Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (3. Kammer) - 3 A 95/12
Tatbestand
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Die Kläger begehren von der Beklagten den Erlass einer für sie günstigen ausländerrechtlichen Verfügung.
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Der am …1977 geborene Kläger zu 1., die am …1988 geborene Klägerin zu 2. und ihre Kinder, die am ….2003, …2005 und ….2007 geborenen Kläger zu 3.-5., sind serbische und kosovarische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1.-4. reisten am 9.9.2007 illegal mit Hilfe eines bezahlten Schleppers für 4.000 € nach Deutschland ein und stellten im September 2007 Asylanträge, zu deren Begründung sie vortrugen, sie seien Angehörige der Volksgruppe der Roma. Sie hätten nach Roma-Ritus geheiratet. Die Kinder hießen C.. Nach der Geburt sei die Klägerin zu 2. jeweils 3 Tage lang stationär im Krankenhaus versorgt worden. Papiere besäßen sie nicht. In ihrer Heimat im Ort Gjakove hätten sie aber einen Personalausweis und Reisepass von der UNMIK gehabt, die sie den Schleusern gegeben hätten, ebenso Gesundheitsbücher der Kinder. Sie hätten vom Müll- und Altpapiersammeln gelebt und gebettelt. Albaner hätten sie behelligt und drangsaliert. Deshalb seien sie geflohen.
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Die Asylanträge wurden unanfechtbar abgelehnt (bestandskräftig gewordene Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.11.2007 und 20.11.2007). Das Bundesamt führte zur Begründung aus, es sei nicht von tatsächlich Erlebtem auszugehen, da die Sachvorträge der Ehepartner erheblich voneinander abwichen und gravierende Widersprüche und Ungereimtheiten vorlägen. Ebenfalls ohne Erfolg blieb der Asylantrag der Klägerin zu 5. (Bundesamtsbescheid vom 23.1.2008, Bl. 49 Beiakte A). Die Kläger erhielten seither befristet verlängerte Duldungen. Nachdem die Ermittlungen ergeben hatten, dass die Familie in den 80er Jahren nach Serbien gezogen sei (Bl. 52 Beiakte C), wurden die Kläger von der Beklagten unter dem 25.1.2010 gemäß § 82 Abs. 1 AufenthG zur Mitwirkung und Aufklärung aufgefordert. Der Kläger zu 1. bekräftigte daraufhin seine Erklärung, von 1980-2007 in Istog gelebt zu haben (Bl. 58 Beiakte C). Die Beklagte forderte die Kläger zur Ausreise bis zum 2.8.2010 auf.
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Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 2.8.2010 beantragten die Kläger daraufhin bei der Beklagten die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gem. § 25 Abs. 5 AufenthG mit der Begründung, die Kinder und litten an Kleinwuchs und Entwicklungsverzögerungen.
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Die Anträge wurden nach vorangegangener Anhörung (Bl. 104 Beiakte C) mit Bescheiden der Beklagten vom 24.2.2011 sinngemäß abgelehnt. Zur Begründung führte die Beklagte aus, Bemühungen zur Beschaffung von Personaldokumenten zur Klärung der Identität der Kläger seien bisher nicht ernsthaft betrieben worden. Durch seine Erklärung zur Herkunft aus Istog verhindere der Kläger zu 1. aktiv die Rückführungsmaßnahmen der Ausländerbehörde, die auf der Erkenntnis beruhten, er habe in Serbien gelebt. Aus den geltend gemachten Erkrankungen der Kinder, mit denen sie bereits eingereist seien, ergebe sich keine Reiseunfähigkeit. Gegen die Bescheide legten die Kläger unter dem 1.4.2011 Widerspruch ein.
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Mit Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 6.3.2012 wurden die Widersprüche der Kläger unter Vertiefung der Gründe der Ausgangsbescheide auf der Grundlage des § 25 AufenthG als unbegründet zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid wurde den Klägern am 7.3.2012 zugestellt.
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Am 2.4.2012 haben die Kläger Klage erhoben. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird gem. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Schriftsätze vom 23.7.2012, 20.9.2012, 24.10.2012, 14.11.2012, 30.11.2012 und 26.2.2013 verwiesen.
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Die Kläger tragen vor: Die Klägerin zu 2. sei reiseunfähig. Ausweislich des ärztlichen Attestes des Dr. B. vom 2.6.2012 (Bl. 50 der Akte) befinde sie sich seit März 2009 in wiederholter nervenärztlicher Behandlung. Sie leide an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und erhalte Medikamente. Als der Kläger zu 1. operiert worden sei, sei die Klägerin zu 2. nicht zum Arzt gegangen und habe die Medikamente nicht eingenommen. Es hänge auch mit ihrer Krankheit zusammen, dass sie keine weitere Behandlung wünsche oder dass es Probleme gebe mit der Medikamenteneinnahme, das sei krankheitstypisch. Durch eine Abschiebung nach Serbien könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich ihr Gesundheitszustand wesentlich bzw. lebensbedrohlich verschlechtern würde. Auch für den Kläger zu 1. sei wohl eine Reisefähigkeit jedenfalls aktuell im Zustand nach Lungentuberkulose und Operation (Atteste v. 11.9.2012, 2.10.2012, 26.10.2012 und 8.1.2013, Bl. 71-74, 77-80, 94 der Akte) nicht gegeben. Kontakte in die Heimat bestünden nicht mehr. Dass sie, die Kläger, nicht über gültige Reisepässe verfügten, hätten sie nicht selbst verschuldet. Sie hätten in ihrem Heimatland die Rechtsanwälte M. in N./Serbien beauftragt (Vollmachtskopie Bl. 51 der Akte), sich an die Standesämter im Heimatland zu wenden und Geburtsurkunden bzw. Identitätsnachweise zu beschaffen.
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Die Kläger beantragen,
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die Beklagte zu verpflichten, ihnen unter Aufhebung der Bescheide vom 24.2.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.3.2012 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte erwidert: Die geltend gemachte Reiseunfähigkeit sei konstruiert und vorgeschoben. Ein Ausreisehindernis für die Klägerin zu 2. sei erstmalig mit Schriftsatz vom 23.7.2012 geltend gemacht worden, ohne dass eine Reiseunfähigkeit bescheinigt worden sei. Ihr müsse auch angelastet werden, dass sie nicht daran mitgewirkt habe, ihren Gesundheitszustand zu verbessern. Sie nehme lediglich 1-2 Termine jährlich beim Neurologen wahr und lehne eine Psychotherapie ab. Sie habe mit der Angabe einer Wohnheimanschrift und wohnheimbedingter Stressbelastung gegenüber dem Arzt falsche Angaben gemacht, da sie dort nicht mehr untergebracht sei. Die Krankheit des Klägers zu 1. sei bis zum Schriftsatz vom 24.10.2012 ihr, der Beklagten, nicht bekannt gewesen und bis dahin nicht vorgetragen worden. Sie habe amtsärztliche Untersuchungen veranlasst. Dabei sei festgestellt worden, dass der Kläger zu 1. mit Einschränkungen reisefähig sei. Die Klägerin zu 2. sei derzeit lt. Gutachten vom 14.2.2013 nicht reisefähig. Eine Nachbegutachtung sei im Januar 2014 vorgesehen. Eine dauerhafte Reiseunfähigkeit bzw. eine solche, mit deren Wegfall nicht in absehbarer Zeit zu rechnen sei, sei nicht gegeben. Die Klägerin habe das Ausreisehindernis in Form der Erkrankung offensichtlich selbst zu vertreten. Sie verhindere selbst die Wiederherstellung ihrer Gesundheit und Reisefähigkeit. Sie bemühe sich nicht um einen muttersprachlichen Therapeuten, lehne eine Psychotherapie ab und vernachlässige die Medikamenteneinnahme. Eine akute, aktuelle Suizidalität sei nicht attestiert worden. Außerdem habe die Identität der Kläger bisher nicht geklärt werden können. Die Kläger hätten angegeben, aus dem Kosovo zu stammen. Sie hätten jedoch am 5.9.2012 in der Botschaft Serbiens in Berlin vorgesprochen und eine Staatsangehörigkeitsbescheinigung und einen Auszug aus dem Geburtenregister beantragt. Die Botschaft habe daraufhin mitgeteilt, die Register für die Gemeinde Dakovica seien nicht zugänglich; derzeit werde die Erneuerung der Einträge auf der Grundlage fremder Dokumentationen vorgenommen. Die Kläger müssten einen Antrag auf Erneuerung der Einträge in die genannten Register stellen. Es seien Nachweise vorzulegen. Es könne sich nicht ableiten lassen, dass die Kläger ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen seien. Sie hätten sich zuerst an die Behörden des Kosovo wenden müssen. Die Beschaffung von Dokumenten über die kosovarische Botschaft sei möglich und zumutbar. Aufgrund ihrer Angaben gebe es mehrere Anknüpfungspunkte, auch mit Hilfe bevollmächtigter Personen Identitätsdokumente zu beschaffen. Die Kläger hätten nicht nachgewiesen, dass sie tatsächlich Rechtsanwälte beauftragt hätten und dass diese zu Ergebnissen gekommen seien.
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Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Bescheide der Beklagten vom 24.2.2011 in der Fassung, die sie gem. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO durch den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 6.3.2012 erhalten haben, sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten; die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
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Gem. § 7 Abs. 1 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis ein befristeter Aufenthaltstitel, der für bestimmte Aufenthaltszwecke erteilt wird. Einem Ausländer, dessen Asylantrag – wie hier im Fall der Kläger – unanfechtbar abgelehnt worden ist, darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Allein einschlägig ist insoweit im vorliegenden Fall § 25 AufenthG.
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Gem. § 25 Abs. 1 AufenthG ist einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er unanfechtbar als Asylberechtigter anerkannt ist. Das ist hier nicht der Fall, denn die Asylanträge der Kläger wurden abgelehnt. Da auch die Anträge der Kläger auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfolglos geblieben sind, können die Kläger auch keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG beanspruchen.
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Den Klägern steht auch keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu, denn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG liegen nicht vor, wie aufgrund der unanfechtbaren Bundesamtsbescheide in Bezug auf § 60 Abs. 7 AufenthG feststeht. Die Beklagte ist daher gem. § 42 AsylVfG an die Entscheidungen des Bundesamtes über das Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen gebunden.
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Auch § 25 Abs. 5 AufenthG vermittelt den Klägern keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Nach diesen Bestimmungen kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.
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Durch den gesetzlichen Wortlaut der Verwendung des Beispielsbegriffs „insbesondere“ wird deutlich, dass ein Verschulden auch in anderer Weise gegeben sein kann. Lässt sich ein Verschulden im Normalfall üblicherweise auf ein Verhalten zurückführen, das aus freien Stücken erfolgt und etwa im Krankheitsfall regelmäßig nicht der Steuerung des betroffenen Patienten unterliegt, kann dies im Ausnahmefall jedoch auch anders bewertet werden. Das ist hier der Fall, wenn eine im Familienverbund eingereiste Ausländerin sich im Klageverfahren zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis auf das Ausreisehindernis einer Erkrankung beruft, aber sich einer adäquaten ärztlichen Behandlung hartnäckig widersetzt. Im Fall einer vorliegenden Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) gehören sowohl eine Psychotherapie (vgl. Atteste Bl. 50, 58 der Gerichtsakte) als auch die gewissenhafte Einnahme der verabreichten (und nur dieser) Medikamente zu einer aussichtsreichen Therapie dazu. Hierzu bedarf es keiner formellen Mitwirkungspflichten, wie sie für behördliche Dokumente in § 82 AufenthG normiert sind. Vielmehr ergibt sich aus dem auch im öffentlichen Recht gültigen Verbot widersprüchlichen Verhaltens, dass für den Fall gesundheitlicher Beschwerden eine Unterstützung des Patienten selbst bezüglich der ärztlich in Anspruch genommenen therapeutischen Möglichkeiten verlangt werden kann. Eine derartige „compliance“ des Patienten ist sowohl für die Heilung einer Krankheit als auch für die Abmilderung aufgetretener Symptome von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Eine entsprechende Mitwirkung hat die Klägerin zu 2. hier vermissen lassen, denn sowohl gegenüber ihren behandelnden Ärzten als auch gegenüber der Amtsärztin hat sie erklärt, dass sie eine Psychotherapie ablehnt. Hinzu kommt, dass die Amtsärztin feststellte, die Einnahme der verordneten Medikamente habe sich bei der Klägerin nicht nachweisen lassen. Dieses Verhalten kann auch nicht als krankheitstypisch entschuldigt werden, zumal sich Betroffene im Regelfall medikamentös und therapeutisch helfen lassen. Dies gilt in verstärktem Maße für Ausländer im Familienverbund, in dem die einzelnen Personen nicht isoliert für sich stehen, sondern füreinander verantwortlich sind.
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Unabhängig davon sind die Kläger auch nicht aufgrund fehlender Identitätsdokumente unverschuldet an ihrer Ausreise gehindert.
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Die rechtskräftige Ablehnung der Asylanträge führt zur unanfechtbaren Ausreisepflicht, wobei es nicht auf die Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung ankommt (vgl. Dienelt, in GK-AsylVfG, Loseblattkommentar, § 30 Rn. 100, 104 f.). Zweck der Vorschrift ist es, der Situation vorzubeugen, dass allein durch die Verschleppung des Asyl- und anschließenden Aufenthaltsbeendigungsverfahrens ein Aufenthaltsrecht erzwungen werden kann (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblattkommentar, Bd. I, Std.: 29. Ergänzungslieferung, § 30 Rn. 45). Diese Verzögerungsgefahr ist hier augenfällig, denn die Kläger haben nach eigenem Bekunden ihre Papiere den für sie tätigen Schleusern überlassen und überdies die über sie auf dem gewöhnlich zuverlässigen diplomatischen Wege ergangenen Informationen über ihre wahre Herkunft (Bl. 52 Beiakte C) hartnäckig in Abrede gestellt (Bl. 58 Beiakte C) und allein hierdurch ihren mittlerweile langjährigen Aufenthalt auf Kosten der sozialen Sicherungssysteme bewirkt.
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Es ist nicht ersichtlich, dass die Kläger zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses erfüllt hätten. Die Ausländer haben die Obliegenheit, alles in ihrer Kraft Stehende dazu beizutragen, dass bestehende Abschiebungshindernisse überwunden werden. Die Weigerung braucht nicht in einer förmlichen Ablehnung der Mitwirkung zu bestehen. Ausreichend ist Untätigkeit oder Verzögerung bei der Vornahme derjenigen Handlungen, die dem Ausländer zumutbar sind, um die Ausreise zu ermöglichen. Insbesondere obliegt es dem Ausländer, alle erforderlichen Maßnahmen zur Beschaffung der Reisepapiere zu ergreifen, um die ggf. erforderlichen Erklärungen abzugeben (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 30 Rn. 44).
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Hinsichtlich der Zumutbarkeit können ausschließlich rechtliche und tatsächliche Hindernisse Berücksichtigung finden, da es gilt, der Nachlässigkeit und Bequemlichkeit der Antragsteller Einhalt zu gebieten (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 39 Rn. 7 f). Der Ausländer muss alle erforderlichen Unterlagen für den Pass beschafft haben (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 43 Rn. 27, § 39 Rn. 7 f.). Er muss einen unverzüglichen Antrag stellen und auch hohe Passgebühren in Kauf nehmen (vgl. Kanein/Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl., § 43 AuslG Rn. 6).
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Bemühungen, Pässe und die dazu erforderlichen Unterlagen für eine Rückkehr zu erhalten, haben die Kläger während der gesamten Verfahrensdauer nicht hinreichend bekundet, obwohl laut den jährlichen Lageberichten des Auswärtigen Amtes für die Betroffenen auch vom Ausland aus die Möglichkeit besteht, Geburtsurkunden und sonstige Papiere zu erhalten oder ihre Staatsangehörigkeit durch die Heimatbehörden feststellen zu lassen. Die Kläger tragen auch nicht vor, dass sie sich seit Ausrufung der Republik Kosovo und deren völkerrechtlicher Anerkennung als Staat im Jahr 2008 um kosovarische Papiere bemüht hätten, obwohl sie nach den staatsangehörigkeitsrechtlichen Bestimmungen des neuen Staates einen Anspruch auf Ausstellung entsprechender Pässe haben. § 3 des am 15.6.2008 in Kraft getretenen kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes lässt die Mehrstaatigkeit zu. Da wiederum Serbien im Rahmen des mit Deutschland abgeschlossenen Rückführungsabkommens seither nicht die aus dem Kosovo stammenden Staatsbürger aus ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit entlässt, ist mit der ständigen Verwaltungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge davon auszugehen, dass rechtliche Hindernisse für die Kläger nicht bestehen und ihre bisherigen Bemühungen um Heimreisepapiere als unzureichend anzusehen sind. Durch die Einreichung von Fotokopien beim Verwaltungsgericht über eine angeblich erfolgte Mandatierung einer serbischen Anwaltskanzlei (Bl. 51 ff. der Gerichtsakte) ist nicht belegt, dass die Beauftragung tatsächlich stattgefunden hat. Unerfindlich bleibt insbesondere, warum die Kläger keine entsprechende Antwort ihrer serbischen Anwälte vorzulegen vermochten. Zusammen mit den von der serbischen Botschaft am 5.9.2012 erhaltenen Informationen und den von der Beklagten im Schriftsatz vom 21.5.2013 aufgezeigten Möglichkeiten wären weitere Bemühungen um eine Identitätsklärung der Kläger erforderlich gewesen, ohne dass die Kläger entsprechende Bemühungen dargetan haben. Die Kläger haben selbst in der mündlichen Verhandlung verneint, noch über Kontakte in die Heimat zu verfügen; Ausnahmen bezüglich einer serbischen Anwaltskanzlei haben sie in diesem Zusammenhang nicht mehr geltend gemacht.
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Es fehlt auch an sonstigen durchgreifenden Hinderungsgründen für eine Rückreise der Kläger in ihre Heimat. Die Kläger können sich zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis auch nicht darauf berufen, es seien Abschiebungen in ihre Heimat nicht möglich oder unzumutbar, denn dass derartige Abschiebungen nach Serbien und in den Kosovo stattfinden und Rückkehrer dort im Wesentlichen unbehelligt leben können, ist gerichtsbekannt.
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Die ärztlich bescheinigten Krankheiten des Klägers zu 1. stellen kein Ausreisehindernis dar, mit dessen Wegfall in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Denn zuletzt wurde dem Kläger zu 1. im Zustand nach Operation am 8.1.2013 ärztlich bescheinigt, dass aktuell Flugreisen für ca. 6 Monate nicht möglich seien. Diese Zeit ist nahezu verstrichen, ohne dass eine weitere bzw. fortdauernde Reiseunfähigkeit geltend gemacht und attestiert worden wäre. Nach dem Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung (Bl. 233 Beiakte E) war der Kläger zu 1. bereits am 16.1.2013 - wenn auch unter Einschränkungen, die aufgezeigt wurden - reisefähig.
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Das für die Klägerin zu 2. geltend gemacht Krankheitsbild würde für eine einzelne, isoliert abzuschiebende Person bei Bestehen der Krankheiten ein Abschiebungshindernis ausmachen. Hierbei sind die vorliegenden besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen. Auf die angeblich bereits seit 2009 behandelte Krankheit (Bl. 50 der Gerichtsakte) der Klägerin zu 2. haben sich die Kläger erstmals mit Schriftsatz vom 23.7.2012 während des laufenden Klageverfahrens berufen. Gründe dafür, warum der entsprechende Vortrag nicht bereits bei der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis am 2.8.2010 oder in den fast 2 Jahren danach erfolgte, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
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Soweit sich die Klägerin zu 2. auf erhebliche kriegstraumatische Erlebnisse bezieht, kann ihr dies nicht geglaubt werden, denn bei der Anhörung vor dem Bundesamt (Bl. 6-14 Beiakte A) fehlten entsprechende Schilderungen. Überdies haben sowohl die Fachärztin (Bl. 50, 58 der Gerichtsakte) als auch die Amtsärztin (Bl. 353 f. Beiakte F) der Klägerin zu 2. eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) attestiert, ohne dass eine schlüssige Anamnese, Befunderhebung und Diagnose vorliegt. Die gezogenen Schlussfolgerungen beruhen offenkundig allein auf den Schilderungen der Klägerin. Die Angaben der Klägerin sind jedoch nicht konsistent. Eine fehlende Reisefähigkeit ist unter diesen Umständen der Klägerin nicht schlüssig attestiert worden.
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Selbst für den Fall, dass die Klägerin an PTBS litte, wäre von einem Ausbleiben einer ggf. erforderlichen psychologischen Behandlung in Serbien bzw. im Kosovo nicht auszugehen, da das Auswärtige Amt im Lagebericht vom 4.6.2010 (S. 22 ff.) ausführlich aufzeigt, dass reale Möglichkeiten der adäquaten Behandlung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und anderer psychischer Symptome, wie depressiver Erkrankungen, in Serbien gegeben sind und das lebensnotwendige Existenzminimum der betreffenden Patienten nicht in Frage stellen (ebenso Lagebericht Kosovo vom 17.6.2012, S. 26 ff.). Da die Klägerin auch hier in Deutschland lediglich wenige ärztliche Termine absolviert hat, allenfalls unregelmäßig Medikamente einnimmt (amtsärztliches Attest v. 14.1.2013, S. 2) und eine psychotherapeutische Behandlung ablehnt, sieht das Gericht es nicht als schlüssig dargelegt an, dass eine Abschiebung und Fortsetzung der Therapie in der Heimat unweigerlich zu einer Dekompensation der Klägerin führen könnte. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung beteuert haben, die Klägerin zu 2. nähme Medikamente ein, ist festzustellen, dass etwaige Wechselwirkungen von Medikamenten von der Amtsärztin jedenfalls nicht untersucht wurden. Auch wurde nicht darauf eingegangen, ob die geltend gemachten Krankheitssymptome in Zusammenhang mit Medikamenteneinnahmen stehen können. Dies wäre aber angezeigt, da die von der Klägerin berichteten gesundheitlichen Probleme medizinisch sowohl auf diversen psychischen Krankheiten als auch auf unkontrollierter Einnahme von Medikamenten oder Halluzinogenen beruhen können, was medizinisch abzuklären ist. Die ärztliche Verpflichtung, eine diagnostisch und methodisch nachvollziehbare Befunderhebung darzulegen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 21.2.2006 - 2 M 217/05 -; Gierlichs u.a., Grenzen und Möglichkeiten klinischer Gutachten im Ausländerrecht, in: ZAR 2005, 158 ff.), ist insoweit im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Bescheinigungen der Ärzte lassen stattdessen darauf schließen, dass lediglich die isolierten Eigenangaben der Klägerin Grundlage der erstellten Diagnose gewesen sind. Ein Trauma kann aber nicht dadurch bewiesen werden, dass die Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung den Ärzten gegenüber dargestellt wird (vgl. Ebert/Kindt, Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, VBlBW 2004, 41, 43; Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, DVBl. 2004, 150).
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Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu 2. aufgrund einer akuten und schwerwiegenden Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) dringend auf ärztliche Behandlung gerade in Deutschland angewiesen ist. Zieht man des weiteren in Betracht, dass bei einer Rückkehr der Klägerin in ihre Heimat die Sprachbarriere entfällt, die einer aussichtsreichen Heilung psychischer Probleme in Deutschland als gravierendes Hindernis entgegensteht (vgl. Atteste Dr. B., die hierauf ausdrücklich hinweisen), ist von zusätzlichen Erschwernissen durch die Verneinung von Abschiebungshindernissen nicht auszugehen.
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Einer eventuellen - hier ärztlicherseits aufgrund der Eigenangaben der Klägerin erwähnten - abschiebungsbedingten Suizidgefahr ist durch entsprechende Vorkehrungen und geeignete Modalitäten der Abschiebung Rechnung zu tragen, zumal eine akute und aktuelle Suizidgefahr nicht attestiert und von Selbsttötungsversuchen nicht berichtet wurde; in den von den Klägern selbst eingereichten ärztlichen Bescheinigungen vom 2.6.2012 und 31.8.2012 wurde eine Suizidalität darüber hinaus ausdrücklich verneint.
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Die Entscheidung der Beklagten, den Klägern Aufenthaltstitel zu versagen, ist unter den aufgezeigten Umständen auch i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK weder ermessensfehlerhaft noch unverhältnismäßig.
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Zur Vermeidung von Wiederholungen schließt sich das Gericht den Feststellungen und der Begründung der ergangenen Bescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 117 Abs. 5 VwGO ab.
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Die Klage war nach alldem abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 Satz 1 GKG in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327, Ziff. 8.1, 5.000,- € pro Person).
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Referenzen
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 25 AufenthG 2x (nicht zugeordnet)
- § 42 AsylVfG 1x (nicht zugeordnet)
- § 82 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 43 AuslG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- § 82 Abs. 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 25 Abs. 5 AufenthG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 117 2x
- VwGO § 79 1x
- VwGO § 113 1x
- § 7 Abs. 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 25 Abs. 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 60 Abs. 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 25 Abs. 2 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 25 Abs. 3 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 60 Abs. 7 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 52 Abs. 1 Satz 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 M 217/05 1x (nicht zugeordnet)