Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 5 K 7317/18
Tenor
Unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Oktober 2018 wird der Beklagte verpflichtet, dem Kläger einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Der Kläger ist am 00. 00. 1990 geboren und syrischer Staatsangehöriger. Er verließ sein Heimatland nach eigenen Angaben Ende Juni 2011 per Flugzeug, um sein in M. / Syrien begonnenes Studium der Ingenieurswissenschaften an der Arab Academy for Science and Technology in Ägypten fortzuführen. In Ägypten hielt er sich zu Studienzwecken bis August 2014 auf und reiste – nach kürzeren Aufenthalten in Saudi-Arabien und der Türkei – schließlich über Griechenland mit einem gefälschten norwegischen Aufenthaltstitel am 16. Juni 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dort beantragte er am 3. Februar 2016 die Anerkennung als Asylberechtigter.
3In seiner Anhörung am 3. März 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab der Kläger an, dass er sich bei Beginn des Krieges in Syrien entschlossen habe, sein Studium in Ägypten fortzuführen, bis sich die Lage beruhigt habe. Die Situation in Syrien sei indessen immer schlimmer geworden. Eine konkrete Gefahr, die zu seinem Ausreiseentschluss geführt habe, gebe es nicht. Ihm persönlich sei nichts passiert, keiner habe ihn bedroht und keiner wolle ihn töten. Bei einer Rückkehr fürchte er die allgemeine Situation in Syrien. Weitere Gründe für einen Asylantrag gebe es nicht.
4Mit Bescheid vom 20. Juli 2016 gewährte ihm das Bundesamt den subsidiären Schutzstatus und lehnte im Übrigen den Asylantrag ab. Der Kläger erhob am 29. Juli 2016 eine Klage gerichtet auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (im Folgenden: Verbesserungsklage) vor dem VG Köln (14 K 6644/16.A) und stützte sich ergänzend darauf, dass er mit einem bekannten oppositionellen Journalisten, der in Großbritannien lebe, verwandt sei und ihm daher und aufgrund seines Wehrdienstentzuges Verfolgung drohe. Mit Urteil des VG Köln vom 29. Januar 2019 wurde die asylrechtliche Verbesserungsklage abgewiesen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde durch das Oberverwaltungsgericht für das Nordrhein-Westfalen vom 4. April 2019 abgelehnt (Az.: 14 A 1059/19.A).
5Am 11. August 2016 erhielt der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG.
6Unter dem 22. Juni 2018 beantragte der Kläger die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer.
7Mit Bescheid vom 25. Oktober 2018 lehnte der Beklagte – nach entsprechender Anhörung – den Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises ab. Eine Unzumutbarkeit der Vorsprache bei der Botschaft sei nicht erkennbar. Der Kläger habe seit dem Jahr 2011 nicht mehr in Syrien gelebt; er habe in Ägypten studiert. Zum Militärdienst sei er nicht eingezogen worden, so dass er keine Wehrdienstflucht begangen habe. Die Kernfamilie wohne ebenfalls nicht mehr in Syrien. Nach Angaben des Klägers lebten sein Bruder und seine Eltern in Saudi-Arabien, seine Schwester in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Lediglich seine Großfamilie lebe noch in Syrien. Dass der Kläger Probleme befürchten müsse, wenn er in Deutschland einen syrischen Pass beantragen würde, sei nicht ersichtlich. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass er und seine Familie nie Probleme mit staatlichen Stellen gehabt hätten. In Nordrhein-Westfalen existiere kein Erlass, nach welchem es syrischen subsidiär Schutzberechtigten unzumutbar sei, sich bei ihrer Auslandsvertretung um die Ausstellung eines Passes zu bemühen. Vielmehr habe das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes NRW (MKFFI) die nordrhein-westfälischen Regierungsbezirke mit E-Mail vom 7. August 2018 darauf hingewiesen, dass es auch syrischen subsidiär Schutzberechtigten im wehrpflichtigen Alter zumutbar sei, sich bei ihrer Auslandsvertretung um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen. Die syrische Botschaft habe der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld (ZAB) auf Anfrage hin mitgeteilt, dass weder eine Einberufung zum Wehrdienst in der Botschaft noch eine „Überprüfung von syrischen Staatsangehörigen im wehrfähigen Alter“ stattfänden. Die Frist zur Einberufung könne unter Vorlage von Identitätsnachweisen und gültigen Aufenthaltspapieren für die Bundesrepublik Deutschland bis zu vier Jahre hintereinander verschoben werden. Danach sei auch ein Freikauf möglich. Selbige Information sei auf der Webseite des syrischen Außenministeriums zu finden.
8Der Kläger hat gegen den ablehnenden Bescheid vom 25. Oktober 2018 am 29. Oktober 2018 Klage erhoben.
9Der Kläger ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises. Es sei ihm unzumutbar, bei der syrischen Botschaft vorzusprechen. Hierdurch würden Gefahrentatbestände für Familienmitglieder geschaffen. Zudem bestehe für ihn eine Gefährdungslage dahingehend, dass er den Wehrdienst leisten müsse und dies bislang nicht getan habe. Außerdem sei sein in Großbritannien lebender Onkel exilpolitisch aktiv. Der syrische Geheimdienst sei in Deutschland präsent und durchleuchte die hiesigen Exilaktivitäten. Die Auskunft gegenüber der ZAB Bielefeld sei nicht relevant, da sie auf einer Auskunft von Mitarbeitern der syrischen Botschaft beruhe und damit nicht hinreichend glaubhaft sei. Die in Syrien lebende Großfamilie sei durch die Vorsprache des Klägers bei der syrischen Botschaft gefährdet. Die Neuregelung des Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU bezwecke die Ausstellung von Reisedokumenten nicht nur an anerkannte Flüchtlinge sondern auch subsidiär Schutzberechtigte.
10Er beantragt,
11den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 25. Oktober 2018 zu verpflichten, ihm einen Reiseausweis für Ausländer zu erteilen.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er begründet seine Ansicht damit, dass die in der Klagebegründung angeführten Aspekte nicht überzeugten und zu keiner anderen Entscheidung führten. Aus der Gewährung des subsidiären Schutzstatus lasse sich nicht pauschal ableiten, dass dem Kläger eine Vorsprache bei den heimatstaatlichen Behörden nicht möglich sei. Hierzu führe das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) in seiner Länderinformation vom 1. Oktober 2018 zum syrischen Pass- und Ausweiswesen (M2-20105/56#171) aus, dass bei Personen, für die weder der Flüchtlingsstatus noch die Asylberechtigung festgestellt worden seien, die Passbeantragung bei heimatstaatlichen Behörden grundsätzlich zumutbar sei. Bei Personen, die im Asylverfahren keine staatliche Verfolgung vorgebracht hätten, sei i.d.R. auch keine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung anzunehmen. Anderes gelte nur in Ausnahmefällen. Ein solcher Ausnahmefall sei hier indes nicht erkennbar. Der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, dass für ihn oder seine Familie konkrete und ernsthafte Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohten, wenn er die Behörden seines Heimatstaates kontaktiere. Der Kläger habe zudem bislang kein Interesse am zusätzlichen Erhalt eines Reiseausweises dargelegt. Mit seinem Ausweisersatz könne er sich im Bundesgebiet frei bewegen.
15Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2019 informatorisch angehört wurden. Hierbei hat der Kläger auf Nachfrage hin angegeben, dass sein Onkel ihm in Syrien bereits einen Proxy-Pass organisiert habe. Nach syrischem Recht sei die Beantragung und Ausstellung von Pässen durch Verwandte oder bevollmächtigte Dritte (Proxy-Pässe) möglich und in Syrien übliche Praxis. Zudem habe er seinen Namen auf einer Liste des syrischen Staates von Wehrdienstverweigerern im Internet gesehen. Die syrische Botschaft in Ägypten habe ihm im Übrigen mitgeteilt, dass er trotz seines Studiums den Wehrdienst ableisten müsse. Sein Onkel habe vergeblich versucht, ihn vom Wehrdienst freizukaufen.
16Die Kammer hat die mündliche Verhandlung vertagt, um dem Beklagten Gelegenheit zu geben, zu überprüfen, welche Anforderungen an einen Proxy-Pass gestellt werden. Der Beklagte hat mit Schreiben vom 11. November 2019 mitgeteilt, dass die Gültigkeit des Proxy-Passes erfordere, dass der Kläger diesen in der syrischen Botschaft unterschreibe. Dies sei ihm auch zumutbar.
17Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2019 auf die Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung verzichtet.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der Akte des gerichtlichen Verfahrens mit dem Aktenzeichen 14 K 6644/17.A Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe
20Die Kammer konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
21Die zulässige Klage ist begründet.
22Der Bescheid des Beklagten vom 25. Oktober 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer nach § 5 Abs. 1 AufenthV bei europarechtskonformer Auslegung (Richtlinie 2011/95/EU (im Folgenden: Qualifikationsrichtline)).
23Nach § 5 Abs. 1 AufenthV kann einem Ausländer, der – wie der Kläger – nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden.
24Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Dem Kläger ist die Beschaffung eines syrischen Reiseausweises unzumutbar. Dies gilt auch für den Proxy-Pass.
25Welche konkreten Anforderungen an das Vorliegen einer Unzumutbarkeit zu stellen sind, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Bei der zu prüfenden Unzumutbarkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Die Frage, ob die Vorsprache bei der Heimatvertretung einem Ausländer zugemutet werden darf, lässt sich dabei nicht allgemeingültig, sondern nur nach Maßgabe der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilen.
26Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2006 – 1 B 54/06 – juris; BayVGH, Beschluss vom 13. Juni 2016 – 10 C 16.773 – juris Rn. 17, Urteil vom 18. Januar 2011 – 19 B 10.2157 – juris Rn. 24, Beschluss vom 17. Oktober 2018 – 19 ZB 15.428 –, juris Rn. 9.
27Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die einen Ausnahmefall begründenden Umstände sind vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen.
28Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. November 2010 – 18 A 222/09 –, n.v.;, Beschluss vom 17. Mai 2016 – 18 A 951/15 –, juris Rn. 3 - 4; Nieders. OVG, Beschlüsse vom 7. Juni 2012 – 8 PA 65/12 –, juris Rn. 7 und vom 11. April 2012 - 8 ME 224/11 –, juris Rn. 4.
29Eine generelle Unzumutbarkeit einer Vorsprache bei der Auslandsvertretung zum Zwecke der Passbeschaffung folgt weder aus der Stellung als subsidiär Schutzberechtigter für sich genommen noch aus § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG.
30Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Mai 2016 – 18 A 951/15 –, juris; BayVGH, Beschluss vom 17. Oktober 2018 – 19 ZB 15.428 –, juris Rn. 4.
31Vielmehr sind die Anforderungen an die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Passerlangung unter Berücksichtigung der besonderen Verfolgungs- bzw. Gefährdungssituation des Schutzberechtigten nach den Umständen des Einzelfalls zu stellen. Bei subsidiär Schutzberechtigten ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob ihnen die Vorsprache im Konsulat ihres Herkunftsstaates zwecks Beschaffung eines Nationalpasses zumutbar ist, oder ob ihnen wegen Unzumutbarkeit gerade dieser Handlung durch die Ausländerbehörde ein Reiseausweis für Ausländer auszustellen ist.
32Vgl. Bender in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 3 AufenthG, Rn. 16.
33Nicht erst dann, wenn der Betroffene die Rechtsstellung eines Flüchtlings und damit gem. Art. 28 GFK einen Anspruch auf einen Konventionspass (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 AufenthV) hat, sondern auch, wenn die verfolgungsrechtliche Situation des subsidiär Schutzberechtigten bei einer wertenden Betrachtung im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit der eines Flüchtlings vergleichbar ist,
34Vgl. BayVGH, Urteil vom 18. Januar 2011 – 19 B 10.2157 –, juris Rn. 31,
35ist von einer Unzumutbarkeit der Vorsprache bei der heimischen Botschaft auszugehen.
36Auch ist im Einzelfall zu würdigen, ob die Gefährdung oder Bedrohung, die zur Anerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG geführt hat, von staatlichen Akteuren ausgeht. Geht der drohende ernsthafte Schaden auf eine gezielte Bedrohung durch staatliche Behörden zurück, und befürchtet der Betroffene eine Gefährdung seiner im Heimatland lebenden Verwandten, so kann sich eine Passerlangung als unzumutbar bzw. unmöglich erweisen.
37Vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, Kapitel 19, § 57 Rn. 12.
38Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben.
39Die Kammer nimmt vorliegend an, dass die verfolgungsrechtliche Situation im Einzelfall des Klägers bei einer wertenden Betrachtung im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit der eines Flüchtlings vergleichbar ist.
40Der Kläger gilt in seinem Heimatland (inzwischen) als Wehrdienstverweigerer. Er hat den Wehrdienst in Syrien nicht geleistet; eine Freistellung / Befreiung nach Beendigung seines Studiums, welches grundsätzlich eine vorübergehende Befreiung bewirkt,
41vgl. unter vielen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23. März 2017, S. 9,
42ist in seinem Fall nicht erfolgt. Dies hat er in der mündlichen Verhandlung in Konsistenz zu seinem Vortrag gegenüber dem Bundesamt im Rahmen seines Asylverfahrens nachvollziehbar und damit glaubhaft geschildert.
43In der Rechtsprechung besteht Einigkeit, dass Wehrdienstverweigerer in Syrien staatliche Repressionen zu befürchten haben. Die Kammer verweist zur Situation von Wehrdienstverweigerern exemplarisch auf die Ausführungen des VG Köln in seinem Urteil vom 9. April 2018 (Az.: 20 K 7230/17.A, juris Rn. 164 ff.):
44„In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer zwischen 18 und 42 Jahren und unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund wie auch für Palästinenser mit gewöhnlichem Aufenthalt in Syrien gilt. Männer in diesem Alter dürfen das Land nur mit einer offiziellen Genehmigung des Militärs verlassen. Seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot. Gegenwärtig wird das Wehrdienstalter in der Praxis bis auf 50 oder sogar 52 Jahre ausgedehnt. Ausnahmeregelungen gibt es zwar formal in eng begrenzten Ausnahmefällen, etwa für Einzelkinder oder Studierende. In der Praxis finden Ausnahmeregelungen aufgrund des gestiegenen Personalbedarfs der syrischen Armee allerdings kaum noch Anwendung und wenn doch, in nicht vorhersehbarer willkürlicher Weise. Auch Freistellungen aus medizinischen Gründen werden zum Teil aufgehoben. Es gibt Berichte, dass Personen trotz Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert worden sind. Es wird erwartet, dass alle syrischen Männer im Alter von 18 Jahren sich selbständig beim Rekrutierungsbüro melden oder sie werden von der lokalen Polizei vorgeladen. Einberufungsrunden (für Rekruten und Reservisten) werden auch öffentlich über Fernsehen, Radio oder die Presse bekanntgemacht. Entlassungen aus dem Militärdienst aufgrund Zeitablaufs finden seit 2011 nur noch selten statt. Viele Wehrpflichtige sind über Jahre in der Armee tätig und könnten sich dem Militärdienst nur durch Desertion entziehen.
45Vgl. AA, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung, Bericht vom 18.01.2018, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienst, Desertion, Bericht vom 23.03.2017, Syrien: Mobilisierung in die Syrische Armee, Bericht vom 28.03.2015, und Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, Bericht vom 30.07.2014; BFA, LIB Syrien, Stand 05.01.2017 und Fact Finding Mission Report Syrien, Stand August 2017; DRC/DIS, Bericht von August 2017.
46Nach der vorgenannten einhelligen Auskunftslage besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten. Anstelle des Wehrdienstes kann aber ein Einsatz bei paramilitärischen Verteidigungsmilizen geleistet werden. Bereits gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Militärdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein. Ein Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten gibt es nicht. Je nach Ausbildung und bisheriger Tätigkeit für die Armee können sogar Männer mit 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet werden. Seit 2014 werden Reservisten in großem Stil und mit zunehmend aggressiven Methoden wie örtlichen Generalmobilmachungen, Etablierung neuer Checkpoints oder Razzien eingezogen. Besonderer Qualifikationen bedarf es für die Einziehung zur Reserve nicht mehr. Auf der anderen Seite werden auch Jugendliche inzwischen rekrutiert.
47Die Verweigerung des Militärdienstes stellt in Syrien einen Straftatbestand nach dem syrischen Militärstrafgesetz dar. Die Strafandrohungen sind unterschiedlich und schwanken zwischen ein bis sechs Monaten Freiheitsstrafe in Friedenszeiten (Wehrdienstverweigerung) und bis zu 5 Jahren in Kriegszeiten. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen und sich so der Wehrpflicht entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Bei Personen, die sich der Wehrpflicht durch Aufenthalt im Ausland entzogen haben, kann eine Bestrafung dadurch erfolgen, dass die Dienstzeit bei Wiedereinreise nach Syrien verdoppelt wird. Auch die "illegale" Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Soldaten fällt unter die Strafvorschriften. Desertion wird mit fünf Jahren Haft bzw. fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes wird mit 15 Jahren Haft bestraft. Desertion im Angesicht des Feindes wird mit lebenslanger Haft oder - bei Überlaufen zum Feind - mit der Todesstrafe geahndet. Für Personen, die sich nicht im achtzehnten Jahr im Rekrutierungsbüro melden oder die während ihres Auslandsaufenthaltes zum Wehrdienst einberufen wurden, besteht eine Fahndungsliste.
48vgl. AA, Auskunft vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf sowie Lagebericht vom 27.09.2010 und Auskunft vom 01.02.2011; SFH, Syrien, s.o.; EZKS, Gutachten vom 29.03.2017 an das VG Gelsenkirchen; BFA, s.o..
49so dass eine Identifizierung und Verhaftung sogleich bei Wiedereinreise schon aus diesem Grunde wahrscheinlich ist.
50Es besteht kein Zweifel, dass die vorstehenden Strafandrohungen auch tatsächlich durchgesetzt werden und es wird allgemein davon ausgegangen, dass über diese "gesetzmäßige" Bestrafung hinaus extralegale Strafen, insbesondere die Anwendung von Folter bis hin zur Exekution, in weitem Umfang drohen.“
51Diese Gegebenheiten sind auch nach den der Kammer vorliegenden neusten Erkenntnissen weiterhin aktuell.
52Vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 13. November 2018, Stand: November 2018; Schweizerische Flüchtlingshilfe: Syrien: Fahndungslisten und Zaman al Wasl vom 11. Juni 2019; Deutsche Orient-Stiftung, Auskunft zum Beschluss 3 A 638/17.A vom 22. Februar 2018; Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 12. Februar 2019, Gz.: 508-516.80/50333.
53Die Wehrdienstpflicht des Klägers ist – unabhängig von dem ursprünglichen Grund seiner Ausreise aus Syrien – spätestens nach Beendigung seines Studiums entstanden. Im Falle junger Männer, die sich bis zu ihrem achtzehnten Altersjahr nicht beim zuständigen Rekrutierungsbüro gemeldet haben, wird nach sechs Monaten oder auch noch später die zivile Polizei des Aufenthaltsortes benachrichtigt, welche sich dann an die Familie des Betroffenen wendet. Meldet sich der Betroffene auch danach nicht, wird sein Name auf die Liste der Wehrdienstentzieher gesetzt. Diese Liste wird auch an die syrischen Botschaften im Ausland verteilt.
54Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Fahndungslisten und Zaman al Wasl vom 11. Juni 2019, S. 5.
55Die Frage nach der Wahrscheinlichkeit staatlicher Repressionen für Wehrdienstverweigerer, die in der Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet wird und über die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus entscheidet,
56vgl. eine beachtliche Wahrscheinlichkeit und damit die Flüchtlingseigenschaft annehmend: vgl. etwa: OVG Thüringen, Urteil vom 15. Juni 2018 – 3 KO 155/18 –, juris Rn. 69; VG Berlin, Urteil vom 16. Mai 2017 – 4 K 452.16 A –, juris; VG Köln, Urteil vom 9. April 2019 – 20 K 7230/17.A, n.v.; VG Kassel, Urteil vom 15. Januar 2019 – 5 K 5466/17.KS.A –, juris;
57eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ablehnend und den subsidiären Schutz annehmend: vgl. unter vielen: OVG NRW, Urteil vom 12. Dezember 2018 – 14 A 667/18.A, juris; VGH Baden-Württemburg, Urteil vom 27. März 2019 – A 4 S 335/19 –, juris; BayVGH, Urteil vom 19./20. Juni 2018 – 21 B 18.3082, juris; OVG Saarland, Urteil vom 20. August 2018 – 1 A 589/17 –, juris,
58ist indes für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Vorsprache bei der syrischen Botschaft zur Beantragung eines Reiseausweises nicht maßgeblich.
59Die Kammer ist im individuellen Fall des Klägers der Auffassung, dass bei Gesamtschau – die hier streitgegenständliche Vorsprache bei der syrischen Botschaft unterstellt – eine vergleichsweise gesteigerte Wahrscheinlichkeit, Repressionen wegen Wehrdienstflucht und / oder Asylantragstellung im Falle einer Rückkehr zu erleiden, besteht, die zumindest eine Unzumutbarkeit der Vorsprache bei der syrischen Botschaft zur Passbeantragung nach sich zieht.
60Zwar bestehen keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Rahmen und während der Beantragung eines Passes in der syrischen Botschaft in Deutschland Gefahren drohen.
61Vgl. als Erkenntnisquelle: BMI-Länderinformation vom 1. Oktober 2018, Syrisches Pass- und Ausweiswesen (M2-20105/56#171).
62Auch ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger vom Ausland aus zum Wehrdienst in Syrien einberufen wird.
63Vgl. als Erkenntnisquelle: BMI-Länderinformation vom 1. Oktober 2018, Syrisches Pass- und Ausweiswesen (M2-20105/56#171), S. 16.
64Es kann ferner dahinstehen, ob die Unzumutbarkeit der Passbeantragung daraus folgt, dass dem Onkel und den weiteren Familienangehörigen, die in Syrien leben, aufgrund der Vorsprache des Klägers Repressalien drohen könnten oder ob die Passgebühr von mindestens 255,00 Euro,
65Vgl. als Erkenntnisquelle: BMI-Länderinformation vom 1. Oktober 2018, Syrisches Pass- und Ausweiswesen (M2-20105/56#171), S. 14,
66unangemessen hoch ist.
67Die Kammer geht nämlich davon aus, dass die syrischen Behörden angesichts der hier streitgegenständlichen Passbeantragung in der syrischen Botschaft den Kläger bei einer Rückkehr in besonderem Maße in den Fokus nehmen und ihm nicht unerhebliche Repressalien drohen würden. Durch die Vorsprache würden der Aufenthalt des Klägers in Europa, die (zwangsläufig anzunehmende) Asylantragstellung sowie auch die Wehrdienstentziehung (spätestens) aktenkundig.
68Der syrische Staat nimmt eine regimefeindliche Gesinnung (schon allein) wegen einer illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts im westlichen Ausland an,
69vgl. VG Köln vom 9. April 2018, – 20 K 7230/17.A – , juris Rn. 53 ff., 145,
70und Rückkehrer haben eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass bereits diese Befragung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöst.
71Vgl. hierzu auch: OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2012, – 14 A 2708/10.A – juris sowie VG Köln, Urteil vom 9. April 2018, – 20 K 7230/17.A – , juris Rn. 53 ff. m.w.N.
72Ausweislich der Mitteilung der syrischen Botschaft gegenüber dem BMI / AA werden ausnahmslos alle Passanträge, die bei der syrischen Botschaft eingehen, von den zuständigen Behörden in Damaskus bearbeitet. Es sei auf Grund der Übersendung nach Syrien davon auszugehen, dass die verschiedenen syrischen Sicherheitsdienste beteiligt würden. Dadurch würden dem syrischen Staat Informationen, z.B. über den Aufenthaltsort einer Person, zugänglich, die ihm bis dato nicht bekannt gewesen seien. Selbst wenn die gegenüber dem BMI / AA gemachte Auskunft der syrischen Botschaft zutrifft, dass jeder Syrer unabhängig von der Frage der Wehrpflicht das Recht auf Ausstellung eines Passes hat und die syrische Botschaft nicht nach dem Einberufungsbefehl fragt, so ist der BMI-Länderinformation auf Grundlage der Auskunft der syrischen Botschaft jedoch weiter zu entnehmen, dass die Wehrdienst-Situation des Betroffenen im Rahmen der Passbeantragung geprüft und für die Gültigkeitsdauer berücksichtigt wird. Sei die Wehrdienst-Situation des Mannes aus Sicht Syriens nämlich geklärt, könne er einen Pass mit sechs Jahren Gültigkeit erhalten. Sei die Situation hingegen nicht abschließend geklärt, erhalte er einen Pass mit zwei Jahren Gültigkeit. Die diesbezügliche Entscheidung werde in Damaskus getroffen.
73Vgl. als Erkenntnisquelle: BMI-Länderinformation vom 1. Oktober 2018, Syrisches Pass- und Ausweiswesen (M2-20105/56#171), S. 11 f. und 16.
74Es wird dabei nicht verkannt, dass der Kläger in Anbetracht seines subsidiären Schutzstatus derzeit nicht angehalten ist, in sein Heimatland Syrien zurückzukehren. Sobald jedoch die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in dem Maß verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist, ist die Gewährung des subsidiären Schutzes nach § 73b Abs. 1 S. 1 AsylG durch das Bundesamt zu widerrufen, womit in der Regel eine Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland einhergeht. Die Veränderung dieser dem subsidiären Schutz zugrundeliegenden Umstände haben aber nicht zwangsläufig zur Folge, dass auch die einen – hier zumindest in vergleichbarer Weise vorliegenden – Flüchtlingsstatus begründenden Gegebenheiten entfallen.
75Es ist dem Kläger auch nicht zuzumuten, einen gültigen Proxy-Pass zu beschaffen. Er hat bereits sämtliche ihm zumutbaren Maßnahmen zur Erlangung eines Proxy-Passes ergriffen. So hat er – wie er glaubhaft in der mündlichen Verhandlung schilderte – seinen im Heimatland befindlichen Onkel mit der Beschaffung eines Proxy-Passes beauftragt. Diesen habe er auch erhalten, jedoch sei dieser nicht gültig, da sein Onkel für ihn nicht habe unterschreiben dürfen. Seine diesbezüglichen Angaben stimmen mit den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen überein. Die Beantragung durch Verwandte bzw. bevollmächtigte Dritte steht der Gültigkeit des Passes grundsätzlich nicht im Wege. Verwandte können auch ohne schriftliche Vollmacht stellvertretend einen Pass beantragten. Die Beantragung und Ausstellung von Pässen durch Verwandte oder bevollmächtigte Dritte („Proxy-Pässe“) ist nach syrischem Recht möglich und in Syrien übliche Praxis.
76Vgl. als Erkenntnisquelle: BMI-Länderinformation vom 1. Oktober 2018, Syrisches Pass- und Ausweiswesen (M2-20105/56#171), S. 2 ff.
77Jedoch scheitert auch diese Alternative an der dem Kläger unzumutbaren Vorsprache bei der syrischen Botschaft. Der Proxy-Pass erlangt erst dann Gültigkeit, wenn er durch den Inhaber unterschrieben wird. Diese Unterschrift kann nachgeholt werden. Laut BMI-Länderinformation vom 1. Oktober 2018 Bundesministerium für Innern, für Bau und Heimat ist der Betroffene unter Berücksichtigung der im konkreten Einzelfall behördlich festgestellten Zumutbarkeit von der Ausländerbehörde aufzufordern, die Unterschrift in einer syrischen Auslandsvertretung auf einer freien visierfähigen Seite des Reisedokumentes nachträglich zu leisten und durch Siegelabdruck der syrischen Auslandsvertretung bestätigen zu lassen.
78Vgl. als Erkenntnisquelle: BMI-Länderinformation vom 1. Oktober 2018, Syrisches Pass- und Ausweiswesen (M2-20105/56#171), S. 2 ff.
79Von der Zumutbarkeit dieser Vorsprache zur Ableistung der Unterschrift ist aus oben genannten Erwägungen entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auszugehen.
80Auch der Einwand des Beklagten, diese Alternative habe anders als die Beantragung des Reiseausweises nicht zur Folge, dass die Daten des Klägers an die syrischen Behörden im Heimatland weitergereicht würden, trägt nicht. Zum einen hält die Kammer diese Annahme für zweifelhaft. Belege hierfür sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Zum anderen würde auch diese Vorgehensweise dazu führen, dass die Vorsprache bei der syrischen Behörde jedenfalls im Proxy-Pass des Klägers wegen des Siegelabdrucks der syrischen Auslandsvertretung aktenkundig würde.
81Auch die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung eines Reiseausweises liegen vor.
82Nach § 6 Nr. 1 AufenthV darf ein Reiseausweis für Ausländer im Inland nach Maßgabe des § 5 AufenthV ausgestellt werden, wenn der Ausländer u.a. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Dies ist bei dem Kläger, dem eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt wurde, der Fall.
83Somit liegt es nach § 5 Abs. 1 AufenthV im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten, dem Kläger einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen. Die von dem Kläger begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Ausstellung eines Reiseausweises setzt damit voraus, dass dieses Ermessen auf Null reduziert ist.
84Im vorliegenden Fall ist auf Grund der Anerkennung des Klägers als subsidiär Schutzberechtigten i.S.d. der Qualifikationsrichtlinie und mit Hinblick auf die Regelung des Art. 25 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie das Ermessen der Ausländerbehörde auf Null reduziert, sodass dem Kläger ein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer zusteht. § 5 Abs. 1 AufenthV ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass subsidiär Schutzberechtigten i.S.d. Qualifikationsrichtlinie in der Regel ein Reiseausweis für Ausländer zu erteilen ist, soweit nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Nach Art. 25 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie stellen Mitgliedstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist und die keinen nationalen Pass erhalten können, Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets aus, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Die Richtlinie sieht somit einen Anspruch des Ausländers auf Ausstellung von Reisedokumenten vor, der an keine weiteren Voraussetzungen – wie etwa einen besonderen konkreten Anlass für die Erteilung – anknüpfen. Die Vorgängerregelung des Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie a.F.) enthielt im Gegensatz dazu den ergänzenden Halbsatz, dass Reisedokumente zumindest dann ausgestellt werden sollen, wenn schwerwiegende humanitäre Gründe die Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern. Daraus wurde in der Rechtsprechung die Schlussfolgerung abgeleitet, dass in den übrigen Fällen die Qualifikationsrichtlinie a.F. nicht von einem gebundenen Anspruch ausgehe.
85Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 9. Oktober 2012 – Au 1 K 12.872 – juris Rn. 28; Urteil vom 9. Oktober 2012 – Au 1 K 12.908 – juris Rn. 25; Urteil vom 9. Oktober 2012 – Au 1 K 12.903 – juris Rn. 22.
86Diese Passage ist in der Neufassung der Qualifikationsrichtlinie nicht mehr enthalten. Die Voraussetzungen für die Erteilung von Reisedokumenten an subsidiär Schutzberechtigte wurden im Wortlaut denjenigen von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention angeglichen (Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie). Nach Auffassung der Kammer ist damit bezweckt, subsidiär Schutzberechtigten ebenso wie anerkannten Flüchtlingen Reisedokumente auch ohne Vorliegen einer konkreten aktuellen Notwendigkeit in der Regel auszustellen. Dies ergibt sich schließlich auch aus der allgemeinen Zielsetzung der Neufassung der Qualifikationsrichtlinie, wonach insbesondere Personen, denen subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, dieselben Rechte und Leistungen zu denselben Bedingungen gewährt werden sollen wie Flüchtlingen (Erwägungsgrund Nr. 39 der Qualifikationsrichtlinie).
87Vgl. BayVGH, Beschluss vom 10. Februar 2016 – 19 ZB 14.2708 –, juris Rn. 3 ff.; VG Würzburg, Gerichtsbescheid vom 26. Januar 2015 – W 7 K 14.1220 –, juris Rn. 28 - 30.
88Zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung, die der Erteilung von Reiseausweisen für den Kläger entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.
89Der Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer steht schließlich nicht entgegen, dass die Identität des Klägers möglicherweise – wovon hier indes ohnehin nicht auszugehen sein dürfte – nicht hinreichend geklärt ist. Denn diesem Umstand kann dadurch Rechnung getragen werden, dass gemäß § 4 Abs. 6 S. 1 AufenthV der Reiseausweis mit dem Hinweis ausgestellt wird, dass die Personendaten auf den eigenen Angaben des Ausländers beruhen.
90Vgl. VG Würzburg, Gerichtsbescheid vom 26. Januar 2015 – W 7 K 14.1220 –, juris Rn. 28 - 30.
91Auf die in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisanträge des Klägers war angesichts des vollen Obsiegens nicht einzugehen.
92Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
93Rechtsmittelbelehrung
94Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
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1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
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2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
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3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
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4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
102Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
103Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
104Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
105Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
106Beschluss
107Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
1085.000,00 €
109festgesetzt.
110Gründe
111Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).
112Rechtsmittelbelehrung
113Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
114Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
115Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
116Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
117Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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