Urteil vom Verwaltungsgericht Mainz (1. Kammer) - 1 K 862/17.MZ

Tenor

1. Der Bescheid vom 28. Juni 2017 und der Widerspruchsbescheid vom 3. August 2017 des Beklagten werden aufgehoben.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 396,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten sowie Ziffer 2 des Tenors vorläufig vollstreckbar.

5. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Erstattung von im Rahmen der Jugendhilfe für einen unbegleiteten minderjährigen Ausländer aufgewendeten Arztkosten.

2

Der am ... Oktober 2001 im Iran geborene Ausländer A. hielt sich unbegleitet im Bundesgebiet auf. Er wurde am 6.Oktober 2015 in Obhut genommen und auf Veranlassung des Jugendamtes der Klägerin untergebracht. Er ist am 30. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die Inobhutnahme durch die Klägerin endete zum 31. Oktober 2015. Ab dem 1. November 2015 erfolgte eine Übernahme des Falls durch den Landkreis L.

3

In diesem Zeitraum entstanden unter anderem Kosten für ärztliche Behandlungen und Laboruntersuchungen in Höhe von 396,00 €. Diese setzen sich wie folgt zusammen: Laboruntersuchung am 9. Oktober 2015 (Rechnung vom 19. November 2015) in Höhe von 55,37 €, Laboruntersuchung vom 8. Oktober 2015 (Rechnung vom 19. November 2015) in Höhe von 136,98 € und ärztliche Untersuchung vom 8. Oktober 2015 sowie vom 13. Oktober 2015 (Rechnung vom 3. Dezember 2015) in Höhe von 203,65 €.

4

Mit Bescheid vom 19. Februar 2016 bestimmte das Bundesverwaltungsamt das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung des Beklagten als erstattungspflichtigen überörtlichen Träger. Unter dem 24. März 2016 stellte die Klägerin einen Antrag auf Kostenerstattung beim Beklagten, an den sie mit Schreiben vom 28. April 2016 erinnerte und eine Frist bis zum 31. Mai 2016 setzte. Mit Schreiben vom 16. September 2016 erkannte der Beklagte für die Zeit ab dem 6. Oktober 2015 bis längstens zur Volljährigkeit seine Kostenerstattungspflicht dem Grunde nach an.

5

Mit Schreiben vom 28. Juni 2017 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die eingereichte Kostenrechnung vom 28. April 2016 erhalten und geprüft worden sei. Die von der Klägerin geltend gemachten Arzt- und Labor- sowie Dolmetscherkosten in Höhe von insgesamt 937,93 € seien nicht erstattungsfähig, da sie bisher nicht durch Einzelnachweise belegt worden seien. Der Beklagte stellte eine erneute Prüfung der vorgenannten Positionen in Aussicht, wenn die entsprechenden Einzelnachweise nachgereicht würden. Insgesamt sei nur ein erstattungsfähiger Betrag von 3.676,21 € anzunehmen. Dem Schreiben war eine Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Erhebung eines Widerspruchs angefügt.

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Mit E-Mail vom 6. Juli 2017 übersandte die Klägerin entsprechende Unterlagen bzw. Rechnungskopien hinsichtlich der Kostenanforderung vom 28. April 2016. Darunter unter anderem Rechnungen vom 19. November 2015 über 55,37 € bzw. 136,98 € sowie eine Rechnung vom 3. Dezember 2015 über einen Betrag von 203,65 € und eine Rechnung vom 16. Oktober 2015 über 541,93 € (Dolmetscherkosten).

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Der Beklagte erließ unter dem 3. August 2017 einen „Widerspruchsbescheid“. Darin wurde ausgeführt, dass die Dolmetscherkosten in Höhe von 541,93 € erstattungsfähig seien. Demgegenüber könne allerdings keine Kostenübernahme hinsichtlich der Arzt- und Laborkosten in Höhe von insgesamt 396,00 € erfolgen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Rahmen der Krankenhilfe des § 40 SGB VIII der Hilfeumfang der §§ 47 bis 52 SGB XII analog gelte. In § 52 SGB XII sei festgehalten, dass diese in Art und Umfang dem Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung entspreche. Die Vergütungen seien in dem einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) bzw. dem Bewertungsmaßstab zahnärztlicher Leistungen (BEMA) geregelt. Die vorliegenden Krankenhilfekosten basierten allerdings auf den Bestimmungen der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bzw. der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) und entsprächen somit den Richtlinien der privaten Krankenversicherung. Auch die Reduzierung der Sätze auf den einfachen Satz entspreche nicht den gesetzlichen Bestimmungen und könne daher nicht angewandt werden. Die Anwendung der Abrechnung analog der privaten Krankenversicherung sei auch nicht durch § 40 Satz 2 SGB VIII gedeckt, da dies auf den medizinischen Bedarf sowie eventuell Hilfsmittel bezogen sei, welche die Patienten in der Regel selbst zahlen müssten. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, warum eine Abrechnung nach den Maßstäben der gesetzlichen Krankenversicherung durch niedergelassene Ärzte mit kassenärztlicher Zulassung nicht möglich gewesen sei. Dem Schreiben war eine Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Hinweis auf die mögliche Erhebung einer Klage beim Verwaltungsgericht Mainz angefügt.

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Die Klägerin hatte bereits am 21. Dezember 2016 Klage erhoben (Az. 1 K 1467/16.MZ). Neben dem streitgegenständlichen Anspruch hatte sie damit gleichzeitig mehrere teilweise gleichgelagerte Ansprüche bei dem erkennenden Gericht mit einem Klagevolumen von insgesamt 1.305.958,09 € geltend gemacht. Die Kammer hat nach Erlass des „Widerspruchsbescheids“ am 3. August 2017 das Verfahren abgetrennt und unter dem hiesigen Aktenzeichen fortgeführt. Die Beteiligten betrachten dieses Verfahren gemeinsam mit zwei weiteren Verfahren (Az. 1 K 858/17.MZ und 1 K 863/17.MZ) als „Musterverfahren“ zu einigen der dort behandelten Rechtsfragen.

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Zur Begründung der hiesigen Klage verweist die Klägerin im Wesentlichen auf ihr Vorbringen im Verfahren 1 K 858/17.MZ. Dort trug sie wie folgt vor: Die unbegleiteten ausländischen Kinder und Jugendlichen würden vom Jugendamt der Klägerin in Obhut genommen und dabei auf der Grundlage von § 76 Abs. 1 SGB VIII von der Caritas versorgt. Diese übernehme auch die ärztliche Versorgung der Jugendlichen im Rahmen der Alltagssorge. Die Caritas arbeite bei der ärztlichen Versorgung mit Vertrauensärzten zusammen. Dies sei zunächst bei der ärztlichen wie zahnärztlichen Versorgung jeweils ein bestimmter Arzt gewesen, was aus Gründen des Kindeswohls vom Jugendamt der Klägerin gebilligt werde. Der Umgang mit dieser spezifischen Personengruppe setzte Erfahrung mit bestimmten Krankheitsbilder und Verhaltensweisen voraus. Ein auf diese Patienten spezialisierter Arzt sei auch in der Lage, bei Sprachproblemen angemessen zu reagieren. Es sei auch nicht so, dass es nach dieser Klientel bei den Ärzten eine große Nachfrage gäbe. Daher bestünden keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass die Caritas im Rahmen der Alltagssorge mit bestimmten Ärzten zusammenarbeite.

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Die Auswahl des Vertrauensarztes erfolge nach sachlichen Kriterien. Maßgeblich sei die Bereitschaft zum Umgang mit einer größeren Zahl dieser Klientel, die entsprechende Fachkompetenz und die Entfernung der Praxis zu der jeweiligen Unterbringungsstätte der Kinder und Jugendlichen. Die ärztliche Versorgung werde seit jeher von einem bestimmten Arzt wahrgenommen. Seit im Oktober 2013 die Zahl der zu versorgenden Kinder und Jugendlichen in die Höhe gegangen sei, seien dessen Behandlungskapazitäten erschöpft gewesen, sodass weitere drei Ärzte in Anspruch genommen worden seien. Diese seien von der Caritas nach den oben genannten Kriterien ausgewählt worden. Nach dem Rückgang der Zahlen einreisender unbegleiteter Kinder und Jugendlicher arbeiteten derzeit noch drei Vertrauensärzte für die Caritas. Die Reihenuntersuchungen setzten voraus, dass ein belastbares Röntgengerät zu Verfügung stehe. Hier sei zunächst mit dem Gesundheitsamt des Landkreises G. zusammengearbeitet worden. Nachdem dort die notwendigen Gerätschaften wegen Defekts nicht mehr zu Verfügung gestanden hätten, sei ein freier Lungenfacharzt aufgesucht worden. Derzeit würden diese Untersuchungen im Evangelischen Krankenhaus in G. vorgenommen. Der Vertrauensarzt sei seit 2006/2007 für die Caritas tätig. Hier hätten sich keine Kapazitätsprobleme ergeben.

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Das Jugendamt der Klägerin habe nach der Inobhutnahme der Kinder und Jugendlichen Krankenhilfe zu gewährleisten. Dabei gelte § 40 SGB VIII wegen fehlender Verweisung nicht unmittelbar, dennoch seien in Ermangelung anderer gesetzlicher Vorgaben dessen Grundsätze entsprechend anzuwenden. Grundsätzlich fänden daher die §§ 47 bis 52 SGB XII Anwendung. Daher sei die Krankenbehandlung zwar primär nach § 264 SGB V vorzunehmen. Eine Begrenzung der Kostenerstattung nach der Leistungshöhe sei gemäß § 40 Satz 2 SGB VIII jedoch nicht vorgesehen.

12

Die in § 264 SGB V vorgesehene Ausstellung der Versichertenkarte durch die Krankenkasse dauere in aller Regel vier Wochen. Solange könne mit Reihenuntersuchungen wegen des hohen Infektionsrisikos aber nicht gewartet werden. Das Jugendamt der Klägerin habe versucht, stattdessen die kurzfristige Ausstellung von Behandlungsscheinen einer gesetzlichen Krankenkasse zu erreichen. Die betreffende Krankenkasse habe den Versuch jedoch bereits nach wenigen Tagen wegen Belastung aufgrund des hohen Bedarfs an derartigen Scheinen eingestellt. Die Ärzte könnten verlangen, dass die Erstattungspflicht der Krankenkasse durch Vorlage der Versichertenkarte oder eines Behandlungsscheins nachgewiesen werde. Ein solches Verlangen sei auch berechtigt, weil sie anderenfalls das Risiko eingingen, auf den Behandlungskosten sitzen zu bleiben. Dieses Risiko müssten die Ärzte nur in dringenden Fällen übernehmen, also im Einzelfall. Die Behandlungspflicht gelte also nicht bei einem hohen Patientenaufkommen ohne Versichertenkarte. In diesen Fällen könnten die Ärzte die Behandlung verweigern oder die Abrechnung nach GOÄ und GOZ verlangen. Das Kind oder der Jugendliche habe nach § 40 Satz 2 SGB VIII aber einen Anspruch auf Übernahme der Kosten durch das Jugendamt der Klägerin.

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Die Ärzte seien offenbar nur bereit gewesen, Behandlungen von Personen zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenkassen zu übernehmen, wenn sie über eine Versichertenkarte verfügt hätten. Dazu seien sie berechtigt, wenn kein dringender Fall im Sinne von § 15 Abs. 5 SGB V vorliege. Die Ärzte seien nicht bereit gewesen, ohne Vorliegen der Versichertenkarte zu den Bedingungen der Krankenkassen abzurechnen, weil dafür der Verwaltungsaufwand zu groß sei. Auch dies sei nachvollziehbar. Die Abrechnung zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten erfolge nach einem bestimmten System, über das die Ärzte nicht allein verfügten, und das voraussetze, dass die elektronische Versichertenkarte vorliege. Sie müssten sich also so eine eigene Abrechnungslogistik aufbauen, die ohne die Versichertenkarte funktioniere. Das sei höchst aufwendig. Eine Pflicht, diesen Aufwand zu leisten, gebe es nicht. Also sei nur eine privatärztliche Abrechnung möglich gewesen. Die Nachweisobligation des § 15 Abs. 2 SGB V gebe es nämlich auch deshalb, weil die Versichertenkarte dem Vertragsarzt die Abrechnung mit der Krankenkasse überhaupt erst ermögliche. Das bedeute, dass der Gesetzgeber anerkenne, dass eine Abrechnung zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenkassen nur mit der Versichertenkarte möglich sei, und das nur in den Einzelfällen des § 15 Abs. 5 SGB V das Zahlungsrisiko, das bei fehlender Versichertenkarte eintrete, beim Arzt verbleibe. Das gelte also nicht bei einem hohen Aufkommen von Patienten ohne Versichertenkarte. Hier sei der Arzt nicht verpflichtet, das wirtschaftliche Risiko dafür zu übernehmen, dass der betreffende Patient versichert sei.

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Der Beklagte begründe seine Zahlungsverweigerung damit, dass die Ärzte nach § 95 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 2 SGB V zur Erfüllung des Sachleistungsanspruchs nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben verpflichtet seien. Dabei werde von dem Beklagten jedoch übersehen, dass zu den gesetzlichen Maßgaben auch gehöre, dass die Behandlung außer in dringenden Fällen erst nach Vorlage der Versichertenkarte oder des Behandlungsscheins begonnen werden müsse. Folglich seien die Ärzte berechtigt gewesen, die Leistungen privat abzurechnen soweit nicht im Einzelfall ein dringender Fall vorgelegen habe.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 28. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 3. August 2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 396,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

19

Er verweist im Wesentlichen auf seine Klageerwiderung im Verfahren 1 K 858/17.MZ. Mit der dortigen Klageerwiderung wiederholt und vertieft der Beklagte sein bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus: Wie aus der Klagebegründung hervorgehe, seien die entsprechenden Ärzte allein von der Caritas ausgewählt worden, was die Klägerin billigend in Kauf genommen habe. Die Tatsache, dass es sich bei den Klienten um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gehandelte habe, sei ebenfalls kein rechtlich zulässiger Grund für die Verweigerung einer Behandlung. Letztlich sei auch nicht davon auszugehen, dass es sich hierbei durchgehend um schwierige Personengruppe handle. Somit sei es auch nicht erforderlich gewesen, dass nur Ärzte aufgesucht würden, welche Erfahrungen mit diesen Personen aufwiesen. Da es in der Gesamtbevölkerung unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Charakteren gebe, müsste vielmehr davon ausgegangen werden, dass jeder Arzt in der Lage sei, mit Patienten entsprechend umzugehen. Hinsichtlich eventueller Sprachbarrieren gebe es diese ebenfalls auch in der Gesamtbevölkerung. Dass der Arzt gegebenenfalls die Muttersprache des Patienten spreche sei ebenfalls kein rechtlich zulässiger Grund für eine abweichende Abrechnung. Die Tatsache, dass die Krankenversichertenkarte nicht vorgelegen habe und die Krankenkasse auch keine entsprechenden Behandlungsscheine aufgrund der Masse ausgestellt habe, könne auch keine Begründung für eine ärztliche Versorgung auf Privatarztbasis ergeben. Letztlich könne das örtliche Jugendamt auch selbst entsprechende Behandlungsscheine ausstellen. Dies sei im Übrigen auch zum Teil noch gängige Praxis. Rückmeldungen, dass Ärzten in diesen Fällen keine Abrechnung nach den Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung vornehmen könnten, lägen den Beklagten in diesem Zusammenhang nicht vor.

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Im Rahmen des § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) sei geregelt, dass der entsprechende Personenkreis nur in Akutfällen eine ärztliche Behandlung erhalte, sowie die erforderlichen Impfungen, dies sich aber auch nach den Richtlinien der gesetzlichen Krankenversicherung richte. Im Vergleich hierzu würden die unbegleiteten minderjährigen Ausländer durch die Anwendung des § 40 SGB VIII bereits bessergestellt. Dies könne aber nicht bedeuten, dass Ärzte letztlich einen höheren Profit, welcher aus Steuergeldern zu tragen sei, erwirtschafteten und dies mit einem erhöhten Patientenaufkommen aus dem Personenkreis der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge begründeten.

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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg. Sie ist als Anfechtungs- bzw. Leistungsklage zulässig und begründet. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage zum einen die Zahlung von Geld, hier die Erstattung aufgewendeter Kosten für die Gewährung von Krankenhilfe im Rahmen einer Inobhutnahme. Zum anderen war aber auch über die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der von dem Beklagten erlassenen (formellen) Verwaltungsakte zu entscheiden, da diese jedenfalls einen der Zahlungsverpflichtung des Beklagten entgegenstehenden Rechtsschein begründen.

23

Hinsichtlich der von dem Beklagten erlassenen Bescheide, die eine Zahlung des streitgegenständlichen Betrages ablehnen, ist die Anfechtungsklage statthaft. Das eine Zahlung insoweit ablehnende Schreiben des Beklagten vom 28. Juni 2017 („Ablehnungsbescheid“) und der ebenso zurückweisende „Widerspruchbescheid“ vom 3. August 2017 erscheinen aufgrund ihrer äußeren Form als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs X (SGB X). Dies folgt insbesondere aus der anhängenden Rechtsbehelfsbelehrung im Schreiben vom 28. Juni 2017, die auf die Möglichkeit der Erhebung eines Widerspruchs hinweist (vgl. dazu schon BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 1963 – IV C 9/63 –, NJW 1964, 1151 [1152]). Dies lässt für den Adressaten nur den Schluss zu, dass per Verwaltungsakt gehandelt werden sollte, weil nur gegen diese grundsätzlich das Vorverfahren gemäß § 68 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft ist. Auch durch die Bezeichnung als „Widerspruchbescheid“ wird der Wille der Behörde, einen Verwaltungsakt zu erlassen, für einen objektiven Betrachter eindeutig erkennbar.

24

Allerdings wird eine Maßnahme, die kein Verwaltungsakt im materiellen Sinne ist, nicht allein durch ihre äußere Form zu einem solchen Verwaltungsakt (vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 35, Rn. 72). Die in § 31 Satz 1 SGB X statuierten Voraussetzungen sind damit keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, sondern materiell-rechtliche Wesensmerkmale des Verwaltungsaktes (vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 35, Rn. 17). In dieser Hinsicht fehlt es hier an einer hoheitlichen Maßnahme, also einer solchen in einem Über-/Unterordnungsverhältnis, sodass die Ablehnung einer Zahlung durch den Beklagten ebenso wie die Anforderung der Erstattung durch die Klägerin per Verwaltungsakt unzulässig wäre (vgl. BSG, Urteil vom 14. Oktober 1970 – 10 RV 483/68 –, juris, Rn. 19; BayLSG, Urteil vom 20. Dezember 2016 – L 8 SO 128/14 –, juris, Rn. 32). Es handelt sich hier um Erstattungsansprüche zwischen zwei Hoheitsträgern, die sich auf Gleichordnungsebene gegenüberstehen. Dem Beklagten fehlt es daher in diesem Zusammenhang an der Berechtigung durch Verwaltungsakt zu handeln (sog. „VA-Befugnis“). Wo sich zwei Rechtsträger des öffentlichen Rechts in ihrer Eigenschaft als Hoheitsträger begegnen, ist ein Verwaltungsakt grundsätzlich nicht denkbar (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 1957 – 4 RJ 228/55 –, BeckRS 1957, 00099, Rn. 21). Die VA-Befugnis kann im Verhältnis zwischen Hoheitsträgern nur ausnahmsweise durch den Gesetzgeber angeordnet werden, sodass dann insoweit eine hoheitliche Maßnahme vorliegen kann (vgl. BSG, Urteil vom 21. April 1993 – 14a RKa 6/92 –, NJW-RR 1994, 788 [790] m.w.N.). Insofern ist dies nur für die Bestimmung des erstattungspflichtigen Trägers durch das Bundesverwaltungsamt gemäß § 89d Abs. 3 SGB VIII a. F. erfolgt. Hinsichtlich des Bestehens oder der Höhe eines Erstattungsanspruchs ist keine Entscheidung per Verwaltungsakt notwendig, weil dies bereits kraft Gesetzes feststeht und – über die Bestimmung des zuständigen Kostenträgers hinaus – keiner gesonderten Festsetzung mehr bedarf (vgl. zu den §§ 102 ff. SGB X: Weber, in: BeckOK Sozialrecht, 47. Edition, Stand: 1. Dezember 2017, § 102 SGB X, Rn. 43).

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Gleichwohl hat sich der Beklagte der äußeren Form nach dem Instrument eines Verwaltungsakts bedient. Es handelt sich damit allerdings nicht um einen materiellen, sondern nur um einen formellen Verwaltungsakt, der ebenso einer prozessualen Anfechtung zugänglich ist. In einem solchen Fall erstreckt sich die gerichtliche Prüfung der Begründetheit auch auf die Feststellung, dass die Behörde eine Maßnahme in die Form des Verwaltungsaktes kleiden konnte (vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 35, Rn. 16). Soweit es – wie hier – um die Aufhebung eines rein formellen Verwaltungsakts geht, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 4 R 71/06 R –, BeckRS 2006, 44566, Rn. 16; BayVGH, Urteil vom 2. August 2016 – 22 B 16.619 –, BeckRS 2016, 50120, Rn. 35, 41 ff.; a. A. VG Wiesbaden, Urteil vom 5. März 2007 – 7 E 1536/06 –, NVwZ-RR 2007, 613: Feststellungsklage). Deren übrige Zulässigkeitsvoraussetzungen, insbesondere ein ordnungsgemäßes Vorverfahren sowie Einhaltung der Klagefrist, liegen vor. Es kann daher dahinstehen, ob die §§ 68 ff. VwGO auch bei rein formellen Verwaltungsakten, einschließlich der dadurch eintretenden Bestandskraft, Anwendung finden können.

26

Die Klage ist im Übrigen als Leistungsklage zulässig, da der begehrten Erstattung – wie oben dargelegt – kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X vorausgehen muss (so ausdrücklich BayLSG, Urteil vom 20. Dezember 2016 – L 8 SO 128/14 –, juris, Rn. 32).

27

Die Voraussetzungen einer objektiven Klagehäufung liegen vor. Da die formellen (ablehnenden) Verwaltungsakte einen dem Zahlungsbegehren entgegenstehenden Rechtsschein erzeugen, stehen sie in einem unmittelbaren Sachzusammenhang mit dem Leistungsantrag (vgl. dazu Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 33. EL Juni 2017, § 113, Rn. 194), sodass auch hier § 113 Abs. 4 VwGO heranzuziehen ist. Selbst wenn dieser bei formellen Verwaltungsakten nicht einschlägig wäre, ergäbe sich die Zulässigkeit der Klagehäufung aus § 44 VwGO.

28

Die Anfechtungsklage ist begründet, da dem Beklagten insgesamt bereits aufgrund des zwischen ihm und der Klägerin bestehenden Gleichordnungsverhältnisses – wie oben dargelegt – keine Verwaltungsaktbefugnis zukommt. Die eine Erstattung ablehnenden Bescheide sind schon deshalb (zumindest) rechtswidrig und aus Gründen der Rechtsklarheit auch im Tenor aufzuheben (vgl. für einen nicht ordnungsgemäß bekanntgegebenen Verwaltungsakt: OVG RP, Urteil vom 25. Juni 1986 – 8 A 92/85 –, NVwZ 1987, 899).

29

Im Übrigen ist die Klage – hinsichtlich der allgemeinen Leistungsklage – ebenfalls begründet, da die Klägerin einen Anspruch auf die begehrte Leistung hat.

30

Die Klägerin hat einen Anspruch gemäß §§ 89d Abs. 1, Abs. 3 (a. F.), 89f Abs. 1 SGB VIII auf Erstattung der aufgewendeten auf privatärztlicher Grundlage berechneten Behandlungskosten für den in Obhut genommenen. Nach § 89d Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger aufgewendet hat, vom Land zu erstatten, wenn an einen jungen Menschen oder einen Leistungsberechtigten nach § 19 SGB VIII innerhalb eines Monats nach der Einreise Jugendhilfe gewährt wird und sich die örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt dieser Person oder nach der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde richtet. Gemäß § 89d Abs. 3 Satz 1 SGB VIII – in der bis 30. Juni 2017 geltenden Fassung (vgl. BGBl. I 2015, 1802) – wurde, sofern (wie hier) die Person im Ausland geboren ist, das erstattungspflichtige Land auf der Grundlage eines Belastungsvergleichs vom Bundesverwaltungsamt bestimmt.

31

Vorliegend findet § 89d Abs. 3 SGB VIII in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 Anwendung. Nach Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher (VerbaKJUVBG) vom 28. Oktober (BGBl. I 2015, 1802) wurde § 89d Abs. 3 SGB VIII aufgehoben, wobei Art. 5 Abs. 1 VerbaKJUVBG bestimmt, dass Art. 1 Nr. 9 VerbaKJUVBG zum 1. Juli 2017 in Kraft tritt. Weder die Vorschriften des VerbaKJUVBG noch des SGB VIII enthalten insoweit eine Übergangsreglung, etwa der Gestalt, dass laufende Verwaltungsverfahren nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen sind. Da der Gesetzgeber keine Übergangsregelung erlassen hat, sind in Ermangelung derartiger Vorschriften die Regeln des intertemporalen Rechts anzuwenden.

32

Danach wird der unmittelbar nur die Anwendbarkeit des neuen Rechts betreffende Grundsatz der Sofortwirkung und Nicht-Rückwirkung durch den Grundsatz „tempus regit actum“ ergänzt, nachdem die Beurteilung eines Sachverhalts sich grundsätzlich, insbesondere auch für in der Vergangenheit liegende oder eingetretene Tatsachen nach dem Recht richtet, das im entsprechenden Zeitpunkt in Geltung war (EuGH, Urteil vom 21. September 2017 – C-88/15 –, juris, Rn. 38; BFH, Urteil vom 8. November 2006 – X R 45/02 –, juris, Rn. 22; OVG RP, Urteil vom 11 März 1997 – 6 A 10700/96.OVG –, juris, Rn. 29 ff.). Außer Kraft getretene Rechtsnormen bleiben danach anwendbar auf Sachverhalte, die während ihrer Geltung verwirklicht worden sind. Demgemäß finden auf das vorliegende Verfahren die bisherigen Vorschriften des SGB VIII Anwendung.

33

Zudem stellt § 89d Abs. 3 SGB VIII ohnehin vornehmlich eine Vorschrift zur Bestimmung der Zuständigkeit dar (vgl. OVG RP, Beschluss vom 12. Januar 2018 – 7 A 11652/17 –, juris, Rn. 13), die – sobald sie durch das Bundesverwaltungsamt einmal wirksam erfolgt ist – nicht durch Außerkrafttreten der ihr zugrundeliegenden Norm berührt wird. Ein derartiger Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X (vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 27. August 1998 – 16 A 3477/97 –, juris, Rn. 14) erwächst insoweit jedenfalls in materielle Bestandskraft, die grundsätzlich auch nicht durch nachträgliche Gesetzesänderungen beseitigt wird.

34

Hier hat die Klägerin den Betroffenen gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII in Obhut genommen und gemäß § 42 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII Krankenhilfe gewährt. Dabei handelt es sich um Leistungen und Aufgaben der Jugendhilfe im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII, sodass die aufgewendeten Kosten dem Grunde nach erstattungsfähig sind. Die Kostenerstattungspflicht wird hier auch dem Grunde nach von dem Beklagten nicht in Abrede gestellt.

35

Der Anspruch ist mit Schreiben vom 24. März 2016 auch rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, also vor dem 1. August 2016, geltend gemacht worden. Es besteht auch kein Ausschluss gemäß § 89d Abs. 4 SGB VIII. Die geltend gemachten Kosten sind im Zeitraum vom 9. bis 13. Oktober 2015 und damit vor dem 1. November 2015 entstanden (vgl. § 42d Abs. 4 und 5 SGB VIII).

36

Dem Anspruch der Klägerin steht im Übrigen auch nicht die Einrede der Verjährung entgegen, selbst wenn diese wirksam erhoben worden sein sollte. Erstattungsansprüche gemäß § 89d Abs. 1, Abs. 3 SGB VIII a. F. verjähren gemäß § 42d Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 SGB VIII i.V.m. § 113 Abs. 1 SGB X innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des Bundesverwaltungsamts über die Bestimmung des erstattungspflichtigen Landes Kenntnis erlangt hat. Denn jedenfalls Rahmen des § 89d Abs. 3 SGB VIII a.F. besteht eine mit § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X vergleichbare Interessenlage, sodass nicht auf das Entstehen des Anspruchs, sondern auf die Kenntnis hinsichtlich des Passivlegitimierten abzustellen ist. Die Vorschrift des § 42d Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 SGB VIII stellt eine Abweichung von der vierjährigen Verjährungsfrist des § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar. Hier hatte die Klägerin durch Zuweisungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 19. Februar 2016 Kenntnis von der Leistungspflicht des beklagten Landes. Die Regelung des § 42d Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 SGB VIII ist gemäß Art. 1 Nr. 4 VerbaKJUVBG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VerbaKJUVBG am 1. November 2015 in Kraft getreten. Entsprechend der Umsetzungshinweise des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) soll damit für sämtliche am 1. November 2015 bestehende, nicht ausgeschlossene sowie nicht verjährte Ansprüche, eine neue einheitliche Verjährung zum 31. Dezember 2016 greifen (BMFSFJ, JAmt 2016, 302). Das bedeutet, sämtliche zum Zeitpunkt des Inkrafttretens laufende Verjährungsfristen richten sich ab 1. November 2015 nach der Neuregelung (BMFSFJ, JAmt 2016, 302). Maßgebliches Ereignis für den Verjährungsbeginn ist dann das Inkrafttreten des Gesetzes (BMFSFJ, JAmt 2016, 302; siehe auch Kirchhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 42d SGB VIII, Rn. 19.1). Mit der Regelung in § 42d Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 SGB VIII zielt der Gesetzgeber auf ein baldiges Ende von Erstattungen nach § 89d Abs. 3 SGB VIII a. F. ab, die aus der Zeit vor Geltung der §§ 42a ff. SGB VIII stammen (vgl. Kirchhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 42d SGB VIII, Rn. 20). Unter Zugrundlegung dieser Grundsätze ist die Verjährungsfrist jedenfalls mit Klageerhebung am 21. Dezember 2016 gewahrt.

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Streitig ist zwischen den Beteiligten letztlich der Umfang der Kostenerstattungspflicht hinsichtlich der von der Klägerin für die ärztliche Behandlung der Hilfeempfängerin aufgewendeten Kosten. Dieser Frage wird von den Beteiligten – trotz des geringen Betrags wegen einer Vielzahl weiterer Abrechnungsfälle – offenbar eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Im Ergebnis sind die von der Klägerin mit dieser Klage geltend gemachten Kosten in Höhe von 396,00 € vollumfänglich erstattungsfähig.

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Zunächst gilt die Bagatellgrenze des § 89f Abs. 2 SGB VIII von 1.000 € ausdrücklich im Rahmen von § 89d SGB VIII nicht. Der Umfang der Kostenerstattung ergibt sich aus § 89f Abs. 1 SGB VIII. Unmittelbare ergänzende Anwendung finden darüber hinaus die §§ 108 Abs. 1 und 109 sowie 111 bis 113 SGB X (vgl. Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 89f, Rn. 1). Ersetzt werden können nur die Sachkosten, nicht die Verwaltungskosten, wie sich aus § 109 Satz 1 SGB X ergibt (Wiesner, a. a. O., Rn. 5). Die Kosten sind gemäß § 89f SGB VIII nur erstattungsfähig, soweit die Aufgabenerfüllung den Vorschriften des SGB VIII entspricht (sog. Grundsatz der Gesetzeskonformität; vgl. dazu etwa Loss, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 89f, Rn. 3).

39

Im Rahmen der Krankenhilfe des § 40 SGB VIII, der auch auf die Inobhutnahme im Sinne des § 42 SGB VIII sinngemäße Anwendung findet (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII; dazu Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 42 SGB VIII, Rn. 33; Kunkel, in: Kunkel/Keppert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 6. Auflage 2016, § 40, Rn. 2), gilt der Hilfeumfang der Sozialhilfe gemäß §§ 47 bis 52 SGB XII analog. Die sinngemäße Anwendbarkeit ergibt sich aus der Verwendung des Wortes „Krankenhilfe“ in § 42 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII sowie der strukturellen Ähnlichkeit der Inobhutnahme mit den in § 40 Satz 1 SGB VIII explizit genannten Hilfen, nämlich solche nach den §§ 33 bis 35 oder nach § 35a Abs. 2 Nr. 3 oder 4 SGB VIII. Diese Hilfen haben alle eine Unterbringung über Tag und Nacht in einer anderen Familie (§ 33 SGB VIII) oder einer sonstigen Einrichtung, z. B. einem Heim, zum Gegenstand (vgl. §§ 34, 35 und 35a Abs. 2 Nr. 3 oder 4 SGB VIII). Auf eine solche Unterbringung und Betreuung der Kinder und Jugendlichen außerhalb des Elternhauses zielt – hier gemäß § 42 SGB VIII als vorläufige Maßnahme – auch die Inobhutnahme ab. Bei der Anwendbarkeit der in § 40 SGB VIII enthaltenen Vorschriften ist allerdings auf das Wesen der (vorläufigen) Inobhutnahme als Mittel der „Krisenintervention“ (vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 42, Rn. 1) hinreichend Rücksicht zu nehmen. Anders als bei den vorgenannten Hilfen zur Erziehung ist eine Inobhutnahme regelmäßig vorläufig und zudem bei ihr auch nicht gesichert, dass das Kind oder der Jugendliche auf absehbare Zeit im Zuständigkeitsbereich des betreffenden Jugendamts verbleibt. Dies gilt insbesondere – wie hier – bei der (vorläufigen) Inobhutnahme von unbegleiteten minderjährigen Ausländern gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, die unter Umständen wenige Tage nach der Inobhutnahme einem anderen Jugendhilfeträger zugewiesen werden oder abgängig sind. Gleichwohl ist hier grundsätzlich der Rechtsgedanke des § 40 SGB VIII – vorbehaltlich entsprechender Modifikationen – anzuwenden.

40

In § 52 Abs. 1 SGB XII ist festgehalten, dass die Leistungen der Krankenhilfe des SGB XII in Inhalt und Umfang dem Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen. Dementsprechend erhalten die Leistungsberechtigten grundsätzlich das Maß an medizinischer Krankenversorgung, wie die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (Siebel-Huffmann, in: BeckOK SozR, 46. Edition, Stand: 1. Juni 2017, § 52 SGB XII, Rn. 1). Das zuständige Jugendamt muss anstelle des Sozialamtes Krankenhilfe grundsätzlich nach dem SGB XII leisten, allerdings nur dem Umfang und der Art nach, nicht unter dessen materiellen und formellen Voraussetzungen und nicht mit dessen Kostenfolgen für den Hilfeempfänger (vgl. Kunkel, in: Kunkel/Keppert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 6. Auflage 2016, § 40, Rn. 1, 8; Schmid-Obkirchner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 40, Rn. 6). Das bedeutet demnach nicht, dass die Jugendhilfe diese Leitungen auch nur in derselben Höhe zu erbringen hätte (Kunkel, a.a.O., Rn. 8). Der notwendige Bedarf im Einzelfall muss im vollen Umfang gedeckt werden (vgl. § 40 Satz 2 SGB VIII), sodass der Leistungsumfang der Krankenhilfe nach SGB VIII auch über den des SGB V und des SGB XII hinausgehen kann (vgl. Winkler, in: BeckOK SozR, 47. Edition, Stand: 1. Dezember 2017, § 40 SGB VIII, Rn. 7).

41

Dahingehend sieht § 47 SGB XII auch die „vorbeugende Gesundheitshilfe“ vor. Dies umfasst die Verhütung und Früherkennung von Krankheiten (vgl. Zink/Lippert, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil II: SGB XII, 37. Lfg. Juli 2017, § 47, Rn. 6). Der Anspruch auf vorbeugende Gesundheitshilfe entspricht nach Art, Form und Umfang den im 3. (§§ 20 ff.) und 4. Abschnitt (§§ 25 f.) des 3. Kapitels des SGB V genannten Leistungen und stellt eine ärztliche bzw. zahnärztliche Behandlung im Sinne des § 28 SGB V dar (vgl. Zink/Lippert, a.a.O., Rn. 6, 24). Darunter fallen gemäß § 20i SGB V auch Schutzimpfungen. Der Anspruch besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob ein begründeter Verdacht auf eine drohende oder schon bestehende Krankheit vorliegt (vgl. Zink/Lippert, a.a.O., Rn. 6). Es ist nicht einmal ein Verdacht schlechthin erforderlich, weil es sich um rein prophylaktische Maßnahmen handelt (Zink/Lippert, a.a.O., Rn. 6). Insoweit können sich Überschneidungen, etwa mit den Aufgabenbereichen der Gesundheitsämter, ergeben (vgl. Zink/Lippert, a.a.O., Rn. 8 ff.).

42

In § 48 SGB XII ist für nicht versicherte Personen vorgesehen, dass Leistungen zur Krankenbehandlung gemäß §§ 27 ff. SGB V (Drittes Kapitel, Fünfter Abschnitt, Erster Titel) erbracht werden, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (vgl. § 48 Satz 1 SGB V). Dies schließt auch die Verhütung und Früherkennung von Krankheiten im Sinne des § 47 SGB XII ein (vgl. Zink/Lippert, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil II: SGB XII, 37. Lfg. Juni 2017, § 47, Rn. 6). Die Regelungen zur Krankenbehandlung nach § 264 SGB V gehen allerdings den vorgenannten Leistungen der Hilfe bei Krankheit vor (vgl. § 48 Satz 2 SGB V). Das Jugendamt hat damit für die in Obhut genommenen, soweit dies nicht anderweitig – z. B. durch eine gesetzliche Krankenkasse – sichergestellt werden kann (vgl. § 10 Abs. 1 SGB VIII), Krankenhilfe zu leisten (Winkler, in: BeckOK SozR, 46. Edition, Stand: 1. September 2017, § 42 SGB VIII, Rn. 22a).

43

In § 264 Abs. 1 SGB V ist geregelt, dass die Krankenkasse für Arbeits- und Erwerbslose, die nicht gesetzlich gegen Krankheit versichert sind, für andere Hilfeempfänger sowie für die vom Bundesministerium für Gesundheit bezeichneten Personenkreise die Krankenbehandlung übernehmen kann, sofern der Krankenkasse Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall sowie eines angemessenen Teils ihrer Verwaltungskosten gewährleistet wird (Satz 1). Die Krankenkasse ist auch zu einer solchen Übernahme der Krankenbehandlung für Empfänger von Gesundheitsleistungen nach den §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) verpflichtet, wenn sie durch die Landesregierung oder die von der Landesregierung beauftragte oberste Landesbehörde dazu aufgefordert und mit ihr eine entsprechende Vereinbarung mindestens auf Ebene der Landkreise oder kreisfreien Städte geschlossen wird (Satz 2). Damit wird deutlich, dass die Übernahme der Kosten für die Krankenkasse in diesen Konstellationen grundsätzlich fakultativ ist bzw. von einer entsprechenden Vereinbarung abhängt.

44

Demgegenüber legt § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V bereits zwingend fest, dass die Behandlungskosten unter anderem von – wie hier – nicht versicherten Empfängern von Krankenhilfeleistungen nach dem SGB VIII zunächst von der jeweils zuständigen Krankenkasse übernommen werden. Dahingehend überträgt § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V den Krankenkassen die dem Jugendhilfeträger dem Grunde nach obliegende Aufgabe, die den Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechenden Leistungen zu gewähren (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 20/13 R –, BeckRS 2015, 66821, Rn. 13). Dadurch wird die Krankenbehandlung der nach dem SGB VIII Leistungsberechtigten, die nicht versichert sind, von der Krankenkasse aufgrund gesetzlichen Auftrags im Sinne des § 93 SGB X übernommen (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 20/13 R –, BeckRS 2015, 66821, Rn. 13). Darüber hinaus wird ebenso die Krankenbehandlung von Empfängern von Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII sowie von Empfängern laufender Leistungen nach § 2 AsylbLG von der Krankenkasse übernommen (vgl. § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V).

45

Nicht erfasst sind gemäß § 264 Abs. 2 Satz 2 SGB V „aus Praktikabilitätsgründen“ (vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 140) unter anderem Empfänger, die voraussichtlich nicht mindestens einen Monat ununterbrochen Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen. Dementsprechend exkludiert der Gesetzgeber solche Leistungsempfänger aus dem Abrechnungsverfahren des § 264 SGB V, die voraussichtlich nur für eine kurze Dauer leistungsberechtigt sind und daher für sie der im Folgenden dargestellte Verwaltungsaufwand unverhältnismäßig wäre.

46

Durch die gesetzliche Regelung des § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V soll eine leistungsrechtliche, aber nicht mitgliedschaftsrechtliche, Gleichstellung der Betroffenen mit in den gesetzlichen Krankenversicherungen versicherten Personen hergestellt werden (BT-Drs. 15/1525, S. 141). Die Betroffenen haben gemäß § 264 Abs. 3 SGB V „unverzüglich eine Krankenkasse im Bereich des für die Hilfe zuständigen Trägers [...] der öffentlichen Jugendhilfe zu wählen, die ihre Krankenbehandlung übernimmt“. Sie erhalten gemäß § 264 Abs. 4 Satz 2 SGB V eine elektronische Gesundheitskarte im Sinne des § 291 SGB V. Als Maßstab für die „Unverzüglichkeit“ dürfte in analoger Anwendung von § 175 Abs. 3 Satz 2 SGB V regelmäßig ein Zeitraum von (zumindest) zwei Wochen anzusehen sein (vgl. Zink/Lippert, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil II: SGB XII, 36. Lfg. Juni 2017, § 48, Rn. 54). Sofern bei Empfängern von Krankenhilfeleistungen kein Bedarf mehr besteht, meldet der jeweilige Jugendhilfeträger diese bei der Krankenversicherung ab und zieht die Gesundheitskarte ein (vgl. § 264 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGB V).

47

Durch Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte weisen die Betroffenen bei den behandelnden Ärzten ihre Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen nach (vgl. § 15 Abs. 2 SGB V). Damit wird der Versichertenstatus der Betroffenen fingiert (vgl. Groth, in: BeckOK Sozialrecht, 46. Edition, Stand: 1. September 2017, § 264 SGB V, Rn. 79). Das gilt gemäß § 264 Abs. 6 SGB V auch für die Abrechnung von mitgliederbezogenen Kopfpauschalen (vgl. Groth, in: BeckOK Sozialrecht, 46. Edition, Stand: 1. September 2017, § 264 SGB V, Rn. 92), die unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zu entrichten sind (vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 141). Ausnahmsweise besteht die Möglichkeit, einen papiergebundenen Anspruchsnachweis vorzulegen (Scholz, in: BeckOK Sozialrecht, 46. Edition, Stand: 1. September 2017, § 15 SGB V, Rn. 16). Gemäß § 19 Abs. 2 Sätze 2 und 3 des Bundesmantelvertrags – Ärzte (BMV-Ä) darf die gesetzliche Krankenversicherung einen solchen Anspruchsnachweis nur im Ausnahmefall zur Überbrückung von Übergangszeiten – bis der Versicherte eine elektronische Gesundheitskarte erhält – unter entsprechender Befristung ausstellen (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 35/13 R –, BeckRS 2015, 66425, Rn. 19, 33; Scholz, in: BeckOK Sozialrecht, 47. Edition, Stand: 1. Dezember 2017, § 19 BMV-Ä, Rn. 5).

48

Sowohl Gesundheitskarte als auch ein papiergebundener Anspruchsnachweis dienen unter anderem der Abrechnung von Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. LSG BW, Urteil vom 21. Juni 2016 – L 11 KR 2510/15 –, juris, Rn. 26; Didong, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Auflage 2016, § 15, Rn. 25). Gemäß § 15 Abs. 5 SGB V kann die Gesundheitskarte in „dringenden Fällen“ nachgereicht werden. Ein dringender Fall ist in akuten Notsituationen bei unaufschiebbaren Leistungen anzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Januar 1996 – 1 RK 12/95 –, NZS 1996, 390 [392]). Nur wenn ein solch dringender Fall vorliegt, ist der jeweilige Arzt verpflichtet (vgl. § 95 Abs. 4 Satz 1 SGB V), die vertragsärztliche Behandlung ohne entsprechenden Nachweis vorzunehmen und das Zahlungsrisiko zu tragen (vgl. dazu VG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2005 – 21 BG 1565/05 –, juris, Rn. 11 ff.); jedenfalls solange der Patient als gesetzlich Versicherter behandelt werden will (Scholz, in: BeckOK Sozialrecht, 46. Edition, Stand: 1. September 2017, § 15 SGB V, Rn. 16). Ist dies nicht gegeben, obliegt es dem Arzt, ob er die Behandlung dennoch vornimmt oder auf privatärztlicher Grundlage direkt gegenüber dem Patienten abrechnet (vgl. auch § 13 Abs. 2 BMV-Ä). Eine Vergütung kann gemäß § 18 Abs. 8 Satz 3 BMV-Ä zudem von einem gesetzlich Versicherten unter anderem dann gefordert werden, wenn die elektronische Gesundheitskarte vor der ersten Inanspruchnahme im Quartal nicht vorgelegt worden ist bzw. ein sonstiger Anspruchsnachweis nicht vorliegt und nicht innerhalb einer Frist von zehn Tagen nach der ersten Inanspruchnahme nachgereicht wird (Nr. 1) oder wenn und soweit der Versicherte vor Beginn der Behandlung ausdrücklich verlangt, auf eigene Kosten behandelt zu werden, und dieses dem Vertragsarzt schriftlich bestätigt (Nr. 2).

49

Sofern eine Behandlung auf vertragsärztlicher Grundlage durchgeführt wird, werden die Aufwendungen, die den Krankenkassen durch die Übernahme der Krankenbehandlung entstehen, diesen dann von den für die Hilfe zuständigen Trägern der Sozialhilfe oder der öffentlichen Jugendhilfe gemäß § 264 Abs. 7 Satz 1 SGB V vierteljährlich erstattet. Dabei sind den Krankenkassen gemäß § 264 Abs. 7 Satz 2 SGB V auch angemessene Personal- und Verwaltungskosten zu ersetzen. Diese Konstruktion hat damit zur Folge, dass die Krankenkassen lediglich in Vorleistung treten für die Behandlungskosten im Rahmen der Krankenhilfe. Die Kostenbelastung verbleibt aufgrund der Erstattungspflicht bei den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe zuzüglich einer Aufwandsentschädigung für die Krankenkassen. Auch insoweit erscheint es sachgerecht, dass auch bei privatärztlicher Versorgung direkt zwischen Trägern der Jugendhilfe und den Ärzten abgerechnet werden kann. Dadurch würden gleichzeitig Verwaltungs- und Personalkosten der Krankenkassen eingespart, die ansonsten den Krankenkassen erstattet werden müssten.

50

Alternativ zu einer Abrechnung zwischen Arzt und gesetzlicher Krankenversicherung mit anschließender Kostenerstattung besteht die Möglichkeit für den Sozial- bzw. Jugendhilfeträger, dem Betroffenen einen „Behandlungsschein“ (vgl. etwa SG Hamburg, Urteil vom 29. August 2008 – S 56 SO 339/06 –, BeckRS 2008, 57347) oder „Krankenschein“ (vgl. etwa OVG Münster, Beschluss vom 14. November 1991 – 24 B 2376/91 –, NVwZ-RR 1992, 486) auszustellen, der zur Inanspruchnahme einer medizinischen Leistung unter Zusicherung der Kostenübernahme durch den Sozialhilfe- bzw. Jugendhilfeträger im Sinne des § 34 SGB X berechtigt (vgl. Siebel-Huffmann, in: BeckOK SozR, 47. Edition, Stand: 1. Juni 2017, § 48 SGB XII, Rn. 5). Daneben kann auch eine Zusicherung gegenüber dem behandelnden Arzt erfolgen (vgl. dazu Siebel-Huffmann, in: BeckOK SozR, 47. Edition, Stand: 1. Juni 2017, § 48 SGB XII, Rn. 5). In diesem Fall kann unmittelbar zwischen Sozial- bzw. Jugendhilfeträger und dem behandelnden Arzt abgerechnet werden. Möglich ist insoweit – nach entsprechender Vereinbarung – auch eine Abrechnung mit der Kassenärztlichen Vereinigung nach den für die vertragsärztliche Versorgung gültigen Bestimmungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 1998 – 5 B 99/97 –, NJW 1998, 1806 [1807]; SG Hamburg, Urteil vom 29. August 2008 – S 56 SO 339/06 –, BeckRS 2008, 57347, Rn. 3).

51

Insgesamt sind die Krankenkassen zwar im Bereich des § 48 SGB XII grundsätzlich vorrangig zuständig für die Krankenbehandlung (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 20/13 R –, BeckRS 2015, 66821, Rn. 15; Siebel-Huffmann, in: BeckOK SozR, 47. Edition, Stand: 1. Juni 2017, § 48 SGB XII, Rn. 5). Die §§ 47 bis 52 SGB XII als Normen der Sozialhilfe sind jedoch im Bereich der Jugendhilfe über § 40 SGB VIII nur entsprechend anzuwenden, also auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Rechtsmaterie der Jugendhilfe (Kunkel, in: Kunkel/Keppert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 6. Auflage 2016, § 40, Rn. 9). Darüber hinaus gilt die durch § 40 SGB VIII getroffene Regelung für die Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII auch nur sinngemäß und gerade nicht durch ausdrücklichen Anwendungsbefehl des Gesetzgebers. Insoweit können auch besondere Situationen bei der (vorläufigen) Versorgung insbesondere unbegleiteter minderjähriger Ausländer bei der Anwendung einfließen.

52

Die privatärztliche Versorgung ist der Krankenhilfe im Sinne des SGB VIII auch nicht gänzlich fremd. Insoweit sieht § 40 Satz 4 SGB VIII die Beitragsübernahme einer freiwilligen – auch privaten – Krankenversicherung vor, soweit sie angemessen ist (vgl. Schmid-Obkirchner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 40, Rn. 16). Grundsätzlich ist in § 52 Abs. 3 Satz 2 SGB XII normiert, dass Ärzte für ihre Leistungen Anspruch auf die Vergütung haben, welche die Ortskrankenkasse, in deren Bereich der Arzt niedergelassen ist, für ihre Mitglieder zahlt. Selbst wenn die Vorschrift bedeuten sollte – was hier offengelassen werden kann –, dass der jeweilige Arzt eine Behandlung der insoweit Leistungsberechtigten nur dann übernehmen kann und darf, sofern er bereit sei zu den Grundsätzen der gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen (vgl. Lippert, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil II: SGB XII, 37. Lfg. Juli 2017, § 52 SGB XII, Rn. 34), kann diese Regel vor dem Hintergrund der Sondersituation bei der Inobhutnahme Minderjähriger nach der Einreise keine Anwendung finden. Die Inobhutnahme als Mittel der Krisenintervention erfordert vor allem bei Eingangsuntersuchungen – insbesondere im Hinblick auf die Vorsorge gegen übertragbare Krankheiten – ein schnelles und zielgerichtetes Einschreiten des Jugendhilfeträgers. Dies würde erheblich dadurch gehindert, wenn nur solche Ärzte vom Jugendhilfeträger gewählt werden könnten, die zu einer Abrechnung nach den oben genannten Prinzipien bereit wären. Eine Verpflichtung zur Behandlung in den vorgenannten Fällen sieht das Gesetz in diesen Fällen gerade nicht vor; anders allerdings bei Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte oder eines papiergebundenen Anspruchsnachweises der Krankenkasse (vgl. § 13 Abs. 1 BMV-Ä). Es spricht zudem auch überwiegendes dafür, dass § 52 Abs. 3 Satz 2 SGB XII – jedenfalls im Bereich der Jugendhilfe – eine andere und unter Umständen höhere Vergütung nicht ausschließt und insoweit disponibles Recht darstellt.

53

Es ist ein nachvollziehbares Anliegen des örtlichen Trägers der Jugendhilfe, einen Arzt auszuwählen, der zum einen mit der Handhabung von Eingangsuntersuchungen und der Behandlung von typischen Krankheitsbildern bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern geübt ist und zum anderen eine zeitnahe sowie zuverlässige Untersuchung gewährleisten kann. Darüber hinaus kann auch die Nähe zum Unterbringungsort des in Obhut genommenen eine Rolle spielen, die eine Kostenersparnis hinsichtlich der Fahrtkosten bewirken könnte. Zudem verbessert auch § 40 SGB VIII in den Sätzen 2 bis 4 die Versorgung von Kindern und Jugendlichen gegenüber den Hilfeempfängern nach SGB XII. Die Übernahme von Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen im Sinne des § 40 Satz 3 SGB VIII sind dabei nur als Regelbeispiele einzuordnen (Schmid-Obkirchner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 40, Rn. 7a) und stellen daher keine abschließende Aufzählung dar. Etwaige Begrenzungen der Leistungshöhe nach SGB XII gelten ausweislich des § 40 Satz 2 SGB VIII nicht im selben Maße; die entstehenden Kosten müssen allerdings im Einzelfall als notwendig einzuordnen sein (Schmid-Obkirchner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 40, Rn. 7), was hier außer Frage steht.

54

Aus alledem ergibt sich, dass nicht notwendigerweise nach den Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden muss. Die Träger der Jugendhilfe haben im Rahmen der Inobhutnahme ein Auswahlermessen, ob sie die Betroffenen auf privat- oder vertragsärztlicher Grundlage versorgen lassen und entsprechend mit den Ärzten abrechnen. Bei der Höhe der notwendigen Kosten im Einzelfall hat sich der örtliche Träger der Jugendhilfe an dem generellen Gebot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit als allgemeinem Rechtsgrundsatz bei staatlichen Leistungen zu orientieren (vgl. dazu auch § 264 Abs. 7 Satz 3 SGB V). Soweit einzelne Ausgaben im Rahmen der Krankenhilfe bei vernünftiger Betrachtung in der konkreten Situation erforderlich und der Höhe nach – unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze – angemessen waren, sind sie grundsätzlich auch im Rahmen des § 89f SGB VIII erstattungsfähig. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

55

Grundsätzlich wird zu Beginn sowohl bei vertrags- als auch der privatärztlichen Behandlung in aller Regel ein privatrechtlicher Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient geschlossen (vgl. nur Schlegel, Medizin- und Gesundheitsrecht, 1. Auflage 2012, Rn. 9). Bei gesetzlich Versicherten erhält der behandelnde Arzt dann regulär seine Vergütung von der Krankenkasse (vgl. § 13 SGB V), wohingegen er sie bei Privatversicherten unmittelbar zunächst vom Patienten erhält, der seine Kosten dann bei der Versicherung geltend machen muss.

56

Eine wesentliche Abweichung im Ergebnis von den Kosten, die von einer gesetzlichen Krankenkasse zu tragen wären, hat der Beklagte zudem nicht dargelegt. Der Beklagte rügt alleine die Abrechnungsmethode und nicht die entstandenen Kosten der Höhe nach oder die Art der gewährten Krankenhilfe. Ausgehend davon, dass die §§ 47 bis 52 SGB XII jedenfalls im Rahmen des § 40 SGB VIII vornehmlich den „Umfang“ der durch die behandelnden Ärzte zu erbringenden Leistungen grundsätzlich bestimmen dürften, verfängt dieser Einwand – wie oben dargelegt – nicht. Zwar besteht gemäß § 264 Abs. 2 bis 4 SGB V weiterhin die Möglichkeit einer Abrechnung über eine Krankenkasse mit späterer vierteljährlicher Erstattung. Allerdings war diese Alternative hier – für die Eingangsuntersuchung im Rahmen einer Inobhutnahme – nicht zwingend in Anspruch zu nehmen. Entscheidet sich der Jugendhilfeträger für eine direkte Abrechnung mit dem behandelnden Arzt, so kann dieser auch gemäß § 11 GOÄ in Verbindung mit §§ 12, 27 SGB I oder unter Umständen gemäß § 5 GOÄ auf Grundlage der GOÄ mit dem Jugendhilfeträger abrechnen. Mangels ausdrücklicher Verweisung im Rahmen des § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII auf § 40 SGB VIII – und damit auch nicht auf § 52 Abs. 3 Satz 2 SGB XII – ginge die darin enthaltene Vergütungsregel auch nicht gemäß § 1 Abs. 1 GOÄ vor, da sie jedenfalls – entsprechend den obigen Ausführungen – sinngemäß keine unmittelbare Anwendung findet.

57

Es obliegt damit dem jeweiligen Jugendhilfeträger, wie er in der Übergangszeit die Abrechnung in formaler Hinsicht vornimmt. Ein in § 48 Satz 2 SGB XII enthaltener Vorrang der Abrechnung „über die Krankenversicherung“ entfaltet im Rahmen seiner entsprechenden bzw. sinngemäßen Anwendung jedenfalls keine uneingeschränkte Geltung. Die Minderjährigen werden regelmäßig zunächst in Obhut genommen, wobei oftmals nicht genau feststeht, wie lange sie in der (vorläufigen) Obhut des jeweiligen Jugendamtes verbleiben. Jugendhilfe und Vormundschaft sind unter Umständen bei einer Vielzahl von Fällen gleichzeitig zu organisieren. Dabei verbleibt regelmäßig eine gewisse Anzahl der Minderjährigen aus eigenem Anlass nicht mehr im Bereich des Jugendhilfeträgers. Daher kann bereits aus diesen Gründen – vergleichbar der Regelung in § 264 Abs. 2 Satz 2 SGB V – eine Ausnahme von einer vorrangigen Übernahme der Fälle durch die gesetzlichen Krankenversicherungen bei einer sinngemäßen Anwendung der Vorschriften geboten sein.

58

Insoweit bleibt es dem jeweiligen Träger der Jugendhilfe bei der gegebenen Rechtslage im Einzelfall überlassen, auf derartige Situationen adäquat und situationsgerecht unter Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens zu reagieren. Ein Verweis auf eine zwingende Vorabversicherung würde die Handlungsmöglichkeiten des Trägers in einer Krisensituation und damit eine situationsgerechte Versorgung im Rahmen der Krankenhilfe unzumutbar einschränken. Dies galt hier insbesondere deshalb, weil niedergelassene Ärzte rechtmäßig auf eine Behandlung auf privatärztlicher Abrechnungsgrundlage bestehen konnten, da mangels Gesundheitskarte oder ähnlichen Nachweisen keine Leistungsberechtigung gegenüber einer gesetzlichen Krankenversicherung nachgewiesen werden konnte. Hinzu kommt, dass eine Einzelabrechnung direkt gegenüber dem Jugendhilfeträger auf Grundlage der gesetzlichen Krankenversicherung, die etwa sog. Kopfpauschalen o.ä. für ein ganzes Quartal vorsieht (unabhängig von einer tatsächlichen Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen), unter Umständen für den Jugendhilfeträger sogar unwirtschaftlicher wäre. Ferner handelt es sich bei der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) um einen staatlich festgesetzten Gebührenrahmen, der auch bei privatärztlicher Behandlung einen hinreichend verlässlichen und vor allem objektiv nachvollziehbaren Maßstab zur Gebührenberechnung bildet. Im Ergebnis ist zudem festzuhalten, dass keine „bessere“ Behandlung des jeweiligen Patienten durch die Abrechnung nach GOÄ erfolgt ist, sondern lediglich eine für den Arzt zulässige Abrechnungsmethode gewählt wurde, die allenfalls geringe Mehrkosten zur Folge hatte.

59

Bei den abgerechneten Leistungen handelt es sich um ärztliche Untersuchungen, die sowohl der Vorsorge als auch der Behandlung konkreter Krankheiten dienten. Gerade diese Maßnahmen sind im Hinblick auf eine frühzeitige Erkennung von teils hoch ansteckenden Krankheiten und ihrer Prävention möglichst zeitnah und effektiv durch das jeweilige Jugendamt durchzuführen. Ebenso ist bei akuten Krankheitsbildern nur ein zeitnahes Einschreiten zumutbar. Dabei ist im Rahmen der Inobhutnahme den Jugendhilfeträgern hinreichender Spielraum, auch in Bezug auf die Abrechnungsmodalitäten zu lassen. Dies wird gerade – wie ausgeführt – durch den fehlenden ausdrücklichen Verweis in § 40 SGB VIII auf die Inobhutnahme durch den Gesetzgeber ermöglicht.

60

Der jeweilige Träger der Jugendhilfe ist jedoch hinsichtlich der Höhe der privatärztlichen Behandlungskosten allgemein an das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie speziell im Rahmen des § 89f SGB VIII an den kostenerstattungsrechtlichen Grundsatz der Interessenwahrung gebunden (vgl. zu letzterem: BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 5 C 30/12 –, BeckRS 2013, 55000, Rn. 16 ff.).

61

In § 11 Abs. 1 GOÄ ist vorgesehen, dass wenn ein Leistungsträger im Sinne des § 12 SGB I oder ein sonstiger öffentlich-rechtlicher Kostenträger die Zahlung leistet, die ärztlichen Leistungen nach den Gebührensätzen des Gebührenverzeichnisses (§ 5 Abs. 1 Satz 2 GOÄ) zu berechnen sind. Das heißt, dass nur eine Abrechnung zum einfachen Satz möglich ist und eine Bemessung der Gebühren nach § 5 GOÄ ausscheidet (vgl. etwa VG Düsseldorf, Urteil vom 16. April 2008 – 7 K 105/07 –, BeckRS 2008, 40116; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Auflage 2014, § 11 GOÄ, Rn. 3; Miebach, in: Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, 3. Auflage 2006, § 11 GOÄ, Rn. 1, 10). Hier wird jedenfalls faktisch die Zahlung durch die Klägerin als Träger der Jugendhilfe und damit als Leistungsträger im Sinne der §§ 12, 27 SGB I geleistet.

62

Die vorgenannte Spezialregelung gilt allerdings nur dann, wenn dem Arzt vor der Inanspruchnahme eine von dem die Zahlung Leistenden ausgestellte Bescheinigung vorgelegt wird (vgl. § 11 Abs. 2 GOÄ). Voraussetzung ist, dass der Arzt dann einen direkten Anspruch gegen den öffentlich-rechtlichen Leistungsträger hat (Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Auflage 2014, § 11 GOÄ, Rn. 3). § 11 GOÄ gilt zumindest dann nicht, wenn der Patient selbst Honorarschuldner auf der Behandlungsseite ist und die Kosten nur vom jeweiligen Träger übernommen werden (vgl. Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Auflage 2014, § 11 GOÄ, Rn. 4). Notwendig dürfte jedenfalls sein, dass der öffentliche Träger dem Arzt selbst als Vertragspartner gegenübertritt (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 16. April 2008 – 7 K 105/07 –, BeckRS 2008, 40116: Auftragserteilung durch das Ordnungsamt).

63

Dies war hier nicht der Fall. Es ist nicht davon auszugehen, dass ein entsprechender schriftlicher Nachweis vorgelegt worden ist oder bereits vorlag. Damit findet § 11 GOÄ keine Anwendung. Dass der behandelnde Arzt in der vorgenannten Konstellation bei realistischer Betrachtung davon ausgehen konnte, dass am Ende wahrscheinlich die Rechnung vom Jugendamt der Klägerin beglichen wird, reicht dafür nicht aus (a. A. wohl VG Düsseldorf, Urteil vom 16. April 2008 – 7 K 105/07 –, BeckRS 2008, 40116). In dem vom Verwaltungsgericht Düsseldorf zu entscheidenden Fall, handelte es sich allerdings auch um eine Auftragserteilung durch das Ordnungsamt selbst. Hier hat die Klägerin glaubhaft ausgeführt, dass die Betreuung und die Durchführung der Arztbesuche von der Caritas als freiem Träger der Jugendhilfe im Rahmen der Alltagssorge übernommen worden sind. Auch die teilweise Adressierung der Rechnungen an das Jugendamt der Klägerin führt zu keiner anderen Bewertung. Insgesamt ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 2 GOÄ („ausgestellte Bescheinigung“) stets eine schriftliche Kostenübernahmeerklärung bzw. Zusicherung des Jugendamtes zu fordern, damit § 11 Abs. 1 GOÄ überhaupt Anwendung findet. Nur eine solche Zusicherung entfaltet auch tatsächlich Bindungswirkung für den öffentlichen Jugendhilfeträger (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X), sodass für den Arzt eine Bezahlung durch ihn sichergestellt ist. Aufgrund der damit einhergehenden erhöhten Zahlungssicherheit für den behandelnden Arzt, ist dann auch eine Verringerung des Gebührensatzes auf den einfachen Satz gerechtfertigt.

64

Dass keine Zusicherung durch das Jugendamt der Klägerin im Einzelfall erfolgte und damit die Anwendbarkeit des § 11 GOÄ ausscheidet, stellt auch keinen Verstoß gegen den Interessenwahrungsgrundsatz dar (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 5 C 30/12 –, BeckRS 2013, 55000, Rn. 16 ff.). Demnach muss der zur Kostenerstattung berechtigte Träger bei der Leistungsgewährung die rechtlich gebotene Sorgfalt anwenden, zu deren Einhaltung er in eigenen Angelegenheiten gehalten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 5 C 30/12 –, BeckRS 2013, 55000, Rn. 19; Urteil vom 29. Juni 2006 – 5 C 24/05 –, NVwZ-RR 2006, 702, Rn. 16). Der Erstattungsberechtigte muss nicht nur darauf hinwirken, dass der erstattungsfähige Aufwand gering ausfällt (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 5 C 30/12 –, BeckRS 2013, 55000, Rn. 19; Urteil vom 26. Oktober 2006 – 5 C 7/05 –, NVwZ-RR 2007, 199, Rn. 22), sondern gegebenenfalls auch, dass der Anspruch gegenüber dem Erstattungspflichtigen nicht entsteht (BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 5 C 30/12 –, BeckRS 2013, 55000, Rn. 19). Zur Erreichung dieser Ziele hat er alle nach Lage des Einzelfalles möglichen und zumutbaren Vorkehrungen und Maßnahmen zu treffen (BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 5 C 30/12 –, BeckRS 2013, 55000, Rn. 19).

65

Die Klägerin hat berechtigterweise die einzelnen Tätigkeiten auf einen freien Träger der Jugendhilfe ausgelagert. Dass damit auch einhergeht, dass möglicherweise keine Behandlungsscheine oder Kostenübernahmeerklärungen im jeweiligen Einzelfall ausgestellt werden können, ist insoweit hinzunehmen. Die mit der Einschaltung eines freien Trägers entstehenden Mehrkosten sind auch insoweit in erstattungsrechtlicher Hinsicht zugunsten der Erleichterung der Ausführung der Inobhutnahme vertretbar. Es ist bei einer Auslagerung im Rahmen des § 76 Abs. 1 SGB VIII grundsätzlich nicht zumutbar, jede einzelne Maßnahme vorher abzustimmen. Dies würde gerade den Sinn und Zweck einer solchen Aufgabenübertragung konterkarieren. Vielmehr handelt der jeweilige Träger der freien Jugendhilfe bei der Durchführung der ihm übertragenen Aufgabe weitestgehend autonom. Zudem bot die von der Klägerin etablierte Praxis, auf die Vertrauensärzte der Caritas und deren selbstständige Durchführung der Arztbesuche eine erhöhte Gewissheit, dass die betreffenden Untersuchungen zeitnah und effektiv durchgeführt werden konnten. Diese Praxis kann daher – auch wenn sie Mehrkosten verursacht – nicht vom Beklagten als erstattungspflichtigem Träger beanstandet werden. Insoweit greift auch hier zumindest der Gedanke des sog. „Vor-Ort-Prinzips“ aus § 89f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Damit hat die Klägerin auch dargetan, dass sie in Bezug auf die hiesigen Fälle diejenige Sorgfalt angewandt hat, die sie auch in eigenen Angelegen anzuwenden pflegt. Insgesamt wurden die Interessen des Beklagten hinreichend gewahrt.

66

Findet § 11 GOÄ – wie hier – als speziellere Vorschrift keine Anwendung, kann der Arzt grundsätzlich innerhalb des Gebührenrahmens von § 5 GOÄ die Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen Leistung sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen bestimmen (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ). Insoweit trifft den jeweiligen Jugendhilfeträger allerdings die Pflicht, die Kosten im Ergebnis in einem vertretbaren Rahmen zu halten.

67

Am 8. und 13. Oktober 2015 fand eine ärztliche Untersuchung und Beratung statt (Rechnung vom 3. Dezember 2015). Die Diagnosen waren: „Allergie, nicht näher bezeichnet (T478.4 G), Schlafstörungen nicht organisch (F 51.9 G), Ausschluss n.n. bez. parasitäre Krankheiten (B89), Ausschluss sonstige, nicht näher bezeichnete Infektionskrankheiten (B99), Ärztliche Allgemeinuntersuchung (Z00.0), sonstige näher bezeichnete Protozoenkrankheiten (B60.8 G), Blastocystis“.

68

In diesem Rahmen wurden am 8. Oktober die folgenden Untersuchungen und Behandlungsmaßnahmen durchgeführt und nach Maßgabe des § 5 GOÄ abgerechnet. Im Einzelnen:

69

Die Abrechnung der Untersuchung zur Erhebung des Ganzkörperstatus einschließlich Dokumentation (Ziffer 8, Abschnitt B der GOÄ; Faktor 2,3), die Blutentnahme aus der Vene (Ziffer 250, Abschnitt C der GOÄ, Faktor 1,8), die Entnahme und ggf. Aufbereitung von Abstrichmaterial (Ziffer 298, Abschnitt C der GOÄ; Faktor 2,3), zwei Schutzimpfungen (Ziffer 375, Abschnitt C der GOÄ; Faktor 2,3) und Erörterung der Auswirkungen einer lebensverändernden Erkrankung (Ziffer 34, Abschnitt B; Faktor 2,3) entsprechen den Vorgaben des § 5 Abs. 2 Satz 4 GOÄ. Demnach darf eine Gebühr in der Regel nur zwischen dem Einfachen und dem 2,3-fachen des Gebührensatzes bemessen werden; ein Überschreiten des 2,3-fachen des Gebührensatzes ist nur zulässig, wenn Besonderheiten der in Satz 1 genannten Bemessungskriterien dies rechtfertigen (siehe zum Ermessen des Arztes innerhalb der sog. „Regelspanne“: BGH, Urteil vom 8. November 2007 – III ZR 54/07 –, NJW-RR 2008, 436, Rn. 13 ff.). Ebenso nicht zu beanstanden sind die Kosten für die Impfstoffe (MMR-Impfung, Tetanus-Diphterie-Polio) und den Impfpass.

70

Die Abrechnung von Streifentest im Urin (Ziffer 3652, Abschnitt M der GOÄ; Faktor 1,15), Urinsediment, mikroskopisch (Ziffer 3653, Abschnitt M der GOÄ; Faktor 1,15) und Blutkörpersenkungsgeschwindigkeit (Ziffer 3501, Abschnitt M der GOÄ; Faktor 1,15) entspricht den Vorgaben des § 5 Abs. 4 GOÄ und ist nicht zu beanstanden.

71

Die abgerechnete Beratung am 13. Oktober 2015 (Ziffer 1, Abschnitt B der GOÄ; Faktor 2,3) hält die Vorgaben des § 5 Abs. 2 GOÄ ein.

72

Die Laboruntersuchungen am 8. und 9. Oktober 2015 von Blut (u.a. großes Blutbild, Hepatitis) und Stuhl (Wurmeier und Protozoen) sind allesamt mit dem Faktor 1,0 abgerechnet (siehe beide Rechnungen vom 19. November 2015). Da es sich jeweils um Leistungen aus dem Abschnitt M der Anlage zur GOÄ handelt, entspricht die Abrechnung den insoweit maßgeblichen Vorgaben des § 5 Abs. 4 GOÄ.

73

Anhaltspunkte dafür, dass die durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen sowie die dafür geltend gemachten Behandlungskosten hier der Höhe nach – auch vor dem Hintergrund der Abrechnungsmodalitäten der gesetzlichen Krankenkassen – unverhältnismäßig sind oder im Übrigen auf einer nicht mehr vertretbaren Entscheidung der Klägerin beruhen, bestehen nach alledem nicht. Der Beklagte hat die Notwendigkeit der durchgeführten Maßnahmen im Einzelfall auch dem Grunde nach nicht in Abrede gestellt. Insgesamt sind die – privatärztlich abgerechneten – Behandlungskosten in Höhe von 396,00 € nach alledem erstattungsfähig.

74

Ein Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich für die Klägerin in entsprechender Anwendung von §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 89f, Rn. 12). Dahingehend schließt § 89f Abs. 2 Satz 2 SGB VIII zwar Verzugszinsen, aber keine Prozesszinsen aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2001 – 5 C 34/00 –, NVwZ 2001, 1057 [1058]).

75

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

76

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 VwGO. Dabei erstreckt sich bei rein formellen Verwaltungsakten die Rechtsfolge des § 167 Abs. 2 VwGO nicht auf die Leistungsklage (anders bei der Aufhebung von Verwaltungsakten im materiellen Sinne etwa: BFH, Urteil vom 16. Juli 1980 – VII R 24/77 –, BeckRS 1980, 22005403; HessVGH, Teilurteil vom 5. November 1986 – 1 UE 700/85 –, NVwZ 1987, 517).

77

Die Berufung ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat. Die Frage, ob Krankenhilfekosten auf Grundlage der GOÄ im Rahmen des § 89d SGB VIII erstattungsfähig sind, ist bisher obergerichtlich noch nicht hinreichend geklärt und hat Auswirkungen auf eine Mehrzahl von Erstattungsfällen zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens und auch im Hinblick auf andere bereits anhängige Erstattungserfahren mit anderen Beteiligten.

Beschluss der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 22. Februar 2018

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Der Streitwert wird auf 396,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).

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