Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 19 K 2104/21
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Die Kläger sind die Eltern des Kindes N. M. N1. , geb. am 00.00.0000, der vom 01.08.2017 bis 31.07.2021 die von der Beklagten geförderte Kindertageseinrichtung „E. X. e. V.“ besuchte.
3Mit Bescheid vom 09.07.2019 setzte die Beklagte den von den Klägern zu entrichtenden monatlichen Beitrag auf 538,00 € fest.
4Am 02.03.2020 forderte die Leiterin der Kindergartengruppe des Sohnes der Kläger diese telefonisch auf, aufgrund krankheitsbedingten Personalmangels ihren Sohn zu Hause zu betreuen. Der Regelbetrieb könne nicht aufrechterhalten werden. In der Folge besuchte der Sohn der Kläger die Einrichtung bis zum 07.03.2020 nicht.
5Vom 11.03.2020 bis 13.03.2020 besuchte der Sohn der Kläger nach Aufforderung der Einrichtungsleitung, wegen eines Coronaverdachtsfalles ihr Kind zuhause zu betreuen, die Tageseinrichtung ebenfalls nicht.
6Vom 15.03.2020 bis 31.03.2020 bot die Tageseinrichtung aufgrund des Corona-Lockdowns eine Betreuung nur für „systemrelevante Berufsgruppen“ an. Der Sohn der Kläger besuchte die Einrichtung in dieser Zeit nicht.
7Mit Schreiben vom 30.05.2020 teilten die Kläger mit, sie hätten trotz der Schließungszeiten im März 2020 den vollen Elternbeitrag geleistet. Sie würden daher den Beitrag mit den Beiträgen für Juni und Juli (für die nur die hälftigen Beiträge zu leisten waren) verrechnen und insoweit die Zahlungen aussetzen.
8Unter dem 11.08.2020 teilte die Beklagte den Klägern mit, für die Aussetzung des Elternbeitrags für den Monat März bestünde keine rechtliche Grundlage. Sie seien für diesen Monat in voller Höhe beitragspflichtig.
9Die Prozessbevollmächtigten der Kläger teilten mit Schreiben vom 06.11.2020 mit, die Kläger würden den geltend gemachten Beitrag einschließlich Säumniszuschläge, insgesamt 568,00 € nicht zahlen. Es bestünde keine Zahlungspflicht für nicht erbrachte Betreuungsleistungen.
10Mit Bescheid vom 13.01.2021 lehnte die Beklagte den Antrag auf Aussetzung des Elternbeitrags für den Monat März 2020 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Erhebung der Elternbeiträge erfolge gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII i. V. m. § 23 KiBiz NRW und ihrer Elternbeitragssatzung (EBS). Nach der Beitragssatzung bestehe die Beitragspflicht auch während der Schließungszeiten der Tageseinrichtungen. § 10 Abs. 3 EBS regele insofern, dass die Beitragspflicht durch die Schließungszeiten der Einrichtung nicht berührt werde. Der Beitrag sei grundsätzlich gerechtfertigt, wenn das sich aus den §§ 22 bis 24 SGB VIII ergebende Förderangebot für Kinder in Kindertagesstätten durch die Inanspruchnahme eines vorgehaltenen Kitaplatzes erfolge. Der Elternbeitrag sei nicht als direkte Bezahlung einer Betreuungsleistung zu werten, sondern stelle einen anteiligen Zuschuss zu den Jahresbetriebskosten dar, der in der Summe der Elternbeiträge weit unter den eigentlichen Gesamtkosten liege. Die Elternbeiträge seien sozialrechtliche Abgaben eigener Art, für die weder das Kostendeckungs- noch das Äquivalenzprinzip im vollen Umfang gelten würden. Sie setzten die Bereitstellung des Betreuungsplatzes, nicht jedoch die tatsächliche Betreuung und Inanspruchnahme der Leistung voraus.
11Den Widerspruch der Kläger vom 09.02.2021 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2021, zugestellt am 16.03.2021, unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Ausführungen im Verwaltungsverfahren zurück.
12Am 16.04.2021 haben die Kläger Klage erhoben. Sie tragen vor, die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, es liege eine regelmäßige und daher unbeachtliche Schließung des Kindergartens vor. Dies gelte nur für Schließungen aufgrund von Schulferien, nicht jedoch für die vorliegende Schließungszeit, deren Umstände allein der Sphäre der Beklagten zuzuordnen seien. Es könne keine Leistungspflicht der Kläger für den Monat März 2020 ohne Gegenleistung bestehen. Es sei nicht haltbar, dass die Beitragspflicht durch die Schließungszeiten der Einrichtung nicht berührt werde. Entgegenstehende Satzungsbestimmungen seien rechtswidrig.
13Die Kläger beantragen,
14die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 13.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.03.2021 den Klägern Beitragsfreiheit bezüglich der Kindergartenbeiträge für das Kind N. M. N1. in der Kindertageseinrichtung „E. X. e. V.“ in C. I. für den Monat März 2020 zu gewähren.
15Die Beklagte beantragt unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren,
16die Klage abzuweisen.
17Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und der Gerichtsakte.
18Entscheidungsgründe
19Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
20Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
21Der Bescheid der Beklagten vom 13.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.03.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch auf Aussetzung des Elternbeitrages für den Monat März 2020. Die Kläger waren für diesen Monat in voller Höhe beitragspflichtig.
22Die Veranlagung der Kläger zu Elternbeiträgen für ihren Sohn im März 2020 ist von den Bestimmungen der auf der Grundlage von § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII i. V. m. § 23 Abs. 1 KiBiz NRW i. d. F. vom 17.06.2014 ergangenen Beitragssatzung der Beklagten vom 07.07.2016 (EBS) gedeckt.
23Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 EBS beginnt die Beitragspflicht (der Eltern nach § 2 Abs. 1 EBS) mit dem 1. des Monats, in dem ein rechtsverbindlicher Betreuungsvertrag abgeschlossen wird und in dem ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht.
24Im Falle des Sohnes der Kläger sind diese Voraussetzungen erfüllt. Für ihn stand aufgrund eines Betreuungsvertrages ein Betreuungsplatz im Monat März 2020 in einem Betreuungsumfang von 45 Wochenstunden in der öffentlich geförderten Kita „E. X. e. V.“ in C. I. zur Verfügung.
25Die Beitragspflicht entfällt nach der Satzung nicht deshalb, weil die Einrichtung in dem Monat teilweise geschlossen bzw. im Notbetrieb war. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 EBS wird die Beitragspflicht durch die Schließungszeiten der Kindertageseinrichtung sowie durch die tatsächlichen An- und Abwesenheitszeiten des Kindes nicht berührt (Satz 2) und besteht unabhängig von der tatsächlichen Nutzung des Platzes (Satz 3).
26Die Satzung überschreitet mit dieser Regelung auch nicht den durch die Regelungsermächtigung in § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII i. V. m. § 23 Abs. 1 KiBiz NRW eröffneten Rahmen. Grundlage für die Beitragserhebung ist danach die Inanspruchnahme von Angeboten in Kindertageseinrichtungen. Die Inanspruchnahme eines Angebots liegt bereits mit der generellen Aufnahme des Kindes in der Einrichtung und der Belegung eines vorgehaltenen Betreuungsplatzes vor. Sie setzt entgegen der Auffassung der Kläger nicht zwingend den tatsächlichen Besuch eines Kindes in einer Kindertageseinrichtung voraus.
27Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.06.2017 – 12 A 1451/16 –, juris Rn. 28 -31.
28Diese Regelung verstößt auch nicht gegen das im Abgabenrecht als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachtende Äquivalenzprinzip. Elternbeiträge sind als Beiträge sui generis nur begrenzt dem abgabenrechtlichen Äquivalenzprinzip unterworfen, dabei darf ein solcher Beitrag indes nicht im groben Missverhältnis zur erbrachten Leistung stehen.
29Elternbeiträge sind nicht an den für die Eingriffsverwaltung geltenden strengen Rechtmäßigkeitsmaßstäben - wie etwa dem für andere öffentliche Abgaben geltenden Äquivalenzprinzip - zu messen. Bei den Elternbeiträgen steht die überwiegend staatlich finanzierte Leistungsgewährung nach §§ 22 ff., also die Zuteilung staatlicher Förderung im Vordergrund. Die Elternbeiträge sind als ein die staatliche Leistungsgewährung reduzierender Minderungsposten anzusehen. Sie sind keine Belastung, sondern haben ein Weniger an staatlicher Förderung zur Folge. Die Elternbeiträge sollen die Gesamtbetriebskosten der Betreuungseinrichtung nicht vollständig decken. Der überwiegende Anteil der Gesamtbetriebskosten wird durch staatliche Leistungsträger abgedeckt. Die Elternbeiträge werden nicht im Rahmen eines Umlageverfahrens erhoben, so dass Beitragsausfälle nicht zu einer Beitragserhöhung zu Lasten der verbleibenden Beitragspflichtigen führen. Finanzierungslücken gehen zu Lasten der anderen Finanzierungsträger.
30Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.02.2011 - 12 A 266/10 -, juris; Urteil vom 30.09.2005 - 12 A 2184/03 -, juris; Urteil der Kammer vom 03.12.2020 - 19 K 5524/18 -, juris Rn. 23.
31Der Grundsatz der Abgabengerechtigkeit wird nicht verletzt, wenn selbst das höchste Entgelt die tatsächlichen Kosten der Einrichtung nicht deckt und in einem angemessenen Verhältnis zur empfangenen Verwaltungsleistung steht.
32Vgl. OVG NRW, Urteil vom 05.09.2018 - 12 A 181/17 -, juris Rn. 96.
33Dass die Kosten des von dem Sohn der Kläger in Anspruch genommenen Betreuungsplatzes die tatsächlichen Kosten der Einrichtung grundsätzlich nicht deckt und in einem angemessenen Verhältnis zur empfangenen Verwaltungsleistung steht, wird von den Klägern nicht bestritten. Hierfür bestehen auch keine Anhaltspunkte.
34Ein grobes Missverhältnis besteht hier aber auch nicht, soweit die Kläger während der Reduzierung des Betreuungsangebots im Monat März 2020 zum vollen Beitrag herangezogen werden. Der ganz überwiegende Teil der Personal- und Sachkosten für Kindertageseinrichtungen wird von der öffentlichen Hand aufgebracht. Der von den Eltern zu leistende Kostenbeitrag ist von vornherein nicht einmal annähernd auf eine vollständige Kostendeckung gerichtet, sondern als eine nach sozialen Kriterien gestaffelte Beteiligung an der Kosten der öffentlichen Hand für das wahrgenommene Leistungsangebot ausgestaltet. Daher reicht auch ein tatsächliches Bereithalten des Betreuungsangebots inclusive Zurverfügungstellung der Räumlichkeiten, des Betreuungspersonals etc. in der Regel für die Gleichgewichtigkeit zwischen Elternbeiträgen und öffentlicher Förderung von Kinder in Tageseinrichtungen aus. Nur in extremen Ausnahmefällen vermögen Leistungsstörungen durch vorübergehenden Betreuungsausfall das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung als nicht mehr äquivalent erscheinen lassen.
35Vgl. Urteil der Kammer vom 08.12.2016 – 19 K 4628/15 –, juris Rn. 22 f. m. w. N.
36Ein solcher Ausnahmefall ist hier aber nicht erkennbar. Denn die Zeiten des Betreuungsausfalls, für die dennoch der volle Beitrag geleistet werden musste, beschränken sich mit den Schließungs-/Notbetriebstagen in dem Monat März 2020 auf nicht einmal einen vollen Monat.
37Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
38Rechtsmittelbelehrung
39Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
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1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
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2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
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3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
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4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
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5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
47Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
48Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
49Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 VwGO im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
50Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
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Referenzen
- §§ 22 bis 24 SGB VIII 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 159 1x
- VwGO § 188 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- VwGO § 167 1x
- § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 101 1x
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 67 1x
- 12 A 1451/16 1x (nicht zugeordnet)
- 12 A 266/10 1x (nicht zugeordnet)
- 12 A 2184/03 1x (nicht zugeordnet)
- 19 K 5524/18 1x (nicht zugeordnet)
- 12 A 181/17 1x (nicht zugeordnet)
- 19 K 4628/15 1x (nicht zugeordnet)