Beschluss vom Verwaltungsgericht Minden - 7 L 162/22
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag,
3„im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass der Genesenenstatus der Antragsteller wie in den Genesenennachweisen ausgewiesen fortbesteht und damit sechs Monate beträgt und keine Verkürzung auf 90 Tage erfahren hat“,
4hat keinen Erfolg.
5Es ist schon zweifelhaft, ob der Antrag zulässig ist, da ihm das Rechtsschutzbedürfnis fehlen dürfte. Die Antragsteller haben sich vor Einreichung des Eilantrags nicht erfolglos an die Antragsgegnerin gewandt. Dass dies von vornherein aussichtlos gewesen wäre, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
6Der Antrag ist jedenfalls unbegründet. Fraglich ist, ob die Antragsgegnerin überhaupt passivlegitimiert ist. Jedenfalls die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.
7Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag (auch schon vor Klageerhebung) eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Regelungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Stets zu unterscheiden ist zwischen dem Anordnungsgrund, der die Eilbedürftigkeit der vorläufigen Regelung begründet, und dem Anordnungsanspruch, der mit dem materiellen Anspruch identisch ist. Das Vorliegen beider ist glaubhaft zu machen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Weil die einstweilige Anordnung lediglich der Sicherung und nicht schon der Befriedigung von (glaubhaft gemachten) Rechten dient, darf sie die Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen. Eine Ausnahme gestattet dieser Grundsatz nur dann, wenn der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Vermeidung unzumutbarer Folgen für den Antragsteller notwendig ist. Anderenfalls würde die Entscheidung des Rechtsstreits in Abweichung von den Vorschriften der VwGO von dem für eine endgültige Rechtsfindung ausgestalteten Hauptsacheverfahren in das auf eine summarische Prüfung des Streitstoffes beschränkte Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verlagert. Danach setzt die Notwendigkeit einer Entscheidung gerade im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes voraus, dass dem Antragsteller das Abwarten einer Entscheidung in einem in der Regel länger dauernden Hauptsacheverfahren nicht zugemutet werden kann.
8Vgl. dazu z.B. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. März 2004 - 12 B 2261/03 -, juris Rn. 4 und vom 9. September 2002 - 12 B 1285/02 -; VG Minden, Beschluss vom 19. April 2004 - 7 L 271/04 -.
9Des Weiteren gelten bei einer Vorwegnahme der Hauptsache gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Es muss ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.
10Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 22. Dezember 2015 - 12 B 1289/15 -, juris Rn. 4 f. m.w.N.
11Jedenfalls die Voraussetzungen für die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache liegen nicht vor.
121. Die hohe Erfolgswahrscheinlichkeit der Hauptsache ist nicht gegeben. Es ist nicht weit überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragsteller einen Anspruch auf Feststellung haben, dass ihr Genesenenstatus bis zum 30. Mai bzw. 4. Juni 2022 gilt und die Dauer dieses Status nicht durch § 2 Nr. 5 SchAusnahmV vom 8. Mai 2021 in der Fassung vom 14. Januar 2022 bzw. § 2 Abs. 8 CoronaSchVO i.V.m. Anlage 2 Buchstabe B vom 11. Januar 2022 in der Fassung vom 4. März 2022 verkürzt ist.
13Dabei kann offen bleiben, ob die eigenständige Definition der genesenen Person in § 2 Abs. 8 CoronaSchVO i.V.m. Anlage 2 Buchstabe B noch von der Ermächtigung in § 28c IfSG i.V.m. § 7 SchAusnahmV gedeckt ist. Denn selbst wenn dies nicht der Fall und diese Neufassung damit unwirksam wäre, würde § 2 Abs. 8 CoronaSchVO in der Fassung vom 16. Februar 2022, gültig ab 17. Februar 2022 maßgeblich sein, der wiederum und letztmalig an die Definition in der SchAusnahmV in der jeweils geltenden Fassung anknüpfte.
14Nach der aktuellen Fassung von § 2 Nr. 5 SchAusnahmV ist ein Genesenennachweis ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens eines durch vorherige Infektion erworbenen Immunschutzes gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form, wenn der Nachweis den vom Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse www.rki.de/covid-19-genesenennachweis unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft veröffentlichten Vorgaben hinsichtlich folgender Kriterien entspricht: a) Art der Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion, b) Zeit, die nach der Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion vergangen sein muss, oder Nachweis zur Aufhebung der aufgrund der vorherigen Infektion erfolgten Absonderung und c) Zeit, die die Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion höchstens zurückliegen darf. Zu den auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts veröffentlichten fachlichen Vorgaben für Genesenennachweise zählt seit dem 15. Januar 2022, dass das Datum der Abnahme des positiven Tests höchstens 90 Tage zurückliegen darf. Bis dahin durfte der Test höchstens sechs Monate zurückliegen.
15Dabei erscheint es möglich, dass die Neufassung von § 2 Nr. 5 SchAusnahmV wegen der gewählten Regelungstechnik verfassungswidrig und damit unwirksam sein könnte,
16vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken insb. VG Osnabrück, Beschluss vom 4. Februar 2022 - 3 B 4/22 -, juris Rn. 16 ff., die in dem vorliegenden Verfahren auch u.a. von den Antragstellern aufgeführt wurden,
17jedoch ist dies nicht in der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen Weise überwiegend wahrscheinlich. Dagegen spricht, dass das Bundesverfassungsgericht,
18vgl. BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 10. Februar 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 14,
19in einem Verfahren nach § 32 BVerfGG im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen die sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht in § 20a IfSG u.a. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV geäußert hat, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit eine bindende Außenwirkung des dynamisch in Bezug genommenen Regelwerkes des Robert Koch-Instituts hier noch eine hinreichende Grundlage im Gesetz findet. Gleichwohl ist es aber in eine Folgenabwägung eingetreten, hat also weder eine offensichtlich Begründetheit noch eine offensichtliche Unbegründetheit angenommen.
20Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 15. Februar 2022 - 2 L 143/22 -; VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17. Februar 2022 - 1 B 7/22 -.
21Im vorliegenden Eilverfahren lässt sich auch nicht feststellen, ob die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse es rechtfertigen, den Zeitraum für die Gültigkeit des Genesenennachweises von sechs Monaten auf 90 Tage zu reduzieren. Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass darüber gegenwärtig eine Diskussion unter den Fachleuten herrscht. Diese rechtfertigt bei vorläufiger Bewertung allerdings nicht die (unzweifelhafte) Annahme, dass der Verordnungsgeber die ihm zustehende Einschätzungsprärogative überschritten hätte oder die Regelung aus anderen Gründen verfassungswidrig wäre. Dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich auf eine Anerkennung des Genesenenstatus bei der Einreise innerhalb der Union für sechs Monate geeinigt haben, führt ebenso wenig zu einer anderen (eindeutigen) Bewertung. Im Übrigen wird bei einer Prüfung in einem - hier unterstellt zulässigen - Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen sein, dass der Gesetzgeber der fachlichen Einschätzung des Robert Koch-Instituts im Bereich des Infektionsschutzes - wie in § 4 IfSG zum Ausdruck kommt - besonderes Gewicht beimisst.
22Vgl. auch VG Gelsenkirchen, a.a.O.
232. Des Weiteren ist nicht dargelegt bzw. glaubhaft gemacht, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zur Vermeidung unzumutbarer Folgen für die Antragsteller notwendig ist. Dies gilt unabhängig davon, ob zu ihren Gunsten davon auszugehen ist, dass sie sich umfassend gegen die Verkürzung des Genesenenstatus richten wollen, und unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage Ausnahmen der Infektionsschutzregelungen/-maßnahmen an diesen Status anknüpfen, sodass neben § 2 Nr. 5 SchAusnahmV und § 2 Abs. 8 CoronaSchV i.V.m. Anlage 2 Buchstabe B z.B. auch § 2 Nr. 7 und Nr. 8 CoronaEinreiseV in den Blick zu nehmen wäre. Unzumutbare Auswirkungen sind nicht erkennbar.
24Dabei führt der Verlust des Genesenenstatus zunächst nicht zu unzumutbaren Folgen, soweit bei den Ausnahmen getestete Personen den geimpften und genesenen Personen gleichgestellt sind (sog. 3G-Regeln), wie etwa im Rahmen von § 28b Abs. 1 und Abs. 5 IfSG. Die Testmöglichkeit gewährleistet insofern hinreichend die Teilhabe der Antragsteller.
25Vgl. im Ergebnis VG Gelsenkirchen, a.a.O.
26Es führt auch nicht zu unzumutbaren Einschränkungen, dass die Antragsteller durch die Verkürzung des Genesenenstatus nicht mehr bis zum 30. Mai bzw. 4. Juni 2022 von den anderen Vergünstigungen für Personen mit einem Genesenenstatus profitieren können. Die Kammer verkennt dabei insbesondere nicht, dass die Verkürzung für die Antragstellerin zu 1. als angestellte Ärztin in Hinblick auf die sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht in § 20a IfSG von über den Normalfall hinausgehender Bedeutung ist. Es ist aber zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Genesenenstatus - auch nach der vorherigen Fassung - nur um einen befristeten Status handelt(e). Die Antragsteller müssten selbst bei Erfolg ihres Antrags damit rechnen, kurzfristig (in etwa 3 Monaten) den Genesenenstatus wieder zu verlieren. Außerdem ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass es die Antragsteller selbst zu verantworten haben, dass sie nicht zu dem Personenkreis gehören, für den Ausnahmen nach der SchAusnahmV vorgesehen sind. Unter diesen Umständen sind die Antragsteller nicht unzumutbar von der Verkürzung des Genesenenstatus betroffen.
27Vgl. VG Dresden, Beschluss vom 11. Februar 2022 - 6 L 97/22 -, juris Rn. 20; VG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Februar 2022 - 29 L 253/22 - (Pressemeldung bei juris).
28Die Antragsteller könnten als ehemals Infizierte sofort sämtlichen Einschränkungen durch eine einzige Impfung mit einem der zugelassen und empfohlenen Impfstoffe entgehen und dabei direkt mit dieser Impfung ohne Wartezeit als geimpfte Person i.S.v. § 2 Nr. 2 SchAusnahmV angesehen werden, der die gleichen Rechte zustehen wie einer genesenen Person. Denn nach den insoweit maßgeblichen Vorgaben des Paul Ehrlich-Instituts (vgl. § 2 Nr. 3 SchAusnahmV) ist eine einzelne Impfstoffdosis mit einem der aufgeführten Impfstoffe ausreichend, wenn die betroffene Person eine durchgemachte Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 nachweisen kann. Zum Nachweis der Infektion ist ein Testnachweis erforderlich, der auf einer Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis (PCR, PoC-PCR oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) beruht und sofern dieser Test zu einer Zeit erfolgt ist, zu der die betroffene Person noch keine Impfung gegen COVID-19 erhalten hatte. Eine Person gilt in diesem Fall abweichend zu den allgemeinen Regelungen als „vollständig geimpft“ ab dem Tag der verabreichten Impfstoffdosis. All dies wäre bei den Antragstellern der Fall. Dabei ist hier unerheblich, dass auch diese Regelungstechnik ggf. bedenklich ist, denn dabei handelt es sich jedenfalls um eine für die Antragsteller positive Regelung, weshalb eine etwaige Unwirksamkeit nicht zu ihren Lasten gehen dürfte. Dem können die Antragsteller nicht entgegenhalten, dass es ihnen mangels Übergangsfrist nicht möglich gewesen sein soll, ärztlichen Rat vor der Impfung einzuholen. Sie sind offensichtlich nicht bereit, sich einer Impfung zu unterziehen.
29Hinsichtlich des Antragstellers zu 2. sprechen gegen unzumutbare Auswirkungen außerdem, dass er mangels für ihn geltender Ausnahmen bis zu seiner Infektion Mitte Anfang Dezember 2021 ebenfalls Schutzmaßnahmen wie derzeit befolgten musste. Es ist nicht ersichtlich, warum die Rückkehr zu diesem Zustand allein wegen des vorgezogenen Zeitpunktes nun unzumutbar sein sollte.
303. Eine andere Entscheidung ließe sich danach auch nicht rechtfertigen, wenn - wie von den Antragstellern angeführt - der Maßstab für eine normspezifische Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO,
31vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 10. Juni 2016 - 4 B 504/16 -, juris Rn. 24 f., m.w.N.,
32herangezogen würde.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 39 Abs. 1 GKG und berücksichtigt die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache.
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