mietpreise, des aufgrund Covid-19 schlechten Arbeitsmarktes und des noch jugendlichen Alters sowie seiner geringen Lebenserfahrung des Klägers ist nicht gewährleistet, dass er unter den derzeitigen Verhältnissen in Addis Abeba sein Existenzminimum, wenn auch auf geringem Niveau, sichern könnte. Eine Rückkehr nach Addis Abeba ist für ihn deshalb unzumutbar. |
|
| Einer Entscheidung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf es nicht mehr, weil er mit Absatz 5 dieser Vorschrift einen einheitlichen Streitgegenstand bildet (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, BVerwGE 140, 319, Urteil vom 09.09.1997 - 9 C 48.96 -, InfAuslR 1998, 125; BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, 463, Urteil vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.11.2002 - A 12 S 907/00 -, juris). |
|
| Die Abschiebungsandrohung (§ 34 Abs. 1 i.V.m. § 59 Abs. 3 AufenthG) ist rechtswidrig, weil im Fall des Klägers entgegen § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 1. Alt. AsylG die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen. Infolge der Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung erweist sich auch der Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbotes und dessen Befristung unter Ziffer 6. des Bescheides als rechtswidrig. Ziffern 4 bis 6 des angefochtenen Bescheids waren deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 VwGO). |
|
|
|
|
|
| Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren. Denn in den ordnungsgemäßen Ladungen ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO). |
|
| Die zulässige Klage ist teilweise begründet, teilweise unbegründet. Der mit Ausnahme von Ziffer 2 angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 21.06.2018 ist rechtmäßig, soweit die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes abgelehnt worden ist, und verletzt insoweit den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (1.) und kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG zu (§ 113 Abs. 1 und 5 Satz 1 VwGO) (2.). Der Kläger hat aber einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf Äthiopien (3.). Deshalb waren Ziffern 4 bis 6 des Bescheids vom 21.08.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Äthiopien vorliegt. |
|
| Nach § 3 Abs. 1 und 4 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559 f.) – Genfer Flüchtlingskonvention –, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 2 lit. a) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2 lit. b). |
|
| Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Hand-lungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Diese Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen (vgl. Art. 9 Abs. 1 und 2 RL 2011/95/EU). Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach § 3a AsylG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29.17 -, juris, Rn. 11 m.w.N.). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1), gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (Nr. 2), sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3). § 3b Abs. 1 AsylG konkretisiert die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob dieser tatsächlich die flüchtlingsschutzrelevanten Merkmale aufweist, sofern ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden. |
|
| Ausgehen kann die Verfolgung gemäß § 3c AsylG (vgl. Art. 6 RL 2011/95/EU) vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 RL 2011/95/EU) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). |
|
| Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung „wegen“ eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86, 2 BvR 962/86 -, BVerfGE 76, 143 [157, 166 f.]). Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein. Für die „Verknüpfung“ reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29.17 -, a.a.O., Rn. 13 m.w.N.). |
|
| Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer - bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr - die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ("real risk") abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteile vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22 Rn. 22, vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 Rn. 32, vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, juris, Rn. 13, vom 04.07.2019 - 1 C 33.18 -, juris, Rn. 15 und vom 04.07.2019 - 1 C 31.18 -, juris, Rn. 16). Hierfür ist erforderlich, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine individuelle Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU neben den Angaben des Antragstellers und seiner individuellen Lage auch alle mit dem Herkunftsland verbundenen flüchtlingsrelevanten Tatsachen zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht der Gesamtumstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 Rn. 32). Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn bei einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise ein Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für dessen Eintritt besteht. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus; ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Bei der Abwägung aller Umstände ist die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in die Betrachtung einzubeziehen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist (BVerwG, Urteile vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, juris, Rn. 15; stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29.17-, a.a.O., Rn. 13 und Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- und Asylrecht Nr. 19 Rn. 37). |
|
| Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU (vom 13.12.2011 - sog. Qualifikationsrichtlinie -) ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden; es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die widerlegliche Vermutung ist widerlegt, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatrichters (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377, Rn. 23 und Urteil vom 19.04.2018, a.a.O., Rn. 15 m.w.N.; EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. –, juris, Rn. 92 ff.). |
|
| Aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflichten nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO und § 15 und § 25 Abs. 1 AsylG ist der Schutzsuchende gehalten, von sich aus die in seine eigene Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen. Sein Vortrag muss danach insgesamt geeignet sein, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1983 - 9 C 68.81 -, juris, Rn. 5 und Urteil vom 19.10.2001 - 1 B 24.01 -, juris, Rn. 5). Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt dies entsprechend. |
|
| Das Gericht hat sich auch in Ansehung der "asyltypischen" Tatsachenermittlungs- und -bewertungsprobleme die nach § 108 Abs. 1 VwGO erforderliche Überzeugungsgewissheit zu verschaffen (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, a.a.O., Rn. 16). Kann das Gericht auf der Grundlage der zu seiner Überzeugung feststehen den Prognosebasis hinsichtlich der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer dem Kläger individuell drohenden Verfolgung weder in die eine noch in die andere Richtung eine Überzeugung gewinnen und sieht es keine Anhaltspunkte für eine weitere Sachverhaltsaufklärung, hat es die Nichterweislichkeit des behaupteten Verfolgungsschicksals festzustellen und eine Beweislastentscheidung zu treffen (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, a.a.O., Rn. 23). Der Schutzsuchende trägt die (materielle) Beweislast für das Vorliegen der (positiven) Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und insoweit geht ein non liquet zu seinen Lasten. Dies gilt jedenfalls bei einem nicht vorverfolgt ausgereisten Antragsteller hinsichtlich der Frage, ob ihm bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 37.18 -, a.a.O., Rn. 23 ff.). |
|
| Die Asylberechtigung eines - nicht staatenlosen - Asylsuchenden ist allein danach zu beurteilen, ob ihm in dem Land seiner Staatsangehörigkeit politische Verfolgung droht (BVerwG, Urteil vom 18.10.1983 - 9 C 158.80 -, juris, Rn 10 und Urteil vom 06.08.1996 - 9 C 172.95 -, juris). Das folgt aus dem Prinzip der Subsidiarität, das sowohl dem Asylrecht als auch dem Flüchtlingsrecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention zugrunde liegt. Für den Anspruch auf asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist ebenfalls bereits entschieden, dass dieser durch die Möglichkeit, Schutz in nur einem Staat der Staatsangehörigkeit zu finden, ausscheidet (Sächs. OVG, Beschluss vom 03.03.2020 - 6 A 593/18.A -, juris, Rn 17f m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit verpflichtet § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO das erkennende Gericht, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln (BVerwG, Urteil vom 19.07.2012 - 10 C 2.12 -, juris, Rn. 14). |
|
| Personen, die zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, kann weder die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG zuerkannt werden, wenn sie den Schutz eines der Länder ihrer Staatsangehörigkeit in Anspruch nehmen können (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 16.12.2020 - 19 A 555/19.A -, juris, Rn. 17 m.w.N., 09.07.2020 - 19 A 2877/17.A -, juris, Rn. 12 f. m. w. N. und vom 18.06.2020 - 19 A 1107/19.A -, juris, Rn. 13 m.w.N. und unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 18.12.2019 - 1 C 2.19 -, juris, Rn. 13). |
|
| Der Kläger ist aufgrund seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung somalischer und äthiopischer Staatsangehöriger (1.1.). Ihm droht weder eine Verfolgung von Seiten des äthiopischen Staates (§ 3 Nr. 1 AsylG) (1.2.) noch von der Liyu-Police, als einem in Frage kommenden nichtstaatlichen Akteur (§ 3c Nr. 3 AsylG) (1.3.), noch vom somalischen Staat (1.4.). |
|
| Gemäß Art. 3 Abs. 1 des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23.12.2003 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht) ist jemand äthiopischer Staatsangehöriger, wenn zumindest ein Elternteil die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 24.04.2020 [Stand: März 2020], V. 4 - AA, Bericht vom 24.04.2020 -. Der Kläger stammt seinen Angaben zufolge von Volkszugehörigen der Somali, und zwar vom Clan der Isaaq bzw. dem Unterclan der Reer Cisman Malowbe. In der mündlichen Verhandlung hat er glaubhaft vorgetragen, dass seine Mutter einen äthiopischen Ausweis besaß, der in der Stadt Degehabur (Somali: Dhagaxbuur, andere Schreibweise Dhaga Xbur) ausgestellt worden ist, in der sie, die Mutter und die Familie, lebten: Deshalb ist davon auszugehen, dass die Mutter äthiopische Staatsangehörige ist. Demzufolge ist auch der Kläger äthiopischer Staatsangehöriger. |
|
| Der Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 setzt eine willentliche Entscheidung der betreffenden Person für den Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit voraus (Sächs. OVG, Beschluss vom 03.03.2020 - 6 A 593/18.A -, a.a.O., Rn. 13; einschränkend VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.01.2003 - A 9 S 397/00 –, juris zu Eritrea). Die Vorschrift des Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 ist dahingehend zu verstehen, dass ein äthiopischer Staatsangehöriger seine äthiopische Staatsangehörigkeit nur dann verliert, wenn er sich willentlich für den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit entscheidet. Sofern der äthiopische Staatsangehörige hingegen ohne sein Zutun und möglicherweise gegen seinen Willen ipso iure eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, führt dies nicht zu einem automatischen Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit gem. Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 16.12.2020 - 19 A 555/19.A -, juris, Rn. 17 m.w.N, vom 29.06.2020 - 19 A 1420/19.A -, juris, Rn. 70 ff., 82 ff.). |
|
| Nach dem somalischen Staatsangehörigkeitsrecht spielt der Geburtsort ebenfalls keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr die Abstammung von einem somalischen Vater (Art. 2 a des Gesetzes Nr. 28 über die somalische Staatsangehörigkeit vom 02.12.1962, abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht). Danach kann der Kläger nach seinen Angaben seine somalische Staatsangehörigkeit von seinem Vater ableiten. Es besteht außerdem für jeden Somalier - nach der Legaldefinition in Art. 3 des Gesetzes Nr. 28 über die somalische Staatsangehörigkeit vom 02.12.1962 jede Person, die durch Geburt, Sprache oder Tradition zur somalischen Nation gehört - unabhängig von seinem Wohnsitz sogar die Möglichkeit, einen mündlichen Antrag beim Distriktkommissar oder - bei einem Wohnsitz im Ausland - beim Konsulat zu stellen und so die somalische Staatsangehörigkeit zu erwerben (Art. 2 b des Gesetzes Nr. 28 über die somalische Staatsangehörigkeit vom 02.12.1962 i.V.m Art. 2 der Verordnung Nr. 129 vom 19.02.1963, ebenfalls abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 13.01.2021 - A 1 K 6530/18 -, juris, Rn. 21). Davon hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht, weshalb davon auszugehen ist, dass er die äthiopische Staatsangehörigkeit nicht verloren hat. |
|
| Das Gericht konnte nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger vorverfolgt ist und aus Furcht vor Verfolgung sein Heimatland verlassen hat. Seine diesbezüglichen Angaben sind teilweise widersprüchlich und abgesehen davon in wesentlichen Punkten zum Kerngeschehen oberflächlich, detailarm und stereotyp. Letzteres trifft für seine Ausführungen dazu zu, die Liyu-Beamten hätten ihn eines Tages bei der Arbeit als Schuhputzer angesprochen und gesagt, er eigne sich als Spion für sie und dies habe sein in der Nähe arbeitender Vater mitbekommen und abgelehnt. Dass Kinder somalisch-stämmiger Eltern zwangsweise zur Mitarbeit gegen die ONFL als Spione eingesetzt werden, mag tatsächlich vorgekommen sein; es ist aber nach der Erfahrung des erkennenden Gerichts ein von nicht wenigen Somaliern aus Äthiopien stereotypes Vorbringen, das ohne nähere Details zu selbst Erlebtem nicht überzeugt. An solchen konkreten und lebensnahen Einzelheiten zu seiner angeblich verweigerten Unterstützung der Liyu-Police und des daraus abgeleiteten Verdachts der Zugehörigkeit zur ONLF fehlt es hier. Der Kläger vermochte zu dem fraglichen Hergang, wo und wie ihn die Liyu-Beamten angesprochen haben sollen, keine lebensnahen Einzelheiten berichten. Seine Darstellung in der mündlichen Verhandlung, sie hätten ihm gesagt, „du bist der Junge“, der fit und als Spion geeignet ist, wirkt künstlich. Das Gericht vermisst u.a. Einzelheiten zu den angeblichen Liyu-Beamten, deren Aussehen, Zahl, dem Ort des fraglichen Geschehens und dem angeblichen Hinzukommen seines Vaters. Ähnlich schilderte er diesen Vorgang beim Bundesamt. Danach sei der Vater dazugekommen, als die Liyu-Beamten ihn hätten holen wollen, wobei unklar blieb, wo sich dies zugetragen haben soll. Dabei sei der Vater verhaftet worden. Unter welchen Umständen sein Vater, er selbst, seine Mutter und alle Geschwister verhaftet worden seien, vermochte er weder vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung ansatzweise nachvollziehbar schildern. Insoweit drängt sich die Annahme auf, dass er nicht von selbst Erlebtem sprach. Sein Hinweis, der Dolmetscher beim Bundesamt habe falsch übersetzt und einiges weggelassen, überzeugt nicht, weil der Kläger ausweislich der Niederschrift über seine Angaben vor dem Bundesamt erklärt hat, es habe keine Verständigungsprobleme gegeben. Hinzu kommt, dass er angebliche Übersetzungsfehler erst in der mündlichen Verhandlung geltend machte, obwohl er hierzu bereits bei Klageerhebung und im Laufe des Verfahrens Gelegenheit hatte. |
|
| Seine diesbezüglichen in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben zu der angeblichen Verhaftung seines Vaters und der gesamten Familie sowie zu den Haftbedingungen detailarm und oberflächlich. Es fehlt an annähernd konkreten Einzelheiten, wann und wie der Vater verhaftet worden sei. Das Gericht vermisst ferner eine nachvollziehbare Schilderung der angeblichen Haftbedingungen. Das Vorbringen des Klägers zur angeblichen Haft der Familie erschöpft sich in Stichworten, wonach sie in einem großen Raum, auf Nachfrage des Gerichts zusammen mit anderen Gefangenen, gewesen seien. Vor dem Bundesamt hieß es dagegen, ihr Lager sei durch Stacheldraht abgetrennt gewesen, sie hätten die anderen Gefangen sehen können. Auch auf Nachfragen des Gerichts, wie das Essen verteilt worden sei, ob sie sich mit den anderen Gefangenen unterhalten hätten können und ob sie sich hätten waschen können, blieb der Kläger weitgehend allgemein gehalten und vermochte keinerlei konkrete Einzelheiten zu nennen. So konnte der Kläger von sich aus weder den fraglichen Raum bzw. die Zelle im Gefängnis beschreiben noch Mitgefangene. Erst auf Befragen des Gerichts schilderte er, dass seine Familie einen „Haufen“ Essen auf einem Blechteller bekommen habe, das sie mit den Händen gegessen hätten. Seinen Hinweis darauf, andere Gefangene hätten Mitgefangene versorgt, vermochte er nicht ansatzweise zu erklären. Insoweit und auch auf Nachfragen des Gerichts zu den hygienischen Verhältnissen im Gefängnis erschöpft sich sein Vorbringen in allgemeingehaltenen Stichworten, ohne lebensnahen Bezug zu den Örtlichkeiten, Personen oder sonstigen Realkennzeichen. Dass in dem Raum nur eine Toilette zur Verfügung gestanden habe und das Wasser braun und ekelhaft gewesen sei, weshalb es schwierig gewesen sei, sich zu waschen, erwähnte er auf Nachfrage des Gerichts, ohne irgendwelche Details zu nennen, z. B. über die räumliche Anordnung des fraglichen Lagers bzw. der Zelle und der Toilette im Raum. |
|
| Ebenfalls detailarm sind seine Angaben dazu, dass zwei Tage nach der Freilassung der Familie die Mutter erfahren habe, dass der im Gefängnis verbliebene Vater umgebracht worden sei. Von wem die Mutter dies erfahren habe, blieb offen. Dass sie den Vater vor dem Gefängnis auf der Straße liegend vorgefunden habe, erklärte er zwar übereinstimmend vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung jeweils mit knappen Worte. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 11.02.2021 ist nicht geeignet, die Verhaftung und Ermordung des Vaters zu beweisen. Sie ist auf der Grundlage der Angaben des Klägers erstellt. Unterschiedliche und unabhängig davon detailarme sowie lückenhafte Angaben machte er dazu, wie er der angeblich ihn suchenden Liyu-Police entkommen sein will. Während es vor dem Bundesamt hieß, als seine Mutter die Männer gesehen habe, habe sie die Tür verschlossen, die dann von den Männern aufgebrochen worden sei. Schützend habe sich die Mutter vor die Männer gestellt, die sie weggeschubst hätten. Von wo aus der Kläger dies gesehen oder wie er dies mitbekommen haben will, blieb im Dunkeln. Durchs Fenster will er geflüchtet sein und die Männer hätten auf ihn geschossen und einen Tag lang gesucht. Die Nacht habe er versteckt auf dem Markt verbracht und sei dann am nächsten Tag mit dem Bus nach Jigjiga gefahren. Von den angeblichen Schüssen der ihn verfolgenden Liyu-Police und der fraglichen Nacht auf dem Markt war in der mündlichen Verhandlung nicht mehr die Rede. Stattdessen will der Kläger unmittelbar nach seiner Flucht aus dem Haus nach Jigjia mit dem Bus gefahren sein, wobei er 40 Birr dabeigehabt habe, die für den Bus gereicht hätten. Überdies fehlt eine annähernd lebensnahe Schilderung des fraglichen Eintreffens der Liyu-Police im Haus der Mutter. |
|
| Allgemein gehalten verblieben seine Ausführungen dazu, dass sie als Kinder „alles über die ONLF mitbekommen hätten“, weil die Eltern darüber gesprochen hätten. Was er als Kind erfahren habe, vermochte er nicht ansatzweise zu beschreiben. Dass ihm die Differenzierung zwischen OLF und ONLF und deren Entwicklung nicht bekannt war (AA, Bericht vom 24.04.2020, I. 1. und 3.), geschweige denn deren vollständigen Namen nannte, und er auf Nachfragen des Gerichts erklärte, es gebe nur eins, nur die ONLF, lässt die Annahme zu, dass er weitgehend unpolitisch aufgewachsen ist und sich mittlerweile lediglich einige Schlagworte angeeignet hat. Dass ein Onkel ONLF-Kämpfer gewesen und deshalb getötet worden sei, besagt nichts dazu, was der Kläger selbst erlebt hat. |
|
| Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Klärung, worauf die unterschiedlichen Angaben zum fraglichen Plan seiner Flucht herrühren sollen, ob die Mutter nach der angeblichen Tötung des Vaters gesagt habe, er solle verschwinden oder ob es beim Eintreffen der Liyu-Beamten im Haus der Mutter sein spontaner Entschluss gewesen sei, worauf er in der mündlichen Verhandlung Wert gelegt hat. |
|
| Selbst wenn es zuträfe, dass sein Vater unter dem Verdacht, ein Separatist zu sein oder die ONFL unterstützt zu haben, verhaftet und tot vor das Gefängnis gelegt worden wäre, ist das Gericht nicht überzeugt, dass der Kläger (und seine Familie) deshalb durch den äthiopischen Staat oder die Liyu-Police (dazu 1.3.) verfolgt wurden. Anhaltspunkte für eine generelle Sippenhaft lassen sich den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht entnehmen. |
|
| Bei der regionalen Liyu-Polizei handelt es sich um einen nichtstaatlichen Akteur im Sinne von § 3c Nr. 1 AsylG, denn die Liyu-Polizei ist eine eigene Staats- bzw. Sonderpolizeieinheit, die jeweils den regionalen Behörden untersteht (BFA, Länderinformationsblatt, 2019, S. 15). In der Somali-Region im Osten Äthiopiens wurden lokale Milizen, die sogenannte Liyu-Police, gegen die - im Juli 2018 ebenfalls entkriminalisierte - Ogaden National Liberation Front (ONFL) eingesetzt. Der Liyu-Police werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Diese werden weiterhin von äthiopischen Behörden untersucht. Die Streitkräfte wurden in den letzten Jahren mit dem Ziel umstrukturiert, sie von Aufgaben der inneren Sicherheit, die der Polizei obliegen und für die die Streitkräfte nicht ausgebildet sind, zu entbinden. Dies ist noch nicht landesweit umgesetzt. In einigen Regionen (Oromia, Somali Region/Ogaden, Gambella, Sidamo) werden weiterhin auch Militäreinheiten bei Unruhen oder Bekämpfung krimineller Handlungen eingesetzt (AA, Bericht vom 24.04.2020, I. 3.). |
|
| Die Gefahr einer Verfolgung durch regionale Milizen, u.a. der den regionalen Behörden unterstehenden Liyu-Police, besteht dann, wenn es sich bei der rückkehrenden Person um eine Person handelt, die aufgrund politisch motivierter Probleme oder Schwierigkeiten ihren Heimatort verlassen hat (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Äthiopien: Rolle der Clanzugehörigkeit für ethnisch somalische Rückkehrer in größeren Städten; systematische psychische oder physische Bedrohungen bzw. Übergriffe; Diskriminierungen; Clan der Gaadsen: Anzahl der Mitglieder in Jijiga und Addis Abeba [a-11426-v2], Bericht vom 22.12.2020). Dazu berichtet ACCORD Folgendes: „Wenn es sich um eine Person handelt, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die sich entschlossen hat, um einer Abschiebung zuvorzukommen, freiwillig nach Äthiopien zurückzukehren, dann kommt bei der Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden raus, wenn es sich um jemanden handelt, der mit den regionalen Behörden in der Somali-Region aneinandergeraten ist. Dann wird es für diese Person unangenehm. Die äthiopischen Behörden lassen manchmal Personen ins Land, um sie in die Finger zu kriegen. Bis sie sicher sind, dass die Person keine Unruhe stiftet, würde sie beobachtet werden. Die äthiopischen Sicherheitsdienste sind eines der effizientesten Staatsorgane in Äthiopien. Eines der am besten ausgestatteten Staatsorgane. Sie verfügen über ein riesiges Archiv, das alle Personen umfasst, die irgendwie mit der Polizei oder für die Security auffällig wurden. Wenn jemand verhaftet wird, werden Fingerabdrücke genommen und das wandert in eine Datenbank. In Äthiopien gibt es eine ausgezeichnete elektronische Datenbank, in der die Hälfte der Bevölkerung erfasst ist, auch Studenten zum Beispiel. Die elektronische Ausstattung zur Datenspeicherung etc. ist sehr gut. Seit 1998 wurden auch alle Dokumente der früheren Regierung digitalisiert.“ (Experte, 10.12.2020). Letzteres bestätigt das Auswärtige Amt (Bericht vom 20.04.2020, I. 3.), indem es ausführt, der äthiopische Geheimdienst NIC (National Intelligence Center) ist als Sicherheits- und Abwehrbehörde gut aufgestellt und verfügt über ein funktionierendes Netz an Zuträgern in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens. Der Telefon- und Internetverkehr wird überwacht. Es ist davon auszugehen, dass sämtliche nicht satellitengestützte Kommunikation abgefangen werden kann. |
|
| Nach der Überzeugung des Gerichts kann dem Kläger nicht geglaubt werden, dass er mit den Sicherheitsorganen in Konflikt geraten oder ihnen wegen des Verdachts, die ONFL oder OLF unterstützt zu haben, bekannt ist. Deshalb droht dem Kläger weder aufgrund Sippenhaft noch aus anderen Gründen keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung, auch wenn zu seinen Gunsten unterstellt wird, dass sein Vater wegen des Verdachts, die ONFL oder OLF unterstützt zu haben oder Mitglied zu sein, weil viele ONFL-Anhänger aus dem Stamm der Isaaq seien, inhaftiert und getötet worden sei. |
|
| Selbst wenn der Kläger neben der äthiopischen Staatsangehörigkeit auch die des somalischen Staates besitzen würde, droht ihm durch den somalischen Staat keine Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG (1.4.). Diesbezüglich hat der Kläger keinerlei Verfolgungsgründe geltend gemacht und solche sind auch nicht erkennbar. |
|
| Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG (i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG) ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Für die Feststellung des drohenden ernsthaften Schadens gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, Urteil vom 07.09.2010 - 10 C 11.09 - und Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, jeweils in juris). Die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung setzt voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal der „tatsächliche(n) Gefahr eines ernsthaften Schadens“ in § 4 Abs. 3 AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, a.a.O, Rn. 20 m. w. N.). Nach der Beweiserleichterung (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, juris, Rn. 22) des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) ist die Tatsache, dass ein Antragsteller vor der Ausreise bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, juris, Rn. 26 ff.). Die Zuerkennung subsidiären Schutzes darf nicht aus schwerwiegenden Gründen i.S.d. § 4 Abs. 2 AsylG ausgeschlossen sein. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten die §§ 3c bis 3e entsprechend. |
|
| Wie bereits ausgeführt, kann Personen, die zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG nicht zuerkannt werden, wenn sie den Schutz eines der Länder ihrer Staatsangehörigkeit in Anspruch nehmen können (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 20.07.2020 - 19 A 3157/18.A -, juris, Rn. 26 und vom 18.06.2020 - 19 A 1107/19.A -, juris, Rn. 13 m.w.N.). Dem Kläger droht an seinem Herkunftsort, Dhagaxbuur (Dhaga Xbur), in Äthiopien (2.1.) kein Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 (2.2.), auch nicht unter dem Aspekt einer unmenschlichen Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) (2.3.) oder eines Konflikts gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (2.4.). In Bezug auf Somalia bedarf es deshalb keiner Entscheidung, ob im Falle einer Rückkehr eine der Anforderungen des § 4 AsylG erfüllt ist (2.5.). |
|
| Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 und 2 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 14 m.w.N. zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.). Da § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat schützt, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, a.a.O., Rn. 14; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, juris, Rn. 87 ff.; zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG: EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 -, www.curia.europa.eu, Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -,a.a.O., juris, Rn. 16; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.10.2019 - A 11 S 1203/19 -, juris, Rn. 27 m.w.N.). Der Kläger hat nach seinen Angaben in der Vergangenheit bis zu seiner Ausreise mit seiner Familie in der Stadt Dhagaxbuur (Dhaga Xbur) gewohnt, weshalb darauf als Herkunftsort abzustellen ist. Degehabur ist eine Stadt in der Somali-Region Äthiopiens. Sie ist Hauptstadt der Degehabur-Zone und liegt im Gebiet der Somali, vom Clan der Ogadeni-Darod. Gemäß Volkszählung von 2005 hatte sie 42.815 Einwohner. 1997 waren von 28.708 Bewohnern 95,92 % Somali und 2,53 % Amharen (https://de.wikipedia.org/wiki/Degehabur-Zone). |
|
| Die Gefahr von Folter (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) droht dem Kläger nicht. Das in der Verfassung verankerte Verbot von Folter wird zwar in der Praxis unterlaufen. Die Zentralregierung unter Premierminister Abiy Ahmed hat sich mittlerweile öffentlich von der Anwendung von Folter in Gefängnissen distanziert und Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet, gleichwohl bleibt unklar, ob tatsächlich eine grundlegende Abkehr von dieser Praxis stattgefunden hat. Zusammenfassend gibt es einzelne glaubwürdige Berichte über die Anwendung von Folter bzw. Misshandlung durch Polizei, Militär und andere Mitglieder der Sicherheitskräfte, insbesondere in Fällen, in denen der Verdacht oppositioneller Tätigkeit oder der Mitgliedschaft in bewaffneten Oppositionsgruppen und ein (vermuteter) Zusammenhang mit Terrorismus bestehen (AA, Bericht vom 24.04.2020, III. 2. und 3.). Diese Anforderungen erfüllt der Kläger nicht. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass gegen ihn die in Äthiopien zulässige Todesstrafe (AA, Bericht vom 24.04.2021, III. 3.) verhängt werden soll. |
|
| Die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG unter dem Aspekt der schlechten humanitären Situation scheidet in Bezug auf Äthiopien aus. Schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris, Rn. 109 zu Afghanistan). Die Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und damit auch Art. 15b RL 2011/95/EU erfordert ein zielgerichtetes Handeln bzw. Unterlassen eines Akteurs und daher können reine Kausalitätserwägungen hier nicht anspruchsbegründend wirken (BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11.19 -, juris, Rn. 25 m.w.N. und Beschluss vom 13.02.2019 - 1 B 2.19 -, juris, Rn. 13 m.w.N.). |
|
| In Äthiopien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert (AA, Bericht vom 24.04.2020. IV.1.,1.1 und AA, Bericht vom 08.04.2019, IV.1.,1.1.). Es besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung im Rahmen der Dürrehilfe und Abhilfe gegen eine Heuschreckenplage. Darüber hinaus sind 7 Mio. Menschen auf ein staatliches Sozialprogramm zur Ernährungssicherung angewiesen (AA, Bericht vom 20.04.2020, IV., 1.,1.1.), nach anderer Einschätzung 8,5 Millionen (BAMF, Entscheiderbrief 11/2020, Seite 6 ff.: Covid-19 und Heuschreckenplage in Äthiopien: Auswirkungen und Maßnahmen Covid-19 Pandemie). Äthiopien hat eine der weltweit größten Binnenvertriebenenpopulationen, die laut dem humanitären Reaktionsplan der Vereinten Nationen für 2020 auf 1,78 Millionen Menschen geschätzt wird. Die größten Ursachen waren Konflikte (ca. 80 % der Binnenvertriebenen), gefolgt von Dürre und einer saisonalen Überschwemmung (insgesamt ca. 20 % der Binnenvertriebenen) (AA, Bericht vom 24.04.2020, Seite 5 und II. 2.) sowie der Heuschreckenplage (siehe http://www.fao.org/home/en). Die Gefahr ist in Südäthiopien (Oromia, Southern Nations, Nationalities and Peoples‘ Region - SNNPR) aktuell am größten ist. Eine Vielzahl von internationalen Organisationen sind um Hilfe bemüht. So arbeitet beispielsweise die Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen (FAO) schon seit Jahren mit der äthiopischen Regierung zusammen und hat auch umfangreiche Maßnahmen im Zuge der Heuschreckenplage ergriffen. Nach Auftreten von Corona in Äthiopien profitierte das Land unter anderem schon frühzeitig von Hilfsmaßnahmen zum Beispiel der chinesischen Jack Ma Foundation und der Ali Baba Foundation (BAMF Entscheiderbrief 11/2020, Seite 7). |
|
| Äthiopien ist zudem ein wichtiges Durchgangs- und Zielland für Geflüchtete aus dem subsaharischen Afrika, die in der sich abzeichnenden Krise zusätzliche Unterstützung benötigen werden. Alles in allem gilt Äthiopien als Hochrisikoland, das durch einen ungebremsten Covid-19-Ausbruch soziale, politische und ökonomische Folgen größten Ausmaßes zu erwarten hat (Nizar Manek und Alexander Meckelburg vom 24.04.2020: Am Ende kann nur Gott uns helfen. Das Corona-Virus in Äthiopien. In: APUZ 18 - 19/2020. CC BY-NC-ND 3.0 DE). Am 08.04.2020 hat die Regierung beschlossen, landesweit für fünf Monate den Ausnahmezustand gemäß Artikel 93 der Verfassung zu erklären. Die landesweit geltenden Restriktionen umfassten u.a. das Verbot größerer Veranstaltungen (ab vier Personen), Schließung aller Schulen, Restaurants und Clubs sowie die Besetzung von (auch privaten) Fahrzeugen nur bis zur Hälfte ihrer Kapazität einhergehend mit der Verdoppelung des Fahrpreises für Busse und Taxis, Reisebeschränkungen und Schließung der Landesgrenzen (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopiennode/aethiopiensicherheit Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Stand: 22.02.2021, unverändert seit 12.02.2021). Die Zahl der Covid 19-Fälle befindet sich in exponentiellem Wachstum (siehe ETHIOPIA: COVID-19 Humanitarian impact Situation Update No. 15, vom 31.10.2020). Am 23.12.2020 zeigte sich folgendes Bild: 120898 Infizierte, 1870 Tote, 105824 Genesene und 13295 Aktiv Infizierte (https://afrika.info/corona/ und https://docs.google.com/spreadsheets/d/1mtT9gza2K7cb-kzqA0VjDyaGWaCHo_qBeegd7a2eMRk/edit#gid=0&range=B21). Am 14.02.2021 waren folgende Zahlen erreicht: 147092 Infizierte, 2194 Tote, 128742 Genesene, 16156 Aktiv Infizierte (afrika.info.corona, Stand: 14.02.2021). |
|
| Auch wenn das Wirtschaftswachstum in Äthiopien in den letzten zehn Jahren wesentlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Hinzu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 33 f; Bayerischer VGH, Urteil vom 12.12.2019 - 8 B 19.31004 -, juris, Rn. 40 f). Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld o. ä. werden von der äthiopischen Regierung nicht erbracht (AA, Bericht vom 24.04.2020, IV. 1.,1.1. und Bericht vom 08.04.2019, IV.1.,1.1.). Vor dem Hintergrund, dass mehrere Faktoren, u.a. Naturkatastrophen, für die schlechte humanitäre Situation verantwortlich sind, spricht mehr dagegen, einen der in Frage kommenden Akteure (siehe § 3c AsylG) als Verursacher zu qualifizieren. Abgesehen davon ist die Versorgungslage in der Heimatregion des Klägers derzeit nicht derart unzureichend, dass die Anforderungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind, weshalb es keiner Entscheidung bedarf, ob dies einem der Akteure zuzurechnen ist. |
|
| Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG sind ebenfalls nicht erfüllt. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 30.01.2014 - C-285/12 - Diakité, NVwZ 2014, 573; BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, LS. 2, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 05.03.2020 - A 10 S 1272/17 –, juris, Rn. 53 - 54). Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 -, juris, Rn. 17). |
|
| Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens für jedermann aufgrund eines solchen Konflikts ist erst dann gegeben, wenn er eine solche Gefahrendichte für Zivilpersonen mit sich bringt, dass alle Bewohner des maßgeblichen betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sind. Die Annahme eines so hohen Niveaus willkürlicher Gewalt bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind. Sie setzt das Vorliegen stichhaltiger Anhaltspunkte dafür voraus, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land bzw. in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Eine Individualisierung kann sich insbesondere aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen (EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 - Elgafaji - NVwZ 2009, 705 und vom 30.01.2014, a. a.O., Rn. 30; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 05.03.2020 - A 10 S 1272/17 -, juris, Rn. 53 - 54). |
|
| Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, juris, Rn. 75 ff. und Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, a.a.O., m.w.N.). Dies erfordert eine quantitative Ermittlung der verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau). Außerdem muss eine wertende Gesamtbetrachtung erfolgen (BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11.19 -, juris, Rn. 21, Urteile vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, a.a.O., Rn. 23 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris, Rn. 24 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, aaO, Rn. 78 ff. m.w.N.). Dabei sind auch die angewandten Methoden und Taktiken, die in dem Konflikt angewendet werden, die Anzahl der als Konfliktfolge Binnenvertriebenen und die kumulativen Effekte lang andauernder bewaffneter Konflikte und die medizinische Versorgungslage in den Blick zu nehmen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, a.a.O., Rn. 91 ff. m.w.N.). |
|
| Die Sicherheitslage in Äthiopien ist seit Beginn der Militäraktion im Bundesstaat Tigray besonders volatil. Die äthiopische Regierung führte seit 14.11.2020 Militäraktionen gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) durch und hat für sechs Monate den Ausnahmezustand für die Region Tigray ausgerufen (s. z. B www.faz.de vom 27.12.2020 „Kein Ende der Gewalt in Äthiopien“ https://www.presseportal.de/st/Äthiopien „Storys zum Thema Äthiopien“; https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504#content_0, Stand: 22.02.2021; https://apps.derstandard.de/privacywall/story/2000121748581/die-kaempfe-in-aethiopien-drohen-zur-geopolitischen-katastrophe-zu-werden). Der Konflikt in Tigray wirkt sich auch auf andere Teile Äthiopiens aus. So berichteten Medien, dass landesweit Tausende gegen die in Tigray regierende TPLF demonstriert hätten (BAMF, Briefing Notes vom 16.11.2020). |
|
| Die Lage in den Grenzgebieten zu den Regionen Amhara (im Norden Äthiopiens) und Afar (im Nord-Osten Äthiopiens) bleibt ebenfalls volatil. Es kommt überall im Land regelmäßig zu Unruhen mit Protesten und Straßenblockaden mit teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen und mit Sicherheitskräften. Inländische Flugverbindungen in Krisengebiete sind weitgehend eingestellt. Es kommt zu Abschaltungen des Internets. In den letzten Wochen und Monaten führten Proteste in mehreren Landesteilen immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, insbesondere im Bundestaat Oromia. Auch die Hauptstadt Addis Abeba war davon betroffen (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504#content_0, Stand: 22.02.2021; AA, Bericht vom 24.04.2020, I.1.2. und 1.3.). |
|
| In Folge des gewaltsamen Todes des Oromo-Künstlers Hacalu Hundeessaa am 29.06.2020 kam es in Addis Abeba und im Bundesstaat Oromia zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften (https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/in-aethiopien-gibt-es-435-beatmungsgeraete-und-105-millionen-menschen- i.80905; tagesschau.de vom 02.07., 04.07. und 05.07.2020; FAZ vom 03.07.2020: Der Tod des Protestsängers und die Folgen; https://www.presseportal.de/nr/10349 Frankfurter Rundschau vom 26.11.2020 „Vom Paulus zum Saulus“). |
|
| Im Grenzgebiet zwischen Benishangul-Gumuz, in der Metekel-Zone (im Westen Äthiopiens, an der Grenze zum Sudan) und in der Oromia-Region finden seit Jahren und erneut in den letzten Wochen bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen lokalen Milizen und der äthiopischen Armee statt. Die Grenzgebiete der Oromo- und Somali-Regionen sind von wiederholten gewaltsamen und teilweise tödlichen Zusammenstößen beider Volksgruppen geprägt (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504#content_0, Stand: 22.02.2021; AA, Bericht vom 24.04.2020, I.1.2. und 1.3.). Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.; vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 12.12.2019 - 8 B 19.31004 -, juris, Rn. 48). Seit Jahrzehnten wird gewaltsam um Weiderechte, Land und andere Ressourcen gestritten, was zu ethnischen Spannungen geführt hat (BAMF, Briefing Notes vom 13.08.2018 und 27.08.2018). |
|
| Im Jahr 2018 kam es in der Somali-Region zu folgenden Ereignissen: Am 03.08.2018 versuchte die Armee, den Präsidenten der Somali-Region, Abdi Mohomud Omar, bekannt als Abdi Illey, in der Regionshauptstadt Jijiga festzunehmen. Als die regionale paramilitärische Polizei Liyu Widerstand leistete, kam es zu mehrtägiger Gewalt, die mehrere Dutzend Todesopfer gefordert haben soll. Am 06.08.2018 übernahm die Armee die Kontrolle über Jijiga. Illey wurde abgesetzt oder trat zurück, blieb aber Chef der regionalen Regierungspartei Ethiopian Somali People’s Democratic Party (ESPDP). Präsident der Somali-Region wurde sein bisheriger Stellvertreter und Finanzminister der Region, Ahmed Abdi. Im Vorfeld hatte es Rücktrittsforderungen an Illey gegeben, dem Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen worden waren. Die Ogaden National Liberation Front (ONLF), die für eine Autonomie des in der Region Somali gelegenen Ogaden kämpft, verkündete am 12.08.2018 einen einseitigen Waffenstillstand. Am 07.08.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der Oromo Liberation Front (OLF) in Eritreas Hauptstadt Asmara ein Versöhnungsabkommen (BAMF, Briefing Notes vom 13.08.2018; https://taz.de/Machtkampf-in-Aethiopien/!5526607/Machtkampf in Äthiopien - Reformer auf die Probe gestellt). Am 03.01.2020 trafen sich die Vorsitzenden von drei Oromo-Parteien zur Unterzeichnung eines Abkommens für eine regionale Koalition. Die Vereinbarung sollte es den drei Parteien ermöglichen, gemeinsam einen Kandidaten für die Oromia Regional State Council vorzuschlagen. Die OLA, mittlerweile abgespalten von der OLF, gab im Januar 2019 öffentlich bekannt, dass die Partei keinen bewaffneten Flügel mehr habe. In anderen Zonen (Western Wollega) stehen OLA-Aufständische und Regierungstruppen im Zentrum des Kampfes (AA, Bericht vom 20.04.2020, Seite 7). |
|
| Von Reisen in die Somali-Region südlich und östlich von Harar und Jijiga rät das Auswärtige Amt ab. Der bewaffnete Konflikt zwischen äthiopischen Streitkräften und Teilen der ONLF, der Zustrom somalischer Flüchtlinge sowie mögliche Infiltrationsversuche islamischer Fundamentalisten stellen erhebliche Risikofaktoren dar (Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Stand: 22.02.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit). Laut dem UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UNOCHA) wurden durch Gewalt in Gedeo (Southern Nations, Nationalities, and Peoples' Region – SNNPR) und West Guji (Region Oromia) im Süden des Landes etwa 987.000 Menschen landesintern vertrieben. Der Konflikt um Weideland und andere Ressourcen begann in den dicht besiedelten Gebieten im April dieses Jahres und eskalierte im Juni (BAMF, Briefing-Notes vom 13.08.2018). |
|
| Vor diesem Hintergrund lässt sich jedoch nicht feststellen, dass für ganz Äthiopien ein innerstaatlicher Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG besteht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der aktuellen Unruhen in Äthiopien. Hierbei handelt es sich um einzelne über das Land verteilte Unruhen (vgl. VG Bayreuth, Urteil vom 31.08.2020 - B 7 K 20.30443 -, juris, Rn. 59 m.w.N.; i.Erg. ebenso VG Würzburg, Urteil vom 03.07.2020 - W 3 K 19.31666 - juris). Offenbleiben kann auch, ob für die Somali-Region im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von einem bewaffneten innerstaatlichen Konflikt im oben genannten Sinne auszugehen ist oder das nach wie vor bestehende Gewaltniveau nicht eher als Folge einer durch ethnische Konflikte teilweise gewaltbereiten und teilweise bewaffneten Gesellschaft ist, in der bewaffnete Personen und Gruppen sowie regionale Milizen wie die Liyu-Police ihre Ansprüche, u.a. um Land und Weiderechte mit Waffengewalt austragen. |
|
| Mangels ausreichender Informationen u.a. zu Anzahl der Opfer und Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung und weiterer Daten (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O., Rn. 33; BVerwG, Urteil vom 17.11. 2011 - 10 C 11.10 -, a.a.O., Rn. 21) ist eine qualitative Gesamtbetrachtung nicht möglich (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 13.02.2019 - 8 B 31645 -, juris zur Somalia-Region). |
|
| Jedenfalls lässt sich für die Stadt Dhaga Xbur, aus der der Kläger stammt und in der er sich zuletzt aufgehalten hat, nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Gefahrerhöhende persönliche Umstände weist der Kläger nicht auf. Seine somalische Herkunft begründet für sich genommen keine erhöhte Gefahr. |
|
| In Bezug auf Somalia bedarf es keiner Entscheidung, ob im Falle einer hypothetisch zu beurteilenden Rückkehr nach Mogadischu, dem Zielort einer Abschiebung, eine der Anforderungen des § 4 AsylG erfüllt ist. |
|
| Der Kläger hat aber einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Äthiopien. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umfasst dieser Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungsverbote, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (sog. „zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse, vgl. dazu nur BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris, m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.07.2019 - A 9 S 1566/18 -, juris, Rn. 25 m.w.N.). |
|
| Die Feststellung in dem Bescheid des Bundesamts, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, bezieht sich nur auf den in der Abschiebungsandrohung als Zielstaat benannten Staat Äthiopien. Dass das Bundesamt mit seiner Feststellung zu Abschiebungsverboten weitere Staaten erfassen wollte, ist nicht ersichtlich. Etwas Anderes kann insbesondere nicht dem nach § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorgeschriebenen allgemeinen Hinweis in der Abschiebungsandrohung entnommen werden, dass der Ausländer auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (BVerwG, Urteil vom 04.12.2001 - 1 C 11.01 -, BVerwGE 115, 267-274 zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG; Sächs. OVG, Beschluss vom 03.03.2020 - 6 A 593/18.A -, juris, Rn. 20). Für die rechtliche Beurteilung ist grundsätzlich unerheblich, ob der Ausländer die Staatsangehörigkeit des Zielstaates besitzt (BVerwG Beschluss vom 01.09.1998 - 1 B 41.98 -, BeckRS 1998, 30442392, beck-online). Sofern der Betroffene nicht Staatsangehöriger des Zielstaates ist, ist maßgebend, ob er dort zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 59 Rn 65 ff., 68). Zielstaat in der Abschiebungsandrohung ist Äthiopien. Darauf beschränkt sich die Beurteilung des Bundesamtes bezüglich der Abschiebungsverbote. Der Kläger hat bis zu seiner Ausreise in Dhagaxbuur bzw. Dhaga Xbur in der Somali-Region in Äthiopien bei seiner Familie gewohnt. Die Stadt liegt ca. 785 km von Addis Abeba entfernt, ca. 162 km von Jijiga. |
|
| Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei "nichtstaatlichen" Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein "verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, juris, Rn. 11 ff. mwN unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, a.a.O., Rn. 25). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR , Urteil vom 13.12.2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16.02.2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127], C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19.03.2019 - C-297/17 u.a. [E-CLI:EU:C:2019:219], Ibrahim - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:EU:C:2019:218], Jawo - Rn. 90 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre" (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, a.a.O. , Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.04.2018 - A 11 S 1729/17 -, juris, Rn. 114 ff. und Rn. 136 und Urteil vom 26.06.2019 - A 11 S 2108/18 - und Urteil vom 17.07.2019 - A 9 S 1566/18 -, jeweils in juris). |
|
| Der Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine - zwar notwendig hypothetische, aber doch - realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, a.a.O., Rn. 16 m.w.N.). |
|
| Für die Beurteilung, ob solche außerordentlichen Umstände vorliegen, ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 24.01.2018 - A 11 S 1265/17 -, juris, Rn. 171 ff., 173 m.w.N.). Dies ist bei einer Rückkehr nach Äthiopien derzeit der internationale Flughafen in Addis Abeba (AA, Bericht vom 24.04.2020, IV. 3.). Es bestehen Direktflugverbindungen mit Ethiopian Airlines von und nach Frankfurt. Die Landesgrenzen sind aufgrund der Militäraktion in Tigray teilweise geschlossen. Deshalb ist eine Einreise auf dem Landweg derzeit eingeschränkt. Ausnahmen davon hat das Auswärtige Amt nicht näher bezeichnet, erwähnt aber im Zusammenhang mit Covid-19-Infizierten den Landweg (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopiennode/aethiopiensicherheit Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Stand: 22.02.2021). |
|
| Wie bereits ausgeführt, rät das Auswärtige Amt von Reisen in die Somali-Region südlich und östlich von Harar und Jijiga ab. Der bewaffnete Konflikt zwischen äthiopischen Streitkräften und Teilen der ONLF, der Zustrom somalischer Flüchtlinge sowie mögliche Infiltrationsversuche islamischer Fundamentalisten stellen erhebliche Risikofaktoren dar (Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Stand: 22.02.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit). |
|
| Deshalb ist für den Kläger eine Rückkehr in seine Heimatstadt in der Somali-Region nicht zumutbar, und zwar unabhängig davon, ob er dort noch Verwandte hat. Die Entfernung von Addis Abeba bis Dhaga Xbur beträgt ca. 785 km, wobei insbesondere der letzte Teil der Strecke als gefährlich eingestuft wird und das Auswärtige Amt von Reisen in die Somali-Region abrät (siehe zur Somali-Region Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Stand: 22.02.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit). Eine Einreise über Hargeisa in Somaliland ist derzeit u.a. wegen der Schließung der Landesgrenzen wegen der allgemeinen Bürgerkriegssituation und Terrorgefahr in Somalia ebenfalls gefährlich und deshalb unzumutbar (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somaliasicherheit/203132, unveränderter Stand seit 03.12.2020). Der Kläger müsste deshalb im Falle seiner hypothetischen Abschiebung nach Äthiopien, dem Zielstaat, in Addis Abeba verbleiben. |
|
| Auf dem Arbeitsmarkt fordert Corona auch in Addis Abeba einen hohen Jobverlust, die Regierung befürchtet u.a. infolge des coronabedingten Rückzugs chinesischer Investoren bzw. Arbeitgeber den Verlust der Arbeit für 1,4 Millionen Einwohner (siehe https://www.politico.com/news/2020/04/16/coronavirus-china-africa-191444: „In Ethiopia alone, the government has estimated that 1.4 million jobs will be lost over the next three months, according to a document seen by POLITICO, roughly 3 percent of the workforce“). Die Corona-Pandemie dürfte Äthiopiens Wirtschaft hart treffen (https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/bericht-wirtschaftsumfeld/aethiopien/aethiopien-und-das-coronavirus-237438: Äthiopien und das Coronavirus vom 09.04.2020). |
|
| Eine Rückkehr nach Addis Abeba ohne Verbindungen zu einem Clan der Somali ist für einen aus Äthiopien stammenden ethnischen Somali mit Risiken verbunden. Nach Auskunft des Experten für die Region Horn von Afrika in einem Dezember 2020 mit Vertretern von ACCORD (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Äthiopien; Bericht vom 22.12.2020) geführten Gespräch, sei es für einen ethnischen Somali möglich, dort zu überleben, wo es größere Somali-Gemeinschaften gibt, was auch in Addis Abeba der Fall sei. Im städtischen Bereich, in den größeren Städten, wo es wirklich funktionierende Somali-Gemeinschaften gebe, könne eine Person mit ethnisch somalischem Hintergrund überleben. Aber es gebe keine soziale Absicherung, Sozialhilfe oder ähnliches. (Experte, 10.12.2020). Somalis würden in Addis Abeba in einem Stadtteil leben, der „Little Mogadishu“ genannt werde und sich in der Gegend der Botschaft von Ruanda und Bole Mikael befinde. Dort sei das Stadtbild sehr somalisch. Es gebe somalische Geschäfte, somalische Restaurants, die Somali Microfinance Institution habe dort eine Zweigstelle, es gebe Hotels, die im Eigentum von Somalis stünden und auch nur von Somalis frequentiert würden. Man gehe laut Auskunft des Experten davon aus, dass in Addis Abeba circa 100.000 Somalis leben würden. Somalierinnen berichteten, selbst wenn sie keine direkten Verwandten gehabt hätten, an die sie sich bei Ankunft in Addis Abeba wenden konnten, hätten sie Kontakt zu anderen Somalis herstellen können, die ihnen geholfen hätten, sich niederzulassen. Dies basiere alles auf dem Clan-System. Allerdings stellt sich nach Meinung von Experten die Frage der Marginalisierung, da die Mietpreise horrend hoch seien, vor allem für jene in prekären Situationen. Eigentumserwerb dürfte aufgrund der Preise nicht möglich sein. Der äthiopische Überwachungsstaat sei auch innerhalb der somalischen Community in Addis Abeba sehr stark (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Äthiopien; Bericht vom 22.12.2020). |
|
| Der Kläger hat nach seinen unwiderlegbaren Angaben in der mündlichen Verhandlung keine Kontakte mehr nach Äthiopien, obwohl er bei seiner Anhörung beim Bundesamt erwähnt hat, alle zwei Wochen telefoniere er mit seiner Mutter. Sein letzter telefonischer Kontakt mit seiner Mutter war seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge vor drei Jahren. Die Mutter habe ihm gesagt, dass auch sie mit den Kindern flüchten werde. Andere Verwandte leben nicht mehr. Wo sich die Mutter und die Geschwister aufhalten, wusste der Kläger nicht. In Addis Abeba, in der Hauptstadt, verfügt er über keine sozialen oder wirtschaftlichen Kontakte, weil er dort noch nie gelebt hat. Dort wäre er auf die Unterstützung des Clan-Systems angewiesen, gegebenenfalls auch auf einen über seinem Clan stehenden Clan. Einen Verwandten, der ihm bei der Vermittlung eines Kontakts vom Ausland aus behilflich sein könnte, gibt es nicht. Vor dem Hintergrund der hohen Mietpreise, des aufgrund Covid-19 schlechten Arbeitsmarktes und des noch jugendlichen Alters sowie seiner geringen Lebenserfahrung des Klägers ist nicht gewährleistet, dass er unter den derzeitigen Verhältnissen in Addis Abeba sein Existenzminimum, wenn auch auf geringem Niveau, sichern könnte. Eine Rückkehr nach Addis Abeba ist für ihn deshalb unzumutbar. |
|
| Einer Entscheidung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf es nicht mehr, weil er mit Absatz 5 dieser Vorschrift einen einheitlichen Streitgegenstand bildet (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, BVerwGE 140, 319, Urteil vom 09.09.1997 - 9 C 48.96 -, InfAuslR 1998, 125; BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, 463, Urteil vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.11.2002 - A 12 S 907/00 -, juris). |
|
| Die Abschiebungsandrohung (§ 34 Abs. 1 i.V.m. § 59 Abs. 3 AufenthG) ist rechtswidrig, weil im Fall des Klägers entgegen § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 1. Alt. AsylG die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen. Infolge der Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung erweist sich auch der Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbotes und dessen Befristung unter Ziffer 6. des Bescheides als rechtswidrig. Ziffern 4 bis 6 des angefochtenen Bescheids waren deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 VwGO). |
|
|
|