Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (1. Kammer) - 1 A 538/17
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Bescheides, mit welchem er aus der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten ausgeschlossen worden ist.
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Der Kläger ist seit 1995 Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten.
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Mit Schreiben vom 15.01.2015 - welches der Kläger nach eigenen Angaben nicht erhalten habe - teilte die Ortswehrleitung der Beklagten dem Kläger mit, dass er die geforderten Mindeststunden hinsichtlich seiner Ausbildungszeiten seit geraumer Zeit nicht erfüllt habe, was zu dem Verlust der Einsatzfähigkeit in der aktiven Einsatzabteilung der Ortsfeuerwehr der Beklagten führe, weshalb eine Teilnahme an Einsätzen aufgrund der geltenden Bestimmungen nicht mehr gestattet sei. Der Kläger wurde aufgefordert, sich bis zum 28.01.2015 mit der Ortswehrleitung in Verbindung zu setzen, um einen Ausbildungsplan zur Erreichung der Einsatzfähigkeit bzw. den weiteren Verbleib in der Feuerwehr zu besprechen. Der Kläger wurde weiter darauf hingewiesen, dass er bis zur Abstimmung des Ausbildungsplanes in die passive Abteilung der Ortsfeuerwehr versetzt werde.
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In der Folge fanden Gespräche zwischen dem Kläger und dem Ortswehrleiter Herrn Dr. B. statt.
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Mit Schreiben vom 04.04.2017 hörte die Beklagte den Kläger zu seinem beabsichtigten Ausschluss aus der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten an. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Kläger über einen sehr langen Zeitraum seinen Dienst in der Ortsfeuerwehr nicht mehr ausgeübt habe und er vergeblich durch den Ortswehrleiter sowohl schriftlich als auch mündlich gebeten worden sei, den aktiven Dienst wieder aufzunehmen.
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Mit Schreiben vom 18.04.2017 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er weder eine schriftliche noch eine mündliche Aufforderung der Ortswehrleitung erhalten habe, den aktiven Dienst wieder aufzunehmen. Er wies zusätzlich darauf hin, dass er in einem letzten Gespräch mit Herrn Dr. B. mitgeteilt habe, dass er zur Zeit aus persönlichen/familiären und zeitlichen Gründen nicht am aktiven Dienst der Freiwilligen Feuerwehr teilnehmen könne – er diesen Zustand jedoch gerne wieder beheben wolle, sobald es ihm möglich sei. Weil er Mitglied der Freiwilligen Ortsfeuerwehr der Beklagten bleiben wolle, bat er die Beklagte zu prüfen, ob eine Versetzung in die Alters- und Ehrenabteilung der Ortsfeuerwehr als Übergangslösung möglich sei.
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Mit Bescheid der Beklagten vom 14.06.2017, dem Kläger am 19.06.2017 zugestellt, wurde der Kläger aus der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten ausgeschlossen.
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Mit Schreiben vom 10.07.2017 legte der Kläger vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten gegen den Bescheid vom 14.06.2017 Widerspruch ein. Es treffe nicht zu, dass er schriftliche oder mündliche Aufforderungen der Ortswehrleitung erhalten habe, den aktiven Dienst wieder aufzunehmen. Richtig sei, dass ein Gespräch mit der Wehrleitung stattgefunden habe. Darin sei durch ihn mitgeteilt worden, dass er weiterhin aktives Mitglied der Feuerwehr bleiben wolle, tatsächlich aber in der Vergangenheit aus persönlichen und familiären Gründen den Dienstverpflichtungen nicht hinreichend habe nachkommen können. Zudem habe er einen Anspruch darauf, in die Alters- und Ehrenabteilung übernommen zu werden. Hierbei handele es sich um ein milderes Mittel, zumal auch gemäß § 7 Abs. 3 b Feuerwehrsatzung die Vorschrift des § 5 Abs. 7 sinngemäß gelte.
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Unter dem 05.09.2017 wurde der Widerspruch des Klägers kostenpflichtig zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass in Anbetracht der bereits annähernd fünf Jahre andauernden nachlässigen Dienstausübung, deren Beendigung durch den Kläger im Rahmen der Anhörung zum Ausschluss aus der Feuerwehr lediglich als „Fernziel“ avisiert gewesen sei und wegen des Umstandes, dass die freiwillige Ortsfeuerwehr der Beklagten bei diversen Dienstveranstaltungen ca. 200 anrechenbare Ausbildungsstunden anbiete, die werktags, am Wochenende sowie tagsüber und abends abgeleistet werden könnten, das öffentliche Interesse an einer funktionierenden und motivierten Einsatzabteilung der Freiwilligen Feuerwehr im Rahmen der Ermessensausübung höher zu gewichten gewesen sei, als das Interesse des Klägers an einem passiven Verbleib in derselben. Eine Versetzung in die Alters- und Ehrenabteilung als vermeintlich milderes Mittel sei aufgrund der negativen Vorbildwirkung eines solchen Schrittes und dem öffentlichen Interesse an einer funktionierenden und motivierten aktiven Einsatzabteilung ebenfalls abzulehnen gewesen.
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Am 29.09.2017 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen ausführt, dass er vor der Anhörung vom 04.04.2017 nicht dahingehend schriftlich oder mündlich durch die Ortswehrleitung aufgefordert worden sei, den aktiven Dienst wieder aufzunehmen. Ein Schreiben vom 15.01.2015 sei ihm nicht bekannt, auch ein hierauf laut Akten geführtes Gespräch am 28.01.2015 sei ihm nicht erinnerlich. Zwar wolle er nicht ausschließen, dass er mit Herrn B. ein Gespräch geführt habe, auch bezogen auf die jeweiligen Ausbildungsstunden. Allerdings habe aus seiner Sicht zu keinem Zeitpunkt im Raum gestanden, dass bei Nichterreichen der Stunden ein Ausschluss aus der Freiwilligen Feuerwehr beabsichtigt sei. Diese Problematik sei erstmals mit der Anhörung vom 04.04.2017 seitens der Beklagten mitgeteilt worden. Er stelle nicht in Abrede, dass die Anzahl der Ausbildungsstunden hinter der erforderlichen Ausbildungszeit zurückgeblieben sei. Er sei jedoch davon ausgegangen, dass ihm hieraus keinerlei rechtliche Nachteile erwachsen würden. Zu seinen persönlichen Verhältnissen führt der Kläger aus, dass er zwischen 2013 und 2015 eine nebenberufliche Fachausbildung für "Intensivpflege und Anästhesie" durchlaufen habe. Im Übrigen sei er in Vollzeit im Dreischichtsystem im Harzklinikum beschäftigt, seit Anfang 2017 als Teamleiter der dortigen Intensivstation eingesetzt. Seine Lebensgefährtin sei ebenfalls vollschichtig im Dreischichtsystem im Harzklinikum tätig. Am 02.08.2014 sei eine gemeinsame Tochter geboren worden, weshalb 2015 mit dem Bau eines Hauses begonnen worden sei. Letztlich stünden einer Übernahme in die Alters- und Ehrenabteilung keine Hindernisse entgegen.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 14.06.2017 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 05.09.2017 aufzuheben,
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hilfsweise, unter Aufhebung des vorgenannten Bescheides den Kläger in die Alters- und Ehrenabteilung zu übernehmen,
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die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie führt zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Kläger mit Schreiben vom 15.01.2015 durch die Ortswehrleitung darauf hingewiesen worden sei, dass er die erforderlichen Mindestausbildungsstunden nicht leiste und dass er sich mit der Ortswehrleitung in Verbindung setzen solle, um mit dieser über die Wiedererlangung der Einsatzfähigkeit bzw. dessen weiteren Verbleib in der Feuerwehr zu beraten. Gleichzeitig sei der Kläger in die passive Abteilung der Ortsfeuerwehr versetzt worden. Soweit auf die nebenberufliche Fachausbildung des Klägers verwiesen werde, sei darauf aufmerksam zu machen, dass diese Ausbildung nach dem Ausbildungsplan der Bildungsstätte erst im Herbst 2013 begonnen habe. In der Zeit von Mai 2012 bis zum Jahr 2013 könne dies damit jedenfalls kein Grund für die nachlässige Dienstausübung des Klägers gewesen sein. In Anbetracht der Tatsache, dass Studenten und Doktoranden in der Ortsfeuerwehr der Beklagten ihre Abschlüsse berufsbegleitend bewältigt hätten und dennoch ihrer Verpflichtung zur Ableistung der Mindestausbildungsstunden nachgekommen seien, sei die Argumentation des Klägers nicht nachzuvollziehen. Die Ortsfeuerwehr der Beklagten begreife sich selbst als familienfreundliche Feuerwehr. Eine Vielzahl von Familiengründungen, parallelen beruflichen Aus- und Weiterbildungen, Umsetzungen privater Bauvorhaben würden dies ausdrücklich belegen. Der Kläger könne überdies mit der Einführung seiner beruflichen Situation schon aufgrund von § 9 Abs. 4 S. 2 BrSchG LSA nicht durchdringen. Eine Versetzung des Klägers in die Alters- und Ehrenabteilung komme bereits deshalb nicht infrage, weil der Kläger in die passive Abteilung versetzt worden sei und daher schon nicht aus sonstigen wichtigen persönlichen Gründen aus der Einsatzabteilung ausgeschieden sei. Außerdem müsse es sich bei den sonstigen wichtigen persönlichen Gründen jedenfalls um solche handeln, die einer rechtlichen (Erreichen der Altersgrenze) oder tatsächlichen Dienstunfähigkeit nahekommen. Aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 9 Abs. 4 BrSchG LSA sei der Umstand, dass der Kläger und dessen Lebensgefährtin im Dreischichtbetrieb in einem Krankenhaus arbeiten würden, keinerlei Grund, dem aktiven Einsatzdienst fernzubleiben. Denn wenn die Berufstätigkeit aufgrund der gesetzlichen Wertung des BrSchG LSA kein Grund sei, dem aktiven Einsatzdienst fernzubleiben, könnten diese erst Recht keinen wichtigen persönlichen Grund darstellen, der zu einem Ausscheiden aus der aktiven Einsatzabteilung führe.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Sie ist als Anfechtungsklage i. S. v. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft. Danach kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt werden. Bei dem streitgegenständlichen Ausschluss des Klägers aus der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten handelt es sich um einen Verwaltungsakt i. S. v. § 35 S. 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA und damit im maßgeblichen Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO. Der Kläger ist ehrenamtliches Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten. Solche ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr stehen zur Gemeinde als deren Trägerin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis eigener Art. Wegen der vergleichbaren Interessenlage zum Beamtenrecht finden die dort entwickelten Grundsätze auch im Falle ehrenamtlicher Mitglieder Freiwilliger Feuerwehren entsprechende Anwendung. Bei der Charakterisierung einer Personalmaßnahme der Freiwilligen Feuerwehr sind beamtenrechtliche Grundsätze zur Differenzierung zwischen Änderungen des Amtes im statusrechtlichen, im abstrakt-funktionellen sowie im konkret-funktionellen Sinne heranzuziehen. Von einer über innerorganisatorische Wirkungen hinausgehenden Außenwirkung und im Ergebnis von einem Verwaltungsaktcharakter kann in der Regel nur bei solchen Maßnahmen ausgegangen werden, die das betroffene Feuerwehrmitglied in seiner mitgliedschaftlichen Rechtsstellung tangieren. Die Aufnahme in die Feuerwehr und der - hier streitgegenständliche - Ausschluss aus dieser sind deshalb - in Entsprechung zur beamtenrechtlichen Ernennung bzw. Entlassung - als Verwaltungsakt anzusehen (für Vorstehendes: OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.09.2018 - OVG 4 B 4.18 -, juris).
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Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.
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Der Bescheid der Beklagten vom 14.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Denn ungeachtet dessen, dass das Verhalten des Klägers grundsätzlich einen Ausschluss aus der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten zu rechtfertigen vermag, hat der Bürgermeister der Beklagten das ihm eröffnete Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
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Rechtsgrundlage für einen Ausschluss aus der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten ist § 6 Abs. 4 Ziff. 2 Laufbahnverordnung für Mitglieder Freiwilliger Feuerwehren (LVO-FF) vom 23.09.2005 (GVBl. LSA S. 640), zuletzt geändert durch Verordnung vom 28.08.2015 (GVBl. LSA S. 445). Danach kann ein Mitglied bei fortgesetzter nachlässiger Dienstausübung aus der Freiwilligen Feuerwehr ausgeschlossen werden. Der Begriff der fortgesetzten nachlässigen Dienstausübung stellt dabei einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt.
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Der Kläger, welcher im Einsatzdienst der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten aktiv war, hat die Ausübung seines Dienstes fortgesetzt vernachlässigt, indem er langjährig - seit 2012 - und wiederholt die erforderlichen 40 Mindestausbildungsstunden pro Jahr nicht erreicht hat, was sich sowohl aus den Akten der Beklagten als auch der eigenen Einlassung des Klägers ergibt. Nach § 9 Abs. 3 S. 1 Brandschutz- und Hilfeleistungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (BrSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 07.06.2001 (GVBl. LSA S. 190), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 12.07.2017 (GVBl. LSA S. 133), haben die Mitglieder kraft Gesetzes die Pflicht, im Einsatzdienst an Brandbekämpfungs- und Hilfeleistungseinsätzen sowie am Ausbildungsdienst teilzunehmen. Gleiches gilt nach § 5 Abs. 2 lit c) der auf § 8 Abs. 1 S. 1 KVG LSA (vormals §§ 6 und 8 GO LSA) i. V. m. § 2 Abs. 1 BrSchG LSA beruhenden Satzung für die Freiwillige Feuerwehr der Stadt A-Stadt (Harz) (Feuerwehrsatzung) in der maßgeblichen Fassung vom 10.12.2009, für Aus- und Fortbildungen, Übungen und sonstigen dienstlichen Veranstaltungen. Nach Ziff. 1.8 des Teil I der Feuerwehr-Dienstvorschrift 2 (FwDV 2), die über § 3 Abs. 2 LVO-FF Anwendung findet, soll jeder Feuerwehrangehörige nach Abschluss der Truppenausbildung jährlich mindestens an 40 Stunden Fortbildung am Standort teilnehmen. Dazu gehört auch der Übungsdienst nach Abschluss der (Grund-) Ausbildung. Denn die Durchführung von Brandbekämpfungs- und Hilfeleistungseinsätzen erfordert eine ständige Übung der Feuerwehrmitglieder. Lehnt ein für den Einsatzdienst aufgenommenes Mitglied ohne besonderen Grund (beispielsweise Krankheit oder zwingende persönliche Gründe) und ohne dass der Wehrleiter oder dessen Vertreter eine Befreiung von der Dienstleistungspflicht erteilt hat (§ 9 Abs. 3 S. 2 BrSchG) die Teilnahme am Übungsdienst ab, kommt es seiner Pflicht nicht nach und kann bei fortdauernder Weigerung kein Mitglied mehr bleiben (Ulrich Koehler, Kommentar zum BrSchG LSA, Oktober 2018, § 9 Ziff. 4.4).
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So liegt der Fall hier.
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Unstreitig hat der Kläger in den streitgegenständlichen Jahren 2012 bis 2017 nicht die nach Ziff. 1.8 des Teil I der FwDV 2 und nach Ziff. 4 Abs. 1 der Feuerwehrordnung der Ortsfeuerwehr A-Stadt (Harz) vom 01.10.2014 erforderlichen 40 Ausbildungsstunden absolviert, obwohl er eine Befreiung von der Dienstpflicht ausweislich der von der Beklagten übersandten Akte nicht beantragt hat. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Erfüllung der Dienstpflicht ein besonderer Grund, insbesondere zwingende persönliche Gründe, entgegenstanden haben. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang darauf verweist, zwischen 2013 und 2015 eine nebenberufliche Fachausbildung für "Intensivpflege und Anästhesie", begleitet durch ein Selbststudium, Hausarbeiten, etc. durchlaufen zu haben und im Übrigen als Teamleiter ebenso wie seine Lebensgefährtin in Vollzeit im Dreischichtsystem im Harzklinikum beschäftigt zu sein und daneben eine Tochter bekommen und 2015 mit dem Bau eines Hauses begonnen zu haben, vermag er keine Umstände vorzutragen, die als besonderer Grund im obigen Sinne anzusehen wären. Unter einem besonderen Grund sind nur solche Umstände zu verstehen, die sich von den üblichen, mit der Freiwilligkeit der Feuerwehrarbeit neben dem Privatleben in der Regel einhergehenden Umständen abheben und deshalb nicht jedes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr im gleichen Maße treffen. Denn würden diese üblichen Gründe ausreichend sein, um das Nichterfüllen der Dienstverpflichtungen - hier in Form von Weiterbildungen und Übungen - im Rahmen des Einsatzdienstes in der Freiwilligen Feuerwehr zu rechtfertigen, so wäre die Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Freiwilligen Feuerwehr erheblich gefährdet. Die zu gewährende Einsatzfähigkeit der Freiwilligen Feuerwehr erfordert eine Verlässlichkeit der Kameraden des aktiven Einsatzdienstes, die nur dann angenommen werden kann, wenn sich das jeweilige Mitglied regelmäßig an Aus- und Fortbildungen sowie Übungen beteiligt und so in der Lage ist, die anstehenden Aufgaben im Einsatz zu erfüllen. Jemandem, der sich nur selten am Üben verschiedener Einsatzszenarien beteiligt, kann kein - unbedingt erforderliches - uneingeschränktes Vertrauen entgegen gebracht werden. Um ein Funktionieren der Feuerwehrarbeit zu gewährleisten, können daher nur solche Gründe zu einer Entbindung von der Dienstpflicht führen, die das betreffende Mitglied nur ausnahmsweise und aufgrund besonderer Gegebenheiten treffen.
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Die von dem Kläger für die Unzumutbarkeit der Erfüllung seiner Dienstpflicht vorgetragenen Umstände erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Denn sowohl die berufliche Weiterbildung als auch die Gründung einer Familie nebst Hausbau stellen Umstände dar, die nicht nur den Kläger als Einzelnen treffen, sondern vielmehr für Feuerwehrmitglieder im Alter des Klägers typischerweise auftreten und in Konflikt mit der Dienstpflicht als Feuerwehrmitglied geraten. So trägt auch die Beklagte vor, die Ortsfeuerwehr A-Stadt als familienfreundliche Feuerwehr zu begreifen, weil eine Vielzahl von Familiengründungen, parallelen beruflichen Aus- und Weiterbildungen und Umsetzungen privater Bauvorhaben regelmäßig neben dem Dienst in der Feuerwehr absolviert werden. Soweit der Kläger als weiteren Grund für seine nachlässige Dienstausübung seine Arbeit im Harzklinikum und den dortigen Schichtbetrieb anführt, ist darauf hinzuweisen, dass auch der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der aktive Dienst in der Freiwilligen Feuerwehr sehr zeitintensiv ist und auch zu einer Einschränkung in der Berufsausübung führt. Denn gerade deshalb ordnet er in § 9 Abs. 4 BrSchG LSA an, dass den Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr aus ihrer Verpflichtung zum Einsatzdienst und aus diesem Dienst kein Nachteil erwachsen darf und dass für den Fall, dass Mitglieder im Einsatzdienst während der Arbeitszeit an Einsätzen oder Ausbildungsveranstaltungen teilnehmen müssen, diese für die Dauer der Teilnahme unter Weitergewährung des Arbeitsentgeltes, das sie ohne die Teilnahme erhalten hätten, von der Arbeitsleistung freigestellt sind. Ungeachtet dessen muss sich ein Feuerwehrmitglied darüber bewusst sein, dass Einschnitte in die private Lebensführung mit der Ausübung des Feuerwehrdienstes einhergehen. Für den Fall, dass ein Erfüllen der Dienstverpflichtungen wegen privater Verbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet werden kann, hat das betreffende Mitglied in Anbetracht der Aufrechterhaltung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Feuerwehr sich - wenn auch nur vorübergehend - von der Dienstpflicht befreien zu lassen. Tut es dies nicht und erfüllt es die Dienstverpflichtungen gleichwohl nicht, können daran Maßnahmen, bis hin zum Ausschluss aus der Freiwilligen Feuerwehr, geknüpft werden.
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Wie sich aus § 6 Abs. 4 LVO-FF ("Ein Ausschluss kann vorgenommen werden"[…]) ergibt, steht der Beklagten hinsichtlich des Ausschlusses eines Feuerwehrmitgliedes ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum zu, der dazu führt, dass das Gericht nicht seine Entscheidung an die Stelle der Behördenentscheidung setzen, sondern letztere nur darauf überprüfen darf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 114 VwGO, Bay VGH, Beschl. v. 08.09.2015, a. a. O.).
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Die dem Ausschluss zugrunde liegende Ermessensentscheidung des Bürgermeisters der Beklagten erfüllt nicht die an ihre Rechtmäßigkeit zu stellenden Anforderungen.
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Insbesondere genügt der angeordnete Ausschluss des Klägers aus der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten - auch wenn zutreffend vom Vorliegen einer fortgesetzten nachlässigen Dienstausübung ausgegangen wird - nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitete Grundsatz gebietet es allgemein, bei Eingriffen in die Rechtsstellung von Bürgern stets das mildeste, den Betroffenen am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen. Ähnliche Grundsätze gelten für zivilrechtliche Arbeitsverhältnisse, deren verhaltensbedingte Kündigung im Allgemeinen erst dann zulässig ist, wenn der Arbeitnehmer beharrlich gegen wesentliche Dienstpflichten verstoßen hat (Hess VGH, Urt. v. 17.01.1992 - 11 UE 1567/88 -, juris). Die Prüfung möglicher milderer Mittel gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Ausschluss aus der Freiwilligen Feuerwehr erheblich in die Rechte des Betroffenen eingreift.
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Zwar hat die Beklagte, wie sich jedenfalls aus dem Widerspruchsbescheid vom 05.09.2017 ergibt, erkannt, dass ihr bei der Anwendung von § 6 Abs. 4 Ziff. 2 LVO-FF ein Ermessensspielraum eingeräumt worden ist. Darüber hinaus hat sie im Rahmen der Überprüfung der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im vorliegenden Fall auch zutreffend berücksichtigt, dass das Ziel des Ergreifens von Maßnahmen - wie etwa dem Ausschluss aus dem Feuerwehrdienst - in der Sicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Feuerwehr zu erblicken ist. Denn vor dem Hintergrund, dass auch die von den Gemeinden getragenen Freiwilligen Feuerwehren die Aufgaben des Brandschutzes und der Hilfeleistung bei Unglücksfällen sowie bei Notständen erfüllen (vgl. § 2 Abs. 1, § 8 BrSchG LSA) und die Gemeinden zur Vorhaltung einer leistungsfähigen Feuerwehr verpflichtet sind, ist deren Einsatzfähigkeit uneingeschränkt zu gewährleisten. Gefährdet ein Mitglied der Einsatzabteilung eben diese Einsatzfähigkeit oder bietet es nicht die Gewähr dafür, im Falle eines Einsatzes auch einsatzbereit zu sein, so sind entsprechende Maßnahmen, bis hin zum Ausschluss des Betreffenden aus der Freiwilligen Feuerwehr zu ergreifen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert jedoch, dass der Betreffende Kenntnis vom drohenden Ausschluss und den zu Grunde liegenden Umständen hat und die Möglichkeit erhält, durch eine Verhaltensänderung den drohenden Ausschluss aus der Freiwilligen Feuerwehr abzuwenden. Aufgrund dessen schreibt § 5 Abs. 6 der Feuerwehrsatzung - gegen welche Bedenken betreffend ihre Rechtmäßigkeit nicht vorgetragen worden oder ersichtlich sind - vor, dass einem Angehörigen der Einsatzabteilung, der seine Dienstpflicht verletzt, durch den Bürgermeister im Einvernehmen mit dem Stadtwehrleiter unter vier Augen eine Ermahnung ausgesprochen werden kann. Bei wiederholtem Pflichtverstoß kann eine mündliche oder schriftliche Rüge ausgesprochen werden, wobei dem Betroffenen vor dem Ausspruch Gelegenheit zur schriftlichen oder mündlichen Stellungnahme zu geben ist.
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Dieses Stufensystem, das nicht nur eine Reihenfolge der zu ergreifenden Maßnahmen aufzeigt, sondern darüber hinaus verlangt, dass sich der Bürgermeister als (oberster) Dienstvorgesetzter der Kameraden und Wehrleiter mit eben diesen zu ergreifenden personellen Maßnahmen im Rahmen des Ermessens auseinandersetzt, wurde im vorliegenden Fall nicht eingehalten. Denn der Bürgermeister hat jedenfalls verkannt, dass er vor der Anordnung des Ausschlusses aus der Freiwilligen Feuerwehr das mildere Mittel der Ermahnung/Rüge hätte in Betracht ziehen und gegebenenfalls selbst anordnen müssen.
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Zwar räumt der Kläger ein, wegen des Nichterreichens der geforderten Ausbildungsstunden mit dem Ortswehrleiter der Beklagten, Herrn Dr. B., gesprochen zu haben. Ungeachtet dessen, ob Gegenstand der Unterredungen auch der drohende Ausschluss des Klägers aus der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten gewesen ist und diese deshalb als Ermahnung angesehen werden können, so vermag ein Gespräch mit dem Ortswehrleiter die Anforderungen der Feuerwehrsatzung der Beklagten nicht zu erfüllen. Denn diese verlangt gerade eine durch den Bürgermeister ausgesprochene Maßnahme, die im Einvernehmen mit dem Stadtwehrleiter erfolgt. Vermag danach nicht einmal eine vom Stadtwehrleiter, der sich als Leiter der Freiwilligen Feuerwehren der Beklagten versteht und durch die jeweiligen Ortswehrleiter unterstützt wird (§ 1 Abs. 3 S. 2, Abs. 4, § 3 Abs. 1 S. 4 Feuerwehrsatzung), erteilte Ermahnung den Anforderungen des Stufensystems der Satzung zu genügen, so kann dies erst Recht nicht bei einer vom Ortswehrleiter ausgesprochenen Ermahnung der Fall sein. Der Satzungsgeber hat sich ausdrücklich dafür entschieden, dass aufgrund von Dienstpflichtverletzungen anzuordnende Maßnahmen vom Bürgermeister und damit einer Person ausgesprochen werden, die sich außerhalb des Geschäftsbereichs der Freiwilligen Feuerwehren befindet. Dass selbige Entscheidungskompetenz auf eine andere Person delegiert worden ist, ist nicht zu erkennen. Dies ist unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten auch nicht zu beanstanden. Denn dass die personellen Maßnahmen wie Ermahnung, Rüge, Ausschluss in das Ermessen des Bürgermeisters gestellt worden sind, führt zur Gewährleistung der Einheitlichkeit der Anwendung entsprechender Maßnahmen im gesamten Gemeindegebiet, welches mehrere Ortsfeuerwehren umfasst (§ 1 Abs. 1 S. 3 Feuerwehrsatzung). Denn der Bürgermeister ist trotz dessen, dass er nicht direkt am Feuerwehrgeschehen beteiligt ist, als Vorgesetzter der Freiwilligen Feuerwehren diesen überstellt.
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Dass der Bürgermeister seinerseits den Kläger zur Einhaltung seiner Dienstverpflichtungen ermahnt hat, kann nicht festgestellt werden, weil schon weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass der Kläger im Einvernehmen mit dem Stadtwehrleiter auch ein Gespräch mit dem Bürgermeister geführt hat.
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Das vom Bürgermeister der Beklagten auszuübende Ermessen hat sich im vorliegenden Fall auch nicht derart reduziert, dass unter allen grundsätzlich in Betracht zu ziehenden Maßnahmen lediglich der Ausschluss des Klägers aus der Freiwilligen Feuerwehr aus wichtigem Grund i. S. v. § 5 Abs. 7 Feuerwehrsatzung (ohne vorherige Ermahnung) auszusprechen war. Denn die streitgegenständliche Dienstpflichtverletzung des Klägers hat nicht zu einem derartigen schwerwiegenden Vertrauensverlust zu den weiteren Kameraden geführt, dass dem Kläger etwa wegen eines schweren Dienstvergehens die allgemeine Eignung für die Ausübung des Feuerwehrdienstes abzusprechen war.
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Nach alledem kann offen bleiben, ob Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses auch wegen einer vom Kläger behaupteten Ungleichbehandlung zu anderen Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr oder einer möglichen Versetzung in die passive Abteilung der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten angezeigt sind. Denn gerade auch gegenüber Letzterer stellt die vom Bürgermeister auszusprechende Ermahnung ein milderes Mittel dar.
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Weil die Klage bereits hinsichtlich ihres Hauptantrages erfolgreich ist, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob der Kläger in die Alters- und Ehrenabteilung der Freiwilligen Feuerwehr der Beklagten zu übernehmen ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus 154 Abs. 1 VwGO. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren gemäß § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO ist für notwendig zu erklären, weil sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand wie der Kläger bei der gegebenen Sach- und Rechtslage eines Rechtsanwalts bedient hätte. Denn im vorliegenden Fall sind schwierige Rechtsfragen zu entscheiden, die nur eine mit dieser Materie vertraute rechtskundige Person übersehen und (zuverlässig) beantworten kann (vgl. zu dieser Voraussetzung: BVerwG, Urt. v. 15.02.1991 - 8 C 83.88 -, BVerwGE 88, 41,45).
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.
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Die Höhe des Streitwertes findet ihren Grund in § 52 Abs. 1 und 2 GKG, weil der bisherige Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet.
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Referenzen
- §§ 6 und 8 GO 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 114 1x
- § 8 BrSchG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- § 9 Abs. 4 S. 2 BrSchG 1x (nicht zugeordnet)
- § 9 Abs. 4 BrSchG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 42 2x
- VwVfG § 35 Begriff des Verwaltungsaktes 1x
- VwVfG § 1 Anwendungsbereich 1x
- VwGO § 113 1x
- § 8 Abs. 1 S. 1 KVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 1 BrSchG 1x (nicht zugeordnet)
- § 9 Abs. 3 S. 2 BrSchG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- § 52 Abs. 1 und 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 11 UE 1567/88 1x (nicht zugeordnet)