Beschluss vom Verwaltungsgericht Karlsruhe - 1 K 2328/21

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, es zu unterlassen, den Betrieb seiner Spielhallen „Spielhalle I“ und „Spielhalle II“ unter der Anschrift XXX zu untersagen, bis über die von ihm gestellten Erlaubnisanträge nach § 41 Abs. 1 LGlüG rechtskräftig entschieden worden ist, bleibt ohne Erfolg. Er ist bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
1. Der Antragsteller verfolgt bei sachdienlicher Auslegung seines Begehrens (§ 88 VwGO) den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegnerin aufgegeben werden soll, im Wege der sogenannten aktiven Duldung (vgl. zur Rechtsfigur und zum Begriff der aktiven Duldung etwa: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.02.2016 – 7 A 1623/14 -, juris Rn. 50; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 04.09.2013 – 3 L 108/11 -, juris Rn. 70; Lesch, Zur straf- und ordnungsrechtlichen Relevanz einer behördlichen Duldung im Bereich des Glücksspiels, ZfWG 2021, 236 (236) m.w.N.; Beaucamp, Duldungsentscheidungen im Verwaltungsrecht, DÖV 2016, 802 (803); vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 05.04.1990 – 5 S 1242/89 -, juris Rn. 33) nicht gegen die von ihm derzeit ohne entsprechende Erlaubnisse nach dem Landesglücksspielgesetz betriebenen Spielhallen einzuschreiten. Eine solche aktive Duldung kann sich auch auf die Entscheidung beziehen, bei Ausübung des – hier in § 15 Abs. 2 GewO eröffneten – Ermessens auf eine entsprechende Untersagungsverfügung und ggf. deren Vollstreckung zu verzichten (vgl. Lesch, a.a.O., S. 236; Beaucamp, a.a.O., S. 805; Rengier, Die öffentlich-rechtliche Genehmigung im Strafrecht, ZStW 101 (1989), 874 (905); vgl. allgemein zur Abgrenzung der Zusicherung des Unterlassens eines Verwaltungsakts zur Zusage der Duldung eines (rechtswidrigen) Zustands: Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl., § 38 Rn. 16). Denn es geht dem Antragsteller darum, von einer „ordnungs- oder strafrechtlichen Sanktionierung“ (vgl. Seite 2 des Antragsschriftsatzes) des Betriebs der Spielhallen bis zu einer bestandskräftigen bzw. rechtskräftigen Entscheidung über die von ihm gestellten Erlaubnisanträge verschont zu bleiben. Dieses Ziel kann er durch den so verstandenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen. Denn der aktiven Duldung des Weiterbetriebs seiner Spielhallen, die der Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Erlaubnisverfahrens sowie der Gewährung effektiven Rechtsschutzes dient, ist auf Grund der Verwaltungsakzessorietät des § 284 Abs. 1 StGB und des § 48 Abs. 1 Nr. 1 LGlüG eine das Straf- und Ordnungswidrigkeitenunrecht ausschließende Wirkung beizumessen (so ausdrücklich: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.07.2021 – 6 S 2237/21 – unter Berücksichtigung des auch von den Beteiligten herangezogenen Beschlusses des BGH vom 20.07.2020 – 3 StR 327/19 -, juris). Soweit allerdings der Antragsteller eine vor rechtskräftigem Abschluss des Erlaubnisverfahrens ergehende Untersagungsverfügung nach § 15 Abs. 2 GewO für unverhältnismäßig hält, wären die strengen Voraussetzungen für die Gewährung vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. dazu: BVerwG, Beschluss vom 25.04.2007 – 9 VR 4.07 -, juris Rn. 3; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.02.2021 – 1 S 3952/20 -, juris Rn. 18) nicht erfüllt und der Antragsteller auf die Gewährung nachträglichen Rechtsschutzes durch Klage und – bei Anordnung des Sofortvollzugs – einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verweisen.
2. Für den so verstandenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung fehlt dem Antragsteller allerdings das Rechtsschutzbedürfnis.
Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtsschutz ist nicht gegeben, wenn das prozessuale Vorgehen die Rechtsstellung des Klägers oder des Antragstellers nicht verbessern kann und daher nutzlos ist (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.02.2021, a.a.O., juris Rn. 18; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 42 Rn. 350 m.w.N.). Das ist dann anzunehmen, wenn die Klage für den Kläger bzw. der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz für den Antragsteller offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (BVerwG, Urteil vom 29.04.2004 – 3 C 25.03 -, juris Rn. 8; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.02.2021, a.a.O., juris Rn. 18). Dies ist hier der Fall.
Denn die Antragsgegnerin hat gegenüber dem Antragsteller die begehrte, das Straf- und Ordnungswidrigkeitenunrecht (§ 284 Abs. 1 StGB, § 48 Abs. 1 Nr. 1 LGlüG) ausschließende aktive Duldung abgegeben. Eine solche aktive Duldung liegt im Gegensatz zu einer bloß passiven Duldung, die sich durch schlichtes Nichteinschreiten in Kenntnis des gesetzeswidrigen Zustands auszeichnet, vor, wenn dem Betroffenen in unmissverständlicher Art (ausdrücklich oder ggf. auch konkludent) zu erkennen gegeben wird, dass und in welchem Umfang sowie ggf. über welchen Zeitraum die Duldung des rechtswidrigen Verhaltens oder des rechtswidrigen Zustands hingenommen wird (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.02.2016 – 7 A 1623/14 -, juris Rn. 50; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 04.09.2013 – 3 L 108/11 -, juris Rn. 70; Lesch, a.a.O., S. 236 m.w.N.; Beaucamp, a.a.O., S. 803).
Die Antragsgegnerin hat mit Telefax-Schreiben vom 25.06.2021 bezüglich der „Spielhalle I“ und der „Spielhalle II“ des Antragstellers erklärt, dass „angesichts des noch nicht durch das Regierungspräsidium Karlsruhe entschiedenen Widerspruchsverfahrens […] eine Schließung vor einer rechtskräftigen Verwaltungsentscheidung unverhältnismäßig sein“ könnte, „so dass auf Vollzugshandlungen verzichtet wird, solange sich an der derzeitigen Rechtslage nichts ändert“. Bei der gebotenen Auslegung entsprechend den §§ 133, 157 BGB, für die der erklärte Wille maßgebend ist, wie ihn der Empfänger von seinem Standpunkt aus bei objektiver Würdigung verstehen konnte (BVerwG, Beschluss vom 19.09.2013 – 9 B 20.13, 9 B 21.13 -, juris Rn. 11 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.07.2018 – 2 S 1228/18 -, juris Rn. 6), kann dieser Erklärung nur der Aussagewert beigemessen werden, dass die Antragsgegnerin bei gleichbleibender Rechtslage keinerlei Maßnahmen gegen den Betrieb der beiden Spielhallen unternimmt, bis über die Erlaubnisanträge des Antragstellers bestandskräftig oder rechtskräftig entschieden ist (vgl. zur entsprechenden Auslegung der Erklärung, dass im Hinblick auf eine noch zu treffende Auswahlentscheidung vorläufig keine Vollzugsmaßnahmen durchgeführt werden: VG Karlsruhe, Beschluss vom 30.06.2021 – 2 K 2307/21 -). Insbesondere verzichtet die Antragsgegnerin mit dieser Erklärung nicht bloß auf ein ordnungswidrigkeitenrechtliches Einschreiten. Zwar beginnt der einschlägige Absatz des Faxes der Antragsgegnerin vom 25.06.2021 mit einem Hinweis darauf, dass der Betrieb einer Spielhalle ohne erteilte Erlaubnis nach § 41 LGlüG eine Ordnungswidrigkeit nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 LGlüG darstelle und es dem sog. Opportunitätsgrundsatz unterliege, ob die zuständige Verwaltungsbehörde die ordnungswidrige Handlung unterbinde oder durch ein Bußgeld ahnde. Auch wird am Ende des Telefaxes darauf hingewiesen, dass es an den Strafverfolgungsbehörden liege, strafbewehrtes unerlaubtes Glücksspiel zu unterbinden, sollte ein strafbewehrtes unerlaubtes Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB vorliegen. Gleichwohl führt die Antragsgegnerin in diesem Schreiben nicht lediglich aus, dass von einem Vorgehen auf Grundlage des § 48 Abs. 1 Nr. 1 LGlüG abgesehen wird, sondern spricht unter Hinweis darauf, dass angesichts des noch nicht durch das Regierungspräsidium Karlsruhe entschiedenen Widerspruchsverfahrens eine Schließung der jeweiligen Spielhalle vor einer rechtskräftigen Verwaltungsentscheidung unverhältnismäßig sein könnte, allgemein und weiter gefasst davon, dass auf „Vollzugshandlungen“ verzichtet werde. Insofern handelt es sich um die Mitteilung einer aktiven Duldung im oben genannten Rechtssinne, nämlich um die willentliche Erklärung eines Nichteinschreitens der Behörde trotz einer rechtlich grundsätzlich eröffneten Möglichkeit. Diese Erklärung wurde insbesondere zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Erlaubnisverfahrens ausgesprochen und lässt den Umfang und den Zeitraum der Duldung erkennen. Hierdurch wird eine Erwartung an ein künftiges – zeitlich begrenztes – Verhalten der Antragsgegnerin geschaffen (ebenso: VG Karlsruhe, a.a.O.), auf das der Antragsteller vertrauen darf und dem damit nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.07.2021 – 6 S 2237/21 -) eine das Straf- und Ordnungswidrigkeitenunrecht ausschließende Wirkung beizumessen ist. Von einem solchen Verständnis des Erklärungsinhalts des Telefaxes vom 25.06.2021 dürfte auch die Antragsgegnerin selbst ausgehen, wenn sie in ihrer Antragserwiderung ausdrücklich unter Hinweis auf dieses Fax geltend macht, dass der Antrag gemäß § 123 VwGO („mangels Antragsbefugnis“ bzw. „mangels Rechtsschutzbedürfnisses“) unzulässig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.5 Satz 1 Halbsatz 1, Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und berücksichtigt, dass hier zwei Spielhallen streitgegenständlich sind.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen