Urteil vom Verwaltungsgericht Koblenz (2. Kammer) - 2 K 1005/09.KO
Tenor
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 8. April 2009 und Aufhebung des Widerspruchsbescheids dieser Behörde vom 4. August 2009 verpflichtet, dem Kläger auf seinen Antrag vom 2. April 2009 zu seinen Aufwendungen für die Medikamente „Sortis 20 mg“ und „Beloc-Zok mite“ eine weitere Beihilfe in Höhe von 86,64 € zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
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Der Kläger, ein pensionierter Berufssoldat, begehrt von der Beklagten Beihilfe zu Aufwendungen für Medikamente.
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Am 2. April 2009 beantragte er bei der Wehrbereichsverwaltung Süd, ihm Beihilfe unter anderem zu Aufwendungen in Höhe von 160,80 € für das Medikament „Sortis 20 mg“ und 22,72 € für „Beloc-Zok mite“ zu gewähren. Hierzu legte er ein schriftliches Rezept des Arztes Prof. Dr. med. B... vom 11. März 2009 mit Apothekenstempel vom 12. März 2009 vor.
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Mit Bescheid vom 8. April 2009 setzte die Beihilfestelle der Wehrbereichsverwaltung Süd eine auszuzahlende Beihilfe in Höhe von insgesamt 55,70 € fest, davon entfielen 31,32 € auf die beiden genannten Medikamente. Im Einzelnen erkannte sie die Aufwendungen für Sortis in Höhe von 36,03 € abzüglich eines Eigenanteils von 5,- € als beihilfefähig an, die Aufwendungen für Beloc-Zok mite in Höhe von 18,72 € abzüglich 5,- € Eigenanteil. Auf die beihilfefähigen Aufwendungen wandte sie einen Bemessungssatz von 70 % an. Mit Hinweis Nr. 368 Buchst. D) erläuterte sie, dass Aufwendungen für ärztlich verordnete Arzneimittel, für die ein Festbetrag nach § 35 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V – festgesetzt wurde, nur bis zur Höhe des Festbetrags beihilfefähig seien.
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Am 24. April 2009 legte der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein. Die Beihilfe sei ihm unangekündigt und unberechtigt gekürzt worden. Er sei seit dem Jahr 2002 nach einer Bypassoperation chronisch erkrankt und auf die für ihn lebensnotwendigen und ärztlich verordneten Medikamente angewiesen.
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Den Widerspruch wies die Wehrbereichsverwaltung Süd mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2009 zurück. Der Widerspruch sei zulässig, aber nicht begründet. Nach § 22 Abs. 3 Bundesbeihilfeverordnung – BBhV – bestimme das Bundesministerium des Innern in Verwaltungsvorschriften als Obergrenzen für die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Arzneimittel Festbeträge im Sinne von § 35 SGB V. Für Sortis liege der Festbetrag bei 36,03 €, für Beloc-Zok mite bei 18,72 €. Diese Festbetragsregelungen beruhten auf § 35 SGB V, wonach der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V bestimme, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden könnten. Die Umsetzung der Festbetragsregelungen sei durch Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung ab dem 1. Januar 2009 erfolgt. Über diese Änderung habe der Kläger nicht informiert werden müssen. Der Beamte dürfe nicht ohne weiteres auf den unveränderten Fortbestand ihm günstiger Regelungen vertrauen. Insbesondere im Beihilferecht sei mit Änderungen zu rechnen. Hinzu komme, dass der Kläger von der bislang nicht erfolgten Umsetzung der Festbetragsregelungen profitiert habe. Auch medizinische Gründe führten nicht zur vollständigen Anerkennung der beantragten Aufwendungen. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids ist ausgeführt, dass schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage erhoben werden könne.
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Der Kläger hat am 9. September 2009 Klage erhoben und vertieft sein bisheriges Vorbringen, auf die beiden Medikamente angewiesen zu sein.
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Er beantragt sinngemäß,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheids der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 8. April 2009 und Aufhebung des Widerspruchsbescheids dieser Behörde vom 4. August 2009 zu verpflichten, ihm Beihilfe zu den Aufwendungen für die ärztlich verordneten Präparate „Sortis 20 mg“ und „Beloc-Zok mite“ zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf den Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus vertritt sie die Ansicht, dass die angewandte Festbetragsregelung auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2009 – 2 C 28.08 – nicht zu beanstanden sei. Entscheidendes Argument des Bundesverwaltungsgerichts sei gewesen, dass die Festbetragsregelung zum damaligen Zeitpunkt nur in einem Hinweis des Bundesministeriums des Innern zu den Beihilfevorschriften enthalten gewesen sei, nicht aber in den Beihilfevorschriften selbst. Nunmehr sei die Festbetragsregelung in § 22 Abs. 3 BBhV als Ermächtigung enthalten. Von dieser Ermächtigung habe das Bundesministerium des Innern Gebrauch gemacht und unter Nr. 22.3.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 14. Februar 2009 zur BBhV – BBhV-VwV – bestimmt, dass die Festbetragsregelungen der Spitzenverbände der Krankenkassen anzuwenden seien.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen. Ihr Inhalt ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ohne mündliche Verhandlung entscheiden durfte, hat Erfolg.
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Sie ist als Verpflichtungsklage zulässig und insbesondere fristgerecht erhoben worden. Dabei kann dahingestellt bleiben, wann der Widerspruchsbescheid dem Kläger zugestellt worden ist; dies lässt sich der beigezogenen Verwaltungsakte und dem Beteiligtenvorbringen nicht entnehmen. Jedenfalls ist die Klage innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO bei Gericht eingegangen. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids ist unrichtig. Sie belehrt zwar über die Form der Klageerhebung, aber unvollständig, nämlich nicht über die bei dem angerufenen Gericht bestehende Möglichkeit einer Klageerhebung im elektronischen Rechtsverkehr (Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit den öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten vom 9. Januar 2008; vgl. zum Ganzen: OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 22. April 2010 – 2 S 12.10 – juris Rn. 3; VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 K 1192/09.NW – UA S. 6).
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Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die von ihm begehrte Beihilfe. Der ablehnende Bescheid der Beklagten und ihr Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen den Kläger dadurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Der Kläger kann als pensionierter Berufssoldat nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Soldatengesetz – SG – i. V. m. § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Bundesbeamtengesetz – BBG – Beihilfe erhalten, wobei sich die Einzelheiten nach der Bundesbeihilfeverordnung – BBhV – richten. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BBhV besteht auf Beihilfe ein Rechtsanspruch. Beihilfeberechtigt sind unter anderem Versorgungsempfänger (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 BBhV). Beihilfefähig sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV). Dabei können auch Aufwendungen zu Arzneimitteln beihilfefähig sein. Das ist nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BBhV unter anderem dann der Fall, wenn sie nach Art und Umfang von einem Arzt schriftlich verordnet sind. So liegt es hier.
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Der Kläger ist als Versorgungsempfänger nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BBhV beihilfeberechtigt. Die verschreibungspflichtigen Medikamente Beloc-Zok mite und Sortis sind dem Kläger nach Art und Umfang mit Rezept des Herrn Prof. Dr. med. B... vom 11. März 2009 schriftlich ärztlich verordnet (Bl. 8 VA). Notwendigkeit und wirtschaftliche Angemessenheit der dem Kläger entstandenen Aufwendungen stehen zwischen den Beteiligten nicht in Streit; auch das Gericht sieht keinen Anlass, daran zu zweifeln.
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Die hiernach gegebene Beihilfefähigkeit ist nicht auf die von der Beklagten angewendeten Festbeträge beschränkt. Zwar sieht § 22 Abs. 3 BBhV die Möglichkeit einer solchen Begrenzung vor, diese Einschränkung der Beihilfefähigkeit ist aber nicht in rechtswirksamer Art und Weise erfolgt.
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Da es sich bei der Begrenzung der Beihilfefähigkeit auf Festbeträge um eine Einschränkung des Grundsatzes handelt, dass Beihilfe gewährt wird, soweit die Aufwendungen notwendig und angemessen sind (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV), bedarf ein Ausschluss oder eine Begrenzung in materieller Hinsicht einer inneren, den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz standhaltenden Rechtfertigung und in formeller Hinsicht einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage (BVerwG, NVwZ-RR 2009, 730 [Rn. 14]). An einer solchen Rechtsgrundlage fehlt es hier. Insbesondere tragen § 22 Abs. 3 BBhV und Nr. 22.3 BBhV-VwV die Begrenzung der Beihilfefähigkeit auf die Festbetragshöhe nicht.
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§ 22 Abs. 3 Satz 1 BBhV bewirkt selbst keine Begrenzung der Beihilfefähigkeit; die Vorschrift ermächtigt hierzu lediglich das Bundesministerium des Innern. Demnach bestimmt das Ministerium in Verwaltungsvorschriften als Obergrenzen für die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Arzneimittel Festbeträge im Sinne von § 35 SGB V und Höchstbeträge im Sinne von § 31 Abs. 2a i. V. m. § 35b Abs. 1 SGB V.
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Dessen Verwaltungsvorschrift trägt die von der Beklagten vorgenommene Leistungseinschränkung allerdings ebenfalls nicht. Sie ist als Verwaltungsvorschrift bereits nach ihrer Rechtsform nicht geeignet, Beihilfeleistungen zu begrenzen.
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Untergesetzliche Vorschriften, wie Verwaltungsvorschriften, können nur norminterpretierend die Beihilfevorschriften konkretisieren und Zweifelsfälle im Sinne einer einfachen und gleichartigen Handhabung klären oder die Ausübung etwa vorhandener Ermessens- oder Beurteilungsspielräume lenken; sie können aber nicht selbständig neue Leistungsausschlüsse oder Leistungseinschränkungen schaffen. Sie sind nur Interpretationshilfen für die nachgeordneten Stellen und besitzen keine Verbindlichkeit für die Gerichte (BVerwG, a. a. O., [Rn. 19]).
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Dementsprechend sieht § 80 Abs. 4 BBG vor, dass die Einzelheiten der Beihilfegewährung, insbesondere der Höchstbeträge und des völligen oder teilweisen Ausschlusses von Arzneimitteln in Anlehnung an das SGB V, durch Rechtsverordnung zu regeln sind; dem wird eine Verwaltungsvorschrift nicht gerecht.
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Die Höhe der dem Kläger zu gewährenden weiteren Beihilfe beträgt 86,64 €. Dieser Betrag ergibt sich, wenn der Bemessungssatz des § 46 Abs. 2 Nr. 2 BBhV von 70 % auf die Aufwendungen für die beiden Medikamente (183,52 €) abzüglich des jeweiligen Eigenanteils von 5,- € für Beloc-Zok mite sowie 10,- € für Sortis angewendet und die bereits gewährte Beihilfe (31,32 €) von dem Betrag abgezogen wird.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.
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Beschluss
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Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 86,64 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2 GKG).
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Die Festsetzung des Streitwerts kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der Beschwerde angefochten werden.
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Referenzen
- § 68 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 58 1x
- BBhV § 46 Bemessung der Beihilfe 1x
- 2 K 1192/09 1x (nicht zugeordnet)
- § 80 Abs. 4 BBG 1x (nicht zugeordnet)
- § 35b Abs. 1 SGB V 1x (nicht zugeordnet)
- § 35 SGB V 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V 1x (nicht zugeordnet)
- BBhV § 2 Beihilfeberechtigte Personen 2x
- BBhV § 6 Beihilfefähigkeit von Aufwendungen 2x
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 167 1x
- BBhV § 10 Beihilfeanspruch 1x
- § 63 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- BBhV § 22 Arznei- und Verbandmittel 5x