Urteil vom Verwaltungsgericht Minden - 6 K 232/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 50 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 26.7.2006 geborene Kläger erlitt, verursacht durch seine Mutter, wenige Wochen nach seiner Geburt lebensbedrohliche Hirnverletzungen, die zu seiner dauerhaften Behinderung führten. Nachdem seinen Eltern das Sorgerecht für ihn entzogen worden war, lebt er seit Februar 2007 bei Pflegeeltern in einer sonderpädagogischen Pflegestelle gemäß § 33 Satz 2 SGB VIII für chronisch kranke und behinderte Kinder. Die Beklagte erbringt für ihn seit Mai 2009 - nach dem Übergang der örtlichen Zuständigkeit vom Jugendamt der Stadt L. auf sie - im Rahmen der Vollzeitpflege auf Grund vertraglicher Vereinbarungen mit dem Träger der Pflegestelle Jugendhilfeleistungen im Umfang von monatlich inzwischen annähernd 3.000 €, insbesondere ein Basisentgelt (aktuell durchschnittlich 976,18 €), ein Pflegegeld (aktuell 547 €), einen Erziehungsbeitrag (aktuell 740,84 €) und einen Betrag zur Finanzierung einer zusätzlichen Betreuungsperson (478,40 € für regelmäßig im Monat angenommene 52 Stunden Entlastungsbedarf der Pflegeeltern). Während Urlaubszeiten und freier Wochenenden der Pflegeeltern kommen weitere Drittbetreuungskosten im Umfang von durchschnittlich mehr als 100 € im Monat hinzu. Die Beklagte erstattet dem Kläger zudem die anderweitig ungedeckten Kosten für Fahrten zu Arztterminen u.ä. (mehrere hundert Euro pro Jahr).
3Mit zwei Bescheiden vom 25.6.2009 bzw. 24.1.2010 bewilligte der Landschaftsverband X. -M. (M1. ) dem Kläger ab September 2006 gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) i.V.m. den §§ 29 ff., 35 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) Leistungen der Beschädigtenrente und eine Pflegezulage der Stufe I, die seit Juli 2013 monatlich 282 € beträgt. Die Pflegezulage wurde von der Beklagten seit ihrem Zuständigkeitseintritt auf Grund eines beim M1. und beim Jugendamt L. angemeldeten Erstattungsanspruchs vereinnahmt. Nach den Unterlagen der Beklagten überwies der M1. den jeweiligen monatlichen Betrag der Pflegezulage seit August 2009 an den Vormund des Klägers, der ihn dann an die Beklagte weiterleitete. Die dem Kläger vom M1. bewilligten Versorgungsleistungen nach dem OEG i.V.m. den §§ 29 bis 35 BVG belaufen sich seit Mitte 2013 monatlich auf insgesamt 1.777 €: neben der Pflegezulage eine Grund- und eine Ausgleichsrente von jeweils 668 € sowie eine Schwerstbeschädigtenzulage von 159 €. Mittlerweile gewährt der M1. dem Kläger auch Eingliederungshilfe nach § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 27d BVG.
4Von der gesetzlichen Pflegeversicherung erhält der Kläger Pflegegeld (§ 37 Abs. 1 SGB XI) - seit August 2011 nach Pflegestufe III (derzeit 700 €) -, gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI abzüglich des Betrags der Pflegezulage nach § 35 BVG.
5Auf eine Anfrage des Klägers von Juni 2012 an die Beklagte, warum sie ihre Jugendhilfeleistungen „um die Pflegezulage gem. § 35 Abs. 1 BVG kürze“, antwortete die Beklagte unter dem 14.9.2012, nach § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII habe er die Pflegezulage zur Deckung ihrer Jugendhilfeaufwendungen einzusetzen, weil diese Zulage zweckidentisch sei mit den Zusatzleistungen, die sie für seinen erhöhten Pflegebedarf erbringe. Der Kläger legte gegen dieses Schreiben Widerspruch ein, den die Beklagte als unstatthaft zurückwies. Daraufhin erhob der Kläger beim erkennenden Gericht Klage, zuletzt mit dem Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, Leistungen der Pflegezulage zur Deckung ihrer Jugendhilfeaufwendungen zu verwenden. Er behauptete, der M1. überweise die Pflegezulage direkt an die Beklagte. Die Kammer wies die Klage durch Urteil vom 20.12.2013 - 6 K 71/13 - als unzulässig ab mit der Begründung, im Falle einer direkten Zahlung der Pflegezulage durch den M1. an die Beklagte, ggf. bislang mangels Bescheid ohne Rechtsgrund, sei die Feststellungsklage subsidiär gegenüber einer dem Kläger möglichen Leistungsklage gegen den M1. auf Auszahlung der Pflegezulage an ihn, während ihm bei Zahlung der Pflegezulage zunächst an ihn bzw. seinen Vormund das Rechtsschutzinteresse fehle, weil er sein mit der Klage verfolgtes Ziel dann bereits durch schlichte Einstellung der an die Beklagte freiwillig - weil ohne Verpflichtung auf Grund eines entsprechenden Bescheides - weitergeleiteten Zahlungen erreichen könne.
6Mit Bescheid vom 9.1.2014, gerichtet an den Vormund des Klägers, nahm die Beklagte zur teilweisen Deckung ihrer Jugendhilfeaufwendungen die dem Kläger bewilligte Pflegezulage als zweckgleiche Leistung i.S.d. § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII in Anspruch.
7Am 30.1.2014 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Er meint, die Pflegezulage sei nicht zur Deckung der Aufwendungen der Beklagten einzusetzen, weil sie einem anderen Zweck als die Jugendhilfeleistungen diene. Er erhalte von der Beklagten nur einen monatlichen Pauschalbetrag, ohne dass die Beklagte Sonderleistungen gemäß § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII erbringe. Die Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG hingegen gehe sogar weiter als die Leistungen der Pflegeversicherung, die lediglich die Grundpflege absicherten. Da die Pflegezulage mit dieser Zweckbestimmung und ihrem Inhalt von einem jugendhilferechtlichen Durchschnittsfall abweiche, erfasse die Jugendhilfeleistung diesen Bedarf nicht mehr. Seiner Ansicht nach werde die Pflegezulage auf Grund einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht und dürfe deshalb nach § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII nicht als Einkommen angerechnet werden. Wenn hiernach schon Pflegeversicherungsleistungen anrechnungsfrei bleiben müssten, habe das erst recht für die Pflegezulage zu gelten, weil sie einen noch höheren Pflegebedarf abdecke. Es sei zudem widersprüchlich, dass die Beklagte die Pflegezulage vereinnahmen wolle, nicht aber die - um den Betrag der Pflegezulage gekürzten - Pflegeversicherungsleistungen. Außerhalb einer Grundpflege benötige er auf Grund der Schwere seiner mit vielen aggressiven Verhaltensweisen verbundenen Behinderung, die seine Pflegeeltern stark herausfordere und mit ihren Auswirkungen als sehr belastend empfunden werde, ununterbrochen Hilfe, Anregung, Betreuung und Beaufsichtigung. Behinderungsbedingt entstünden ihm erhebliche Fahrtkosten. Auch hätten seine Pflegeeltern zu seinem Schutz ihr Haus umrüsten müssen und teure Anschaffungen vorgenommen bzw. geplant.
8Der Kläger beantragt,
9den Bescheid der Beklagten vom 9.1.2014 aufzuheben.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie meint, die Pflegezulage diene dem gleichen Zweck wie die von ihr erbrachten Leistungen, soweit sie ein erhöhtes Pflegegeld erbringe, das den gesamten Zusatzbedarf des Klägers abdecke. § 33 Satz 2 SGB VIII verdeutliche die überdurchschnittlichen Anforderungen an die Pflege, Betreuung und Erziehung besonders entwicklungsbeeinträchtigter Pflegekinder. Dementsprechend sei gemäß § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII der damit im Einzelfall verbundene höhere materielle und/oder pflegerische bzw. erzieherische Aufwand mit einer entsprechenden Erhöhung des Pflegegeldes abzugelten. Diesen Zusatzbetrag leiste sie regelmäßig in Höhe von 478 € gemäß der vertraglichen Vereinbarung mit dem Träger der Pflegestelle, um eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung des Klägers zu gewährleisten. Darüber hinaus gleiche sie durch weitere Leistungen zur Finanzierung einer Drittbetreuung auch das Bedürfnis der Pflegeeltern aus, wegen ihrer besonderen Belastung zusätzliche Freizeiten zu erhalten. Die partielle Identität zwischen diesen Jugendhilfe(teil)leistungen und der Pflegezulage genüge für eine Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII. Die Subsidiarität jugendhilferechtlicher Leistungen gelte auch gegenüber Opferentschädigungsleistungen.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 6 K 71/13 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (zwei Hefte) Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
15Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 9.1.2014 ist rechtmäßig. Die Beklagte darf den Einsatz der dem Kläger bewilligten Pflegezulage zur teilweisen Deckung ihrer Jugendhilfeaufwendungen verlangen.
16Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII sind Geldleistungen, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen, unabhängig von einem Kostenbeitrag (zur Kostendeckung) einzusetzen. Der Träger der Jugendhilfe darf den Einsatz einer zweckidentischen Geldleistung durch Erlass eines Leistungsbescheides fordern.
17Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.1.2013 - 12 A 2278/12 -, www.nrwe.de = juris; VG Hannover, Urteil vom 2.3.2012 - 3 A 2714/12 -, juris; Wiesner, SGB VIII, Komm., 4. Aufl. 2011, § 93 Rdnr. 11.
18Die dem Kläger vom M1. gewährte Pflegezulage in Höhe von - seit Juli 2013 - 282 € im Monat und in mindestens gleicher Höhe ein Teil der ihm von der Beklagten als Annex zur Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) gewährten Jugendhilfeleistungen gemäß § 39 SGB VIII sind zweckgleich.
19Vgl. zu diesem Prüfungsansatz Wiesner, a.a.O., § 93 Rdnr. 7.
20Dass eine Zweckidentität zwischen nur einem Teil der insgesamt gewährten Jugendhilfe und einer anderen Leistung besteht, genügt für die Anwendbarkeit des § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII. Besteht die Leistung eines Anderen als Gesamtleistung aus mehreren Teilen, sind für die Qualifizierung einer Leistung als zweckgleich die Zweckrichtungen der Teilleistungen entscheidend und zu ermitteln.
21Vgl. BVerwG, Urteile vom 26.7.1994 - 5 C 11.92 -, FEVS 45, 274 = NJW 1995, 1041, vom 29.9.1994 - 5 C 56.92 -, FEVS 45, 452 = NVwZ-RR 1995, 675, und vom 12.7.1996 - 5 C 18.95 -, FEVS 47, 149 = NDV-RD 1997, 13.
22Die Pflegezulage nach § 35 BVG - als eigenständige Versorgungsleistung neben der Beschädigtenrente nach den §§ 29 bis 34 BVG - ist eine dem Pflegegeld aus der privaten oder sozialen Pflegeversicherung entsprechende Leistung (was die Regelung des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI rechtfertigt, den Anspruch auf Pflegeversicherungsleistungen im Umfang u.a. des Bezugs einer Pflegezulage nach § 35 BVG ruhen zu lassen) und dient dazu, dem Pflegebedürftigen die finanziellen Mittel zur Ermöglichung der notwendigen Hilfeleistungen durch geeignete Pflegepersonen zukommen zu lassen.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 2 C 24.03 -, NVwZ-RR 2005, 423.
24Sie verfolgt den Zweck, die durch die Pflege des Versorgungsberechtigten erforderlichen Aufwendungen als wirtschaftliche Folgen der Schädigung i.S.v. § 1 BVG pauschal abzugelten. Dieser pauschale Aufwendungsersatz soll es dem Beschädigten ermöglichen, die wegen der Schädigungsfolgen erforderliche (Grund- und Behandlungs-)Pflege - ggf. im Wege der Selbstbeschaffung - sicherzustellen,
25vgl. Vogl, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, 1. Aufl. 2012, § 35 BVG Rdnrn. 3, 18 und 19; Holtbrügge, in: LPK-SGB XI, 2. Aufl. 2003, § 13 Rdnr. 6,
26nicht aber die hauswirtschaftliche Versorgung.
27Vgl. Vogl, a.a.O. Rdnr. 20; Holtbrügge, a.a.O.
28Die Pflegezulage steht gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG nur hilflosen Beschädigten zu (zur Definition der Hilflosigkeit vgl. Satz 2 der Norm). Die Feststellung von Hilflosigkeit bzw. Hilfebedürftigkeit kann bei Kindern oder Jugendlichen nur den Teil der Hilfebedürftigkeit berücksichtigen, der wegen ihrer Behinderung den Umfang der Hilfebedürftigkeit eines gesunden gleichaltrigen jungen Menschen erheblich überschreitet.
29Vgl. Vogl, a.a.O. Rdnr. 21.
30Damit verfolgt die dem Kläger gemäß § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 35 Abs. 1 BVG bewilligte Pflegezulage insoweit denselben Zweck wie die ihm gewährte Jugendhilfe, als diese seinen speziellen, gegenüber dem Durchschnitt der Vollzeitpflegefälle i.S.d. § 33 SGB VIII deutlich erhöhten Pflegebedarf deckt.
31Unter solchen Voraussetzungen im Ergebnis ebenso: DIJuF-Rechtsgutachten vom 29.6.2010 - J 8.300 Sch -, JAmt 2010, 485 (486); „Sch“, Anm. zum Urteil des VG Würzburg vom 21.2.2011 (- W 3 K 10.187 -, JAmt 2011, 601), JAmt 2011, 605; Schindler, Gutachten vom 14.10.2011 (zu 4.), www.moses-online.de/nachrichten/2011_11_18/gutachten-opferentschaedi-gungsleistungen-kostenbeteiligung, in Ergänzung zu ihrer Kom-mentierung in Münder u.a., FK-SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 93 Rdnr. 14:
32generell a.A. (ohne Differenzierung und Begründung): Wiesner, a.a.O., § 93 Rdnr. 9; Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, Komm. (Stand: Juni 2014), § 93 Rdnr. 13, unter fehlerhafter undifferenzierter Berufung auf VG Hannover, Urteil vom 2.3.2012 - 3 A 2714/12 -, juris.
33Der jugendhilferechtliche „Durchschnittsfall“ einer Hilfe in Vollzeitpflege ist dadurch geprägt, dass bei dem Pflegekind ein erzieherischer und pflegerischer Bedarf vorliegt, der über den entsprechenden Bedarf eines im Rahmen der gesellschaftlichen Bandbreite körperlich, geistig und seelisch „normal“ entwickelten und sich entwickelnden Kindes nicht wesentlich hinausgeht. Die Gewährung von Jugendhilfe als Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege setzt nämlich nicht voraus, dass bei dem betroffenen Kind eine körperliche, geistige und/oder seelische Entwicklungsstörung oder -verzögerung vorliegt, sondern lediglich, dass der (normale) erzieherische und pflegerische Bedarf des Kindes in seiner Herkunftsfamilie nicht gedeckt werden kann und deshalb eine Entwicklungsgefährdung besteht. Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Pflegekinder - wie hier den Kläger - sieht § 33 Satz 2 SGB VIII demgegenüber eine Verpflichtung der Jugendhilfeträger vor, zu deren Betreuung geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen. Damit ist gesetzlich ausdrücklich anerkannt, dass an die Pflege, Betreuung und Erziehung solcher Kinder vom Durchschnittsfall abweichende Anforderungen gestellt werden. Dem trägt § 39 Abs. 2 Satz 4, Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII Rechnung, wonach der damit im Einzelfall verbundene höhere materielle und/oder pflegerische bzw. erzieherische Aufwand mit einer entsprechenden Erhöhung des Pflegegeldes abzugelten ist.
34Vgl. VG Hannover, Urteil vom 2.3.2012 - 3 A 2714/12 -, juris.
35Der Abgeltung dieses abweichend vom jugendhilferechtlichen Durchschnittsfall schädigungsbedingt entstehenden Zusatzaufwands für die Pflege des Klägers im Rahmen des § 33 Satz 2 SGB VIII dienen zweckgleich zum einen die Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG, zum anderen die von der Beklagten gemäß § 39 SGB VIII ergänzend zu einem allgemeinen „Pflegegeld“ von derzeit 547 € bewilligten Leistungen - erstens - des „Basisentgelts“ von durchschnittlich bald 1.000 € für die sonderpädagogische Pflegestelle (soweit es auf den pflegerischen Anteil entfällt) und - zweitens - zur Finanzierung einer zusätzlichen Betreuungsperson während der regelmäßig mit 52 Stunden im Monat angenommenen Zeit, die die Pflegeeltern zu ihrer Entlastung und zur Erledigung eigener Aufgaben ohne den Kläger sollen verbringen dürfen (478,40 €), sowie während Urlaubszeiten bzw. freier Wochenenden der Pflegeeltern (im Monatsdurchschnitt über 100 €). Damit sowie mit den weiteren Jugendhilfeleistungen (insbesondere allgemeines Pflegegeld, Erziehungsbeitrag - in Höhe von mehr als dem Dreifachen der gemäß Runderlass des [heutigen] Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW vom 10.10.2000 i.d.F. des Runderlasses vom 22.11.2013, SMBl. NRW 2160, pauschalierten Übernahme von Erziehungskosten - und Übernahme ungedeckter Fahrtkosten) deckt die Beklagte jeden derzeit nur denkbaren Bedarf des Klägers i.S.d. § 39 Abs. 1, Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 SGB VIII ab, ohne dass die Pflegezulage noch einen weiteren, ansonsten ungedeckten pflegerischen Bedarf befriedigen könnte. Bezeichnenderweise sieht der genannte Runderlass vom 10.10.2000 i.d.F. vom 22.11.2013 zum Ersatz materieller Aufwendungen - neben den Kosten der Erziehung - für Vollzeitpflegekinder im Alter von 7 bis 14 Jahren (in diesem Alter befindet sich der Kläger derzeit) nur einen Pauschalbetrag von 559 € vor, während die Beklagte dem Kläger für solche Aufwendungen mit der Summe ihrer entsprechenden Teilleistungen ein Mehrfaches der genannten Pauschale zahlt. Unter diesen Umständen ist mit den bewilligten Jugendhilfeleistungen unter ausdrücklicher Berücksichtigung des erheblich überdurchschnittlichen Pflege- und Betreuungsbedarfs des Klägers die angemessene Finanzierung seiner durchgehenden, lückenlosen Pflege, Betreuung, Begleitung und Anleitung jeglicher Art gewährleistet.
36Dass der Kläger aus der sozialen Pflegeversicherung zur Sicherstellung seiner erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung gemäß § 37 Abs. 1 SGB XI - soweit nicht durch § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI „gedeckelt“ - weitere monatliche Leistungen von über 400 € erhält, die die Beklagte nicht vereinnahmen will, steht nicht der Annahme entgegen, dass die dem Kläger gewährte Pflegezulage in mindestens gleicher Höhe zweckidentisch ist mit einem Teil der ihm bewilligten Jugendhilfeleistung. Denn entgegen der Meinung des Klägers ist es keineswegs ausgeschlossen, dass auch die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach § 37 SGB XI als zweckidentische Leistungen i.S.d. § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII angesehen werden können, sofern die Jugendhilfe die wegen außergewöhnlich hoher Pflegebedürftigkeit des jungen Menschen zusätzlich anfallenden Kosten der Pflege im Rahmen von § 39 SGB VIII trägt.
37Vgl. VG Würzburg, Urteil vom 21.2.2011 - W 3 K 10.187 -, JAmt 2011, 601, mit Anm. „Sch“, JAmt 2011, 605; DIJuF-Rechtsgutachten vom 29.6.2010 - J 8.300 Sch -, a.a.O.; Schindler, in: Münder u.a., a.a.O.
38§ 13 Abs. 5 Satz 1 SGB XI stünde dem nicht entgegen, weil es sich beim Einsatz einer Pflegeversicherungsleistung als zweckidentische Leistung gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII nicht i.S.d. § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB XI um die Berücksichtigung dieser Leistung als Einkommen bei Sozialleistungen, deren Gewährung von anderen Einkommen abhängig ist, handeln würde.
39In seiner Klagebegründung berücksichtigt der Kläger ungenügend, dass er sich nicht in einer „normalen“ Pflegefamilie i.S.d. § 33 Satz 1 SGB VIII, sondern in einer speziell auf einen deutlich erhöhten Pflegebedarf wie den seinigen zugeschnittenen sonderpädagogischen Pflegestelle i.S.d. § 33 Satz 2 SGB VIII befindet und dass die Pflegestelle allein deshalb (zu Recht) bereits erheblich mehr Leistungen erhält, als sie einer „normalen“ Pflegefamilie gemäß § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 SGB VIII pauschaliert zustünden (zu letzterem vgl. den o.g. Runderlass vom 10.10.2000 i.d.F. des Runderlasses vom 22.11.2013). Er verkennt zudem, dass Anschaffungen, die seine Pflegeeltern seinetwegen vorgenommen haben oder noch vorzunehmen beabsichtigen, nicht durch die Pflegezulage gedeckt werden sollen. Für solche Anschaffungen können ggf. andere Ansprüche geltend gemacht werden (vgl. § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. den §§ 25 ff. BVG).
40Nach alledem nimmt die Beklagte die dem Kläger vom M1. bewilligte Pflegezulage zu Recht als zweckgleiche Leistung zur (teilweisen) Deckung des pflegerelevanten Anteils ihrer Jugendhilfeaufwendungen in Anspruch. Ob der M1. die Pflegezulage unter Beachtung von § 35 Abs. 2 Satz 4 BVG mit derzeit 282 € in ausreichender Höhe bewilligt hat, ist nicht entscheidungserheblich und kann deshalb auf sich beruhen.
41Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 1, Satz 2 Halbs. 1 VwGO, die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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