Urteil vom Verwaltungsgericht Karlsruhe - 8 K 8397/19

Tenor

Die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit bei der Beklagten vom 10. Dezember 2019 wird für ungültig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt, die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit bei der Beklagten - einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts - für ungültig zu erklären.
Die Klägerin war seit 2005 die Beauftragte für Chancengleichheit bei der Beklagten. Sie war zuletzt am 30. Oktober 2015 als Beauftragte für Chancengleichheit bestellt worden, nachdem keine weiteren Bewerbungen für das Amt eingegangen waren. Die Amtszeit der Bestellung betrug nach § 16 Abs. 1 des Chancengleichheitsgesetzes vom 11. Oktober 2005 (GBl. S. 650), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 1. April 2014 (GBl. S. 99, 168) geändert worden ist, vier Jahre. Mit dem am 27. Februar 2016 in Kraft getretenen § 15 Abs. 1 Satz 3 des Chancengleichheitsgesetzes (ChancenG) vom 23. Februar 2016 (GBl. S. 108) wurde die regelmäßige Amtszeit der Beauftragten für Chancengleichheit auf fünf Jahre verlängert. Die Amtszeit der Klägerin hat sich dadurch jedoch nicht verlängert, sondern endete am 30. Oktober 2019.
Am 16. Oktober 2019 wurde der Wahlvorstand für die Durchführung der Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit und ihrer Stellvertreterin bestellt. Mit Wahlausschreiben vom 28. Oktober 2019 unterrichtete der Wahlvorstand durch Aushang die Wahlberechtigten unter anderem über den Wahltag (10. Dezember 2019) und den Wahlort (Gemeinschaftshaus - großer Saal) und forderte sie auf, sich spätestens bis zum 11. November 2019 für das Amt der Beauftragten für Chancengleichheit oder deren Stellvertreterin zu bewerben. Es wurde auch bekannt gemacht, dass die Wählerinnenliste ab sofort bis zum Wahltag bei der Informationszentrale ausgelegt sei. Bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist gingen für das Amt der Beauftragten für Chancengleichheit zwei Bewerbungen ein, darunter diejenige der bisherigen Amtsinhaberin, der Klägerin. Die Bewerbungsschreiben aller Bewerberinnen wurden im Schaukasten des Personalmanagements ausgehängt sowie durch dienstliche E-Mail zugänglich gemacht.
Die Wahl fand am 10. Dezember 2019 statt. Bei einigen Stimmzetteln war das Kreuz nicht im vorgesehenen Rechteck eingezeichnet. Bei zwei Stimmzetteln waren beide Kandidatinnen für die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit angekreuzt. In einem Freiumschlag befanden sich offenbar zwei Wahlumschläge. Zwei Wahlbriefe gingen erst am 11. Dezember 2019 bei der Beklagten ein. Auf drei Stimmzetteln, auf denen der Name der Klägerin angekreuzt war, befanden sich ein handschriftlicher Hinweis auf die Dienststelle der Wählerin sowie teilweise auch die handschriftliche Angabe des Datums der Stimmabgabe. Entsprechende handschriftliche Hinweise befanden sich auf fünf Stimmzetteln, auf denen der Name der Beigeladenen angekreuzt war. Im Rahmen der persönlichen Stimmabgabe im Wahlraum wurden vom Wahlvorstand keine Wahlumschläge bereitgestellt und damit nicht verwendet. Die Niederschrift vom 10. Dezember 2019 wies der Klägerin 65 und ihrer Mitbewerberin - der Beigeladenen - 76 Stimmen zu. Es seien 138 gültige Stimmen abgegeben worden, fünf Stimmen seien ungültig. Mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses am 12. Dezember 2019 wurde das Ergebnis vom Wahlvorstand dahingehend geändert, dass 146 Stimmen abgegeben worden seien, davon 141 gültige. Als Beauftrage für Chancengleichheit gewählt sei mit 76 Stimmen die Beigeladene.
Die Klägerin hat am 23. Dezember 2019 Klage erhoben.
Sie trägt vor, die Wahlfrist nach § 4 der Verordnung der Landesregierung über die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit (im Folgenden: FrVertrWV BW) vom 12. Februar 1996 (GBl. S. 133), geändert durch Verordnung vom 8. November 2005 (GBl. S. 685, 686), sei nicht eingehalten, die Bewerbungen seien nicht bis zum Ablauf des Wahltages ausgelegt und die Wahl sei an einem anderen als dem angegebenen Ort durchgeführt worden. Zudem seien keine Wahlumschläge verwendet und die Wahlvorschläge fehlerhaft gelistet worden. Auch sei das Wahlergebnis nicht veröffentlicht worden. Weiterhin habe man die bis zu zwölf Monate beurlaubten Wählerinnen nicht von der Wahl benachrichtigt und ihnen keine Wahlunterlagen übermittelt. Darüber hinaus seien die abgegebenen Stimmen nicht korrekt angegeben. Am 10. Dezember 2019 habe die Beklagte mitgeteilt, dass auf die Klägerin 65 und auf die Mitbewerberin 76 Stimmen angefallen seien. Insgesamt seien 138 gültige Stimmen ausgewiesen worden, obwohl die Summe richtigerweise 141 Stimmen ergebe. Ferner gebe es Unstimmigkeiten zwischen der Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit und deren Stellvertreterin. Bei der Stellvertreterin seien 136 gültige Stimmen angegeben worden, sodass im Vergleich zur Beauftragten für Chancengleichheit ausgehend von 138 Stimmen zwei Stimmen und ausgehend von 141 Stimmen fünf Stimmen fehlten. Insgesamt sei bei elf Wahlzetteln das Kreuz nicht im vorgesehenen Rechteck eingezeichnet und bei weiteren zwei Wahlzetteln seien beide Wahlvorschläge angekreuzt worden.
Die Klägerin beantragt,
die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit bei der Beklagten vom 10. Dezember 2019 für ungültig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Klage abzuweisen.
11 
Sie trägt vor, es lägen keine Anfechtungsgründe nach § 16 Abs. 5 ChancenG vor. Die sich aus § 4 FrVertrWV BW ergebende Frist sei nicht eingehalten worden, weil die Wahl erst durch die Bestellung des Wahlvorstands vom 16. Oktober 2019 in die Wege geleitet worden sei. Aufgrund einzuhaltender Fristen (Wahlausschreibung, Bewerbungsfrist) habe die Wahl erst am 10. Dezember 2019 durchgeführt werden können. Dies führe nicht dazu, dass die Klägerin als Beauftragte für Chancengleichheit hätte bestellt werden müssen. Nach § 15 Abs. 1 ChancenG sei die Bestellung der Beauftragten nur nach vorheriger Wahl möglich. Nur im Falle einer einzigen Bewerbung sei von einem Wahlverfahren abzusehen und die Bewerberin zu bestellen. Außerhalb dieses speziell geregelten Falls sei eine Wahl erforderlich, auch wenn diese verspätet erfolgte. Zudem schließe § 16 Abs. 5 ChancenG die Anfechtung einer Wahl aus, wenn durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht habe geändert oder beeinflusst werden können. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, wodurch das verspätete Stattfinden der Wahl Einfluss auf das Ergebnis gehabt habe. Die Bewerbungen aller Bewerberinnen seien im Schaukasten des Personalmanagements ausgehängt und nach der Wahl entfernt worden. Gegenüber allen Bewerberinnen sei die Bitte ausgesprochen worden, sich auf eine DIN A4 Seite zu beschränken. Die Klägerin habe als einzige zwei DIN A4 Seiten verwendet, sodass ihre Bewerbung unvollständig ausgehängt worden sei. Allerdings seien alle Bewerbungen in vollem Umfang durch dienstliche E-Mail allen Mitarbeitern zugänglich gemacht worden. Die Wahl habe nicht im auf der Wahlausschreibung angegebenen „Großen Saal“, sondern im „Glasraum“ stattgefunden. Beide Räume befänden sich im selben Gebäude und auf derselben Etage. Der Eingang zum „Glasraum“ befinde sich unmittelbar gegenüber dem Treppenaufgang, der des „Großen Saals“ rechts vom Treppenaufgang. Durch Schilder und geöffnete Türen sei darauf hingewiesen worden, dass ein Raumwechsel stattgefunden habe. Aus Gründen des Umweltschutzes und zur Vereinfachung sei bei der persönlichen Wahl auf Wahlumschläge verzichtet worden. Die Grundsätze der geheimen Wahl seien dennoch erfüllt, weil jede Wählerin persönlich angewiesen worden sei, den Stimmzettel mindestens einmal zu falten. Im Gegensatz zu § 15 Abs. 4 der Wahlordnung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVWO) vom 1. Dezember 1994 (BGBl I S. 3553) gebe es im Chancengleichheitsgesetz oder in der Verordnung der Landesregierung über die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit keine Regelung, die die Wahl ohne Wahlumschlag für ungültig erkläre. Auch genüge im Rahmen der Landtagswahl in Baden-Württemberg nach § 34 Abs. 4 Landeswahlordnung (LWO) das Einwerfen des gefalteten Stimmzettels in die Wahlurne den Anforderungen der geheimen Wahl.
12 
Eine fehlerhafte Listung der Wahlvorschläge sei nicht gegeben. Die Listung sei nach der Reihenfolge des Eingangs der Bewerbungen erfolgt. Die Entscheidung sei sachlich nachvollziehbar und benachteilige niemanden. In der Niederschrift über das Wahlergebnis vom 10. Dezember 2019 sei zunächst bekanntgegeben worden, dass von den 143 abgegebenen Stimmzetteln fünf ungültig und 138 gültig seien. Die Berechnung habe versehentlich zunächst nicht alle abgegebenen Stimmen ordnungsgemäß berücksichtigt. Das Wahlergebnis sei nach dem Eingang zweier Briefwahlunterlagen am 11. Dezember 2019 korrigiert worden, sodass von 146 abgegebenen Stimmzetteln 141 gültig seien. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die Bekanntgabe vom 10. Dezember 2019 mit der fehlerhaft berechneten Summe der insgesamt abgegebenen Stimmen nach bereits durchgeführter Wahl das Wahlergebnis im Sinne des § 16 Abs. 5 ChancenG geändert oder beeinflusst haben könne. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei es nicht Aufgabe der Beklagten, jeder Wählerin, insbesondere den beurlaubten Beschäftigten, die Wahlunterlagen unaufgefordert zukommen zu lassen. Eine solche Verpflichtung ergebe sich weder aus §§ 15 ff. ChancenG noch aus der Verordnung der Landesregierung über die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit. Es habe fünf ungültige Stimmen gegeben, woraus sich jedoch kein Anfechtungsgrund ergebe. Der von der Klägerseite vorgenommene Vergleich mit der Wahl der Stellvertreterin sei nicht berücksichtigungsfähig, weil streitgegenständlich lediglich die Wahl zur Beauftragten für Chancengleichheit sei. Zwei Stimmzettel seien gemäß § 9 Abs. 4 FrVertrWV BW für ungültig erklärt worden, weil darin beide Kandidatinnen angekreuzt worden seien. Demgegenüber seien bei weiteren neun Stimmzetteln (einer bei der Klägerin, acht bei ihrer Konkurrentin) die Kreuze nicht an der vorgesehenen Stelle eingezeichnet worden. Da die gesetzten Kreuze jedoch eindeutig einer der beiden Kandidatinnen hätten zugeordnet werden können, seien sie nicht nach § 9 Abs. 4 FrVertrWV BW für ungültig erklärt worden.
13 
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
14 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Akte zur Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit 2019 der Beklagten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15 
Die Klage hat Erfolg.
16 
I. Sie ist zulässig.
17 
Die von der Klägerin als Bewerberin erhobene Wahlanfechtungsklage ist nach § 16 Abs. 5 Satz 1 ChancenG als Gestaltungsklage sui generis statthaft (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 23.7.2019 - 13 K 6294/18 - juris Rn. 20; VG Wiesbaden, Urteil vom 18.3.2009 - 8 K 466/08.WI - juris Rn. 17). Die Klägerin ist anfechtungsberechtigt. Nach § 16 Abs. 5 Satz 1 und 2 ChancenG können mindestens drei Wahlberechtigte, alle Bewerberinnen oder die Dienststellenleitung die Wahl beim Verwaltungsgericht anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde. Soweit die Klägerin als Mitbewerberin unter anderem geltend macht, es seien keine Wahlumschläge verwendet worden, rügt sie die Verletzung einer wesentlichen Vorschrift im Sinne von § 16 Abs. 5 Satz 1 ChancenG, nämlich von § 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 ChancenG in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 7 FrVertrWV BW, und ist antragsberechtigt.
18 
II. Die Klage ist auch begründet.
19 
1. Die Klägerin hat rechtzeitig Klage erhoben. Die Wahlanfechtungsfrist, bei der es sich um ein Begründetheitserfordernis der Klage handelt (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 23.7.2019 - 13 K 6294/18 - juris Rn. 20; BVerwG, Beschluss vom 23.10.2003 - 6 P 10.03 - juris Rn. 11; Urteil vom 27.6.2007 - 6 A 1.06 - juris Rn. 23), ist hier gewahrt. § 16 Abs. 5 Satz 3 ChancenG normiert eine Frist von zwei Wochen. Die Frist beginnt mit dem Tag der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Da das Wahlergebnis am 12. Dezember 2019 bekanntgegeben wurde, war die am 23. Dezember 2019 erhobene Klage fristgerecht.
20 
2. Es liegen jedenfalls zwei Wahlfehler vor, von denen einer zur Aufhebung der Wahl führt.
21 
Nach § 16 Abs. 5 ChancenG kann die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit und ihrer Stellvertreterin beim Verwaltungsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.
22 
a) Die Beklagte hat insgesamt acht Stimmzettel als gültig gewertet, obwohl sie nach § 9 Abs. 4 Alt. 2 FrVertrWV BW ungültig waren. Dies betrifft drei Stimmen für die Klägerin und fünf für die Beigeladene.
23 
Nach der genannten Vorschrift sind Stimmzettel, die mit einem besonderen Merkmal versehen sind, ungültig. Ein Stimmzettel enthält ein besonderes Merkmal, wenn er über die der Stimmabgabe dienenden Kennzeichnung hinaus Eigenheiten aufweist, die aus sich heraus oder im Zusammenwirken mit anderen Umständen geeignet sein können, Rückschlüsse auf einen bestimmten Wähler zuzulassen, wie etwa handschriftliche Zusätze (vgl. BAG, Beschluss vom 28.4.2021 - 7 ABR 20/20 - NZS 2021, 1266, juris Rn. 35 f.).
24 
Solche besonderen Merkmale stellen hier die auf den Stimmzetteln angebrachten handschriftlichen Zusätze dar, insbesondere die Angabe der Dienststelle der Wählerin. Ausgehend von dem Wählerverzeichnis, in dem die Dienstanschrift der Wählerin genannt ist und in der die Stimmabgabe vermerkt wurde, kann eine mit einem solchen Hinweis versehene Stimmabgabe leicht einer bestimmten Wählerin zugeordnet werden. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der geringen Wahlbeteiligung von 146 bei 795 Wahlberechtigten. Auch die jeweilige Handschrift, mit der bei diesen acht Stimmzetteln neben der Dienststelle teilweise auch der Ort oder der Tag der Stimmabgabe angegeben wurde, ermöglicht die Ermittlung der jeweiligen Wählerin.
25 
Allerdings hat dieser kraft Gesetzes wesentliche Fehler für sich allein das Wahlergebnis nicht geändert. Hätte die Beklagte die genannten Stimmzettel als ungültig gewertet, hätte die Klägerin 62 Stimmen und die Beigeladene 71 Stimmen erhalten.
26 
b) Allerdings hat die Beklagte entgegen der Vorschriften des § 9 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 7 FrVertrWV BW die Wahl ohne die Verwendung von Wahlumschlägen durchführen lassen. Dabei handelt es sich um eine wesentliche Vorschrift des Wahlrechts. Der Fehler konnte das Wahlergebnis beeinflussen.
27 
aa) Nach § 16 Abs. 3 Satz 2 ChancenG muss die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit den Grundsätzen der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl entsprechen. Gemäß § 9 Abs. 2 FrVertrWV BW wird das Wahlrecht durch Abgabe eines Stimmzettels in einem Wahlumschlag ausgeübt. Nach § 9 Abs. 7 FrVertrWV BW übergibt die Wählerin ihren Wahlumschlag, in den der Stimmzettel eingelegt ist, dem mit der Entgegennahme der Wahlumschläge betrauten Mitglied des Wahlvorstands. Der Wahlvorstand stellt fest, ob sie in die Wählerinnenliste eingetragen ist. Trifft dies zu, wird der ungeöffnete Wahlumschlag in Gegenwart der Wählerin in die Wahlurne geworfen und die Stimmabgabe in der Wählerinnenliste vermerkt.
28 
Der Grundsatz der geheimen Wahl gewährleistet, dass ausschließlich der Wähler vom Inhalt seiner Wahlentscheidung Kenntnis hat, und verpflichtet den Gesetzgeber, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Wahlgeheimnisses zu treffen. Die Geheimheit der Wahl bildet den wichtigsten institutionellen Schutz der Freiheit der Wahl (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3.3.2009 - 2 BvC 3/07 - BVerfGE 123, 39, juris Rn. 129).
29 
Dementsprechend soll die von § 9 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 7 FrVertrWV BW vorgeschriebene Verwendung von Wahlumschlägen sicherstellen, dass keinem anderen die Stimmabgabe der Wählerin bekannt wird. Die Wählerin soll vor jeglichem sozialen Druck geschützt werden. Sie soll ihre Wahl in Ansehung der ihr bekannten Tatsachen und Meinungen nach ihrer freien Überzeugung treffen können. Diese Grundsätze sind insbesondere durch das Verfahren über die Stimmabgabe und die Stimmenauszählung in § 9 FrVertrWV BW formalisiert und unabdingbar ausgestaltet (vgl. BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - juris Rn. 19 ff. zu der bis 14.10.2021 geltenden Fassung von § 11 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes ; offenbar mit Blick auf den Beschluss des BAG hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales durch Verordnung vom 8.10.2021 die Wahlordnung geändert und die Faltung des Stimmzettels vorschrieben, vgl. § 11 Abs. 3 WO). Ist die Verwendung von Wahlumschlägen gesetzlich vorgeschrieben, wird hierdurch ergänzend gewährleistet, dass bei der Auszählung Briefwahlstimmen, die im ungeöffneten Wahlumschlag in die Wahlurne einzulegen sind (§ 10 Abs. 4 FrVertrWV BW), und persönlich abgegebene Stimmen nicht zu unterscheiden sind (vgl. BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris Rn. 21).
30 
Zwar kann eine geheime Wahl auch ohne Verwendung von Wahlumschlägen sichergestellt werden, namentlich durch die Vorgabe einer Faltung der Stimmzettel. So ist etwa im Rahmen der Landtagswahl geregelt, dass der Wähler den gefalteten Stimmzettel in die Wahlurne wirft (§ 34 Abs. 4 Satz 2 LWO). Gleiches gilt für die Bundestagswahl (vgl. § 56 Abs. 4 Satz 2 BWO). Die Gewährleistung des Wahlgeheimnisses verlangt also nicht zwingend, dass die Verwendung von Wahlumschlägen vorgeschrieben ist (vgl. zum Kommunalwahlrecht BVerwG, Beschluss vom 24.7.1996 - 8 B 147.96 - juris Rn. 4).
31 
Allerdings muss zum Schutz des Wahlgeheimnisses ein solches Wahlverfahren vom Gesetzgeber selbst oder aufgrund eines Gesetzes vom Verordnungsgeber vorgeschrieben sein (vgl. BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris Rn. 19 ff.; davon ausgehend auch: BVerwG, Beschluss vom 24.7.1996 - 8 B 147.96 - juris Rn. 3). Nur der Gesetzgeber kann es dem Wahlberechtigten überlassen, „in seinem Bereich selbst für die Wahrung des Wahlgeheimnisses und der Wahlfreiheit Sorge zu tragen“ (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.7.1996 - 8 B 147.96 - juris Rn. 3). Da der Grundsatz der Geheimheit der Wahl nicht nur im Interesse der Wähler, sondern mindestens ebenso sehr im öffentlichen Interesse besteht - demokratische Legitimation ist ohne die durch das Wahlgeheimnis ermöglichte Freiheit der Wahl nicht herstellbar -, kann der Wähler auf die Geheimheit der Stimmabgabe nicht verzichten. Er ist verpflichtet, bei der Stimmabgabe die zum Schutz der Geheimheit bestimmten wahlrechtlichen Vorschriften zu beachten (vgl. Klein/Schwarz in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 38 Rn. 118; BAG, Beschluss vom 28.4.2021 - 7 ABR 20/20 - NZS 2021, 1266, juris Rn. 38). Daher ist es auch unbeachtlich, wenn die Beklagte behauptet, die Wählerinnen seien hier angehalten worden, die Stimmzettel zu falten. Anders als § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BWO für die Bundestagswahl und § 34 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 LWO für die Landtagswahl enthält das nach § 9 FrVertrWV BW vorgeschriebene Verfahren - das die Verwendung von Wahlumschlägen vorgibt - keine Ermächtigung für den Wahlvorstand, eine Wählerin zurückzuweisen, die ihren Stimmzettel so gefaltet hat, dass die Stimmabgabe erkennbar ist (vgl. BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris Rn. 21). Weder der Wähler noch der Wahlvorstand können von dem vorgeschriebenen Wahlverfahren eigenmächtig abweichen. Die Änderung des Wahlverfahrens gehört nicht zu den Aufgaben des Wahlvorstandes nach § 7 FrVertrWV BW.
32 
Soweit die Beklagte meint, für die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit finde sich - anders als etwa in § 15 Abs. 4 Nr. 1 BPersVWO - keine besondere Regelung, wonach ein Stimmzettel, der nicht in einem Wahlumschlag abgegeben worden sei, ungültig sei, greift dies wegen der aufgezeigten Unabdingbarkeit des jeweils vorgeschriebenen Wahlverfahrens nicht durch. Der Verstoß ist wesentlich (so der Sache nach auch BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris zu § 11 WO; a. A. OVG NRW, Beschluss vom 27.9.2000 - 1 A 1541/99.PVB - juris Rn. 39).
33 
bb) Der Verstoß gegen die Pflicht zur Verwendung von Wahlumschlägen hatte möglicherweise Einfluss auf das Wahlergebnis (§ 16 Abs. 5 Satz 1 ChancenG).
34 
Es genügt für den Erfolg der Wahlanfechtung schon die Möglichkeit einer Änderung oder Beeinflussung des Wahlergebnisses, ohne dass es der Feststellung einer tatsächlich erfolgten Änderung oder Beeinflussung bedarf. Ob diese Möglichkeit bestand, das heißt, ob der Verstoß geeignet war, eine Änderung oder Beeinflussung des Wahlergebnisses herbeizuführen, beantwortet sich in der Regel aus der Art des Verstoßes unter Berücksichtigung des konkreten Sachverhalts. Dabei wird allerdings eine nur denkbare Möglichkeit dann nicht genügen, die Anfechtung zu begründen, wenn sie nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise nicht in Betracht zu ziehen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.6.2007 - 6 A 1.06 - juris Rn. 45, m. w. N.; Beschluss vom 22.12.2015 - 5 PB 5.15 - juris Rn. 11 f.). Die fehlende Kausalität eines Verstoßes gegen wesentliche Wahlvorschriften für das Wahlergebnis ist positiv festzustellen (vgl. BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris Rn. 24 f.). Im Zweifel ist bei Wahlrechtsverstößen jedoch von dem Grundsatz auszugehen, dass sie sich auch auf das Ergebnis haben auswirken können (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 23.7.2019 - 13 K 6294/18 - juris Rn. 39).
35 
Hier kann ein möglicher Einfluss des Fehlers auf das Ergebnis vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden. Unerheblich ist, ob von der Klägerin darlegt wurde, dass Wählerinnen konkret oder abstrakt eine Verletzung ihres Wahlgeheimnisses gefürchtet hätten. Denn die fehlende Kausalität muss positiv feststehen. An der Kausalität fehlt es auch dann nicht, wenn der Vortrag der Beklagten zuträfe, alle Wählerinnen seien vom Wahlvorstand vor der Abgabe des Stimmzettels aufgefordert worden, den Stimmzettel zu falten. Denn es ist durchaus möglich, dass sich Wählerinnen bei der Stimmabgabe von der Annahme beeinflussen ließen, ihr Stimmverhalten könnte mangels Verwendung von Wahlumschlägen bekannt werden (ebenso: BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris Rn. 25; a. A. OVG NRW, Beschluss vom 27.9.2000 - 1 A 1541/99.PVB - juris Rn. 32 ff.). Gerade der Umstand, dass nach § 9 Abs. 7 Satz 1 und 3 FrVertrWV BW bei der Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit der Wahlumschlag dem Wahlvorstand zu übergeben ist und dieser - und nicht die Wählerin - den Wahlumschlag in Gegenwart der Wählerin in die Wahlurne einwirft, zeigt, dass von der jeweiligen Wählerin bei der Kennzeichnung des Stimmzettels eine spätere Kenntnisnahme ihrer Wahl im Rahmen der Übergabe eines gefalteten Stimmzettels an den Wahlvorstand nicht ausgeschlossen werden konnte. Das in § 9 Abs. 7 Satz 1 und 3 FrVertrWV BW vorgeschriebene Verfahren der Wahlhandlung unterscheidet sich von dem nach § 34 Abs. 4 Satz 2 LWO und § 56 Abs. 4 Satz 2 BWO für die Landtags- und Bundestagswahl vorgeschriebenen Verfahren, nach dem der Wähler den gefalteten Stimmzettel nicht mehr aus der Hand zu geben hat, sondern ihn selbst in die Wahlurne wirft. Von diesem durch Verordnung vorgeschriebenen Wahlverfahren musste die Wählerin bei der Kennzeichnung des Stimmzettels ausgehen. Eine spätere Anweisung des Wahlvorstands, den Zettel gefaltet zu übergeben oder den gefalteten Stimmzettel selbst in die Urne zu werfen, kann an der bereits erfolgten Wahl nichts mehr ändern.
36 
Das Ergebnis der Wahl war auch relativ knapp. Die gewählte Beigeladene erhielt nach dem von der Beklagten festgestellten Wahlergebnis 76 und die Klägerin 65 von insgesamt 141 abgegebenen Stimmen. Hätte die Beklagte zudem - wie oben dargelegt - weitere acht Stimmen nach § 9 Abs. 4 Alt. 2 FrVertrWV BW als ungültig gewertet, hätte die Beigeladene 71 und die Klägerin 62 Stimmen erhalten. Wären bei der Verwendung von Wahlumschlägen nur fünf Stimmen nicht für die Beigeladene, sondern für die Klägerin abgeben worden, wäre die Wahl anders ausgegangen.
37 
e) Ob die von der Klägerin geltend gemachten weiteren Verstöße gegen Wahlrechtsvorschriften vorliegen und zur Aufhebung der Wahl führen würden, kann damit dahinstehen.
38 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind der Beklagten nicht aufzuerlegen, weil dies hier nicht der Billigkeit entspricht. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und damit kein Kostenrisiko getragen (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Außerdem hat sie das Verfahren nicht durch eigenen Vortrag wesentlich gefördert.
39 
Das Gericht sieht keinen Anlass, das Urteil wegen der Kosten entsprechend § 167 Abs. 2 VwGO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
40 
Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil kein Grund hierfür vorliegt (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 1 und § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Angesichts der genannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind hier keine obergerichtlich klärungsbedürftigen und fallübergreifenden Rechts- oder Tatsachenfragen gegeben.
41 
Beschluss
42 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf
43 
5.000 Euro
44 
festgesetzt.

Gründe

15 
Die Klage hat Erfolg.
16 
I. Sie ist zulässig.
17 
Die von der Klägerin als Bewerberin erhobene Wahlanfechtungsklage ist nach § 16 Abs. 5 Satz 1 ChancenG als Gestaltungsklage sui generis statthaft (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 23.7.2019 - 13 K 6294/18 - juris Rn. 20; VG Wiesbaden, Urteil vom 18.3.2009 - 8 K 466/08.WI - juris Rn. 17). Die Klägerin ist anfechtungsberechtigt. Nach § 16 Abs. 5 Satz 1 und 2 ChancenG können mindestens drei Wahlberechtigte, alle Bewerberinnen oder die Dienststellenleitung die Wahl beim Verwaltungsgericht anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde. Soweit die Klägerin als Mitbewerberin unter anderem geltend macht, es seien keine Wahlumschläge verwendet worden, rügt sie die Verletzung einer wesentlichen Vorschrift im Sinne von § 16 Abs. 5 Satz 1 ChancenG, nämlich von § 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 ChancenG in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 7 FrVertrWV BW, und ist antragsberechtigt.
18 
II. Die Klage ist auch begründet.
19 
1. Die Klägerin hat rechtzeitig Klage erhoben. Die Wahlanfechtungsfrist, bei der es sich um ein Begründetheitserfordernis der Klage handelt (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 23.7.2019 - 13 K 6294/18 - juris Rn. 20; BVerwG, Beschluss vom 23.10.2003 - 6 P 10.03 - juris Rn. 11; Urteil vom 27.6.2007 - 6 A 1.06 - juris Rn. 23), ist hier gewahrt. § 16 Abs. 5 Satz 3 ChancenG normiert eine Frist von zwei Wochen. Die Frist beginnt mit dem Tag der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Da das Wahlergebnis am 12. Dezember 2019 bekanntgegeben wurde, war die am 23. Dezember 2019 erhobene Klage fristgerecht.
20 
2. Es liegen jedenfalls zwei Wahlfehler vor, von denen einer zur Aufhebung der Wahl führt.
21 
Nach § 16 Abs. 5 ChancenG kann die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit und ihrer Stellvertreterin beim Verwaltungsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.
22 
a) Die Beklagte hat insgesamt acht Stimmzettel als gültig gewertet, obwohl sie nach § 9 Abs. 4 Alt. 2 FrVertrWV BW ungültig waren. Dies betrifft drei Stimmen für die Klägerin und fünf für die Beigeladene.
23 
Nach der genannten Vorschrift sind Stimmzettel, die mit einem besonderen Merkmal versehen sind, ungültig. Ein Stimmzettel enthält ein besonderes Merkmal, wenn er über die der Stimmabgabe dienenden Kennzeichnung hinaus Eigenheiten aufweist, die aus sich heraus oder im Zusammenwirken mit anderen Umständen geeignet sein können, Rückschlüsse auf einen bestimmten Wähler zuzulassen, wie etwa handschriftliche Zusätze (vgl. BAG, Beschluss vom 28.4.2021 - 7 ABR 20/20 - NZS 2021, 1266, juris Rn. 35 f.).
24 
Solche besonderen Merkmale stellen hier die auf den Stimmzetteln angebrachten handschriftlichen Zusätze dar, insbesondere die Angabe der Dienststelle der Wählerin. Ausgehend von dem Wählerverzeichnis, in dem die Dienstanschrift der Wählerin genannt ist und in der die Stimmabgabe vermerkt wurde, kann eine mit einem solchen Hinweis versehene Stimmabgabe leicht einer bestimmten Wählerin zugeordnet werden. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der geringen Wahlbeteiligung von 146 bei 795 Wahlberechtigten. Auch die jeweilige Handschrift, mit der bei diesen acht Stimmzetteln neben der Dienststelle teilweise auch der Ort oder der Tag der Stimmabgabe angegeben wurde, ermöglicht die Ermittlung der jeweiligen Wählerin.
25 
Allerdings hat dieser kraft Gesetzes wesentliche Fehler für sich allein das Wahlergebnis nicht geändert. Hätte die Beklagte die genannten Stimmzettel als ungültig gewertet, hätte die Klägerin 62 Stimmen und die Beigeladene 71 Stimmen erhalten.
26 
b) Allerdings hat die Beklagte entgegen der Vorschriften des § 9 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 7 FrVertrWV BW die Wahl ohne die Verwendung von Wahlumschlägen durchführen lassen. Dabei handelt es sich um eine wesentliche Vorschrift des Wahlrechts. Der Fehler konnte das Wahlergebnis beeinflussen.
27 
aa) Nach § 16 Abs. 3 Satz 2 ChancenG muss die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit den Grundsätzen der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl entsprechen. Gemäß § 9 Abs. 2 FrVertrWV BW wird das Wahlrecht durch Abgabe eines Stimmzettels in einem Wahlumschlag ausgeübt. Nach § 9 Abs. 7 FrVertrWV BW übergibt die Wählerin ihren Wahlumschlag, in den der Stimmzettel eingelegt ist, dem mit der Entgegennahme der Wahlumschläge betrauten Mitglied des Wahlvorstands. Der Wahlvorstand stellt fest, ob sie in die Wählerinnenliste eingetragen ist. Trifft dies zu, wird der ungeöffnete Wahlumschlag in Gegenwart der Wählerin in die Wahlurne geworfen und die Stimmabgabe in der Wählerinnenliste vermerkt.
28 
Der Grundsatz der geheimen Wahl gewährleistet, dass ausschließlich der Wähler vom Inhalt seiner Wahlentscheidung Kenntnis hat, und verpflichtet den Gesetzgeber, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Wahlgeheimnisses zu treffen. Die Geheimheit der Wahl bildet den wichtigsten institutionellen Schutz der Freiheit der Wahl (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3.3.2009 - 2 BvC 3/07 - BVerfGE 123, 39, juris Rn. 129).
29 
Dementsprechend soll die von § 9 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 7 FrVertrWV BW vorgeschriebene Verwendung von Wahlumschlägen sicherstellen, dass keinem anderen die Stimmabgabe der Wählerin bekannt wird. Die Wählerin soll vor jeglichem sozialen Druck geschützt werden. Sie soll ihre Wahl in Ansehung der ihr bekannten Tatsachen und Meinungen nach ihrer freien Überzeugung treffen können. Diese Grundsätze sind insbesondere durch das Verfahren über die Stimmabgabe und die Stimmenauszählung in § 9 FrVertrWV BW formalisiert und unabdingbar ausgestaltet (vgl. BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - juris Rn. 19 ff. zu der bis 14.10.2021 geltenden Fassung von § 11 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes ; offenbar mit Blick auf den Beschluss des BAG hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales durch Verordnung vom 8.10.2021 die Wahlordnung geändert und die Faltung des Stimmzettels vorschrieben, vgl. § 11 Abs. 3 WO). Ist die Verwendung von Wahlumschlägen gesetzlich vorgeschrieben, wird hierdurch ergänzend gewährleistet, dass bei der Auszählung Briefwahlstimmen, die im ungeöffneten Wahlumschlag in die Wahlurne einzulegen sind (§ 10 Abs. 4 FrVertrWV BW), und persönlich abgegebene Stimmen nicht zu unterscheiden sind (vgl. BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris Rn. 21).
30 
Zwar kann eine geheime Wahl auch ohne Verwendung von Wahlumschlägen sichergestellt werden, namentlich durch die Vorgabe einer Faltung der Stimmzettel. So ist etwa im Rahmen der Landtagswahl geregelt, dass der Wähler den gefalteten Stimmzettel in die Wahlurne wirft (§ 34 Abs. 4 Satz 2 LWO). Gleiches gilt für die Bundestagswahl (vgl. § 56 Abs. 4 Satz 2 BWO). Die Gewährleistung des Wahlgeheimnisses verlangt also nicht zwingend, dass die Verwendung von Wahlumschlägen vorgeschrieben ist (vgl. zum Kommunalwahlrecht BVerwG, Beschluss vom 24.7.1996 - 8 B 147.96 - juris Rn. 4).
31 
Allerdings muss zum Schutz des Wahlgeheimnisses ein solches Wahlverfahren vom Gesetzgeber selbst oder aufgrund eines Gesetzes vom Verordnungsgeber vorgeschrieben sein (vgl. BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris Rn. 19 ff.; davon ausgehend auch: BVerwG, Beschluss vom 24.7.1996 - 8 B 147.96 - juris Rn. 3). Nur der Gesetzgeber kann es dem Wahlberechtigten überlassen, „in seinem Bereich selbst für die Wahrung des Wahlgeheimnisses und der Wahlfreiheit Sorge zu tragen“ (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.7.1996 - 8 B 147.96 - juris Rn. 3). Da der Grundsatz der Geheimheit der Wahl nicht nur im Interesse der Wähler, sondern mindestens ebenso sehr im öffentlichen Interesse besteht - demokratische Legitimation ist ohne die durch das Wahlgeheimnis ermöglichte Freiheit der Wahl nicht herstellbar -, kann der Wähler auf die Geheimheit der Stimmabgabe nicht verzichten. Er ist verpflichtet, bei der Stimmabgabe die zum Schutz der Geheimheit bestimmten wahlrechtlichen Vorschriften zu beachten (vgl. Klein/Schwarz in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 38 Rn. 118; BAG, Beschluss vom 28.4.2021 - 7 ABR 20/20 - NZS 2021, 1266, juris Rn. 38). Daher ist es auch unbeachtlich, wenn die Beklagte behauptet, die Wählerinnen seien hier angehalten worden, die Stimmzettel zu falten. Anders als § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BWO für die Bundestagswahl und § 34 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 LWO für die Landtagswahl enthält das nach § 9 FrVertrWV BW vorgeschriebene Verfahren - das die Verwendung von Wahlumschlägen vorgibt - keine Ermächtigung für den Wahlvorstand, eine Wählerin zurückzuweisen, die ihren Stimmzettel so gefaltet hat, dass die Stimmabgabe erkennbar ist (vgl. BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris Rn. 21). Weder der Wähler noch der Wahlvorstand können von dem vorgeschriebenen Wahlverfahren eigenmächtig abweichen. Die Änderung des Wahlverfahrens gehört nicht zu den Aufgaben des Wahlvorstandes nach § 7 FrVertrWV BW.
32 
Soweit die Beklagte meint, für die Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit finde sich - anders als etwa in § 15 Abs. 4 Nr. 1 BPersVWO - keine besondere Regelung, wonach ein Stimmzettel, der nicht in einem Wahlumschlag abgegeben worden sei, ungültig sei, greift dies wegen der aufgezeigten Unabdingbarkeit des jeweils vorgeschriebenen Wahlverfahrens nicht durch. Der Verstoß ist wesentlich (so der Sache nach auch BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris zu § 11 WO; a. A. OVG NRW, Beschluss vom 27.9.2000 - 1 A 1541/99.PVB - juris Rn. 39).
33 
bb) Der Verstoß gegen die Pflicht zur Verwendung von Wahlumschlägen hatte möglicherweise Einfluss auf das Wahlergebnis (§ 16 Abs. 5 Satz 1 ChancenG).
34 
Es genügt für den Erfolg der Wahlanfechtung schon die Möglichkeit einer Änderung oder Beeinflussung des Wahlergebnisses, ohne dass es der Feststellung einer tatsächlich erfolgten Änderung oder Beeinflussung bedarf. Ob diese Möglichkeit bestand, das heißt, ob der Verstoß geeignet war, eine Änderung oder Beeinflussung des Wahlergebnisses herbeizuführen, beantwortet sich in der Regel aus der Art des Verstoßes unter Berücksichtigung des konkreten Sachverhalts. Dabei wird allerdings eine nur denkbare Möglichkeit dann nicht genügen, die Anfechtung zu begründen, wenn sie nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise nicht in Betracht zu ziehen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.6.2007 - 6 A 1.06 - juris Rn. 45, m. w. N.; Beschluss vom 22.12.2015 - 5 PB 5.15 - juris Rn. 11 f.). Die fehlende Kausalität eines Verstoßes gegen wesentliche Wahlvorschriften für das Wahlergebnis ist positiv festzustellen (vgl. BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris Rn. 24 f.). Im Zweifel ist bei Wahlrechtsverstößen jedoch von dem Grundsatz auszugehen, dass sie sich auch auf das Ergebnis haben auswirken können (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 23.7.2019 - 13 K 6294/18 - juris Rn. 39).
35 
Hier kann ein möglicher Einfluss des Fehlers auf das Ergebnis vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden. Unerheblich ist, ob von der Klägerin darlegt wurde, dass Wählerinnen konkret oder abstrakt eine Verletzung ihres Wahlgeheimnisses gefürchtet hätten. Denn die fehlende Kausalität muss positiv feststehen. An der Kausalität fehlt es auch dann nicht, wenn der Vortrag der Beklagten zuträfe, alle Wählerinnen seien vom Wahlvorstand vor der Abgabe des Stimmzettels aufgefordert worden, den Stimmzettel zu falten. Denn es ist durchaus möglich, dass sich Wählerinnen bei der Stimmabgabe von der Annahme beeinflussen ließen, ihr Stimmverhalten könnte mangels Verwendung von Wahlumschlägen bekannt werden (ebenso: BAG, Beschluss vom 20.1.2021 - 7 ABR 3/20 - NZA 2021, 889, juris Rn. 25; a. A. OVG NRW, Beschluss vom 27.9.2000 - 1 A 1541/99.PVB - juris Rn. 32 ff.). Gerade der Umstand, dass nach § 9 Abs. 7 Satz 1 und 3 FrVertrWV BW bei der Wahl der Beauftragten für Chancengleichheit der Wahlumschlag dem Wahlvorstand zu übergeben ist und dieser - und nicht die Wählerin - den Wahlumschlag in Gegenwart der Wählerin in die Wahlurne einwirft, zeigt, dass von der jeweiligen Wählerin bei der Kennzeichnung des Stimmzettels eine spätere Kenntnisnahme ihrer Wahl im Rahmen der Übergabe eines gefalteten Stimmzettels an den Wahlvorstand nicht ausgeschlossen werden konnte. Das in § 9 Abs. 7 Satz 1 und 3 FrVertrWV BW vorgeschriebene Verfahren der Wahlhandlung unterscheidet sich von dem nach § 34 Abs. 4 Satz 2 LWO und § 56 Abs. 4 Satz 2 BWO für die Landtags- und Bundestagswahl vorgeschriebenen Verfahren, nach dem der Wähler den gefalteten Stimmzettel nicht mehr aus der Hand zu geben hat, sondern ihn selbst in die Wahlurne wirft. Von diesem durch Verordnung vorgeschriebenen Wahlverfahren musste die Wählerin bei der Kennzeichnung des Stimmzettels ausgehen. Eine spätere Anweisung des Wahlvorstands, den Zettel gefaltet zu übergeben oder den gefalteten Stimmzettel selbst in die Urne zu werfen, kann an der bereits erfolgten Wahl nichts mehr ändern.
36 
Das Ergebnis der Wahl war auch relativ knapp. Die gewählte Beigeladene erhielt nach dem von der Beklagten festgestellten Wahlergebnis 76 und die Klägerin 65 von insgesamt 141 abgegebenen Stimmen. Hätte die Beklagte zudem - wie oben dargelegt - weitere acht Stimmen nach § 9 Abs. 4 Alt. 2 FrVertrWV BW als ungültig gewertet, hätte die Beigeladene 71 und die Klägerin 62 Stimmen erhalten. Wären bei der Verwendung von Wahlumschlägen nur fünf Stimmen nicht für die Beigeladene, sondern für die Klägerin abgeben worden, wäre die Wahl anders ausgegangen.
37 
e) Ob die von der Klägerin geltend gemachten weiteren Verstöße gegen Wahlrechtsvorschriften vorliegen und zur Aufhebung der Wahl führen würden, kann damit dahinstehen.
38 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind der Beklagten nicht aufzuerlegen, weil dies hier nicht der Billigkeit entspricht. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und damit kein Kostenrisiko getragen (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Außerdem hat sie das Verfahren nicht durch eigenen Vortrag wesentlich gefördert.
39 
Das Gericht sieht keinen Anlass, das Urteil wegen der Kosten entsprechend § 167 Abs. 2 VwGO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
40 
Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil kein Grund hierfür vorliegt (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 1 und § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Angesichts der genannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind hier keine obergerichtlich klärungsbedürftigen und fallübergreifenden Rechts- oder Tatsachenfragen gegeben.
41 
Beschluss
42 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf
43 
5.000 Euro
44 
festgesetzt.

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