Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (5. Kammer) - 5 A 275/11
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung eines Bescheides, mit dem ihm die Beklagte im Wege der Beihilfe Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen bewilligt hat.
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Der Kläger ist Beamter des Landes Sachsen-Anhalt. Mit Antrag vom 26. August 2009 beanspruchte er von der Beklagten die Erstattung von Aufwendungen für verschiedene ärztliche Behandlungen. In dem von ihm verwendeten Beihilfeantragsformular füllte der Kläger Punkt 10 „Nur ausfüllen, wenn Aufwendungen für die Tätigkeit eines nahen Angehörigen (als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker usw.) geltend gemacht werden! (Als nahe Angehörige in diesem Sinne gelten Ehegatten, Kinder und Eltern der jeweils behandelten Person)“ nicht aus. Seinem Beihilfeantrag legte der Kläger unter anderem eine Rechnung vom 25. August 2009 über einen Betrag in Höhe von 12.529,60 € wegen mehrerer zahnärztlichen Behandlungen in der Zeit vom 2. April 2009 bis zum 25. August 2009 bei. Der Rechnungsbetrag setzt sich zusammen aus einer Honorarforderung über 7.986,70 €, einer weiteren Honorarforderung für „Verlangensleistungen“ über 110,24 €, einem Betrag in Höhe von 602,90 € für Behandlungsmaterialien sowie Laborkosten in Höhe von insgesamt 3.829,76 €, wovon 3.033,40 € auf Fremdlaborarbeiten und der Restbetrag auf Eigenlaborarbeiten entfallen. Die Seite 1 der Rechnung ist mit der Angabe „A. W., Zahnarzt“ überschrieben. Darunter befindet sich ein über die gesamte Seitenbreite verlaufender durchgezogener Querstrich. Rechts unter diesem Strich erscheinen die Anschrift „…straße, A-Stadt“ und die Telefonnummer „…“ sowie eine Faxnummer. Links versetzt unter dieser Anschrift steht unterstrichen der Name der Ehefrau des Klägers, Frau A. A., ebenfalls mit der Anschrift „…straße, A-Stadt“. In dem direkt darunter folgenden Feld für den Rechnungsempfänger steht der Name des Klägers mit dessen Privatanschrift. Die folgenden acht Rechnungsseiten sind so gestaltet, dass an jedem Seitenanfang über einem über die gesamte Seitenbreite verlaufenden durchgezogenen Querstrich die Angabe „A. W., …straße, A-Stadt“ sowie die Rechnungsnummer und das Rechnungsdatum abgedruckt sind. Unter den Querstrichen sind die einzelnen Rechnungspositionen aufgelistet. Auf der letzten Seite der Rechnung ist ein Stempel „Zahnarzt A. W., A-Stadt, …straße 24, Tel. “ mit einer Unterschrift angebracht.
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Mit Beihilfebescheid vom 11. September 2009 setzte die Beklagte auf den Antrag des Klägers eine Beihilfe in Höhe von insgesamt 6.971,58 € fest und wies diesen Betrag zur Überweisung auf das vom Kläger angegebene Konto an. Bezogen auf die vom Kläger geltend gemachten zahnärztlichen Aufwendungen in Höhe von 12.529,60 € sah die Beklagte lediglich einen Betrag in Höhe von 9.306,27 € als beihilfefähig an. Als Beihilfe setzte sie ausgehend von einem Bemessungssatz von 70 % einen Betrag in Höhe von 6.514,39 € fest. Dabei legte sie ein im Vergleich zu der vom Kläger eingereichten Zahnarztrechnung um 336,04 € gekürztes Zahnarzthonorar in Höhe von 7.760,90 € als beihilfefähig zugrunde. Von den in Höhe von 4.432,66 € geltend gemachten Material- und Laborkosten sah die Beklagte lediglich einen Rechnungsbetrag in Höhe von 1.545,37 € als beihilfefähig an. Hiergegen erhob der Kläger am 19. Oktober 2009 Widerspruch, mit dem er sich insbesondere gegen die erfolgten Kürzungen der zahnärztlichen Aufwendungen richtete.
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Mit Schreiben vom 1. März 2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie beabsichtige, die ihm gewährten Beihilfezahlungen in Höhe von 5.432,63 € zurückzufordern. Das der Beihilfefestsetzung zugrunde gelegte Zahnarzthonorar in Höhe von 7.760,90 € sei als Aufwendung für eine persönliche Behandlung durch die Ehefrau des Klägers anzusehen und daher nicht beihilfefähig. Ausweislich der Rechnung vom 25. August 2009 sei der Kläger in der Zahnarztpraxis seiner Ehefrau behandelt worden. Der aus der Rechnung als behandelnder Arzt des Klägers erscheinende Herr W. sei in der Zeit vom 1. August 2008 bis zum 31. August 2009 in der Praxis der Ehefrau des Klägers als Vorbereitungsassistent tätig und damit nicht liquidationsberechtigt gewesen. Die durch diesen Arzt erfolgte Behandlung des Klägers stehe beihilferechtlich einer persönlichen Behandlung durch dessen Ehefrau gleich.
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Mit Bescheid vom 24. Juni 2010 setzte die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 15. September 2009 die vom Kläger beantragte Beihilfe auf 1.538,95 € neu fest. In der Begründung dieses Bescheides führte die Beklagte aus, durch die Neufestsetzung sei eine Überzahlung in Höhe von 5.432,63 € entstanden. Diesbezüglich erhalte der Kläger gesonderte Nachricht. Hiergegen erhob der Kläger unter dem 7. Juli 2010 Widerspruch. Zu dessen Begründung führte er aus, er sei ausschließlich von Herrn W. behandelt worden, mit dem er einen Behandlungsvertrag geschlossen habe. Herr W. sei als approbierter Zahnarzt auf freiberuflicher Basis tätig gewesen und ihm – dem Kläger – gegenüber allein liquidationsberechtigt. In welcher Art und Weise Herr W. mit seiner – des Klägers – Ehefrau vertraglich verbunden sei, sei für die Frage der Beihilfefähigkeit der in Rede stehenden zahnärztlichen Leistungen unbeachtlich.
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Mit Bescheid vom 30. Juni 2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen ihren Beihilfebescheid vom 15. September 2009 zurück und nahm diesen insoweit zurück, als damit eine Beihilfe in Höhe von 5.432,63 € zuviel gewährt wurde. Diesen dem Kläger bereits gezahlten Betrag forderte die Beklagte zugleich zurück.
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Mit dem Kläger am 23. August 2011 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 17. August 2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 24. Juni 2010 zurück. Zur Begründung wiederholte sie ihre Ausführungen aus ihrem Schreiben vom 1. März 2010 und wies ergänzend darauf hin, ihr Widerrufs- und Rücknahmebescheid vom 30. Juni 2010 sei bestandskräftig geworden, da der Kläger lediglich gegen den Bescheid vom 24. Juni 2010 Widerspruch erhoben habe.
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Am 23. September 2011 hat der Kläger bei dem erkennenden Gericht Klage erhoben.
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Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt er vor, Herr W. sei ihm gegenüber allein liquidationsberechtigt gewesen, auch wenn er in der Praxis seiner Ehefrau als Vorbereitungsassistent beschäftigt gewesen sei. Ein Beihilfeausschluss bestehe nur bei persönlichen Behandlungen durch den Ehegatten des Behandelten. Seine Ehefrau habe ihn aber zu keinem Zeitpunkt behandelt. Er habe sich an Herrn W. gewandt, da dieser als äußerst versiert in der Erbringung zahnmedizinischer prothetischer Leistungen gelte.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2011 aufzuheben, soweit hiermit der Bescheid der Beklagten vom 15. September 2009 aufgehoben wird.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie tritt der Klage aus den in ihrem Widerspruchsbescheid dargelegten Gründen entgegen.
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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Gerichts.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO statthaft. Nach dem aus der Klagebegründung erkennbaren Begehren (vgl. § 88 VwGO) geht es dem Kläger nicht (mehr) um die Bewilligung einer weiteren als der im Bescheid der Beklagten vom 15. September 2009 in Höhe von 6.971,58 € festgesetzten Beihilfe. Er wendet sich mit seiner Klage vielmehr allein gegen die mit Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2010 erfolgte teilweise Aufhebung des Beihilfebescheides vom 15. September 2009 im Umfang eines ursprünglich festgesetzten Beihilfebetrages in Höhe von 5.432,63 €. Die Beklagte hat mit dem als „Neufestsetzung der Beihilfe“ überschriebenen Bescheid vom 24. Juni 2010 nicht nur die vom Kläger beantragte Beihilfe neu in Höhe von 1.538,95 € festgesetzt. Sie hat zugleich ausdrücklich ihren Beihilfebescheid vom 15. September 2009 im Umfang von 5.432,63 € aufgehoben. Im Falle des Erfolges der gegen diese teilweise Aufhebung gerichteten Klage würde der Beihilfebescheid der Beklagten vom 15. September 2009 wieder seine ursprüngliche Gestalt erhalten, d.h. einen gegenüber der im Bescheid vom 24. Juni 2010 (neu) festgesetzten Beihilfe um 5.432,63 € höheren Festsetzungsbetrag ausweisen.
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Der auch im Übrigen zulässigen Anfechtung des teilweisen Aufhebungsbescheides der Beklagten vom 24. Juni 2010 steht nicht entgegen, dass die Beklagte mit Bescheid vom 30. Juni 2010 nicht nur den Widerspruch des Klägers vom 19. Oktober 2009 gegen den Beihilfebescheid vom 15. September 2009 zurückgewiesen, sondern den vorgenannten Beihilfebescheid zugleich nochmals im Umfang von 5.432,63 € zurückgenommen hat. Zwar hat der Kläger hiergegen – auch nicht binnen eines Jahres nach Bekanntgabe – keine Rechtsbehelfe erhoben, mit der Folge, dass der Bescheid vom 30. Juni 2010 bestandskräftig geworden ist. Der Bescheid vom 30. Juni 2010 stellt indes, soweit hiermit der Beihilfebescheid vom 15. September 2009 teilweise zurückgenommen wird, lediglich eine wiederholende Verfügung ohne eigenständigen Regelungsinhalt dar. Wie bereits erwähnt, hat die Beklagte ihren Beihilfebescheid vom 15. September 2009 zuvor bereits ausdrücklich mit dem (Neufestsetzungs-)Bescheid vom 24. Juni 2010 teilweise aufgehoben. Auch wenn der Bescheid vom 30. Juni 2010 im Hinblick auf die teilweise Rücknahme des Beihilfebescheides vom 15. September 2009 erstmals eine nähere Begründung enthält, wollte die Beklagte an der zuvor bereits mit Bescheid vom 24. Juni 2010 erfolgten Teilaufhebung ersichtlich festhalten, ohne dass dem eine erneute Prüfung in der Sache vorausgegangen ist. Die Begründung des Bescheides vom 30. Juni 2010 gibt vielmehr die Erwägungen der Beklagten wieder, die dem Kläger schon im Anhörungsschreiben vom 1. März 2010 mitgeteilt worden sind. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die bereits ausdrücklich mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2010 erfolgte teilweise Aufhebung des Beihilfebescheides vom 15. September 2009 auf denselben Erwägungen beruht, welche die Beklagte wenig später in ihrem Bescheid vom 30. Juni 2010 nochmals dargelegt hat. Diese Einschätzung wird auch durch die Ausführungen des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Dieser hat auf gerichtliche Nachfrage angegeben, dass die zweifach erfolgte teilweise Aufhebung des Beihilfebescheides vom 15. September 2009 allein auf die bei der Beklagten vorhandenen technischen Gegebenheiten zurückzuführen sei.
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Soweit der zwischenzeitlich bestandskräftig gewordene Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2010 außerdem die im angefochtenen Bescheid lediglich angekündigte Rückforderung des überzahlten Beihilfebetrages in Höhe von 5.432,63 € enthält, berührt dies nicht die Anfechtbarkeit des streitgegenständlichen Bescheides. Die teilweise Aufhebung des Beihilfebescheides vom 15. September 2009 und die Rückforderung des überzahlten Betrages im Bescheid vom 30. Juni 2010 sind einer rechtlich gesonderten Betrachtung zugänglich. Im Falle einer gerichtlichen Aufhebung des angefochtenen Bescheides wäre der bestandskräftigen Rückforderung im Bescheid vom 30. Juni 2010 nachträglich die rechtliche Grundlage entzogen. Der Kläger könnte die Bestandskraft der Rückforderungsverpflichtung mittels eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA i. V. m. § 51 VwVfG oder eines Aufhebungsantrages nach den §§ 48, 49 VwVfG mit hoher Wahrscheinlichkeit überwinden.
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Mit ihrem zulässigen Gegenstand bleibt die Klage aber in der Sache ohne Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2011 ist, soweit er streitgegenständlich ist, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die streitgegenständliche teilweise Aufhebung des Beihilfebescheides der Beklagten vom 15. September 2009 ist § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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Der Beihilfebescheid vom 15. September 2009 gewährt dem Kläger eine einmalige Geldleistung, die in Höhe von 5.432,63 € zu Unrecht erfolgt ist. Die Beklagte hat das vom Kläger in seinem Beihilfeantrag geltend gemachte Honorar für zahnärztliche Leistungen in dieser Höhe als beihilfefähig zugrunde gelegt, obwohl insoweit ein Beihilfeausschluss nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 der Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung) – BBhV – vom 13. Februar 2009 (BGBl. I S. 326) vorlag. Die Vorschriften der Bundesbeihilfeverordnung finden zum hier maßgeblichen Zeitpunkt auf Landesbeamte – wie den Kläger – über § 88 a Abs. 1 des Beamtengesetzes Sachsen-Anhalt in der bis zum 31. Januar 2010 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 9. Februar 1998 (GVBl. LSA S. 50), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. August 2008 (GVBl. LSA S. 290), bzw. § 120 Abs. 8 des Beamtengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt vom 15. Dezember 2009 (GVBl. S. 648) in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung Anwendung. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 BBhV sind Aufwendungen für persönliche Behandlungen durch den Ehegatten des Behandelten nicht beihilfefähig. In diesen Fällen sind nur die tatsächlich entstandenen Sachkosten beihilfefähig. So verhält es sich hier im Hinblick auf die streitgegenständlichen zahnärztlichen Aufwendungen.
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Maßgeblich für die Auslegung des Merkmals der persönlichen Behandlung ist nicht, wer die Behandlung des Beihilfeberechtigten tatsächlich durchgeführt hat. Zwar legt der Wortlaut des § 8 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 BBhV („persönliche“ Behandlungen) auf den ersten Blick eine Auslegung nahe, nach welcher der Beihilfeausschluss nur für höchstpersönliche, eigenhändige Tätigkeiten des Ehegatten gelten soll. Zwingend ist eine solche Auslegung nach dem Wortlaut jedoch nicht. Die Verwendung des Adjektivs „persönlich“ lässt auch eine andere Deutung zu. So kann man nach dem Wortsinn darunter auch (noch) eine solche Tätigkeit verstehen, die dem Ehegatten, obwohl er sie nicht selbst erbringt, jedenfalls wirtschaftlich zurechenbar ist und insofern in seinen „persönlichen“ Bereich fällt. Schließlich ist es denkbar, dass der Normgeber das Adjektiv „persönlich“ verwendet hat, um die in § 8 Abs. 1 Nr. 6 BBhV vorgenommene Differenzierung zwischen den – nicht beihilfefähigen – Aufwendungen für die Behandlungstätigkeit als solche und den – im Gegensatz dazu als beihilfefähig bezeichneten – tatsächlich entstandenen Sachkosten nochmals zu verdeutlichen (vgl. zu vergleichbaren Beihilfevorschriften Hamburgisches OVG, Beschluss vom 19. September 2003 - 1 Bf 180/02 -, DÖD 2004, 279; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 23. April 2010 - 5 LB 388/08 -, zitiert nach juris).
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Nach dem somit für die Auslegung des Merkmals der „persönlichen Behandlung“ ausschlaggebenden Sinn und Zweck des Beihilfeausschlusses in § 8 Abs. 1 Nr. 6 BBhV ist entscheidend, wer Inhaber der Forderung aus dem Behandlungsvertrag ist und deshalb letztlich über ihre Geltendmachung entscheidet. Ausgangspunkt hierfür ist die Einschätzung des Normgebers, es bestehe die naheliegende Möglichkeit, dass im Verhältnis zwischen unterhaltspflichtigen Angehörigen der Behandelnde auf sein Honorar verzichtet oder seine Forderung auf das beschränkt, was als Versicherungsleistung und/oder Beihilfe erstattet wird; im letzteren Fall würden Honorarforderungen nur deshalb erhoben und nur deshalb erfüllt, weil letztlich Dienstherr und Krankenversicherung die Aufwendungen zu tragen haben. Der Ausschluss soll die Beihilfestelle von der Verpflichtung freistellen, die Ernsthaftigkeit von Honorarforderungen unter nahen Angehörigen zu überprüfen. Die Stelle müsste ansonsten kontrollieren, ob die vom Beihilfeberechtigten eingereichte Rechnung als ausreichende Grundlage für eine unabhängig von Erstattungsansprüchen gestellte Honorarforderung des behandelnden nahen Angehörigen anzusehen ist oder ob sie nur als eine fingierte Unterlage für eine Beihilfefestsetzung dienen soll. Dies würde die Behörde entgegen den Grundsätzen und Zielen des Beihilferechts selbst in Bagatellfällen dazu zwingen, in den persönlichen Bereich des Beamten einzudringen und dessen Verhältnis zum nahen Angehörigen zu klären. Die für die Beamten mit der Regelung verbundene Belastung wird durch den Umstand erheblich reduziert, dass der Beihilfeberechtigte ihre Anwendung durch eine entsprechende Auswahl des Behandelnden abwenden kann. Demgegenüber fehlt es in Fallgestaltungen, in denen der Beihilfeberechtigte aus besonderen Gründen auf die Behandlung durch seinen Angehörigen selbst oder in dessen Praxis angewiesen war, an einem den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügenden sachlichen Grund für den Beihilfeausschluss. Dies kann der Fall sein, wenn die erforderliche medizinische Behandlung nur in der Praxis des nahen Angehörigen durchgeführt werden konnte oder es dem Berechtigten aus tatsächlichen Gründen nicht möglich oder zumutbar war, eine andere Praxis aufzusuchen, und der Umfang der Behandlung das Maß dessen deutlich übersteigt, was üblicherweise noch unentgeltlich geleistet wird (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 - 2 C 80/10 -, NVwZ-RR 2012, 146, zur vormaligen inhaltsgleichen Regelung des § 5 Abs. 4 Nr. 6 Satz 1 der Beihilfevorschriften – BhV – in der Fassung vom 1. November 2001 [GMBl. S. 918]).
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In Anwendung dieser Grundsätze sind die streitigen zahnärztlichen Behandlungen des Klägers als persönliche Behandlungen durch dessen Ehegattin anzusehen. Der Kläger ist zwar nicht persönlich von seiner Ehefrau, sondern von dem Zahnarzt Herrn W. behandelt worden. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten war Herr W. im maßgeblichen Zeitraum aber nicht in ärztlicher Gemeinschaftspraxis mit der Ehefrau des Klägers tätig. Er war vielmehr als Vorbereitungsassistent in der Zahnarztpraxis der Ehefrau des Klägers angestellt. Hiervon ausgehend ist mangels vom Kläger vorgetragener gegenteiliger konkreter Anhaltspunkte anzunehmen, dass Herr W. im Verhältnis zur Ehefrau des Klägers als alleiniger Praxisinhaberin gerade nicht gleichberechtigt, in eigener Verantwortung und mit einem eigenen Liquidationsrecht ausgestattet, sondern vielmehr in einem Über- und Unterordnungsverhältnis wie ein Erfüllungsgehilfe auf fremde Rechnung tätig war. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich eine im Verhältnis zu den Patienten der Praxis seiner Ehefrau bestehende eigene Liquidationsberechtigung des Herrn W. nicht daraus ableiten, dass dieser über eine Approbation als Zahnarzt verfügt hat. Ohne Approbation hätte Herr W. den Kläger gar nicht behandeln dürfen. Maßgeblich für die Frage des Beihilfeausschlusses nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 BBhV ist nach dem Gesagten vielmehr, wer letztverantwortlich über die Liquidation entscheidet, wer also letztlich an der Behandlung „verdient“. In Ermangelung eines gegenteiligen Vorbringens des Klägers oder sonstiger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass Herr W. als – lediglich – angestellter Zahnarzt in der Praxis der Ehefrau des Klägers gerade nicht eigenverantwortlich darüber entscheiden durfte, von welchen Patienten in welcher Höhe ein zahnärztliches Honorar für die von ihm erbrachten Behandlungsleistungen geltend gemacht wird.
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Hierfür sprechen auch die äußeren Umstände der erfolgten Liquidation der in Rede stehenden zahnärztlichen Behandlung des Klägers. Im Absenderfeld der vom Kläger mit dem Beihilfeantrag bei der Beklagten eingereichten Rechnung vom 25. August 2009 stehen der Name und die Praxisanschrift der Ehefrau des Klägers. Die in der beigezogenen Verwaltungsakte enthaltenen Belege für die abgerechneten Laborkosten sind ausschließlich auf den Namen der Ehefrau des Klägers ausgestellt, soweit es sich hierbei um Eigenlaborbelege handelt. Die Rechnung für die geltend gemachten Fremdlaborleistungen in Höhe von 3.033,40 € ist ebenfalls an die Ehefrau des Klägers und deren Praxisadresse gerichtet.
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Es kann im vorliegenden Zusammenhang auch nicht darauf ankommen, dass der Kläger von Herrn W. über mehrere Stunden während der gewöhnlichen Praxiszeiten behandelt worden ist und dieser daher währenddessen keine anderen Patienten hat behandeln und die erbrachten Leistungen entsprechend abrechnen können. Der Ausschluss der Beihilfefähigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 BBhV knüpft nicht daran an, ob durch die Behandlung des nahen Angehörigen keine anderen Patienten haben behandelt werden können und somit ein Einnahmeverlust entstanden ist. Entscheidend ist allein, dass der Beihilfeberechtigte durch einen Angehörigen behandelt worden ist oder die Behandlung dem Angehörigen aus den dargestellten Gründen zuzurechnen ist. Andernfalls würden Umgehungsmöglichkeiten eröffnet, die dem Sinn und Zweck des Beihilfeausschlusses nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 BBhV widersprächen. Dass der Kläger die erforderliche medizinische Behandlung nur in der Praxis seiner Ehefrau erhalten konnte, hat er selbst weder vorgetragen noch sind sonstige Anhaltspunkte hierfür ersichtlich. Allein der vom Kläger angeführte Umstand, er habe Herrn W. eigens aus dem Grund aufgesucht, da dieser als „sehr versiert“ für die Art der durchgeführten Behandlungen gelte, ist insoweit nicht ausreichend. Die medizinische Notwendigkeit, gerade von Herrn W. und nicht von einem anderen – ebenso versierten – Zahnarzt behandelt zu werden, wird hierdurch ebenso wenig belegt wie eine – vom Kläger nicht behauptete – fehlende Zumutbarkeit eine andere Zahnarztpraxis aufzusuchen.
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Der nach dem Vorstehenden im Umfang von 5.432,63 € rechtswidrige Beihilfebescheid vom 15. September 2009 ist bezogen auf die hier streitgegenständlichen Zahnarztkosten auch unanfechtbar (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) geworden. Der Kläger hat gegen den Bescheid unter dem 19. Oktober 2009 Widerspruch erhoben, soweit die Beklagte die von ihm geltend gemachten zahnärztlichen Aufwendungen nicht in vollem Umfang als beihilfefähig anerkannt hat. Er hat sich mit seinem Widerspruch nicht gegen die nunmehr streitige Beihilfefestsetzung in Höhe von 5.432,63 € gewendet, sondern hat Beihilfeleistungen darüber hinaus begehrt.
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Der teilweise erfolgten Rücknahme des Beihilfebescheides vom 15. September 2009 steht auch nicht § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG entgegen. Danach darf ein Verwaltungsakt, der – wie im gegebenen Fall – ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), nur unter den Einschränkungen des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zurückgenommen werden. Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier – eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG kann sich der Begünstigte aber nicht auf Vertrauensschutz berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. So verhält es sich hier.
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Der Kläger hat in seinem Beihilfeantrag unter Ziffer 10 des Antragsformulars nicht angegeben, dass die von ihm geltend gemachten zahnärztlichen Aufwendungen durch eine Behandlung in der Zahnarztpraxis seiner Ehefrau entstanden sind. Darauf, ob er Kenntnis davon gehabt hat oder hätte haben müssen, dass auch zahnärztliche Leistungen von Angestellten seiner Ehefrau unter den Beihilfeausschluss nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 BBhV fallen, und er eine solche Behandlung daher in seinem Beihilfeantrag hätte kenntlich machen müssen, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Entscheidend für den Ausschluss einer Berufung auf Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG ist allein die objektive Unrichtigkeit der Angaben, die dem begünstigenden Verwaltungsakt zugrunde liegen. Ein Verschulden ist hierfür nicht Voraussetzung (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 14. Dezember 2011 - 1 L 64/11 -, zitiert nach juris [m. w. N.]).
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Liegen die Voraussetzungen für eine teilweise Rücknahme des Beihilfebescheides der Beklagten vom 15. September 2009 vor, steht die Rücknahme grundsätzlich im Ermessen der Beklagten. Zwar enthält der Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2010 keine Ermessenserwägungen bezüglich der teilweise erfolgten Aufhebung des Beihilfebescheides vom 15. September 2009. Dies führt jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit dieses Bescheides wegen eines Ermessensausfalls. Die Ermessensausübung durch die Beklagte war im vorliegenden Fall gesetzlich dahingehend vorgezeichnet (sog. intendiertes Ermessen), dass die zu Unrecht festgesetzte Beihilfe zwingend aufzuheben war. § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG lenkt das behördliche Ermessen, indem er für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt. Danach müssen besondere Gründe vorliegen, wenn von der Rücknahme abgesehen werden soll. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst und bedarf es insoweit auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1996 - 3 C 13/94 -, zitiert nach juris; Urteil vom 16. Juni 1997 - 3 C 22/96 -, BVerwGE 105, 55 [m. w. N.]). Nur dann, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter (Nicht-)Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind. Die entsprechenden Erwägungen sind dann auch in der Begründung kenntlich zu machen. Im Falle des Klägers sind derartige außergewöhnliche Umstände weder dargetan noch sonst ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Referenzen
- VwVfG § 48 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes 9x
- VwVfG § 49 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- VwGO § 88 1x
- VwVfG § 51 Wiederaufgreifen des Verfahrens 1x
- VwGO § 167 1x
- VwGO § 42 1x
- VwVfG § 1 Anwendungsbereich 2x
- VwGO § 113 1x
- BBhV § 8 Ausschluss der Beihilfefähigkeit 8x
- VwGO § 154 1x
- 1 Bf 180/02 1x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 LB 388/08 1x
- 2 C 80/10 1x (nicht zugeordnet)
- 1 L 64/11 1x (nicht zugeordnet)
- 3 C 13/94 1x (nicht zugeordnet)
- 3 C 22/96 1x (nicht zugeordnet)