Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 1994/19
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf einer Apothekenbetriebserlaubnis.
3Ihm wurde am 17.04.2009 eine Apothekenbetriebserlaubnis für die J. -Apotheke in D. , Q. Str. 000 erteilt.
4Am 12.02.2016 zeigte die (....) vier Kunden der J. -Apotheke (K. U. , A. C. , S. C1. , H. C2. -U1. ) wegen des Verdachts des Betruges in den Jahren 2013 bis 2015 bei der Staatsanwaltschaft D. an. Bei einer Routineüberprüfung war aufgefallen, dass die vier Versicherten der (...) sich dieselben Medikamente (vorwiegend Diabetesarzneimittel, außerdem Schmerzmittel, Antiepileptika und Psychopharmaka) in großer Menge von mehreren Ärzten parallel (teilweise am gleichen Tag) verordnen ließen und überwiegend in der J. -Apotheke einlösten. Hierbei konnte anhand des Rezeptaufdrucks festgestellt werden, dass die Rezepte verschiedener Arztpraxen über identische Medikamente an direkt aufeinanderfolgenden Tagen oder sogar am selben Tag von der Apotheke abgegeben wurden. Nach der Einschätzung der Krankenkasse waren die verordneten Mengen, teilweise auch die Kombinationen von Arzneimitteln, medizinisch nicht erforderlich. Beispielsweise löste der Versicherte L. U. im Jahr 2015 80 Rezepte im Gesamtwert von 12.982,89 Euro bei der J. -Apotheke ein. Er war im Zeitraum 2013 bis 2015 bei insgesamt 7 Ärzten in Behandlung, wobei ihm 3 Ärzte Rezepte für Medikamente gegen Diabetes ausstellten. Der Versicherte B. C. löste 2015 93 Rezepte im Wert von insgesamt 8.333,06 Euro bei der J. -Apotheke ein. Er war im Zeitraum 2013 bis 2015 bei insgesamt 9 Ärzten in Behandlung, wobei ihm 3 Ärzte Medikamente gegen Diabetes verordneten. Die (....) bezifferte den entstandenen Schaden auf mindestens 40.000,00 Euro.
5Die Staatsanwaltschaft D. leitete daraufhin am 29.02.2016 gegen die vier bei der (...) versicherten Kunden der J. -Apotheke sowie gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges zulasten der (...) ein.
6Am 13.04.2016 fand eine polizeiliche Durchsuchung und Sicherstellung von Beweismitteln aufgrund eines Gerichtsbeschlusses in der J. -Apotheke statt. Hierbei wurde eine Festplatte mit den elektronischen Daten aus dem Warenwirtschaftssystem der Apotheke (Y. ) der Fa. N. /H. sichergestellt. Die Daten konnten mit Hilfe der Fa. N. /H. ausgewertet werden. Zusätzlich wurden die Buchhaltungsdaten der J. -Apotheke beim Steuerberater des Klägers sichergestellt. Am 24.05.2016 wurden zwei weitere Beschuldigte (N. C1. , B. U. ) in das Verfahren einbezogen.
7Die beschuldigten Kunden der J. -Apotheke stritten in der polizeilichen Vernehmung oder durch Einlassung ihrer Verteidiger alle Vorwürfe ab. Der Kläger verteidigte sich ebenfalls gegen den Betrugsvorwurf und ließ durch Schriftsätze seiner Anwälte vom 14.07.2016, 07.06.2017, 26.02.2018 und vom 12.06.2018 vorgetragen, er habe alle abgerechneten Medikamente ordnungsgemäß an die Kunden ausgeliefert.
8Am 22.02.2017 übersandte das Abrechnungszentrum (.........) in F. die Daten der J. -Apotheke, insbesondere die Rezepte der Jahre 2013 bis 2016, die über das Zentrum mit der (...) abgerechnet worden waren. Hierdurch konnten die von der J. -Apotheke abgerechneten Rezepte der oben genannten Versicherten der (...) mit den durch die Apotheke verkauften und abgegebenen Arzneimitteln verglichen werden. Als Ergebnis der Ermittlungen wurde durch einen umfassenden Vermerk vom 11.01.2018 festgehalten, dass in der Zeit vom 01.01.2013 bis zum 13.04.2016 für 6 Kunden der Apotheke Arzneimittel gegenüber der (...) abgerechnet wurden, die nicht an diese verkauft und abgegeben worden waren. Hierbei war die Prüfung wegen der großen Datenmengen auf fünf Arzneimittel beschränkt worden (Xelevia, Levemir, Liprolog I, Liprolog II, Symbicort). Nach Abzug der fiktiven Zuzahlungen wurde eine Gesamtschadenssumme in Höhe von 51.842,94 Euro ermittelt.
9Am 06.07.2018 kündigte die Staatsanwaltschaft in einem Gespräch mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers an, das Verfahren werde vor der großen Strafkammer angeklagt, es sei denn, es komme zu einer vernünftigen Einlassung des Beschuldigten. In diesem Fall könne das Verfahren auch vor dem Amtsgericht durchgeführt werden oder ein Strafbefehl beantragt werden.
10Mit Schriftsatz vom 29.08.2018 räumte der Prozessbevollmächtigte des Klägers erstmalig ein, dass dieser in einigen Fällen Rezepte an die (...) vorgelegt und abgerechnet habe, die nicht verkauft und beliefert worden seien, hauptsächlich bei den Kunden C. und U. . Überhöhte Verordnungen seien nicht aufgefallen. Die Kunden hätten Medikamente häufig bestellt, aber nicht abgeholt. Der Kläger habe nicht auf den Kosten teurer Medikamente sitzen bleiben wollen. Außerdem hätte er eine Vorlagefrist von 4 Wochen bei der Krankenkasse beachten müssen. Deshalb seien die Rezepte zwar bedruckt und zur Abrechnung eingereicht worden, aber der Kassenvorgang sei nach dem Bedrucken abgebrochen worden. Daher seien die Medikamente nicht bestellt worden und der Kläger habe lediglich eine Kopie des Rezepts aufbewahrt. Dem Kläger sei seit der Durchsuchung im April 2016 aber bewusst, dass dies falsch gewesen sei und er die Rezepte hätte stornieren müssen, jedenfalls aber nicht hätte einreichen dürfen. Jedoch habe der Kläger den Kunden nie Geld für die Rezepte gezahlt oder diese aufgefordert, Rezepte zu besorgen. Der Kläger habe nunmehr den Kunden C. und U. Hausverbot erteilt und ein neues Kassensystem angeschafft, das nicht mehr mittels Abbruch der Taxierung beeinflusst werden könne. Er leiste Wiedergutmachung, indem er die Verrechnung der Schadenssumme mit aktuellen Bestellungen durch die (...) akzeptiere.
11Am 27.09.2018 wurde das Verfahren gegen die übrigen Beschuldigten abgetrennt. Am 05.10.2018 wurden die Ermittlungen gegen den Kläger abgeschlossen und ein Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt. In dem Abschlussvermerk wurde festgehalten, dass sich die Ermittlungen wegen der riesigen Datenmengen und dem nachhaltigen Bestreiten des Beschuldigten auf wenige Arzneimittel beschränkt hätten. Bei dem festgestellten Betrugsschaden handele es sich deswegen nur um die „Spitze des Eisbergs“. Wegen der Ermittlungsschwierigkeiten und der Dauer des Ermittlungsverfahrens wurde das Verfahren wegen der verbliebenen Vorwürfe in der Anzeige der (...) nach § 154 a StPO eingestellt.
12Am 11.10.2018 erließ das Amtsgericht D. antragsgemäß einen Strafbefehl, mit dem eine Freiheitsstrafe von einem Jahr gegen den Kläger festgesetzt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ferner wurde die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 32.146,30 Euro angeordnet. In der Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe sich wegen Betruges zulasten der (...) durch 37 selbständige Handlungen in der Zeit vom 09.01.2013 bis zum 14.04.2016 strafbar gemacht, in dem er zahlreiche Rezepte der Kunden U. und C. über das Abrechnungszentrum an die (...) eingereicht habe, ohne die Medikamente an die Kunden zu liefern. Die (...) habe daher die Kosten an den Kläger erstattet. Der Gesamtschaden wurde mit 32.146,30 Euro angegeben. Der Strafbefehl wurde am 01.11.2018 rechtskräftig.
13Mit Schreiben vom 30.01.2019 kündigte die Beklagte den beabsichtigten Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis gegenüber dem Kläger an und gab diesem Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.02.2019. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärte mit Schriftsatz vom 08.03.2019, ein Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis sei nicht rechtmäßig. Der Kläger sei nicht unzuverlässig. Die Probleme seien nur durch die Unzulänglichkeiten des Kassensystems entstanden. Jedenfalls wäre der Widerruf unverhältnismäßig.
14Durch Bescheid der Beklagten vom 22.03.2019 wurde die Betriebserlaubnis für die J. -Apotheke widerrufen und die sofortige Vollziehung angeordnet. Die Verfügung war auf § 4 Abs. 2 Satz 1 ApoG gestützt. Danach sei die Betriebserlaubnis bei einem nachträglichen Wegfall der Erteilungsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 ApoG, insbesondere bei einem Wegfall der Zuverlässigkeit zu widerrufen. Hier sei die Unzuverlässigkeit wegen der Verurteilung des Klägers wegen Abrechnungsbetruges zulasten der Krankenkasse zu bejahen. Es sei zu Ungunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser über einen längeren Zeitraum (3 Jahre) durch eine Vielzahl von Handlungen und im Zusammenhang mit seinen Berufspflichten als Apotheker einen erheblichen Schaden verursacht habe. Seine Einlassung, die fehlerhaften Abrechnungen seien nur durch die Lücken des Kassensystems entstanden, widerspreche den Feststellungen des Strafbefehls. Es sei auch nicht erkennbar, warum der Kläger die Mängel des Systems nicht behoben habe.
15Der Sofortvollzug wurde damit begründet, dass der Kläger andernfalls die Apotheke bis zum rechtskräftigen Urteil weiter betreiben könne. Ein weiterer Apothekenbetrieb durch einen unzuverlässigen Apotheker könne aber im Hinblick auf die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln nicht hingenommen werden.
16Am 31.03.2019 erhob der Kläger die vorliegende Klage und stellte einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO (7 L 622/19). Zur Begründung machte er im Eilverfahren geltend, eine Verletzung der Berufspflichten werde nicht bestritten. Jedoch liege keine Unzuverlässigkeit vor, weil weitere Verstöße in der Zukunft nicht zu befürchten seien und das Ausmaß der Schuld gering sei. Der Schaden sei im Vergleich zum Gesamtumsatz der Apotheke überschaubar. Er betrage nur ca. 10.000,00 Euro im Jahr. Die fehlerhafte Abrechnung sei im Wesentlichen auf ein unzureichendes Kassen- und Warenwirtschaftssystem der Apotheke zurückzuführen. Dies sei in Zukunft auszuschließen, da der Kläger ein neues System angeschafft habe und den beiden betroffenen Kunden Hausverbot erteilt habe. Der Widerruf sei unverhältnismäßig, weil es sich um einen massiven Eingriff in Art. 12 und Art. 14 GG handele, der nur als ultima ratio in Frage komme. Die Apothekerkammer habe bereits ein berufsrechtliches Verfahren eingeleitet; außerdem seien schon strafrechtliche Sanktionen erfolgt. Schließlich sei die Begründung des Sofortvollzuges nicht ausreichend, weil die Umstände des Einzelfalls nicht berücksichtigt worden seien. Ein besonderes Vollzugsinteresse liege nicht vor, da nicht erkennbar sei, dass durch die weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter entstehen könnten. Die besonders hohen Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an den Sofortvollzug einer berufsrechtlichen Maßnahme seien daher nicht erfüllt.
17Die Beklagte verteidigte zunächst die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung und die Anordnung des Sofortvollzuges. Eine Unzuverlässigkeit des Apothekers sei im Fall eines rechtskräftig verhängten Strafbefehls wegen Abrechnungsbetruges zu bejahen. Dies sei in der Rechtsprechung anerkannt. Der Kläger biete nicht die Gewähr dafür, künftig die für ihn geltenden Rechtsnormen einzuhalten, auch wenn eine Gefahr für Gesundheit und Leben anderer Personen nicht bestehe. Der Sofortvollzug diene dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsinteressen, nämlich dem öffentlichen Vertrauen in die Integrität des Apothekers und der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Krankenkassensystems. Im Übrigen handele es sich nicht um ein Berufsverbot, sondern lediglich um eine Einschränkung der Berufsausübung.
18Nachdem die Kammer auf Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vollzugsanordnung hingewiesen hatte, hob die Beklagte diese am 26.07.2019 auf. Daraufhin wurde das Eilverfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
19Zur Begründung der Klage wird vorgetragen, Gründe für die Unzuverlässigkeit des Klägers lägen nicht vor, sodass der Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis unverhältnismäßig sei. Es sei nicht erkennbar, dass auch in Zukunft schwerwiegende Verstöße gegen Berufspflichten zu besorgen seien. Der Kläger habe die Apotheke jahrelang beanstandungsfrei geführt. Der eingetretene Schaden in Höhe von ca. 10.000 Euro pro Jahr sei im Verhältnis zum gesamten Umsatz in Höhe von 1,6 – 1,8 Mio Euro überschaubar. Im Übrigen sei dem Kläger kein hohes Maß an krimineller Energie vorzuhalten. Deshalb habe die Staatsanwaltschaft auch lediglich einen Strafbefehl beantragt.
20Die Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung seien auf ein schlecht zu handhabendes Kassen- und Warenwirtschaftssystem zurückzuführen und auf ein unzuverlässiges Verhalten von zwei Kunden, die zahlreiche Rezepte vorlegten, die bestellten Medikamente aber häufig nicht oder verspätet abholten. Dies habe insbesondere in den Fällen zu einer Verwirrung der Abläufe geführt, in denen ein Teil der Medikamente nicht verfügbar gewesen sei und hätte bestellt werden müssen, ein anderer Teil aber an den Kunden ausgehändigt worden sei. Das Abrechnungssystem habe es nicht ermöglicht, ein Rezept mehrmals zu bedrucken. Deshalb habe es nur die Möglichkeit gegeben, das Rezept sofort vollständig zu taxieren, was unzulässig sei, oder erst bei Abgabe der bestellten Medikamente. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen sei es dazu gekommen, dass teilweise nicht abgefragte Rezepte, die taxiert, aber nicht verbucht und nicht beliefert gewesen seien, dennoch zur Abrechnung vorgelegt worden seien, obwohl sie hätten vernichtet oder storniert werden müssen. Zu dieser Situation habe auch das Verschreibungsverhalten der von den Kunden C. und U. aufgesuchten Ärzte sowie das Verhalten der Kunden beigetragen.
21Hätte die (...) früher auf die auffällig hohen Abrechnungen für die betroffenen Patienten hingewiesen, hätte der Kläger die Fehler früher erkennen können. Dem Kläger sei erst im Zuge der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen aufgefallen, in welchem Umfang den genannten Kunden Medikamente verordnet worden seien. Dies sei zuvor nicht bemerkt worden, weil die Rezepte von verschiedenen Mitarbeitern entgegengenommen worden seien. Der Kläger habe keineswegs sein Abrechnungssystem manipuliert. Es sei ihm lediglich vorzuwerfen, nicht alle formalen Abrechnungsvorschriften beachtet zu haben. Er habe auch nicht mit den betroffenen Kunden kollusiv zusammengearbeitet, um die Krankenkasse zu schädigen. Vielmehr habe er die von der Krankenkasse erhaltenen Geldbeträge ordnungsgemäß in seine Buchhaltung eingestellt und versteuert. Es sei auch festzustellen, dass es hier nicht um eine Gefährdung von wichtigen Gemeinschaftsgütern, wie etwa eine konkrete Gesundheitsgefährdung durch unzulässige Abgabe von Arzneimitteln gehe. Vielmehr sei es lediglich durch eine Verkettung ungünstiger Umstände zu den Abrechnungsfehlern gekommen. Der Vorwurf einer grundsätzlich fehlenden Gewissenhaftigkeit und Verantwortung sei daher nicht berechtigt. Vielmehr liege „ein einmaliges bzw. punktuelles fortgesetztes Fehlverhalten über einen Zeitraum von 3 Jahren vor“.
22Seit der Durchsuchung der Apotheke im April 2016, also in einem Zeitraum von 3 Jahren, sei es nicht mehr zu vergleichbaren Vorfällen gekommen. Der Kläger habe eine neue Abrechnungssoftware angeschafft, die die festgestellten Fehler nicht mehr zulasse. Diese sei erst im Jahr 2016 verfügbar gewesen. Außerdem habe der Kläger seine internen Organisationsanweisungen für die Fälle geändert, in denen ein Teil der Medikamente erst bestellt werden müsse. Schließlich habe er zwischenzeitlich eine approbierte Apothekerin eingestellt, die die Abrechnung mit den Krankenkassen vorbereite und auch zusätzliche Überwachungsfunktionen bezüglich der Taxierung wahrnehme. Die Rezepte und Abholfächer würden regelmäßig und mehrfach kontrolliert und die Kunden an die Abholung der bestellten Medikamente erinnert. Der Kläger habe den Kunden aus den immer gleichen zwei Familien, die für ständige Verwirrung gesorgt hätten, seit 2016 Hausverbot erteilt. Mit dem neuen Kassensystem sei es nun auch möglich zu kontrollieren, welche verschreibungspflichtigen Medikamente dem einzelnen Kunden verordnet worden seien.
23Außerdem habe der Kläger sich bereits um eine Schadenswiedergutmachung bemüht. Die im Strafbefehl aufgeführte Schadenssumme sei teilweise schon im Jahr 2016 im Wege der Verrechnung an die (...) zurückgeführt worden. Nach einer entsprechenden Vereinbarung mit der (...) seien noch 24.849,26 Euro zu zahlen gewesen, was mittlerweile erfolgt sei (Bestätigung der (...) vom 27.03.2019).
24Der vom VG Aachen durch Urteil vom 06.07.2018 – 7 K 5905/17 – entschiedene Fall, in dem das Gericht den Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis bestätigt habe, sei mit dem vorliegenden Verfahren nicht vergleichbar. Der dortige Kläger habe vorsätzlich eine Manipulationssoftware eingesetzt und falsche Angaben in seinen Steuererklärungen gemacht. Hierdurch habe er einen Schaden in Höhe von 240.000 Euro verursacht. Demgegenüber liege hier keine absichtliche Fehlabrechnung vor.
25Der Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis sei unverhältnismäßig, weil er praktisch einem Berufsverbot gleichkomme. Der Kläger könne nicht ohne weiteres sofort einen Käufer für die Apotheke finden. Er habe auch keine Möglichkeiten mehr, selbst als Apotheker zu arbeiten, weil er einem künftigen Arbeitgeber offenbaren müsse, warum er seine eigene Apotheke aufgegeben habe. Die Beklagte habe keine milderen Mittel geprüft, obwohl diese durchaus zur Verfügung stünden.
26Der Kläger beantragt,
27den Bescheid der Beklagten vom 22.03.2019 über den Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis aufzuheben.
28Die Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Sie hält die angefochtene Verfügung für rechtmäßig. Das eigentliche Problem sei nicht eine technisch unzulängliche Apothekensoftware gewesen, sondern die Entscheidung des Klägers, diese Software weiter zu nutzen. Die Vielzahl strafbarer Betrugshandlungen über einen Zeitraum von 3 Jahren zeige, dass die Zuverlässigkeit nicht mehr gegeben sei. Wie ein angeblicher Softwarefehler den Kläger strafrechtlich entlasten solle, sei für die Beklagte nicht nachvollziehbar. Der Umstand, dass es stets um die Rezepte zweier Kunden gegangen sei, spreche eher dafür, dass kein Softwarefehler vorgelegen habe, sondern vielmehr ein betrügerisches Zusammenwirken. Andernfalls hätten sehr viel mehr Kunden betroffen sein müssen. Eine Gesundheitsgefährdung sei nicht erforderlich. Im Fall des Wegfalls der Zuverlässigkeit sei der Behörde kein Ermessen eingeräumt, sondern die Betriebserlaubnis zwingend zu widerrufen. Die Maßnahme sei auch nicht unverhältnismäßig, sondern zum Schutz überragender Gemeinwohlinteressen erforderlich. Zu diesen gehöre auch ein funktionierendes Krankenkassensystem.
31Das vom Kläger zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.09.2002 – 3 C 37/01- stütze die angefochtene Entscheidung. Es gehe nicht um den Widerruf der Approbation, sondern lediglich um eine Beschränkung der Berufsausübung, an die nicht so strenge Maßstäbe anzulegen seien. Das Gericht habe bestätigt, dass die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenkassen ein wesentlicher Pfeiler des Gesundheitswesens sei und die Gefährdung ihrer finanziellen Basis durch Falschabrechnungen eine schwerwiegende Verletzung von Berufspflichten darstelle. Ein Wohlverhaltenszeitraum von 3 Jahren sei nicht ausreichend, um die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers zu zerstreuen. Die Bewährungsfrist laufe außerdem noch bis Ende 2021. Die gravierenden wirtschaftlichen Folgen des Entzuges der Betriebserlaubnis seien für den Kläger zwar unangenehm, aber Folge der besonderen Bedeutung des betriebsleitenden Apothekers als Bestandteil des öffentlichen Gesundheitswesens. Eine isolierte Entziehung der Betriebserlaubnis sei auch schon im Vorfeld der Entziehung der Approbation zulässig.
32Wegen der Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang der Beklagten und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten im Verfahren 400 Js 186/16 – 711 Cs 196/18 Bezug genommen.
33E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
34Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.03.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
35Rechtsgrundlage für den Widerruf einer Apothekenbetriebserlaubnis ist § 4 Abs. 2 des Gesetzes über das Apothekenwesen (ApoG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.10.1980 (BGBl. I S. 1993), zuletzt geändert durch Art. 18 des Gesetzes vom 09.08.2019 (BGBl. I S. 1202). Danach ist die Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich eine der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 6 oder 7 ApoG weggefallen ist. Hier hat die Beklagte den Widerruf zu Recht darauf gestützt, dass der Kläger die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 ApoG nicht mehr erfüllt, weil er die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt.
36Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, 2. HS ApoG ist die erforderliche Zuverlässigkeit nicht gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Antragstellers in Bezug auf das Betreiben einer Apotheke dartun, insbesondere wenn strafrechtliche Verfehlungen vorliegen, die ihn für die Leitung einer Apotheke als ungeeignet erscheinen lassen, oder wenn er sich durch gröbliche oder beharrliche Zuwiderhandlung gegen dieses Gesetz, die auf Grund dieses Gesetzes erlassene Apothekenbetriebsordnung oder die für die Herstellung von Arzneimitteln und den Verkehr mit diesen erlassenen Rechtsvorschriften als unzuverlässig erwiesen hat.
37Die Beantwortung der Frage, ob ein Antragsteller unzuverlässig ist, erfordert eine Prognoseentscheidung. Diese Prognose beruht auf der Wertung eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens des Apothekers. Das Verhalten muss die auf die Art, Schwere und Anzahl von Verstößen gegen die Berufspflichten zu gründende Prognose rechtfertigen, der Apotheker biete nicht die Gewähr, in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten. Hierbei sind die gesamte Persönlichkeit des Apothekers und seine Lebensumstände zu berücksichtigen,
38vgl. BVerwG, Urteil vom 16.09.1997 – 3 C 12.95 – juris, Rn. 25.
39Im vorliegenden Verfahren liegen erhebliche strafrechtliche Verfehlungen des Klägers in einer Vielzahl von Fällen über einen Zeitraum von 3 Jahren vor, die zeigen, dass der Kläger das für die Leitung einer Apotheke erforderliche Verantwortungsbewusstsein nicht hat. Denn er hat das Gesundheitswesen durch einen Abrechnungsbetrug zulasten der (........) bedenkenlos und systematisch geschädigt.
40Dies steht aufgrund des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts D. vom 11.10.2018 fest, durch den der Kläger wegen eines fortgesetzten Betrugs durch 37 selbständige Handlungen in der Zeit vom 09.01.2013 bis zum 14.04.2016 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen des Strafbefehls, die auch im vorliegenden Verfahren berücksichtigt werden können,
41vgl. BVerwG, Urteil vom 26.09.2002 – 3 C 37/01 – juris, Rn. 37 f.; VG Koblenz, Urteil vom 13.12.2010 – 3 K 439/10.KO – juris, Rn. 24,
42hat der Kläger in dem angegebenen Zeitraum zahlreiche Rezepte zweier Kunden über das Abrechnungszentrum an die Krankenkasse zur Erstattung eingereicht, ohne die Medikamente an die Kunden zu liefern. Durch die Erstattung der Kosten an den Kläger hat die Krankenkasse mindestens einen Schaden in Höhe von 32.146,30 Euro erlitten. Im Strafverfahren hat der Kläger diesen Strafbefehl nach einer Absprache zwischen seinem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft rechtskräftig werden lassen und hiermit zugestanden, dass er vorsätzlich und in Bereicherungsabsicht gehandelt hat. Denn die Strafbarkeit wegen Betruges nach § 263 StGB setzt Vorsatz und Bereicherungsabsicht voraus.
43Soweit er nunmehr im vorliegenden Verfahren vorträgt, die unrechtmäßige Abrechnung von nicht gelieferten Medikamenten mit der Krankenkasse beruhe auf Unzulänglichkeiten des benutzten Kassensystems und einem unzuverlässigen Verhalten der Kunden, also insgesamt auf einer unglücklichen Verkettung von Umständen, steht diese Behauptung in einem nicht auflösbaren Widerspruch zum Ergebnis des Strafverfahrens und dem dort schriftlich niedergelegten Geständnis und dem Inhalt der Ermittlungsakten. Die Kammer hält diesen Vortrag für eine unglaubhafte Schutzbehauptung, um den drohenden Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis abzuwenden.
44Der Kläger hat nämlich durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 29.08.2018 (Bl. 381 d. Ermittlungsakte) ausdrücklich eingeräumt, dass er in „einigen Fällen“ Rezepte der Kunden U. und C. der (...) zur Erstattung eingereicht habe, obwohl diese nicht verkauft und beliefert gewesen seien. Dieser Vorgang wurde damit erklärt, dass die beiden Kunden eine Vielzahl von Rezepten vorgelegt hätten, die bestellten Medikamente aber nicht abgeholt oder verspätet abgeholt hätten, sodass die vierwöchige Vorlagefrist bei der Krankenkasse nicht hätte eingehalten werden können. Dies habe dazu geführt, dass die Rezepte zunächst nur in einem Fach gesammelt worden seien. Der Kläger sei daher im Jahr 2013 dazu übergegangen, die in dem Fach liegenden Rezepte in der Weise zu taxieren, dass der Vorgang nach dem Bedrucken des Rezepts mit Preis und Abgabedatum, aber vor der Eingabe in das Kassensystem abgebrochen worden sei. Das Original sei dann bei der (...) eingereicht worden, eine Rezeptkopie in das Fach zurückgelegt worden. Wenn der Patient dann gekommen sei, um sein Medikament abzuholen, habe man mittels der Kopie das Arzneimittel bestellt und abgegeben. Rezepte, die nie wieder nachgefragt worden seien, habe man weggeworfen. Dem Beschuldigten sei nunmehr klar, dass er die Rezepte hätte stornieren oder nicht bei der (...) einreichen dürfen.
45Aus dieser Schilderung lässt sich entnehmen, wie es zu den Differenzen zwischen den abgerechneten und abgegebenen Arzneimitteln gekommen ist, ohne dass dies im Kassensystem der Apotheke aufgefallen ist. Wie bereits die (...) in der Strafanzeige berichtet hat, verfügte das in der Apotheke eingesetzte Kassensystem über eine Funktion, die einen Abbruch des Vorgangs nach dem Bedrucken des Rezepts ermöglichte. Das System generierte die Anfrage nach der Bedruckung, ob der Vorgang gespeichert werden solle. Dies ermöglichte eine Korrektur der Angaben oder einen Abbruch des Vorgangs. Bei einem Abbruch wurde der Vorgang im Kassensystem nicht erfasst, sodass die auf dem Rezept befindlichen Arzneimittel nicht als verkauft registriert und auch keine Neubestellung veranlasst wurde. Durch den Aufdruck auf dem Rezept wurde aber gegenüber der Krankenkasse der Anschein erweckt, dass die Arzneimittel beschafft und an den Versicherten abgegeben worden seien. Denn nach § 17 Abs. 6 der Apothekenbetriebsordnung sind die dort genannten Angaben, insbesondere der Preis und das Datum der Abgabe, „bei der Abgabe der Arzneimittel“ auf der Verschreibung anzugeben.
46Daraus ergibt sich aber, dass der Kläger sein Kassensystem bewusst dazu genutzt hat, Rezepte zur Erstattung einzureichen, ohne die darauf verordneten Arzneimittel an den Kunden auszuliefern. Wie die Auflistung im Strafbefehl zeigt, ist dies auch nicht nur vereinzelt passiert, weil die Kunden die bestellten Arzneimittel nicht abholten und die Rezeptkopie dann weggeworfen wurde. Vielmehr hat der Kläger in den Jahren 2013 bis April 2016 bei 140 Rezepten eine Erstattung veranlasst, ohne die Medikamente auszuliefern. Dies erfolgte mit einer erkennbaren Regelmäßigkeit, sodass die (...) über mehr als drei Jahre hinweg jeden Monat einen Betrag zwischen ca. 400 und 1700 Euro für nicht gelieferte Diabetesmedikamente für nur 2 Versicherte erstattet hat.
47Es erscheint der Kammer abwegig, dass der Kläger nicht bemerkt haben will, in welchem Ausmaß die beiden Kunden Medikamente bestellt haben, die dann nicht abgeholt wurden. Denn dieses Kundenverhalten soll ja gerade dazu geführt haben, dass die Rezepte in einem separaten Fach gesammelt und später unter Abbruch des Kassenvorgangs taxiert wurden. Beide, von der normalen Vorgehensweise abweichenden Vorgänge, sind nur denkbar, wenn der Kläger sie entweder selbst durchgeführt oder gegenüber dem Apothekenpersonal angeordnet hat. Hierbei muss ihm auch aufgefallen sein, dass die Kunden Rezepte über Arzneimittelmengen eingereicht haben, die für die Behandlung ihrer Krankheit erkennbar überdimensioniert waren, zumal teilweise Rezepte über identische Medikamente von verschiedenen Arztpraxen an einem Tag oder an aufeinanderfolgenden Tagen eingereicht wurden (vgl. Anzeige der (...) vom 12.02.2016, S. 14 ff., Bl. 16 ff. der Ermittlungsakte). Dies hat der Kläger jedoch weder gegenüber den Kunden beanstandet noch eine Anfrage bei den verordnenden Ärzten durchgeführt, obwohl er bei Verdacht auf einen Arzneimittelmissbrauch dazu verpflichtet gewesen wäre, diesen Unklarheiten nachzugehen oder die Abgabe zu verweigern, § 17 Abs. 5 Satz 2 und Abs. 8 Apothekenbetriebsordnung. Ebenso wenig haben die Kunden offenbar befürchtet, auf die überdimensionierten Mehrfachverordnungen durch verschiedene Ärzte oder auf die Nichtabholung von Medikamenten angesprochen zu werden.
48Alle diese Umstände weisen darauf hin, dass es sich um einen systematischen, auf Dauer angelegten Betrug unter Mitwirkung der Patienten gehandelt hat. Auch wenn diese das abgestritten haben, gibt es sonst keinen nachvollziehbaren Grund für das Verhalten der Patienten. Es erscheint sinnlos und aufwändig, bei mehreren Ärzten Rezepte für identische Arzneimittel zu besorgen, die man dann nicht abholt. Der Umstand, dass die Patienten die im Strafbefehl aufgeführten Arzneimittel nicht bekommen haben, ohne dass dies zu einer Verärgerung der Kunden geführt hätte, zeigt, dass die Patienten diese Medikamente tatsächlich nicht zur Behandlung ihrer Diabetes benötigten. Der Kläger konnte daher auch darauf vertrauen, wenn er die Rezepte taxierte und zur Erstattung einreichte, dass es später nicht zu Abholversuchen kommen würde. Er brauchte die Arzneimittel daher auch nicht zu bestellen. Infolgedessen kam es auch nicht zu Diskrepanzen zwischen bestellten und verkauften Arzneimitteln, die im Kassensystem aufgefallen wäre. Die Abweichungen zwischen abgerechneten und verkauften Arzneimitteln waren hingegen im Kassensystem nicht erkennbar, da die abgerechneten Arzneimittel dort nicht als verkaufte Arzneimittel erfasst waren.
49Diese Form des regelmäßigen Abrechnungsbetruges gegenüber der Krankenkasse (...) über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren mit einem nicht unerheblichen Schaden wiegt so schwer, dass auch für die Zukunft nicht angenommen werden kann, dass der Kläger seine Berufspflichten erfüllen wird.
50Die korrekte Abrechnung gegenüber den Krankenkassen gehört zu den Kernpflichten des Apothekers. Eine Verletzung dieser Pflicht gefährdet die ordnungsgemäße Gesundheitsvorsorge für die Bevölkerung, weil sie die finanzielle Basis der Tätigkeit der Krankenkassen tangiert. Werden in überhöhtem Maße Arzneimittelkosten erstattet, fehlt den Kassen das Geld, um ihren Aufgaben nachzukommen. Geschieht dies in großem Stil, müssen notfalls die Beiträge zulasten der Versicherten und der Arbeitgeber erhöht werden. Die Krankenkassen sind darauf angewiesen, dass die Apotheken die gelieferten Medikamente ordnungsgemäß abrechnen und müssen hierauf vertrauen können. Denn sie können, von Stichproben abgesehen, nicht kontrollieren, ob die Patienten die Arzneimittel tatsächlich erhalten haben. Ein Apotheker, der dieses Vertrauen über einen längeren Zeitraum und durch eine vorsätzliche Betrugshandlung missachtet, bietet nicht die Gewähr für die Erfüllung seiner Berufspflichten und ist somit unzuverlässig; dies gilt gleichermaßen für Ärzte, die die Krankenkassen bei der Abrechnung betrügen,
51vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 – 3 B 23/07 – juris, Rn. 5; Beschluss vom 26.09.2002 – 3 C 37/01 – juris, Rn. 19 f.; Urteil vom 16.09.1997 – 3 C 12/95 – juris, Rn. 25 ff. ; OVG NRW, Urteil vom 04.06.2019 – 13 A 897/17 – juris, Rn. 69 ff. und Beschluss vom 19.05.1995 – 13 A 4134/92 – juris, Rn. 10; BayVGH, Urteil vom 15.02.2000 – 21B96.1637 – juris, Rn. 57; VGH Mannheim, Beschluss vom 22.11.1991 – 9 S 2743/91 - juris, Rn. 4; VG Aachen, Urteil vom 06.07.2018 – 3 C 12/95 – juris, Rn. 29 ff.; VG Koblenz, Urteil vom 13.12.2010 – 3 K 439/10 – juris, Rn. 23 ff.
52Der hierbei entstandene Vermögensschaden ist auch nicht unerheblich. Nach den Feststellungen im Strafbefehl vom 11.10.2018 handelt es sich um einen Betrag von 32.146,30 Euro. Hierbei handelt es sich indessen nicht um den gesamten Schaden, der der (....) entstanden ist. Im Vermerk vom 05.10.2018 erklärt der zuständige Staatsanwalt, bei diesem Schaden handele es sich nur um die „Spitze des Eisbergs“, da sich die Staatsanwaltschaft wegen der großen zu überprüfenden Datenmenge und dem nachhaltigen Bestreiten des Klägers auf 5 Arzneimittel und 2 von 6 beschuldigten Patienten beschränkt hat, die den größten Schaden verursacht haben. Wie groß der Schaden tatsächlich war, ist letztlich nicht zu ermitteln, da auch noch weitere Patienten der (...) oder anderer Krankenkassen betroffen sein könnten, bei denen die betrügerische Abrechnung nicht so offensichtlich war und deshalb unbemerkt geblieben ist.
53Das gezeigte Verhalten des Klägers offenbart ein übersteigertes Gewinnstreben sowie eine Bedenkenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber den berechtigten Vermögensinteressen der Krankenkassen, die vermuten lassen, dass der Kläger auch in Zukunft seine beruflichen Pflichten nicht erfüllen wird.
54Maßgeblich für die Prognose des künftigen Verhaltens ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also der 22.03.2019. Zu diesem Zeitpunkt lassen sich keine Umstände erkennen, die die Gewähr dafür bieten, dass der Kläger seine Einstellung geändert hat und sich künftig rechtstreu verhalten wird.
55Das Verhalten des Klägers seit dem Beginn der Ermittlungen im April 2016 führt nicht zu einer positiven Prognose. Es kann insoweit davon ausgegangen werden, dass er seit der Durchsuchung der Apotheke und Beschlagnahme seiner Daten nicht mehr auffällig geworden ist, die Kassenvorgänge durch Beschaffung eines neuen, sicheren Abrechnungssystems umgestellt hat und eine Apothekerin eingestellt hat, die nun die Abrechnung vorbereitet. Dies lässt allein die Prognose zu, dass der Kläger nicht mehr in derselben Weise, also durch Manipulation des Kassensystems, straffällig werden wird, weil diese Möglichkeit jetzt nicht mehr besteht.
56Mit diesen Maßnahmen ist jedoch noch nicht gewährleistet, dass er seiner Pflicht zur korrekten Abrechnung oder andere Berufspflichten auf eine andere Art und Weise verletzt. Sein Wohlverhalten seit 2016 kann nicht eindeutig auf eine echte Reue und Abkehr von seiner bisherigen Einstellung zurückgeführt werden. Vielmehr stand der Kläger seit 2016 bis 2018 unter dem Druck des laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und seit dem 30.01.2019 unter dem Druck des drohenden Widerrufs der Apothekenbetriebserlaubnis und der Einleitung eines berufsrechtlichen Verfahrens durch die Apothekerkammer. Dieser Druck besteht auch noch fort, da die Strafe noch bis zum 31.12.2021 zur Bewährung ausgesetzt ist und vollstreckt werden wird, wenn der Kläger wiederum straffällig wird. Ebenso besteht der Druck durch die verwaltungsrechtlichen Verfahren fort.
57Anzeichen für eine echte Rückkehr zu einem rechtstreuen Verhalten bestehen nicht. Insbesondere hat der Kläger nach einem fortgesetzten und nachhaltigen Bestreiten die Tat erst eingestanden, nachdem die Beweislage eindeutig war. Sein Vortrag im vorliegenden Verfahren zeigt, dass er die Tat nach wie vor bagatellisiert und die Schuld bei anderen sucht, nämlich den Kunden, den Ärzten und sogar der (...), die ihn nicht rechtzeitig auf ihren Verdacht hingewiesen habe. Auch die Behauptung, der Kläger habe im Unterschied zu anderen Fällen des Abrechnungsbetruges nicht die Abrechnungssoftware manipuliert, zeigt, dass er sein Fehlverhalten nicht wirklich einsieht. Denn er hat eine Sicherheitslücke in der Software genutzt, um deren Abläufe abzuändern und damit eine Täuschung gegenüber der Krankenkasse zu begehen. Das ist ebenfalls ein manipulatives und vorsätzliches Verhalten.
58Auch die Schadenswiedergutmachung erfolgte nicht aufgrund eines freiwilligen Verhaltens des Klägers. Ein Teil des Schadens ist im Wege der Aufrechnung durch die (...) beglichen worden. Der Restbetrag wurde erst überwiesen, nachdem die Beklagte den Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis angekündigt hatte. Auch die Einstellung einer approbierten Apothekerin, wobei die Approbationsurkunde nicht vorgelegt wurde, stellt nicht sicher, dass die Abrechnung nunmehr ordnungsgemäß erfolgt. Diese soll die Abrechnung nur vorbereiten. Letztlich bleibt der Kläger selbst für die Abrechnung verantwortlich. Ob eine Angestellte, die von ihrem Arbeitgeber abhängig ist, diesen an Manipulationen bei der Abrechnung hindern kann, bleibt fraglich. Deswegen ist die Beklagte mit Recht von einer Unzuverlässigkeit des Klägers in Bezug auf seine Berufspflichten ausgegangen.
59Der Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis ist auch nicht unverhältnismäßig. Ein Ermessen ist in der Ermächtigung zum Widerruf in § 4 Abs. 2 ApoG nicht vorgesehen. Dies zeigt bereits, dass im Fall der Unzuverlässigkeit die Verhinderung der Fortsetzung der selbständigen Apothekertätigkeit die im Gesetz vorgesehene und rechtmäßige Folge ist.
60Zwar ist der Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis ein erheblicher Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Berufswahl. Denn die Tätigkeit als selbständiger Apotheker hat eigenes soziales Gewicht gegenüber der des unselbständigen Apothekers,
61vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 22.10.1991 – 9 S 2743/91 – juris Rn. 3 und Urteil vom 29.10.2013 – 7 K 3907/12 – juris, Rn. 17 ff.
62Der Eingriff in diese Freiheit ist jedoch geeignet und erforderlich, um die überragende Bedeutung einer ordnungsgemäßen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung durch zuverlässige Personen zu gewährleisten. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, welches mildere Mittel zur Verfügung steht, um der Gefahr einer Beeinträchtigung des Gesundheitswesens zu begegnen.
63Hierbei sind auch die Folgen der Beendigung der selbständigen Tätigkeit als Apotheker zu gewichten. Dabei ist bedeutsam, dass die berufliche Betätigung des Klägers nicht vollständig untersagt wird. Der Kläger kann auch als angestellter Apotheker noch seinem Beruf nachgehen. Er ist bei einer Bewerbung nicht dazu verpflichtet, die Gründe für die Aufgabe seiner Apotheke ungefragt zu offenbaren. Falls eine Bewerbung abgelehnt wird, weil er die Gründe auf Nachfrage wahrheitsgemäß angibt, trägt er damit letztlich die Folgen seines strafbaren Verhaltens. Im Übrigen ist nicht erkennbar, warum der Kläger die Apotheke nicht verkaufen und hierdurch seine Existenz sichern kann. Bei einem Jahresgewinn von ca. 250.000 Euro, den seine Prozessbevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung angegeben haben, dürfte es nicht schwerfallen, einen Käufer zu finden.
64Ungeachtet dessen führt der Entzug der Apothekenbetriebserlaubnis auch nicht zu einem dauerhaften Ausschluss vom Betrieb einer selbständigen Apotheke. Der Kläger kann nach Ablauf der Bewährungsfrist die Erteilung einer Betriebserlaubnis erneut beantragen.
65Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
66Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
67Rechtsmittelbelehrung
68Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
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1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
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2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
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3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
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4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
76Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
77Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
78Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
79Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
80Beschluss
81Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
82250.000,00 €
83festgesetzt.
84Gründe
85Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für den Kläger ist es angemessen, den Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Hierbei hat sich die Kammer an Ziff. 54 Abs. 1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013 (abgedruckt bei Kopp/Schenke, VwGO, Anhang zu § 164) orientiert. Danach ist für die Erteilung einer Gewerbeerlaubnis bzw. eine Gewerbeuntersagung der Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns maßgeblich.
86Nachdem die Prozessbevollmächtigten des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung angegeben haben, dass der Kläger einen jährlichen Gewinn von 250.000,00 Euro erwirtschaftet, geht sein Interesse an der Klage dahin, den Entzug der Apothekenbetriebserlaubnis abzuwenden und diesen Gewinn beizubehalten.
87Rechtsmittelbelehrung
88Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
89Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
90Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
91Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
92Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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- VwGO § 167 1x
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- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 3 C 37/01 3x (nicht zugeordnet)
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- VwGO § 55a 1x