Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 15.01.2022 wird hinsichtlich der Ziffer 1 c) der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin über ein Versammlungsverbot vom 20.12.2021 wiederhergestellt und hinsichtlich der Ziffer 2 der genannten Allgemeinverfügung, soweit sich diese auf deren Ziffer 1 c) bezieht, angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
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| | Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin, die ein präventives Versammlungsverbot betreffend alle mit generellen Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ in Zusammenhang stehenden, nicht angezeigten und nicht behördlich bestätigten Versammlungen und Ersatzversammlungen auf der Gemarkung der Antragsgegnerin zum Gegenstand hat. |
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| | Der Antragsteller wohnt in der östlich an die Gemarkung der Antragsgegnerin angrenzenden Stadt ... und nimmt nach den Feststellungen der Antragsgegnerin regelmäßig an der jeweils sonntags in ... stattfindenden und ordnungsgemäß angemeldeten Versammlung „Meditation für die Freiheit und unser Grundgesetz“ teil, wobei er hierbei bereits als Versammlungsleiter benannt sowie im Leitungskreis bzw. im Ordnungsdienst tätig war. |
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| | Am 20.12.2021 wurde in einer auf dem Messengerdienst Telegram im Kanal „... veröffentlichten, eine Vielzahl baden-württembergischer Städte in Bezug nehmenden Nachricht zu einem „Montagsspaziergang“, unter anderem auch für „... - 18.00 Uhr - Markplatz (dienstags)“, aufgerufen. |
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| | Die Antragsgegnerin erließ daraufhin am 20.12.2021 eine Allgemeinverfügung über ein Versammlungsverbot folgenden Inhalts: |
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| | „Gemäß § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG), § 12 Abs. 2 der Coronaverordnung Baden-Württemberg, § 35 S. 2 Landesverwaltungsverfahrensgesetz und § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und §§ 20, 26 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz erlässt die ... als Versammlungsbehörde folgende |
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| | 1. Hiermit werden die Veranstaltung von und Teilnahme an folgenden öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen unter freiem Himmel auf der Gemarkung der Stadt ... verboten: |
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| | a) Untersagt wird die für den 21.12.2021 auf dem Marktplatz in der Zeit ab 18:00 nicht behördlich bestätigte Versammlung auf dem Marktplatz. |
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| | b) Untersagt wird jede nicht angezeigte und nicht behördlich bestätigte Ersatzversammlung der unter Ziff. 1.a) genannten Versammlung auf der Gemarkung der Stadt .... |
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| | c) Untersagt werden alle mit generellen Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ in Zusammenhang stehenden, nicht angezeigten und nicht behördlich bestätigten Versammlungen und Ersatzversammlungen auf der Gemarkung der Stadt ... unabhängig vom Wochentag und unabhängig davon, ob einmalig oder wiederkehrend stattfindend. |
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| | 2. Bei Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 1 verfügten Verbote kann unmittelbarer Zwang anwendet werden, der hiermit angedroht wird. |
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| | 3. Die sofortige Vollziehung der in Ziffer 1 verfügten Verbote wird hiermit im besonderen öffentlichen Interesse gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO angeordnet. |
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| | 4. Da eine rechtzeitige Bekanntmachung dieser Verfügung in der vorgeschriebenen Form nicht möglich ist, erfolgt gemäß § 1 Absatz 5 DVO-GemO eine öffentliche Bekanntmachung in anderer geeigneter Weise (Notbekanntmachung). |
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| | Diese Allgemeinverfügung gilt am Tag der Bereitstellung auf der Internetseite der Stadt ... als bekannt gemacht. Sie gilt einen Tag nach ihrer Veröffentlichung als bekannt gegeben und ist ab dem 21.12.2021 wirksam. |
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| | 5. Die Allgemeinverfügung tritt, soweit sie nicht zuvor aufgehoben wird, am 31.01.2022 außer Kraft. |
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| | Die Allgemeinverfügung wurde noch am 20.12.2021 einschließlich eines Hinweises, nach dem die vollständige Allgemeinverfügung ab sofort mit Terminvereinbarung bei der ..., eingesehen werden könne, auf der Internetseite der Antragsgegnerin bereitgestellt und zusätzlich unter demselben Datum im Abschnitt „...“ der Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) veröffentlicht. Des Weiteren wurde die genannte Allgemeinverfügung im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 12.01.2022 veröffentlicht (...); nachdem der Redaktionsschluss der letzten beiden Ausgaben des Amtsblatts der Antragsgegnerin im Jahr 2021 für die KW 51 und 52 bereits am 17.12.2021 verstrichen war. |
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| | Am 21.12.2021 kam es trotz des genannten Versammlungsverbots im Stadtgebiet ... zu einem Vorfall, den die Antragsgegnerin folgendermaßen beschreibt: |
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| | „An dem in dem Aufruf besagten Termin am 21.12.2021 fand sich das einschlägige Klientel mit Kerzen und Laternen zu einem „Lichterspaziergang“ auf dem Marktplatz in ... ein. Die Ortspolizeibehörde und die Landespolizei waren vor Ort. Nach erfolgter Ansprache durch die Landespolizei hielten sich die Teilnehmer an die Abstandsvorgaben und es kam nicht zu einem Aufzug. Ein versammlungsähnlicher Charakter konnte nicht festgestellt werden. Dennoch wurde deutlich, dass die Teilnehmer dem Aufruf aus dem Telegrammkanal gefolgt sind und, wenn die Polizei nicht vor Ort gewesen wäre, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit den Lichterspaziergang auch durchgeführt hätten.“ |
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| | Am 11.01.2022 ereignete sich ein weiterer Vorfall in ..., der in einem auf den selben Tag datierten Bericht des Polizeireviers ... wie folgt beschrieben wird: |
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| | „Im Rahmen einer Versammlung am 10.01.2022 im Bereich des Polizeireviers ... wurde von einem namentlich nicht bekannten Redner mitgeteilt, dass am heutigen Tag, gegen 18.00 Uhr, ein sogenannter „Spaziergang“ im Bereich der Altstadt ... durchgeführt werden soll. |
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| | Durch Kräfte des Polizeireviers ... und einer Gruppe des ... wurde ab 17.30 Uhr Voraufsicht im Bereich Marktplatz und der Altstadt ... betrieben. |
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| | Gegen 18.00 Uhr wurden auf dem Marktplatz in ... insgesamt 42 Personen, aufgeteilt in 6 Teilgruppen, festgestellt. Keiner der Personen trug einen Mund-Nasen-Schutz. Die Mindestabstände wurden weitestgehend eingehalten. Kundgebungsutensilien wurden nicht mitgeführt. |
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| | Da sich jedoch aufgrund der Gesamtsituation und der abschließenden Bewertung konkrete Hinweise ergaben, dass es sich um eine Versammlung handelte, wurden gegen 18.10 Uhr Megafon-Durchsagen seitens der Polizei getätigt, worin die Versammlungsteilnehmer über das geltende Versammlungs- und Ansammlungsverbot im gesamten Stadtgebiet von ... informiert wurden. |
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| | Aufgrund der Durchsagen kam es zu spontanen Unmutsäußerungen und Beifallsbekundungen seitens der Versammlungsteilnehmer. |
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| | Hierbei konnte einer Person dabei beobachtet werden, wie sie die übrigen Personen immer wieder ansprach und zu den Beifallsbekundungen aufforderte. Dieser Person wurde dann aufgrund ihres Verhaltens als Versammlungsleiterin seitens der Polizei benannt, da sie augenscheinlich auf den Versammlungsverlauf einwirkte. |
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| | Nach einer weiteren Aufforderung gab sich von den Versammlungsteilnehmern niemand zu erkennen, der bereit war, die Versammlung bei der Polizei anzumelden. Daraufhin und aufgrund der vorliegenden Störungen, auch hinsichtlich der Nichteinhaltung der Corona-VO, erfolgte die Auflösung der Versammlung gegen 18.30 Uhr. |
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| | Ein Teil der Personen entfernte sich in der Folge selbständig vom Versammlungsort. Die übrigen Personen entfernten sich erst nach einer nochmaligen Aufforderung. |
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| | Lediglich eine einzelne Person wollte den Versammlungsort vehement nicht verlassen, weshalb eine Identitätsfeststellung bezüglich der daraus vorliegenden Ordnungswidrigkeit erfolgte. |
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| | Diese Maßnahme hatte augenscheinlich die Auswirkung, dass sich alle ehemaligen Versammlungsteilnehmer, welche sich noch vereinzelt im Umfeld aufhielten, die weitere Heimreise antragen. |
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| | Im Rahmen der Nachaufsicht ergaben sich keine weiteren besonderen Vorkommnisse. |
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| | Anzahl der eingesetzten Kräfte: (Gesamtzahl) |
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| | Nach den Angaben des Leiters des Ordnungsamtes der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren liegen ferner Erkenntnisse dahingehend vor, dass es auch am ..., den ....01.2022, oder ..., den ....01.2022, zu nicht angezeigten, inhaltlich gegen staatliche Corona-Schutzmaßnahmen gerichteten Versammlungen kommen könne (vgl. den Telefonvermerk der Berichterstatterin vom 15.01.2022). |
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| | Mit am 15.01.2022 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsteller das Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz ersucht. Der genannte Schriftsatz gibt unter „Betreff“ Folgendes an: |
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| | „Widerspruch - Eilantrag - Vorab per Fax |
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| | Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung der Stadt ... vom 20.12.2021 sowie Eilantrag auf Erlass einer aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs durch das Verwaltungsgericht […]“ |
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| | Er begehrt festzustellen, dass die angegriffene Allgemeinverfügung ein präventives Versammlungsverbot darstelle, welches nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Versammlungsfreiheit genüge und daher gegen Artikel 8 Abs. 1 Grundgesetz verstoße. Hierzu verweist er auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.01.2022 (- 1 K 80/22 -), welches damit eine ähnlich lautende Allgemeinverfügung der Stadt ... für nichtig erklärt habe. Er ist ferner der Auffassung, dass die Bekanntmachung der Allgemeinverfügung nicht in der vorgeschriebenen Form erfolgt sei. Die Behauptung der Antragsgegnerin, dass eine rechtzeitige Bekanntmachung in der vorgeschriebenen Form nicht möglich gewesen sei, könne sich allenfalls auf die Untersagung der Veranstaltung für den 21.12.2021 (Ziffer 1 a) der Allgemeinverfügung) beziehen. Die Allgemeinverfügung solle nach ihrem Wortlaut jedoch bis zum 31.01.2022 gelten, weshalb die Ziffern 1 b) und 1 c) in der vorgeschriebenen Form gegebenenfalls mit getrennter Verfügung bekannt gegeben werden könnten und müssten. Daher sei auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung bezüglich der Ziffern 1 b) und 1 c) der Allgemeinverfügung rechtswidrig. |
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| | Der Antragsteller beantragt wörtlich, |
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| | die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung der Stadt ... vom 20.12.2021 zu erlassen. |
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| | Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß, |
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| | Sie trägt zunächst vor, dass ihr bislang kein Widerspruch des Antragstellers vorliege. Werde kein Widerspruch eingelegt, liege kein Rechtsbehelf vor, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden könnte, weshalb ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO dann bereits nicht statthaft sei. Der Gesetzgeber habe mit der Vorschrift des § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO klargestellt, dass hiernach ein Eilantrag schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig sei, von der Einlegung eines Widerspruchs habe der Gesetzgeber damit hingegen gerade nicht befreit (hierfür verweist die Antragsgegnerin auf einen Beschluss der Kammer vom 29.01.2021 - 14 K 303/21 -). |
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| | Im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers zur formellen Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass nach § 41 Abs. 4 LVwVfG die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsaktes bereits dadurch bewirkt werde, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht werde. In der ortsüblichen Bekanntmachung sei anzugeben, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden könnten. Der Verwaltungsakt gelte zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntmachung als bekannt gegeben. In einer Allgemeinverfügung könne ein hiervon abweichender Tag, jedoch frühestens der auf die Bekanntmachung folgende Tag bestimmt werden. Das amtliche Bekanntmachungsblatt in ... erscheine jeden Mittwoch. Da das Versammlungsverbot bereits am Dienstag, den 21.12.2021, habe gelten sollen und erst am Montag, den 20.12.2021, veranlasst worden sei, habe es einer Notbekanntmachung gemäß § 1 Abs. 5 der DVO zur GemO bedurft. Hiernach könne die öffentliche Bekanntmachung in anderer geeigneter Weise durchgeführt werden (Notbekanntmachung), wenn eine rechtzeitige Bekanntmachung in der nach den Absätzen 1 bis 4 vorgeschriebenen Form nicht möglich erscheine. Die Bekanntmachung sei in der nach den Absätzen 1 bis 4 vorgeschriebenen Form zu wiederholen, sobald die Umstände dies zuließen. Dies sei auch umgehend veranlasst worden. Zum einen sei die Bekanntmachung im Amtsblatt der Antragsgegnerin zum nächstmöglichen Zeitpunkt, nämlich am 12.01.2022, bekannt gemacht worden. Außerdem sei die Allgemeinverfügung noch am 20.12.2021 auf ihrer Homepage veröffentlicht worden. Zum anderen müsse nach § 2 der Satzung der Stadt ... über die Form der öffentlichen Bekanntmachung ein Einrücken des vollen Wortlauts in den „... Nachrichten“ erfolgen, wenn das Erscheinen des Amtsblattes aus Gründen unterbleibe, die die Antragsgegnerin nicht zu vertreten habe. Auch dies sei erfolgt. |
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| | Im Vorfeld zum Erlass der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin seien u.a. im Landkreis ... bereits einige Versammlungen von größerem Ausmaß zu verzeichnen gewesen, etwa eine 300 Personen starke Versammlung in Walzbachtal-Jöhlingen am 16.12.2021, eine unangemeldete Demonstration mit 2.000 Personen in Mannheim trotz eines Versammlungsverbotes am 20.12.2021 sowie drei Versammlungsaufzüge in Karlsruhe am 20.12.2021. Darüber hinaus sei in dem Telegramkanal eines amtsbekannten Gegners der Corona-Maßnahmen ein Aufruf zu Spaziergängen u.a. in ... erfolgt. Da dieser in der Vergangenheit bereits mehrfach bei Versammlungen und unangemeldeten Ansammlungen während der Ausgangssperre im April 2021 in ... in Erscheinung getreten sei, habe die Antragsgegnerin den Aufruf zu Spaziergängen, insbesondere auch in ... am 21.12.2021, sehr ernst genommen. Durch diese Vorkommnisse sei bereits bekannt gewesen, dass Versammlungen mit gemeinschaftlichem Protest gegen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie regelmäßig über Messengerdienste verabredet und ohne Anmeldung durchgeführt worden seien. Diese Vorgehensweise ziele darauf ab, die Festsetzung von Auflagen unmöglich zu machen. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass bei solchen Versammlungen die Ge- und Verbote der CoronaVO (z.B. Einhaltung der infektiologischen Auflagen, insbesondere die Maskenpflicht) regelmäßig missachtet würden. |
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| | Ein Verbot nicht abschließend aufgezählter, aber charakterlich beschriebener Versammlungen dürfe auch in Betracht kommen, wenn mit überdurchschnittlicher Wahrscheinlichkeit mit nicht angemeldeten Versammlungen zu rechnen sei. Dass dieser Fall auch in ... eintreten könne, sei u.a. durch den Aufruf in dem genannten Telegramkanal deutlich geworden. An dem in dem Aufruf besagten Termin am 21.12.2021 habe sich die einschlägige Klientel mit Kerzen und Laternen zu einem „Lichterspaziergang“ auf dem Marktplatz in ... eingefunden. Die Ortspolizeibehörde und die Landespolizei seien vor Ort gewesen. Nach erfolgter Ansprache durch die Landespolizei hätten sich die Teilnehmer an die Abstandsvorgaben gehalten und es sei nicht zu einem Aufzug gekommen. Ein versammlungsähnlicher Charakter habe dabei nicht festgestellt werden können. Dennoch sei deutlich geworden, dass die Teilnehmer dem Aufruf aus dem Telegramkanal gefolgt seien und, wenn die Polizei nicht vor Ort gewesen wäre, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit den Lichterspaziergang auch durchgeführt hätten. Dass das Versammlungsverbot vollkommen berechtigt und notwendig sei, zeige auch das Vorkommnis vom 10.01.2022, bei dem durch die Polizei eine nicht angemeldete Versammlung auf dem ... Marktplatz mit 42 Teilnehmern festgestellt worden sei, die allesamt keine Maske getragen hätten. Diese Versammlung habe durch die Polizei aufgrund der bestehenden Allgemeinverfügung aufgelöst werden können, so dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung und insbesondere auch der Infektionsschutz gewahrt worden seien. Dass auch weiterhin zu sogenannten Corona-Spaziergängen aufgerufen werde, zeige auch ein aktueller Flyer. Hinsichtlich all dieser Feststellungen sei die Allgemeinverfügung das zielführende Mittel, um gegen die sich häufenden unangemeldeten Versammlungen vorzugehen. |
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| | Durch das Versammlungsverbot solle die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere des Infektionsschutzes, in der Stadt ... gewährleistet werden. Bei dieser Sachlage sei das präventive Versammlungsverbot anmeldefähiger, aber nicht angemeldeter Versammlungen, die sich gegen die Coronamaßnahmen richteten, geeignet, das Risiko potentieller Übertragungen von SARS-CoV-2 auf diesen nicht angemeldeten Versammlungen zu verringern. Diese Verpflichtung erscheine auch erforderlich, weil keine mildere, aber gleich geeignete Maßnahme ersichtlich sei. Als eine solche dürften hier insbesondere nicht beschränkende Auflagen wie die Verpflichtung, während der Versammlung eine medizinische Maske zu tragen, in Betracht kommen, da es der Behörde gerade durch die geplante „Nichtanmeldung“ unmöglich gemacht werde, durch vorherige Kooperation mit der Versammlungsleitung mildere Maßnahmen abzustimmen. Denn die Durchführung angemeldeter Versammlungen, die in der Regel entsprechenden Auflagen unterlägen, die durch die Polizei dann in Zusammenarbeit mit Versammlungsleitung und Ordnern auch durchsetzbar seien, ohne dass die Versammlung aufgelöst werden müsse, bleibe weiterhin erlaubt (hierfür wird verwiesen auf VG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2021 - 3 K 4579/21 -). Rechtzeitig angemeldete Versammlungen fielen danach nicht unter das gegenständliche Versammlungsverbot, wovon auch der Antragsteller Kenntnis habe, da er jeden Sonntag an der in ... stattfindenden und ordnungsgemäß angemeldeten Versammlung „Meditation für die Freiheit und unser Grundgesetz“ teilnehme. Er sei dort nach den Feststellungen der Antragsgegnerin regelmäßig anwesend und auch schon als Versammlungsleiter benannt bzw. im Leitungskreis bzw. Ordnungsdienst tätig gewesen. |
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| | Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die vorab per E-Mail vorgelegten Dokumente der Antragsgegnerin Bezug genommen. |
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| | Der auszulegende Antrag des Antragstellers ist zulässig und auch begründet. |
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| | Der Antrag des Antragstellers ist sachdienlich dahingehend auszulegen (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO), dass dieser die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 15.01.2022 gegen Ziffer 1 c) der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 20.12.2021 sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen deren Ziffer 2 begehrt, soweit sich diese auf die Ziffer 1 c) bezieht. |
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| | Ein Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung gegen die Ziffern 1 a) und 1 b) der Verfügung vom 20.12.2021 ginge ins Leere. Diese beiden Verwaltungsakte haben sich durch Zeitablauf erledigt, § 43 Abs. 2 LVwVfG. Erledigung tritt ein durch den Wegfall der mit einer angefochtenen Regelung verbundenen Beschwer, also durch den Wegfall ihrer intendierten Regelungswirkung (vgl. dazu nur NK-VwGO/Heinrich Amadeus Wolff, 5. Auflage 2018, VwGO § 113 Rn. 247). Unter Ziffer 1 a) wurde eine konkrete Versammlung für den in der Vergangenheit liegenden Dienstag, 21.12.2021, ab 18:00 Uhr untersagt; unter Ziffer 1 b) wurde jede nicht angezeigte und nicht behördlich bestätigte Ersatzversammlung der unter Ziffer 1 a) genannten Versammlung auf der Gemarkung der Antragsgegnerin untersagt. Von beiden Verwaltungsakten geht derzeit keine Regelungswirkung mehr aus. Demgegenüber ist die - vom Antragsteller mit seinem Eilantrag in der Sache allein in Bezug genommene - Anordnung unter Ziffer 1 c) ein Dauerverwaltungsakt, der gemäß Nr. 5 am 31.01.2022 außer Kraft tritt, soweit er nicht vorher aufgehoben wird. |
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| | 1. In diesem Sinne verstanden, ist der Antrag zulässig. |
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| | Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 15.01.2022 gegen die für sofort vollziehbar erklärte Ziffer 1 c) der Verfügung der Antragsgegnerin vom 20.12.2021 wiederherzustellen, ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaft, die Statthaftigkeit des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen Ziffer 2 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung richtet sich nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1, Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 12 LVwVG. |
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| | a) Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller im zeitlichen Vorfeld seines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz keinen Widerspruch gegen die streitgegenständliche Verfügung unmittelbar bei der Antragsgegnerin erhoben hat. Zwar weist die Antragsgegnerin zutreffend darauf hin, dass kein Rechtsbehelf vorliegt, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden könnte (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO), wenn kein Widerspruch eingelegt wird. Mangels Vorliegen eines Rechtsbehelfs ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO dann bereits nicht statthaft. Aus § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO folgt nichts Anderes. Der Gesetzgeber hat in dieser Vorschrift klargestellt, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig ist. Von der Einlegung eines Widerspruchs hat der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift hingegen gerade nicht befreit. Auch das in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG normierte Gebot effektiven Rechtschutzes führt zu keiner anderen Auslegung. Nimmt jemand gerichtlichen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Anspruch, so ist ihm auch zuzumuten, einen Widerspruch einzulegen. Das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO dient nicht dazu, die Auffassung des Gerichts zu einer Rechtsfrage zu erfahren, bevor die Entscheidung zur Erhebung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache getroffen wird oder überhaupt getroffen werden kann. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist in diesen Fällen daher unzulässig (vgl. zum Ganzen den von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Beschluss der Kammer vom 29.01.2021 - 14 K 303/21 -, n.v., BA S. 2; bestätigt durch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.01.2021 - 1 S 138/21 -, n.v., jeweils m.w.N.). |
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| | Vorliegend dürfte der Antragsgegner jedoch mit der Übersendung seines Schriftsatzes vom 15.01.2021 durch das Gericht an die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt haben. |
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| | Bei der Einlegung des Widerspruchs handelt es sich um einen vorprozessualen Rechtsbehelf. Bei dessen Auslegung sind ebenso wie bei der Auslegung von Prozesshandlungen die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) anzuwenden (vgl. Schoch/Schneider/Dolde/Porsch, VwGO, 40. EL Februar 2021, § 68 Rn. 35 m.w.N.). Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger erkennbar wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1990 - 8 C 70.88 -, juris Rn. 23). Maßgeblich für den Inhalt eines Antrages oder Rechtsbehelfs ist daher, wie die Behörde ihn unter Berücksichtigung aller ihr erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben zu verstehen hatte (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2000 - 8 C 28.99 -, juris Rn. 14). Dabei muss sich die Auslegung auf den Schriftsatz in seiner Gesamtheit und das mit ihm erkennbar verfolgte Rechtsschutzziel beziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.12.1998 - 1 B 110.98 -, juris Rn. 9). Bei der Ermittlung des wirklichen Willens ist nach anerkannter Auslegungsregel zugunsten des Bürgers davon auszugehen, dass er denjenigen Rechtsbehelf einlegen will, der nach Lage der Sache seinen Belangen entspricht und eingelegt werden muss, um den erkennbar angestrebten Erfolg zu erreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1990 - 8 C 70.88 -, juris Rn. 23). |
|
| | Ein Schriftsatz an das Verwaltungsgericht - Klage, Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz oder ein im Verfahren eingereichter Schriftsatz -, der - auch wenn er im Hinblick auf das rechtliche Gehör gemäß § 86 Abs. 4 Satz 3 VwGO den übrigen Beteiligten zu übermitteln ist - in erster Linie für das Gericht bestimmt ist, kann danach nur dann zugleich als an die Behörde gerichteter Widerspruch gemäß § 69 VwGO gewertet werden, wenn darin mit hinlänglicher Deutlichkeit zugleich der Wunsch nach Einleitung und Durchführung des förmlichen Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO bei der Behörde zum Ausdruck gebracht wird. Bei einer Erklärung, die nicht unmittelbar an die Behörde gerichtet ist, um deren Verwaltungsakt es geht, kann im Hinblick auf die für eine verfahrenseinleitende Handlung notwendige Klarheit auf dieses Erfordernis nicht verzichtet werden (vgl. Hamburgisches OVG, Urteil vom 28.07.1995 - Bf IV 14/94 -, juris Rn. 46; sowie zuletzt den Beschluss der Kammer vom 30.07.2021 - 14 K 1992/21 -, juris Rn. 37 f. m.w.N.). |
|
| | Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe dürfte der Antragsteller hier mit Übersendung des Schriftsatzes vom 15.01.2022 zugleich Widerspruch eingelegt haben. So führt er unter Betreff an erster Stelle das Schlagwort „Widerspruch“ und erst als zweites - durch einen Bindestrich hierzu abgegrenzt - „Eilantrag“ an. Auch im zweiten Absatz seiner unter „Betreff“ gehaltenen Ausführungen bringt der Antragsteller durch die Wahl des Verknüpfungswortes „sowie“ zum Ausdruck, dass er mit seinem Schriftsatz zwei rechtlich voneinander abgrenzbare Begehren verfolgt, nämlich, dass er einerseits „Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung der Stadt ... vom 20.12.2021“ erheben und andererseits das Gericht um Eilrechtsschutz ersuchen möchte. |
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| | b) Dem Antragsteller fehlt es auch nicht an der Antragsbefugnis. Nach - auch im einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotener - entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO, die insoweit ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechts zum Ausdruck bringt, muss unter Zugrundelegung der Darlegungen des Antragstellers die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts durch die streitgegenständliche Allgemeinverfügung möglich erscheinen. Dies ist hier der Fall. Die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 20.12.2021 regelt in Ziffer 1 c) ein präventives, vom 21.12.2021 bis zum 31.01.2022 geltendes Verbot bezüglich aller mit generellen Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ in Zusammenhang stehenden, nicht angezeigten und behördlich bestätigten Versammlungen und Ersatzversammlungen auf der Gemarkung der Antragsgegnerin. Der Antragsteller wohnt in einer Nachbargemeinde der Antragsgegnerin und nimmt regelmäßig an der jeweils sonntags in ... stattfindenden und ordnungsgemäß angemeldeten Versammlung „Meditation für die Freiheit und unser Grundgesetz“ teil. In Anbetracht dessen erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsteller im Geltungszeitraum der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung auch die Teilnahme an nicht angezeigten Versammlungen, die sich inhaltlich gegen staatliche Corona-Maßnahmen richten, beabsichtigt. Damit bestehen hinreichende Anhaltspunkte, die eine mögliche Verletzung des Antragstellers in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) durch die angefochtene Allgemeinverfügung begründen. |
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| | 2. Der Antrag ist auch sowohl hinsichtlich Ziffer 1 c) der angegriffenen Allgemeinverfügung vom 20.12.2021 (unter a) als auch hinsichtlich deren Ziffer 2, soweit diese sich auf Ziffer 1 c) bezieht (unter b), begründet. |
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| | a) Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn die Behörde den Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Das Gericht trifft seine Entscheidung aufgrund einer eigenen Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Interesse an der Aussetzung der Vollziehung, die sich an den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs orientiert (näher hierzu W.-R. Schenke, in: Kopp/derselbe, VwGO-Kommentar, 26. Auflage 2020, § 80 Rn. 152 ff.). Stellen sich die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs als offen dar, ist eine reine Interessenabwägung im Sinne einer umfassenden Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.03.1997 - 13 S 1132/96 -, juris Rn. 3; Sächsisches OVG, Beschluss vom 17.09.2010 - 2 B 168/10 -, juris Rn. 11). Allerdings müssen die Verwaltungsgerichte zum Schutz von Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. hierzu nur BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, NVwZ 2013, S. 570 Rn. 18 m.w.N. zur Rspr. des BVerfG). |
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| | Daneben ist vom Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch zu überprüfen, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung i.S.d. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO formell ordnungsgemäß begründet worden ist. Ist dies nicht geschehen, wird die Vollziehbarkeitsanordnung schon aus diesem Grunde aufgehoben (vgl. dazu nur Hoppe, in: Eyermann, VwGO-Kommentar, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 98 m.w.N. zur Rspr.). |
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| | Die formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO sind gewahrt (unter aa). Der hier erhobene Widerspruch wird voraussichtlich Erfolg haben, denn die Verfügung in Ziffer 1 c) der genannten Allgemeinverfügung erweist sich bei summarischer Prüfung auf der Grundlage des jetzigen Sach- und Streitstands als voraussichtlich rechtswidrig, sodass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers die öffentlichen Interessen an deren Vollziehung überwiegt (unter bb). |
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| | aa) Die Anordnung des Sofortvollzuges hinsichtlich Ziffer 1 c) der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung ist formell rechtmäßig, da sie den Begründungsanforderungen aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt. Danach ist in den Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Diese Begründung erfordert eine auf den konkreten Fall abgestellte schlüssige, substantiierte und nicht lediglich formelhafte Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehung notwendig ist und dass hinter dieses öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm angegriffenen Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2018 - 5 S 548/18 -, juris Rn. 8). Im Bereich des Gefahrenabwehrrechts kann das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung ausnahmsweise mit dem Interesse am Erlass des Grundverwaltungsakts identisch sein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.02.2020 - 10 S 625/19 -, juris Rn. 6). |
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| | Diesen Anforderungen wird die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Ziffer 3 der Verfügung noch gerecht. Sie führt unter erkennbarem Bezug auf die vorangegangene ausführliche Begründung sowie unter ausdrücklichem Bezug auf ein im Zeitpunkt des Erlasses vorliegendes hochdynamisches Infektionsgeschehen mit einer raschen Ausbreitung der besorgniserregenden Omikron-Variante aus, dass das Verbot der nicht angemeldeten Versammlungen nicht während eines möglichen Widerspruchsverfahrens ausgesetzt werden dürfe, da sonst die dringende Gefahr irreparabler Schäden für die betroffenen Rechtsgüter, insbesondere des Schutzes von Leib und Leben, bestünde. |
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| | bb) Die Anordnung des Sofortvollzugs ist jedoch in materieller Hinsicht nicht gerechtfertigt. Gemessen an dem oben genannten Maßstab überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 c) der Allgemeinverfügung vom 20.12.2021, da das dort angeordnete präventive, vom 21.12.2021 bis zum 31.01.2022 geltende Verbot bezüglich aller mit generellen Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ in Zusammenhang stehenden, nicht angezeigten und behördlich bestätigten Versammlungen und Ersatzversammlungen auf der Gemarkung der Antragsgegnerin unabhängig vom Wochentag und unabhängig davon, ob einmalig oder wiederkehrend stattfindend, nach summarischer Prüfung derzeit rechtswidrig sein dürfte. |
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| | Die Antragsgegnerin hat die Allgemeinverfügung vom 20.11.2021 aller Voraussicht nach zutreffend auf § 15 Abs. 1 VersG gestützt (unter aaa). Auch dürfte deren formelle Rechtmäßigkeit gegeben sein (unter bbb). Allerdings dürfte das in Ziffer 1 c) der Allgemeinverfügung enthaltene präventive Versammlungsverbot materiell rechtswidrig sein, da die tatbestandlich vorausgesetzte unmittelbare Gefährdungslage nach summarischer Prüfung derzeit nicht vorliegen dürfte bzw. mildere Mittel zu deren Abwendung in Betracht kämen und auch die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands nicht gegeben sein dürften (unter ccc). |
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| | aaa) Die Antragsgegnerin hat das in Ziffer 1 c) ihrer Allgemeinverfügung vom 20.11.2021 verfügte präventive Verbot zutreffend auf § 15 Abs. 1 VersG gestützt, da die dem Wortlaut der Verfügung nach in Bezug genommenen „mit generellen Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ in Zusammenhang stehenden […] Versammlungen und Ersatzversammlungen“ dem Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes sowie des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen (unter (1) und insoweit trotz Auslaufens der epidemischen Lage von nationaler Tragweite auch § 28a Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) keine Sperrwirkung entfaltet (unter (2). |
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| | (1) Die durch das präventive Verbot in Ziffer 1 c) der Allgemeinverfügung vom 20.11.2021 in Bezug genommenen Zusammenkünfte unterfallen dem Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes sowie des Art. 8 Abs. 1 GG. |
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| | Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. zum Ganzen zuletzt BVerfG, Beschluss vom 30.08.2020 - 1 BvQ 94/20 -, juris Rn. 14 m.w.N.). |
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| | Der Versammlungsbegriff ist im Versammlungsgesetz nicht definiert. Nach ständiger Rechtsprechung ist unter einer Versammlung in Übereinstimmung mit dem verfassungsrechtlichen Begriff der Versammlung im Sinne des Art. 8 GG, der nicht gleichbedeutend mit dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ist, die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung zu verstehen. Für die Bejahung der Versammlungseigenschaft genügt danach nicht schon jeder beliebige von einer Personengruppe verfolgte Zweck. Einen abweichenden Schluss rechtfertigt auch die Bestimmung des § 17 VersG nicht, wonach die §§ 14 bis 16 VersG nicht für Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegräbnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste gelten. Bei der Vorschrift handelt es sich um eine entbehrliche Klarstellung, da die genannten Veranstaltungen ohnehin regelmäßig nicht auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind. Die Ansicht, wonach sich hieraus im Umkehrschluss ein weiter Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes ableiten lasse, übersieht, dass es sich bei § 17 VersG um die nur historisch zu erklärende unreflektierte Übernahme früherer, insbesondere staatskirchenrechtlich begründeter Regelungen handelt, die nicht geeignet ist, den Begriff der Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes verallgemeinerungsfähig zu erhellen. Hinzukommt, dass sich ein derart weitreichendes Begriffsverständnis verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sähe, da der Bund nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG a.F. die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht nur im Umfang des grundgesetzlichen Versammlungsbegriffes im Sinne des Art. 8 GG hatte (vgl. zum Ganzen zuletzt VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.2021 - 1 S 803/19 -, juris Rn. 42 f. m.w.N.). |
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| | Die Beurteilung, ob eine „gemischte“ Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die Verfassung der Versammlungsfreiheit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Die Betrachtung ist aber nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die nicht von einem Außenstehenden „vor Ort“ wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16.05.2007- 6 C 23.06 -, juris Rn. 17 = BVerwGE 129, 42 m.w.N.) |
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| | Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind. Schließlich sind - in einem dritten Schritt - die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. Überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln (vgl. nochmals BVerwG, Urteil vom 16.05.2007- 6 C 23.06 -, juris Rn. 18 = BVerwGE 129, 42 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01 -, juris Rn. 29, wonach der hohe Rang der Versammlungsfreiheit bewirkt, dass die Veranstaltung im Zweifel wie eine Versammlung behandelt wird). |
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| | Ausgehend von diesen Grundsätzen zielt Ziffer 1 c) der Allgemeinverfügung vom 20.12.2021 auf die Untersagung von Zusammenkünften ab, die dem Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes unterfallen. Dies gilt insbesondere soweit Ziffer 1 c) ausweislich des weit gefassten Wortlauts sowie der diesbezüglichen Begründung der Allgemeinverfügung vom 20.12.2021 auch solche im Zusammenhang mit generellen Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ stehenden Zusammenkünfte erfasst, in denen Personen sich scheinbar spontan, aber in Wirklichkeit „zielgerichtet treffen, um gemeinsam - ohne Plakate und Parolen - […] eine Wegstrecke zu absolvieren“ (vgl. hierzu Seite 4, letzter Absatz der Begründung der Allgemeinverfügung vom 20.11.2021). |
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| | Angesichts einer dieser Vorgehensweise entsprechenden in jüngster Zeit bundesweit, aber auch in Baden-Württemberg und insbesondere auch im Landkreis ... zu beobachtenden Praxis stiller Aufzüge, der regelmäßig der Aufruf zu einem „(Montags-)Spaziergang“ in den sozialen Netzwerken oder Messengerdiensten vorausging (vgl. zu dieser Praxis: Meldung der Polizei ... vom 20.12.2021 über am selben Tage im Stadtgebiet Karlsruhe, in Bruchsal sowie in Ettlingen erfolgte, als „Spaziergänge“ deklarierte Aufzüge, URL: https://meinka.de/spaziergaenge-mehrere-corona-aufzuege-im-stadt-landkreis-karlsruhe/; Ausführungen der Antragsgegnerin zu einer nach einem am 20.12.2021 erfolgten Telegram-Aufruf zum „Montagsspaziergang“ erfolgten Zusammenkunft mehrerer Personen mit Kerzen und Laternen auf dem Marktplatz der Stadt ... am 21.12.2021; Artikel der BNN vom 16.12.2021 zu einer am selben Tage von ca. 100 Teilnehmern in Walzbachtal-Jöhlingen durchgeführten Lichterkette, zu der auf Facebook aufgerufen worden war, um Unmut gegen eine mögliche Impfpflicht und gegen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu äußern; URL: https://bnn.de/karlsruhe/pfinztal/walzbachtal/querdenker-demonstration-joehlingen-polizei-teilnehmer-veranstaltung-lichterkette), dürften Zusammenkünfte dieser Art, die von den Teilnehmenden als „Spaziergang“ bezeichnet werden, auch aus Sicht eines verständigen Außenstehenden als Äußerung (stillen) Protests gegen staatliche Corona-Schutzmaßnahmen verstanden werden. |
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| | Insbesondere kann gerade im Kontext der Corona-Schutzmaßnahmen, die ihrem Inhalt nach auf eine Verringerung von Sozialkontakten ausgerichtet sind, dem im Zuge der sogenannten „Spaziergänge“ erfolgenden verdichteten Zusammenkommen größerer Personenmehrheiten bereits an sich, wenn auch nicht zwingend, der Bedeutungsgehalt einer körperlichen Sichtbarmachung des kollektiven Unmuts gegen geltende Kontaktbeschränkungen zukommen. Auch der Umstand, dass die Aufrufe zu solchen Zusammenkünften in der Regel - wie auch hier - innerhalb von Gruppen auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder Messengerdiensten wie Telegram erfolgen, in denen sich Gegner staatlicher Corona-Schutzmaßnahmen zum Meinungsaustausch treffen, spricht dafür, dass auch mit den „Spaziergängen“ an sich die gemeinschaftliche Kundgabe einer gegen diese Maßnahmen gerichteten Meinung verfolgt wird. Soweit die Veranstalter bzw. Teilnehmer solcher „Spaziergänge“ sich hiervon abweichend jedenfalls teilweise dahingehend äußern, dass diese nur der Erholung und Regenerierung dienten (vgl. beispielhaft den von der Antragsgegnerin hier in Bezug genommenen Aufruf vom 20.12.2021 im Telegram-Kanal „...“: „Spaziergänge an der frischen Luft stärken das Immunsystem, steigern Kreativität und lindern gleichzeitig Depressionen!!!), dürfte es sich hierbei vordringlich um den Versuch handeln, durch Vorspiegelung einer apolitischen Zielrichtung das Rechtsregime des Versammlungsrechts in seinen als nachteilig empfundenen Auswirkungen - insbesondere hinsichtlich der grundsätzlichen Anzeigepflicht nach § 14 Abs. 1 VersG sowie der damit einhergehenden Möglichkeit der Versammlungsbehörden, im Vorfeld Auflagen zu erlassen - zu umgehen, ohne jedoch das primär verfolgte kommunikative Anliegen in Frage zu stellen. |
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| | Für Letzteres spricht insbesondere auch, dass die in der Regel gewählten Ausgangs- und oder Zielpunkte dieser Spaziergänge, namentlich öffentliche Plätze und Straßen im Innenstadtgebiet (vgl. die Meldung der Polizei ... vom 20.12.2021 über am selben Tage im Stadtgebiet Karlsruhe erfolgte „Spaziergänge“ auf dem Stephansplatz, dem Marktplatz und der Kaiserstraße, URL: https://meinka.de/spaziergaenge-mehrere-corona-aufzuege-im-stadt-landkreis-karlsruhe/; Artikel der BNN vom 16.12.2021 zu einer am 16.12.2021 von ca. 100 Teilnehmern in Walzbachtal-Jöhlingen auf dem dortigen Kirchplatz durchgeführten Lichterkette; URL: https://bnn.de/karlsruhe/pfinztal/walzbachtal/querdenker-demonstration-joehlingen-polizei-teilnehmer-veranstaltung-lichterkette; Ausführungen der Antragsgegnerin zu einer einem Telegram- Aufruf zum „Montagsspaziergang“ gefolgten Zusammenkunft mehrerer Personen mit Kerzen und Laternen auf dem Marktplatz der Stadt ... am 21.12.2021), aufgrund der mit dem städtischen Umfeld im Vergleich zu einer natürlichen Umgebung verbundenen Lärm- und Abgaseinwirkungen gerade nicht typische Örtlichkeiten eines Erholungszwecken dienenden Spazierausflugs darstellen. Der größtmöglichen öffentlichen Sichtbarmachung eines kommunikativen Anliegens dürften diese Örtlichkeiten hingegen förderlich sein. Schließlich dürfte unter Berücksichtigung der genannten Aussagen zur gesundheitlich vorteilhaften Wirkung von Spaziergängen nicht auszuschließen sein, dass gerade indem in Gestalt des vordergründigen „Erholungsspaziergangs“ auf staatliche Konzepte des Gesundheitsschutzes angespielt wird, die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen, denen ebendieser Gesundheitsschutz maßgeblich zu Grunde liegt, als im Vergleich überzogen und unverhältnismäßig dargestellt werden sollen. |
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| | Die rechtliche Qualifikation einer Zusammenkunft als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes bzw. des Art. 8 Abs. 1 GG anhand der genannten Maßstäbe der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird indes allein durch deren auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Zweck bestimmt und unterliegt in ihren rechtlichen Konsequenzen nicht der Verfügungsmacht des Veranstalters bzw. der Teilnehmenden. Durch die - rechtlich danach nicht maßgebliche - „Bezeichnung“ als Spaziergang eines letztlich der (mehr oder weniger stillen) Bekundung von Unmut gegenüber staatlichen Corona-Maßnahmen dienenden Aufzugs und das hiermit zuletzt vielfach verknüpfte Unterlassen einer Anzeige nach § 14 Abs. 1 VersammlG begeben sich die teilnehmenden Personen in der Konsequenz - auch zu ihrem eigenen Nachteil - der Möglichkeit, etwaige Auflagen in einem - noch das Ersuchen einstweiligen Rechtsschutzes ermöglichenden - zeitlichen Vorfeld zu erhalten. Wird eine Versammlung solchermaßen „planvoll“ nicht angezeigt und können etwaige Auflagen daher erst während deren Ablauf ergehen, können die Betroffenen mithin nur noch auf die - im Ergebnis weniger rechtsschutzintensive - nachträgliche Feststellung einer etwaigen Rechtswidrigkeit der im Regelfall bereits durch Zeitablauf erledigten versammlungspolizeilichen Maßnahmen verwiesen werden. |
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| | bb) Soweit in Teilen der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zuletzt die Frage aufgeworfen wurde, ob in der aktuellen Fassung von § 28a Abs. 1 Nr. 10 i.V.m. Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 IfSG eine infektionsschutzrechtliche Spezialregelung zu sehen ist, die eine Sperrwirkung gegenüber § 15 Abs. 1 VersG insoweit entfalten könnte, als sie einen Rückgriff auf diese allgemeine versammlungsrechtliche Befugnis zum Erlass eines Versammlungsverbots bei einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die Verbreitung von COVID-19 jedenfalls grundsätzlich ausschließen könnte, ferner wie weit eine solche Sperrwirkung ggf. reichen würde und ob nicht Ausnahmen von einem solchen Grundsatz zuzulassen wären - namentlich für Fälle, in denen aufgrund des in der Vergangenheit bei vergleichbaren Versammlungen gezeigten Verhaltens der Teilnehmer zu erwarten ist, dass die Versammlungsteilnehmer Schutzmaßnahmen wie ein Abstandsgebot im öffentlichen Raum oder die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (Maskenpflicht) nicht einhalten werden, die unabhängig von der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite infektionsschutzrechtlich erforderlich sein können (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 03.01.2022 - 7 B 10005/22 -, juris Rn. 10; vorgehend VG Neustadt, Beschluss vom 03.01.2022 - 5 L 1276/21.NW -, juris), teilt die Kammer diese rechtlichen Bedenken jedenfalls für Fallgestaltungen wie die vorliegende nicht. |
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| | § 28a Abs. 1 Nr. 10 i.V.m. Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 IfSG in der Fassung vom 10.12.2021 (BGBl. I, S. 5162) sieht vor, dass notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag insbesondere sein können die Untersagung von oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften, wobei diese Regelung nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag nach § 5 Abs. 1 Satz 1 festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite auch angewendet werden kann, soweit und solange die konkrete Gefahr der epidemischen Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) in einem Land besteht und das Parlament in dem betroffenen Land die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 für das Land feststellt, allerdings mit der Maßgabe, dass als Schutzmaßnahmen insoweit die Untersagung von Versammlungen oder Aufzügen im Sinne von Artikel 8 GG und von religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften ausgeschlossen sind. |
|
| | Mit dem hiermit einhergehenden Ausschluss einer Befugnis zugunsten der nach Landesrecht zuständigen Behörden für Maßnahmen auf Grundlage des Infektionsschutzrechts (vgl. § 28 Abs. 1 i.V.m. § 54 IfSG sowie für Baden-Württemberg die Verordnung des Sozialministeriums über Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz - IfSGZustV vom 19.07.2007 und die Verordnung des Sozialministeriums zur Änderung der Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz vom 28.05.2020) dürfte lediglich die bereichsspezifische Befugnis der nach Landesrecht zuständigen Behörden (regelmäßig der Gesundheitsämter) entfallen sein, (allein) auf den Schutz vor infektionsschutzrechtlichen Gefahren zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) gestützte Versammlungsverbote zu erlassen, nicht aber die allgemeine Befugnis der Versammlungsbehörden nach § 15 Abs. 1 VersG, eine Versammlung zu verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist (so im Ergebnis auch VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 - 1 K 80/22 -, n.v., BA S. 6 f. m.w.N.). |
|
| | Ist ein Versammlungsverbot - wie hier die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 20.12.2021 - jedenfalls maßgeblich (auch) aufgrund einer genuin versammlungsrechtlichen Gefahrenprognose ergangen (vgl. im Einzelnen die Begründung der Allgemeinverfügung, dort insb. Seite 4-7), dürfte § 28a Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 IfSG in der Fassung vom 10.12.2021 demgegenüber keine Sperrwirkung entfalten. Einer weitergehendenden Klärung des Verhältnisses zwischen versammlungsrechtlichen und infektionsschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass eines Versammlungsverbots bedurfte es danach hier nicht (vgl. zur Abgrenzung auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.05.2020 - 1 S 1586/20 -, juris, Rn. 8; VG Freiburg, Beschluss vom 05.05.2021 - 1 K 1396/21 -, juris Rn. 9; VG Karlsruhe, Beschluss vom 04.12.2020 - 1 K 5020/20 -, juris, Rn. 17; Kießling, in: dieselbe, IfSG, 2. Auflage 2021, § 28a, Rn. 105 ff.; Wittmann, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht des Bundes und der Länder, 2. Auflage 2020, § 15, Rn. 54 ff.). |
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| | bbb) Die Allgemeinverfügung der ... vom 20.12.2021 ist aller Voraussicht nach auch formell rechtmäßig, insbesondere dürfte sie entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers ordnungsgemäß bekanntgemacht worden sein. |
|
| | Nach § 41 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG wird die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakts dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil ortsüblich bekannt gemacht wird. Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung der Gemeindeordnung vom 11.12.2000 (DVO GemO) können öffentliche Bekanntmachungen der Gemeinde unter anderem durch Einrücken in das eigene Amtsblatt der Gemeinde (Nr. 1), durch Einrücken in eine bestimmte, regelmäßig erscheinende Zeitung (Nr. 2) oder durch Bereitstellung im Internet (Nr. 3) erfolgen, wobei die Form der öffentlichen Bekanntmachung im Einzelnen durch Satzung zu bestimmen ist. Erscheint eine rechtzeitige Bekanntmachung in der vorgeschriebenen Form nicht möglich, so kann die öffentliche Bekanntmachung gemäß § 1 Abs. 5 DVO GemO im Wege der sogenannten Notbekanntmachung, in anderer öffentlicher Weise durchgeführt werden. In diesem Fall ist eine den Vorgaben der § 1 Abs. 1 bis 4 DVO GemO entsprechende öffentliche Bekanntmachung nachzuholen, sobald die Umstände es zulassen. |
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| | Gemessen an diesen Vorgaben dürfte die Antragsgegnerin die Allgemeinverfügung vom 20.12.2021 ordnungsgemäß bekanntgemacht haben. Entgegen der Rechtsansicht des Antragsgegners sollten nicht nur die Ziffern 1 und 2 der Allgemeinverfügung vom 20.12.2021, die sich auf ein für den 21.12.2021 ab ... Uhr auf dem Marktplatz der Antragsgegnerin erwartetes Versammlungsgeschehen bzw. etwaige diesbezügliche Ersatzversammlungen bezogen, sondern auch das in Ziffer 1 c) enthaltene präventive Versammlungsverbot bereits ab dem 21.12.2021 Geltung beanspruchten. Dies gilt hinsichtlich Letzterem insoweit, als hierdurch auch Versammlungen ohne den für eine Einstufung als Ersatzversammlung notwendigen Zusammenhang zum geplanten Versammlungsgeschehen vom 21.12.2021 ab ... Uhr auf dem Marktplatz der Stadt ... erfasst würden. Nachdem die nach § 1 Satz 1 der Satzung der Stadt ... über die Form der öffentlichen Bekanntmachung vom 17.01.1983 (Satzung über öffentliche Bekanntmachungen) grundsätzlich vorgesehene Bekanntmachung durch Einrücken in das „Amtsblatt der Stadt ...“ aufgrund des bereits am 16./17.12.2021 erfolgten Redaktionsschlusses für die Amtsblätter der Kalenderwochen 51 und 52 in diesem Zeitraum jedoch nicht mehr möglich war, stand es der Antragsgegnerin frei, die - gesamte - Allgemeinverfügung zunächst im Wege der Notbekanntmachung durch Bereitstellung des verfügenden Teils auf ihrer Internetseite öffentlich bekanntzumachen. |
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| | Entsprechend den Vorgaben des § 1 Abs. 5 Satz 2 DVO GemO hat sie die öffentliche Bekanntmachung sodann durch Einrücken des verfügenden Teils der Allgemeinverfügung in das Amtsblatt der Stadt ... vom 12.01.2022 nachgeholt und durch dessen zusätzliche Veröffentlichung im Abschnitt „...“ der Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) auch etwaigen, sich für den Fall der Notbekanntmachung aus § 3 ihrer Satzung über öffentliche Bekanntmachungen ergebenden, Anforderungen entsprochen. Schließlich wurde in Übereinstimmung mit § 41 Abs. 4 Satz 2 LVwVfG in der Bekanntmachung - im Internet, in der BNN und im Amtsblatt der Antragsgegnerin - auch darauf hingewiesen, dass die vollständige Begründung während der Öffnungszeiten beim Ordnungs- und Bürgeramt der Antragsgegnerin eingesehen werden könne, wobei aufgrund der Pandemielage gegen den Zusatz, dass es dazu einer Terminvereinbarung bedürfe, nichts einzuwenden sein dürfte. |
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| | ccc) Ziffer 1 c) der Allgemeinverfügung der ... vom 20.12.2021 dürfte jedoch materiell rechtswidrig sein, da die tatbestandlich vorausgesetzte unmittelbare Gefährdungslage nach summarischer Prüfung derzeit nicht vorliegen dürfte bzw. mildere Mittel zu deren Abwendung in Betracht kämen und auch die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands nicht gegeben sein dürften. |
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| | Die Allgemeinverfügung dürfte indes hinreichend bestimmt sein. Hierfür genügt es, dass aus ihrem gesamten Inhalt und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung und aus den den Beteiligten bekannten näheren Um-ständen des Erlasses im Wege einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben ori-entierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann. Durch die Angabe des § 15 Abs. 1 VersG als Rechtsgrundlage und die Verwendung der auch im Versammlungsgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe der Versammlung unter freiem Himmel und des Aufzugs ist hier hinreichend klar, welche Verhaltensweisen von dem Versammlungsverbot erfasst sind. Es wird insbesondere anhand der Begründung der Allgemeinverfügung deutlich, dass die Antragsgegnerin nicht etwa jede (Spontan-)Versammlung im Stadtgebiet zu jedem Thema verbieten will, sondern dass lediglich geplante, aber nicht angemeldete Versammlungen, die sich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen richten, verboten werden sollen. Die Antragsgegnerin führt hierzu in der Begründung aus, dass es die Zielsetzung einer Personenmehrheit, vor allem auch aus dem „Querdenker-Milieu“ sei, Versammlungen ohne die grundsätzlich gebotene Anzeige nach § 14 VersammlG zu ermöglichen. Solche unangemeldeten Versammlungen, die gezielt dem Umgehen von rechtlichen Vorgaben dienten, seien nicht schutzwürdig. Durch diese Ausführungen wird auch für den juristischen Laien erkennbar, dass sich die Untersagung lediglich konkret gegen anmeldefähige, aber entgegen § 14 VersammlG nicht angemeldete Versammlungen und Aufzüge richtet, mit denen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen protestiert werden soll (ebenso VG Karlsruhe, Beschluss vom 23.12.2021 - 3 K 4579/21 -, juris Rn. 32; VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 - 1 K 80/22 -, n.v., BA S. 8 jeweils m.w.N.) |
|
| | Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Nach § 12 Abs. 2 CoronaVO können Versammlungen verboten werden, sofern der Schutz vor Infektionen anderweitig, insbesondere durch Auflagen, nicht erreicht werden kann. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II]). |
|
| | Abweichend vom Wortlaut des § 15 Abs. 1 VersG, bei deren Erlass der Gesetzgeber ersichtlich primär punktuelle und nicht - wie hier - präventive, über einen längeren Zeitraum hinweg wirkende Versammlungsauflagen bzw. -verbote vor Augen hatte, kommt es hier jedoch für die Beurteilung des Vorliegens einer unmittelbaren Gefährdungslage maßgeblich auf die Sachlage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Denn bei dem in Ziffer 1 c) der Allgemeinverfügung enthaltenden präventiven auf den Zeitraum vom 21.12.2021 bis zum 31.01.2022 bezogenen Versammlungsverbot handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt, der seine Regelungswirkung ständig neu entfaltet. Im einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, der sich gegen zukünftige Rechtswirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes richtet, ist dessen Rechtmäßigkeit daher nach der Sach- und Rechtslage zu beurteilen, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht (vgl. zu den unterschiedlichen zeitlichen Ansatzpunkten bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Dauerverwaltungsaktes BVerwG, Beschluss vom 05.01.2012 - 8 B 62.11 -, juris Rn. 13). |
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| | Die Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 GG schließt es nicht von vornherein aus, auf der Grundlage des § 15 VersG auch gegen die gesamte Demonstration ein präventives Verbot anzuordnen. Jedoch ist bevorzugt eine nachträgliche Auflösung zu erwägen, die den friedlichen Teilnehmern die Chance einer Grundrechtsausübung nicht von vornherein abschneidet und dem Veranstalter den Vorrang bei der Isolierung unfriedlicher Teilnehmer belässt. Ein vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung wegen befürchteter Ausschreitungen einer gewaltorientierten Minderheit oder wegen sonstiger Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist hingegen - das gebietet die Pflicht zur optimalen Wahrung der Versammlungsfreiheit mit den daraus folgenden verfahrensrechtlichen Anforderungen - nur unter strengen Voraussetzungen und unter verfassungskonformer Anwendung des § 15 VersG statthaft. Dazu gehört eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Aus-schöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel, die eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten ermöglichen. Insbesondere setzt das Verbot der gesamten Demonstration als „ultima ratio“ voraus, dass das mildere Mittel, durch Kooperation mit den friedlichen Demonstranten eine Gefährdung zu verhindern, gescheitert ist oder dass eine solche Kooperation aus Gründen, welche die Demonstranten zu vertreten haben, unmöglich war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II] Rn. 93). |
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| | Nach der Begründung der Allgemeinverfügung vom 20.12.2021 dient das in Ziffer 1 c) enthaltene präventive Verbot nicht angezeigter Versammlungen, die im Zusammenhang mit generellen Aufrufen zu „Spaziergängen“ stehen, zum einen dem Schutz des Grundrechts Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit durch eine Vermeidung von Infektionsgefahren im Zuge der nach wie vor andauernden COVID-19-Pandemie (vgl. Seite 2-4 der Begründung zur Allgemeinverfügung). Zutreffend ist insoweit, dass zu den prinzipiell gleichwertigen anderen Rechtsgütern, zu deren Schutz Eingriffe in die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt sein können, insbesondere das Grundrecht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gehört. Insoweit trifft den Staat überdies eine grundrechtliche Schutzpflicht, in deren Kontext auch zahlreiche zur Bekämpfung der gegenwärtig andauernden Covid-19-Pandemie von Bund, Ländern und Gemeinden ergriffene Infektionsschutzmaßnahmen stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.05.2020 - 1 BvQ 63/20 -, juris Rn. 7). Unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der insbesondere die Beachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls einschließlich des aktuellen Stands des dynamischen und tendenziell volatilen Infektionsgeschehens erforderlich macht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.06.2020 - 1 BvQ 66/20 -, juris Rn. 5), können zum Zweck des Schutzes vor Infektionsgefahren auch versammlungsbeschränkende Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehören grundsätzlich auch Versammlungsverbote, die allerdings nur verhängt werden dürfen, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und soweit der hierdurch bewirkte tiefgreifende Eingriff in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG auch in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den ein Verbot zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.08.2020 - 1 BvQ 94/20 -, juris Rn. 16). |
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| | Zum anderen nimmt die Antragsgegnerin - neben der fehlenden Anmeldung der mit der angegriffenen Allgemeinverfügung erfassten Versammlungen - in der Folge allerdings auch Bezug auf diverse Vorfälle in den ersten Dezember-Wochen des vergangenen Jahres, in denen solche „Spaziergänge“ mit einer teilweise ganz erheblichen Teilnehmerzahl (namentlich am 11.12.2021 in Reutlingen sowie am 13.12.2021 in Mannheim) auf Ansprache durch die diese begleitenden Ordnungskräfte einen gewalttätigen Verlauf nahmen, und macht damit maßgeblich auch genuin versammlungsrechtliche Gefahren derartiger Aufmärsche zur Grundlage ihrer Gefahrenprognose (vgl. Seite 4-7 der Begründung). Auch insoweit sind unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit bei Erlass beschränkender Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen, die grundsätzlich der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine das Versammlungsrecht beschränkende Verfügung darf nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nur ergehen, wenn bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände die Durchführung der Versammlung so wie geplant mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verursacht (vgl. hierzu zuletzt etwa VG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2020 - 2 K 1046/20 -, juris Rn. 21). |
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| | Unmittelbar gefährdet in diesem Sinne ist die öffentliche Sicherheit, wenn der von der Versammlungsbehörde anzustellenden Gefahrenprognose konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu Grunde liegen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben; bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. dazu nur BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris Rn. 17). Dabei liegt nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, die auf die Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte abgestimmt sind, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von freiheitseinschränkenden Maßnahmen bei der Behörde (vgl. hier nur BVerfG, Beschluss vom 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09 -, juris Rn. 13). |
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| | Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht des § 14 VersG begründet hierbei, wie die Antragsgegnerin auch zutreffend erkennt, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für sich genommen noch keine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG. Auch wenn eine Versammlung nicht als Spontanversammlung zu bewerten wäre, würde aus dem Verstoß gegen die Anmeldepflicht lediglich folgen, dass die Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 3 VersG in Betracht käme. Die Entscheidung darüber liegt im Ermessen der Behörde. Bis zu einer wirksamen Auflösung besteht der versammlungsrechtliche Schutz fort (vgl. hierzu nur BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 - 1 BvR 1726/01 -, NVwZ 2005, S. 80 m.w.N.; vgl. hierzu auch VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 - 80/22 -, n.v. BA S. 12). |
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| | Etwas anderes mag gelten, wenn die Versammlungsbehörden und die Polizei von Seiten der Veranstalter durch die fehlende Anzeige der geplanten Versammlung - etwa durch eine zunächst erfolgte, später aber zurückgezogene Anmeldung bei gleichzeitiger Bewerbung der Versammlung durch entsprechende Werbeflyer - bewusst und zweckgerichtet daran gehindert werden sollen, die notwendigen organisatorischen Maßnahmen, insbesondere durch Erlass von Auflagen sowie Bereitstellung der notwendigen personellen Kräfte, zu treffen, um sodann die beabsichtigte Versammlung „unbehelligt“ von staatlichen Eingriffen (z.B. in Gestalt von Auflagen zum Einhalten eines Mindestabstandes oder zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes) nach selbstgesetzten Modalitäten durchzuführen, die mit einem stark erhöhten Infektionsrisiko einhergehen. Die Behörde muss dann nicht erst den Beginn der Veranstaltung abwarten und sie anschließend nach § 15 Abs. 3 VersG auflösen (so die Fallgestaltung bei VG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2021 - 3 K 4579/21 -, juris Rn. 40 ff., insb. Rn. 44). Eine vergleichbare Fallgestaltung liegt hier indes nicht vor, weshalb dies hier keiner abschließenden Klärung bedarf. |
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| | Tatbestandlich dürfte daher im vorliegenden Fall nach § 15 Abs. 1 VersG vor dem Hintergrund der genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls erforderlich sein, dass nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, die sich zudem gerade auf den von der Allgemeinverfügung erfassten örtlichen Anwendungsbereich beziehen müssen, konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die nicht nur erwarten lassen, dass innerhalb des (noch verbleibenden) Anwendungszeitraums, nicht angezeigte Versammlungen im räumlichen Anwendungsbereich der Verbotsverfügung stattfinden werden, sondern zusätzlich die Prognose erlauben, dass es im Zuge dieser Versammlungen aufgrund deren konkret zu erwartender Ausgestaltung mit hoher Wahrscheinlichkeit (vgl. zu diesem Maßstab bereits VG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2021 - 3 K 4579/21 -, juris Rn. 30) zu besonders schwerwiegenden Infektionsgefahren oder anderweitigen schwerwiegenden Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit, etwa in Form gewalttätiger Ausschreitungen kommen wird. |
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| | Bei der hiernach im konkreten Einzelfall anzustellende Prognose unter Beachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls sind neben dem vor Ort gegebenen Infektionsgeschehen auch bisherige Vorfälle im örtlichen Anwendungsbereich der Verbotsverfügung zu berücksichtigen, insbesondere etwaiges unfriedliches, gewalttätiges oder gegen geltende Corona-Schutzmaßnahmen verstoßendes Verhalten von Teilnehmern unangemeldeter Versammlungen, deren Reaktionen auf während der Versammlung ergehende polizeiliche Ansprachen oder (versammlungs-)polizeiliche Verfügungen sowie bisher beobachtete bzw. prognostisch zu erwartende Teilnehmerzahlen. Des Weiteren dürfte von Bedeutung sein, in welchem Umfang Polizei- und Ordnungskräfte zur Verfügung stehen, um auch im Falle der sich gerade bei nicht angemeldeten Versammlungen sehr kurzfristig ergebenden Einsatznotwendigkeit bereitgestellt werden zu können. |
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| | Ausgehend hiervon liegen im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung voraussichtlich keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor, um die Prognose zu begründen, dass es im Zuge etwaiger bis zum 31.01.2022 in der Gemarkung der Antragsgegnerin stattfindender unangemeldeter Versammlungen im Zusammenhang mit generellen Aufrufen zu „Spaziergängen“ oder „Montagsspaziergängen“ mit hoher Wahrscheinlichkeit zu besonders schwerwiegenden Infektionsgefahren oder anderweitigen schwerwiegenden Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit, etwa in Form gewalttätiger Ausschreitungen kommen würde. |
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| | (1) Dabei wird zunächst nicht verkannt, dass ausweislich des wöchentlichen Lageberichts des Robert Koch-Instituts (RKI) zur Coronavirus-Krankheit 2019 (Covid-19) vom 13.01.2022(URL:https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-01-13.pdf?__blob=publicationFile) nach dem vorübergehenden Rückgang der Fallzahlen, der schweren Krankheitsverläufe und der Todesfälle gegen Ende des Jahres 2021 in der vierten Welle, in Deutschland mit der nunmehr dominanten Zirkulation der Omikronvariante die fünfte Welle der COVID-19-Pandemie begonnen hat, die Belastung der Intensivstationen durch die Vielzahl sehr schwer an COVID-19 erkrankten Personen weiterhin hoch ist (vgl. Bl. 3 des Lageberichts), die Gefährdung durch COVID-19 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch eingeschätzt wird (vgl. Bl. 4 des Lageberichts) und die bundesweite 7-Tage-Inzidenz am 16.01.2022 erstmals die Schwelle von 500 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überschritten hat (vgl. https://www.tagesschau.de/inland/rki-corona-zahlen-lauterbach-101.html). Auch im Landkreis Karlsruhe, dem die Stadt ... angehört, lag die 7-Tage-Inzidenz am 20.12.2021 bei 307,3 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner (vgl. Lagekarte COVID-19 Infektionen im Landkreis Karlsruhe vom 20.12.2021) und am 15.01.2022 bei 450,3 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner (vgl. Lagekarte COVID-19 Infektionen im Landkreis Karlsruhe vom 15.01.2022), zeigte mithin ebenfalls Anzeichen einer sich aufbauenden fünften Welle der Omikronvariante, lag dabei jedoch noch geringfügig unterhalb des Bundestrends. |
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| | (2) Gleichwohl liegen aus Sicht der Kammer bei summarischer Prüfung jedenfalls mit Blick auf den bisherigen Verlauf vergleichbarer Versammlungen auf dem Gebiet der Antragsgegnerin keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass es in der Gemarkung der Antragsgegnerin im Zeitraum bis zum 31.01.2022 zu unangemeldeten Versammlungen kommen wird, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nach ihrer konkret zu prognostizierenden Ausgestaltung mit einer schwerwiegenden Infektionsgefahr einhergehen oder anderweitige schwerwiegenden Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit, etwa in Form gewalttätiger Ausschreitungen nach sich ziehen würden. Zwar können frühere Erfahrungen mit gleichen oder ähnlichen Versammlungen desselben Anmelders oder aus dem gleichen Umfeld herangezogen werden, um Schlüsse darauf zu ziehen, ob eventuelle Auflagen der vorstehend beschriebenen Art beachtet werden dürften oder nicht und welche Gefahren daraus resultieren dürften (vgl. BVerfG, Beschluss vom. 21.11.2020 - 1 BvQ 135/20 -, juris Rn. 11). Auch dazu bedarf es jedoch der Prüfung im einzelnen Fall, die sich an den potentiellen Versammlungsteilnehmern und den örtlichen Gegebenheiten zu orientieren hat (vgl. auch dazu bereits VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 - 1 K 80/22 -, n.v. BA S. 15). |
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| | Zwar fanden sich am 21.12.2021 - nach einem vorangegangenen Aufruf in einem Telegramkanal zu einem „Montagsspaziergang“ an dieser Örtlichkeit - mehrere Personen mit Kerzen und Laternen auf dem Marktplatz der ... zu einem „Lichterspaziergang“ ein. Ausweislich der Angaben der Antragsgegnerin hielten die Teilnehmer jedoch jedenfalls nach Ansprache durch die vor Ort befindlichen Beamten der Landespolizei die Abstandsvorgaben ein und es kam nicht zu einem Aufzug. Ein versammlungsähnlicher Charakter konnte dabei nach den Angaben der Antragsgegnerin nicht festgestellt werden. |
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| | Auch bei dem von der Antragsgegnerin weiter benannten Vorfall vom 10.01.2021, bei dem sich insgesamt 42 Personen, aufgeteilt in 6 Teilgruppen, ohne vorherige Anmeldung auf dem Marktplatz der ... einfanden, trugen die Teilnehmer zwar keine Mund-Nasen-Bedeckung, hielten jedoch ausweislich des polizeilichen Einsatzberichts die Mindestabstände weitgehend ein. Nach Auflösung dieser - auch auf polizeiliche Aufforderung unangemeldet bleibenden Versammlung - entfernte sich ein Teil der Teilnehmer selbständig und die übrigen Teilnehmer, bis auf eine Person, die den Versammlungsort vehement nicht verlassen wollte, nach einer nochmaligen Aufforderung durch die Polizei vom Versammlungsort. |
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| | (3) Anders als die in der Begründung der Allgemeinverfügung vom 20.12.2021 in Bezug genommenen Ereignisse vom 13.12.2021 in Mannheim, die einen gewalttätigen Verlauf nahmen, in dessen Zuge sechs eingesetzte Polizisten verletzt wurden (vgl. https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/hunderte-demonstrieren-bei-verbotener-versammlung-in-mannheim-100.html), blieben die vorgenannten unangemeldeten Versammlungen auf dem Gemeindegebiet der Antragsgegnerin ferner durchgehend friedlich. |
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| | (4) Auch der Umstand, dass sowohl die Teilnehmer der Versammlung vom 21.12.2021 als auch jene der Versammlung vom 10.01.2021 keine Mund-Nasen-Bedeckung trugen, dürfte vorliegend nicht ausreichen, um die Prognose einer besonders schwerwiegenden Infektionsgefahr bei künftigen, im Zusammenhang mit generellen Aufrufen zu „Spaziergängen“ stehenden unangemeldeten Versammlungen in der Gemarkung der Antragsgegnerin zu begründen. Der Landesverordnungsgeber geht gegenwärtig davon aus, dass im öffentlichen Raum das Einhalten eines Mindestabstandes von 1,5 m ausreichend ist, um dem Ansteckungsrisiko entgegen zu wirken (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (CoronaVO)). Nur für den Fall, dass die Einhaltung dieses Mindestabstands nicht zuverlässig eingehalten werden kann, ordnet § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO im Freien die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske an. |
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| | Im Übrigen hielten sich die Teilnehmer der Versammlung am 21.12.2021 der Antragsgegnerin zufolge nach erfolgter Ansprache durch die Landespolizei ebenso an die Abstandsvorgaben wie auch die Mindestabstände bei der Versammlung am 10.01.2021 ausweislich des Polizeiberichts weitestgehend eingehalten wurden. |
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| | (5) Im Unterschied zu den von der Antragsgegnerin benannten Vorfällen vom 20.12.2021 in Karlsruhe (vgl. hierzu: https://meinka.de/spaziergaenge-mehrere-corona-aufzuege-im-stadt-landkreis-karlsruhe/) bzw. vom 13.12.2021 in Mannheim und 11.12.2021 in Reutlingen versammelten sich bei den unangemeldeten „Spaziergängen“ in ... vom 21.12.2021 bzw. vom 10.01.2022 nicht eine drei- oder gar vierstellige Zahl an Teilnehmern, sondern lediglich mehrere Dutzend Personen, die bei Eintreffen der Polizei zudem - jedenfalls am 10.01.2022 - in Teilgruppen zu je sieben Personen unterteilt waren. Damit lag eine Personenzahl vor, bei der - auch unter Berücksichtigung des grundsätzlich dynamischen Charakters selbst stationärer Versammlungen (vgl. hierzu VG Karlsruhe, Beschluss vom 13.11.2020 - 5 K 4651/20 -, juris Rn. 32) - eine Einhaltung der zum Infektionsschutz erforderlichen Mindestabstände bei entsprechender Kooperation der Versammlungsteilnehmer grundsätzlich ohne Weiteres möglich ist. |
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| | (6) Die vorliegende Tatsachenlage erlaubt auch nicht den Schluss, dass sich die hiernach zur Einhaltung der gebotenen Mindestabstände gebotene Kooperation der Versammlungsteilnehmer nicht durch mildere Maßnahmen, insbesondere polizeiliche Ansprachen, herstellen ließe. So wurden bei den Versammlungen im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin die zum Infektionsschutz erforderlichen Mindestabstände weitestgehend spontan (Versammlung vom 10.01.2021), bzw. jedenfalls nach Ansprache durch die Landespolizei (Versammlung vom 21.10.2021) eingehalten. |
|
| | (7) Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dahingehend vor, dass im maßgeblichen Zeitraum bis zum 31.01.2022 Polizei- und Ordnungskräfte vor Ort nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stünden, um den durch unangemeldete Versammlungen verursachten - gegebenenfalls auch sehr spontanen - Einsatzbedarf zu decken. Zwar sind die Ordnungsbehörden grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, Polizeikräfte ohne Rücksicht auf sonstige Sicherheitsinteressen in unbegrenztem Umfang bereitzuhalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris Rn. 11). Beschränkungen einer Versammlung kommen unter diesem Gesichtspunkt jedoch nur in Betracht, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Versammlungsbehörde wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und gegebenenfalls trotz externer Heranziehung von Polizeikräften zum Schutz der angemeldeten Versammlung, bzw. zur Gewährleistung eines Infektionsgefahren und schwerwiegender anderweitiger Gefährdungen vorbeugenden Ablaufs derselben, nicht in der Lage wäre. Hierfür bedarf es indes substantiierter tatsächlicher Angaben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, juris Rn. 11; BVerfG, Beschluss vom 24.03.2001 - 1 BvQ 13/01 -, juris Rn. 35 jeweils im Kontext einer Inanspruchnahme von Nichtstörern aufgrund polizeilichen Notstands). Vorliegend hat die Antragsgegnerin einen in diesem Sinne vor Ort bestehenden Mangel an Polizeikräften schon nicht geltend gemacht. |
|
| | Nach alledem dürfte die tatbestandliche Voraussetzungen einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch etwaige, bis zum 31.01.2022 auf dem Gemeindegebiet der Antragsgegnerin stattfindende unangemeldete Versammlungen im Zusammenhang mit Aufrufen zu „Spaziergängen“ jedenfalls im für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Gebiet der Antragsgegnerin nicht gegeben sein. |
|
| | Unabhängig hiervon hätte sich die Antragsgegnerin - auch für den Fall, dass die hier vorliegende Tatsachenlage eine Einhaltung der gebotenen Mindestabstände bei zukünftigen, dem Anwendungsbereich der Ziffer 1 c) der Allgemeinverfügung vom 20.12.2021 unterfallenden Versammlungen nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit erwarten ließe - bei der hier gegebenen Sachlage jedenfalls zu milderen Mitteln als dem präventiven Versammlungsverbot greifen können. Insbesondere eine durch Allgemeinverfügung angeordnete Verpflichtung zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen bei sämtlichen Versammlungen in ihrem Stadtgebiet., auch solchen, die (planmäßig) nicht angemeldet werden, hat die Antragsgegnerin nicht erwogen. Eine solche erscheint indes nicht von vornherein ungeeignet, wie der Umgang anderer Kommunen im Bundesgebiet mit den „Montagsspaziergängen“ beziehungsweise „Spaziergängen“ zeigt (vgl. hierzu wiederum VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 - 1 K 80/22 -, n.v., BA S. 17 f. unter Verweis auf Allgemeinverfügungen der Stadt Cuxhaven vom 08.01.2022, abrufbar unter https://www.cuxhaven.de/aktuelle-nachrichten/flaschenpost/flaschenpost-1/ffp-2-maskenpflicht-bei-versammlungen-und-demos-unter-freiem-himmel.html, und der Stadt Hameln vom 05.01.2022, abrufbar unter https://www.dewezet.de/region/hameln_artikel,-hamelner-allgemeinverfuegung-das-steht-drin-_arid,2723674.html ). Dafür, dass - wie in der Begründung der Allgemeinverfügung allgemein konstatiert - zu besorgen sei, dass eine entsprechende Anordnung von den Versammlungsteilnehmern mehrheitlich missachtet werden würde, fehlt es nach den hier vorliegenden Erkenntnissen jedenfalls derzeit an tatsächlichen Anhaltspunkten. Vielmehr erscheint in Anbetracht des Umstands, dass die Teilnehmer der bisherigen, in jüngerer Zeit auf dem Stadtgebiet der Antragsgegnerin stattgefundenen, unangemeldeten „Spaziergänge“ sich jedenfalls mehrheitlich auf polizeiliche Ansprachen reaktiv zeigten, die tatsächliche Durchsetzbarkeit einer solchen Auflage jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. |
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| | Unabhängig davon dürften die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit schließlich nicht den Erlass eines räumlich beschränkten präventiven Versammlungsverbots unter Einbeziehung sämtlicher unangemeldeter Versammlungen, mit denen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen protestiert wird, rechtfertigen. Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlich verlaufenden Versammlungen im räumlichen Geltungsbereich gerichtet ist, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Antragsgegnerin bei Erlass der Verfügung zulässigerweise vom Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands ausgehen durfte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315 [Brokdorf II] Rn. 91; Beschluss vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.2013 - 1 S 1640/12 -, juris Rn. 54). Denn durch die Allgemeinverfügung wird auch die Versammlungsfreiheit von Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht haben, sich an rechtswidrigen Aktionen, etwa aggressiven Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen, sonstigen Gewalttätigkeiten oder Verstößen gegen Vorgaben zur Einhaltung bestimmter Mindestabstände oder zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, zu beteiligen (vgl. zum Ganzen VG Stuttgart, Beschluss vom 12.01.2022 - 80/22 -,n.v. BA S. 18 m.w.N.). |
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| | Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ohne den Erlass der streitbefangenen Allgemeinverfügung wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der unangemeldeten Versammlungen und der Rechtsgüter Dritter nicht in der Lage wäre (vgl. hierzu bereits die vorangegangenen Ausführungen unter 2. a) bb) ccc) (7)). |
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| | b) Erweist sich hiernach das in Ziffer 1 c) der Allgemeinverfügung vom 20.12.2021 enthaltene präventive Versammlungsverbot als voraussichtlich rechtswidrig, dürfte dies auch zur Rechtswidrigkeit der in Ziffer 2 enthaltenen Androhung unmittelbaren Zwangs nach den §§ 1, 2, 4, 18, 19, 20, 26 und 28 LVwVG führen, soweit sich diese auf das genannte präventive Versammlungsverbot bezieht. |
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| | B E S C H L U S S vom 17.01.2022 |
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| | Gegen die Festsetzung des Streitwerts kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Verwaltungsgericht Karlsruhe einzulegen. Die Adresse lautet: Nördliche Hildapromenade 1, 76133 Karlsruhe. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, eingelegt wird; ist der Streitwert jedoch später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Beschlusses eingelegt werden. |
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