Beschluss vom Verwaltungsgericht München - M 18 E 20.3970

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung die Einsichtnahme in die beim Jugendamt zu ihrem Sohn M. geführten Akten.

Die Antragstellerin ist Mutter des am 26. Mai 2016 geborenen Sohns M., für den sie nicht sorgeberechtigt ist.

Die Antragstellerin wendete sich mit E-Mail vom 24. März 2020 an den Antragsgegner und beantragte einen Termin zur Akteneinsicht gemäß § 25 SGB X. Auf Nachfrage des Antragsgegners konkretisierte die Antragstellerin dieses Ansinnen dahingehend, dass sie alle beim Antragsgegner befindlichen Akten in Bezug auf ihren Sohn M einsehen wolle.

Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin daraufhin mit E-Mail vom 25. März 2020 mit, dass die Terminvorschläge noch etwas Zeit in Anspruch nehmen würden.

Mit Schreiben vom 27. Juli 2020 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass aufgrund des breiten Aufgabenspektrums des Jugendamts sich in verschiedenen Bereichen Akten über ihren Sohn M. befänden und insofern unterschiedliche rechtliche Anforderungen für die Gewährung der Akteneinsicht bestünden.

Betreffend die Akten aus den Fachbereichen Unterhaltsbeistandschaft, Unterhaltsvorschuss und wirtschaftliche Hilfen seien sämtliche zugehörige Verfahren längstens bis Mitte 2018 aktiv gewesen und seitdem rechtskräftig abgeschlossen. Nach Abschluss eines Verwaltungsverfahrens bestehe grundsätzlich kein Anspruch nach § 25 Abs. 1 SGB X mehr, Einsicht in die Verfahrensakten zu nehmen. Eine andere Entscheidung komme nur dann in Betracht, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme geltend gemacht werde. Dieses müsse substantiiert vorgetragen werden, was bislang nicht erfolgt sei.

Hinsichtlich der Akten des allgemeinen Sozialdienstes sowie im Bereich Trennung und Scheidung würden spezielle Regelungen für den Datenschutz gelten. Mit § 65 SGB VIII bestehe ein besonderes Weitergabeverbot, wonach anvertraute Sozialdaten nur in klar definierten Ausnahmefällen vom Jugendamt an Dritte weitergegeben werden dürften.

Mit Beschluss des Amtsgerichtes Neuburg a. d. Donau vom 22. Oktober 2018 sei die elterliche Sorge für das Kind dem Kindsvater übertragen worden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde sei zurückgewiesen worden. Das Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs. 1 SGB X stehen nur den Beteiligten eines Verfahrens zu. Vorliegend läge schon kein Verfahren im Sinne der Norm vor, da die Tätigkeit des Jugendamtes insoweit nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet sei. Der Antragsgegner beabsichtige daher, den Antrag auf Akteneinsicht abzulehnen. Die Antragstellerin habe die Möglichkeit, sich im Rahmen dieser Anhörung zu der beabsichtigten Entscheidung zu äußern und ggf. berechtigte Gründe zu nennen.

Die Antragstellerin wandte sich am 27. Juli 2020 erneut per E-Mail an den Antragsgegner. Es seien zwei Verfahren am Amtsgericht Neuburg und eines am OLG München anhängig. In der Vergangenheit habe ihr der Antragsgegner bereits bei anhängigen Verfahren sämtliche Auskunft verwehrt. Auch auf eine schriftliche Aufforderung ihres Anwalts habe der Antragsgegner nicht reagiert. Es sei anzumerken, dass die Gegenpartei offensichtlich durch den Antragsgegner über sämtliche Gespräche oder Schriftverkehr informiert werde. Außerdem würden offensichtlich falsche Behauptungen seitens der Mitarbeiter des Antragsgegners weitergegeben werden. Es sei bekannt, dass der Kindsvater, Herr H., in einem Vertragsverhältnis zum Antragsgegner stehe und sich deshalb öfters in den Räumlichkeiten des Jugendamtes aufhalte. Er stehe auch mit dessen Mitarbeitern in direktem Kontakt und sei für diese auch „privat“ tätig. Der Antragstellerin stehe gemäß § 25 Abs. 1 SGB X der Anspruch auf Akteneinsicht zur Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen zu. Das rechtliche Interesse ergebe sich aus den aktuellen anhängigen Verfahren. Es werde nochmals gebeten, ihr Akteneinsicht zu gewähren.

Mit Bescheid vom 31. Juli 2020 lehnte der Antragsgegner den Antrag vom 24. März 2020 auf Akteneinsicht ab.

Für Akteneinsicht sei das Vorliegen eines Verwaltungsverfahrens Voraussetzung. Dies sei hier nicht der Fall. Es sei zu keinem Zeitpunkt der Erlass eines Verwaltungsaktes beantragt worden, sondern das Jugendamt sei vielmehr auf Veranlassung der Eltern und des Amtsgerichts Neuburg a.d. Donau in dem Aufgabenbereich der Mitwirkung und Unterstützung im familiengerichtlichen Verfahren nach § 50 SGB VIII tätig geworden. Dieses sog. „schlichte Verwaltungshandeln“ sei jedoch nicht vom Akteneinsichtsanspruch des § 25 SGB X umfasst.

Die Versagung der Akteneinsicht auch in Aktenbestandteile, die nicht nur die Daten der Antragstellerin, sondern Daten Dritter, beispielsweise die Korrespondenz mit dem Kindsvater bzw. Gesprächsvermerk über Gespräche mit den Eltern und den Kindern enthielten, sei nicht ermessensfehlerhaft. § 25 Abs. 3 SGB X sei analog anzuwenden. Es könne offenbleiben, ob und inwieweit der spezielle Sozialdatenschutz des § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB X greife. Danach dürften Sozialdaten, die dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sein, von diesem nur in den dort aufgeführten Fällen weitergegeben werden. Bei allen Informationen in den Akten, die den Sohn M. und die Eltern beträfen, handele es sich um Sozialdaten von Vater, Mutter und des Kindes. Diese Regelung diene der Sicherstellung des Kindeswohls, welches in einer Abwägung höher zu veranschlagen sei als das über die dort genannten Ausnahmetatbestände hinausgehende Informationsbedürfnis einer anderen Person. Insgesamt sei daher der Antrag abzulehnen.

Mit Schreiben vom 26. August 2020, bei Gericht eingegangen am 27. August 2020, beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Beantragung, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Akteneinsicht in die Jugendamtsakte betreffend ihren Sohn M., geboren am 26. Mai 2016, zu gewähren (Verfahren M 18 E0 20.3970). Überschrieben war die Antragsschrift mit „Widerspruch gegen den Bescheid des Landratsamtes Neuburg-Schrobenhausen, Abteilung Jugendamt, […] vom 31.7.2020, Antrag auf Akteneinsicht einstweilige Anordnung und Antrag auf Prozesskostenhilfe.“

Mit Schriftsatz vom 29. August 2020 führte die Antragstellerin zur Begründung aus, dass ihr gemäß § 25 Abs. 1 SGB X ein Anspruch auf Akteneinsicht zustehe. Das rechtliche Interesse hieran ergebe sich aus aktuell anhängigen Gerichtsverfahren. In mehreren Schreiben in unterschiedlichen Verfahren am Amtsgericht Neuburg und am OLG München habe die anwaltliche Vertretung des Kindsvaters immer wieder angegeben, Informationen betreffend die Antragstellerin erhalten zu haben. Die Akteneinsicht sei für die Geltendmachung der Rechte der Antragstellerin erforderlich, weil sie in dem das Umgangsrecht betreffenden Verfahren vor dem Amtsgericht Neuburg a.d. Donau weiterhin das Interesse verfolge, dass sie mehr Umgang zu ihrem Sohn erhalte. Der Vater ihres Kindes führe im Landratsamt/Jugendamt des Antragsgegners Handwerksarbeiten aus und erledige auch privat für die Angestellten Arbeiten. Außerdem sei der Kindsvater mit der Mitarbeiterin des Jugendamtes Frau E. S. privat befreundet. So würden auch diverse Informationen außerhalb der offiziellen Sprechzeiten des Jugendamtes besprochen und in die Wege geleitet werden. Diese Mitarbeiterin habe auch dafür gesorgt, dass ihr Sohn M. in einem Kindergarten untergebracht worden sei, in dem der Antragstellerin Hausverbot erteilt worden sei. Der Antragsgegner habe vorsätzlich und mutwillig den bestehenden Umgang der Antragstellerin zu ihrem Sohn verhindert.

Mit Schreiben vom 7. September 2020 beantragte der Antragsgegner unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Bescheid vom 31. Juli 2020:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie der Antrag auf einstweilige Anordnung werden abgewiesen.

Der Antragsgegner nahm mit Schreiben vom 23. September 2020 zu dem angekündigten Antrag auf Akteneinsicht ergänzend Stellung. Zur Aussage der Antragstellerin, dass der Kindsvater mit dem Antragsgegner in einem „engen Arbeitsverhältnis“ stehen würde, sei festzustellen, dass die Firma, bei welcher der Kindsvater Geschäftsführer sei, teilweise auch für das Landratsamt des Antragsgegners tätig gewesen sei, die Beauftragung jedoch durch ein anderes Sachgebiet, nicht durch das Jugendamt, erfolgt sei. Dass auch private Arbeiten bei den Mitarbeitern ausgeführt worden seien, sei nicht bekannt. Auch die Behauptung, es bestünde eine private Freundschaft zwischen dem Kindsvater und einer Frau „E. S.“ entbehre jeder Grundlage. Die infrage kommenden Mitarbeiterinnen hätten auf Nachfrage ausdrücklich bestätigt, dass sie keinerlei private Kommunikation mit dem Kindsvater betreiben würden und auch sonst in keiner Beziehung zu diesem stünden. Zwar sei die Mitarbeiterin S. bei der Beratung hinsichtlich eines Kindergartenplatzes beteiligt gewesen, jedoch könne nichts Ungewöhnliches festgestellt werden, wenn das Kind einen Kindergarten am Wohnort des Vaters besuche. Die Entscheidung, welchen Kindergarten das Kind besuchen solle, treffe im Übrigen nicht das Jugendamt, sondern der Inhaber des Sorgerechts. Das Jugendamt habe auch nicht den Umgang mit der Kindsmutter beschränkt; Fragen des Umgangs würde vielmehr das Familiengericht regeln.

Des Weiteren führte der Antragsgegner aus, dass der Antrag bereits unzulässig sei, da die Antragstellerin keinen Klageantrag in der Hauptsache gestellte habe und daher der ablehnende Bescheid bestandskräftig geworden sei.

Hinsichtlich der Akten des Fachdienstes „Trennung und Scheidung“ werde das Jugendamt im Rahmen der Familiengerichtshilfe nach § 50 SGB VIII tätig. In diesem Verfahren komme der Antragstellerin keine Beteiligteneigenschaft und demnach kein Recht auf Akteneinsicht nach § 25 SGB X zu. Auch in entsprechender Anwendung des § 25 SGB X komme ein Anspruch nicht in Betracht, da diesem das Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 3 SGB I bzw. § 25 Abs. 3 SGB X entgegenstehe.

Was die in den anderen Fachbereichen „Beistandschaft“, „Unterhaltsvorschuss“ und „Wirtschaftliche Hilfen“ geführten Akten anbelange, seien die zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren spätestens seit Juli 2018 abgeschlossen. Einen Grund für die Akteneinsicht habe die Antragstellerin weder im Antrag noch in der Anhörung oder im gerichtlichen Verfahren vortragen können, weswegen auch für diese Bereiche die Akteneinsicht abzulehnen sei.

Auch habe die Antragstellerin keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es sei nicht ersichtlich, welche konkreten Fragen sich in dem Verfahren vor dem Familiengericht stellen würden, die eine Akteneinsicht erforderlich machen sollten. Der Antrag auf Akteneinsicht sei trotz mehrmaliger Nachfrage nicht spezifiziert worden. Zudem sei die Vorwegnahme der Hauptsache zu befürchten.

Nachdem das Gericht mit Schreiben vom 1. und 18. September 2020 darauf hingewiesen hatte, dass für den Antrag auf Prozesskostenhilfe im vorliegenden Verfahren kein Rechtsschutzbedürfnis gesehen werde, nahm die Antragstellerin mit Schreiben vom 24. September 2020 den Prozesskostenhilfeantrag zurück und beantragte,

über ihren Antrag auf Akteneinsicht nunmehr zu entscheiden.

Das Gericht stellt daraufhin mit Beschluss vom 25. September 2020 das Verfahren M 18 E0 20.3970 ein und führte das Verfahren in der Hauptsache unter dem Aktenzeichen M 18 E 20.3970 fort.

Der Antragsgegner legte mit Schreiben vom 1. Oktober 2020 in Ergänzung zur Antragserwiderung eine Übersicht mit allen bei ihm geführten Akten und deren Aktenbestandteilen betreffend das Kind M. vor.

Wegen des weiteren Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Gericht geht dabei - zumindest im vorliegenden Eilverfahren - davon aus, dass der Verwaltungsrechtsweg auch insoweit eröffnet ist, als der Antrag auf Einsicht in die im Bereich Trennung und Scheidung im Rahmen der Familiengerichtshilfe gemäß § 50 SGB VIII geführte Akte gerichtet ist (so konkludent OVG Koblenz, B.v. 2.4.2020 - 12 F 11033/19 - juris; VG Würzburg, U.v. 26.1.2017 - W 3 K 16.885 - juris; offen gelassen: BVerwG, B.v. 3.3.2014 - 20 F 12/13 - juris Rn. 7; ablehnend BayVGH, B.v. 2.12.2011 - 12 ZB 11.1386 - juris Rn. 10; siehe hierzu auch Hoffmann, FamRZ 2020, 1155, 1157). Denn da die Akten insoweit nicht Bestandteil des familiengerichtlichen Verfahrens sind und auch dem Familiengericht nicht vorliegen dürften, dürften sie auch nicht von einer Akteneinsicht gemäß § 13 FamFG im dortigen Verfahren mitumfasst sein.

Der zulässige Antrag ist insbesondere auch als statthaft anzusehen.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist der Ablehnungsbescheid vom 31. Juli 2020 noch nicht bestandskräftig geworden. Zugunsten der Antragstellerin ist davon auszugehen, dass mit dem Schreiben vom 27. August 2020 zugleich auch Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 31. Juli 2020 eingelegt werden sollte. Denn die Antragsschrift wurde ausdrücklich auch mit „Widerspruch gegen den Bescheid […] vom 31. Juli 2020“ betitelt.

Unschädlich ist dabei, dass dieses zumindest auch als Widerspruch zu wertende Schreiben entgegen § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht an den Antragsgegner als Ausgangsbehörde adressiert war, sondern an das Verwaltungsgericht München. Denn das Gericht hat dieses am 1. September 2020 an den Antragsgegner weitergeleitet, so dass er wirksam Kenntnis von dem Widerspruch erlangt hat. Die Weiterleitung erfolgte schließlich auch innerhalb der Rechtsbehelfsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach der Widerspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben ist. Der Ablehnungsbescheid wurde vom Antragsgegner am 3. August 2020 zur Post gegeben und gilt damit gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X am 6. August 2020 als der Antragstellerin bekannt gegeben. Gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB begann die Rechtsbehelfsfrist damit am 7. August 2020 zu laufen und endete gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 6. Septembers 2020. Unter Annahme der üblichen Postlaufzeiten ist davon auszugehen, dass der „Widerspruch“ beim Antragsgegner vor diesem Datum eintraf.

Das im Bereich des Kinder- und Jugendhilferecht gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AGVwGO fakultative Widerspruchsverfahren hindert den Eintritt der formellen Bestandskraft (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 1). Da somit eine gegen den Ablehnungsbescheid vom 31. Juli 2020 zu erhebende Versagungsgegenklage noch nicht verfristet wäre, ist auch der diesbezügliche Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vorliegend statthaft (vgl. zu dieser Voraussetzung des Antrags nach § 123 VwGO Schoch/Schneider/Bier/Schoch, 38. EL Januar 2020, VwGO § 123 Rn. 102a).

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zu Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheinen. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller in der Hauptsache bei summarischer Prüfung voraussichtlich Erfolg haben wird. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist darüber hinaus grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Die Antragstellerin konnte bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen. Ein Anspruch auf die beantragte Akteneinsicht besteht nicht.

1. Ein Anspruch ergibt sich nicht aus § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist.

1.1. Soweit die Antragstellerin geltend macht, Einsicht in die Jugendhilfeakten in den Bereichen Unterhaltsbeistandschaft, Unterhaltsvorschuss und Wirtschaftliche Hilfen nehmen zu wollen, besteht schon kein laufendes Verwaltungsverfahren mehr. Ein solches wird von § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII jedoch vorausgesetzt (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2003 - 5 C 48.02 - juris Rn. 27). Die Verfahren in diesen Bereichen wurden nach Aussage des Antragsgegners bereits im Jahr 2018 abgeschlossen.

1.2. Was die im Bereich Trennung und Scheidung im Rahmen der Familiengerichtshilfe gemäß § 50 SGB VIII geführte Akte des allgemeinen Sozialdienstes angeht, fehlt es hingegen bereits an einem Verwaltungsverfahren im Sinne des § 8 SGB X, an dem derjenige, der Akteneinsicht begehrt, i.S.d. § 12 SGB X beteiligt ist. Ein sozialrechtliches Verwaltungsverfahren ist nach § 8 SGB X die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist. Eine solche Verwaltungstätigkeit ist hier nicht betroffen. Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 6 SGB VIII gehört die Mitwirkung des Jugendamts im familiengerichtlichen Verfahren nach § 50 SGB VIII nicht zu den Leistungen der Jugendhilfe im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB VIII, an die typischerweise der Anspruch auf Akteneinsicht in § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X anknüpft, sondern zu den anderen Aufgaben zu Gunsten junger Menschen und Familien. Eine nach außen wirkende Verwaltungstätigkeit, die letztlich auf den Erlass eines Verwaltungsaktes oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist, liegt damit nicht vor (so auch VG Würzburg, U.v. 26.1.2017 - W 3 K 16.885 - juris Rn. 30).

1.3. Auch hinsichtlich der Akte des allgemeinen Sozialdienstes betreffend Gefährdungsmitteilungen und allgemeine Beratung besteht kein Anspruch nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Unabhängig davon, ob in diesem Bereich tatsächlich noch ein Verwaltungsverfahren läuft, steht der Einsichtnahme in diese Akte der besondere Sozialdatenschutz nach § 25 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII entgegen.

Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII dürfen Sozialdaten (vgl. hierzu § 67 Abs. 2 SGB X), die dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, von diesem nur mit der Einwilligung dessen, der die Daten anvertraut hat, weitergegeben oder übermittelt werden. Der Norm liegt die Überlegung zugrunde, dass die für die persönliche und erzieherische Hilfe erforderliche unverzichtbare Offenheit und Mitwirkungsbereitschaft nur entstehen kann, wenn dem einzelnen Jugendamtsmitarbeiter anvertraute Sozialdaten - bis auf klar definierte Ausnahmetatbestände - von diesem nicht weitergegeben werden dürfen. Ohne eine solche Regelung kann sich das für das Hilfeleistungsverhältnis notwendige persönliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Jugendamtsmitarbeiter und dem Klienten nicht entwickeln (vgl. Kirchhoff in Schlegel/Voelzke, SGB VIII, 2. Aufl. Stand 9.9.2020, § 65 SGB VIII Rn. 15 mwN; VGH BW, 27.4.2020 - 12 S 579/20 - juris Rn. 15; OVG NW, B.v. 26. 3.2008 - 12 E 115/08 - juris Rn. 11). Der Bereich Kindeswohlgefährdung ist dabei in der Regel der „klassische Fall“, den das Weitergabeverbot des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 im Blick hat (vgl. VGH BW, 27.4.2020 - 12 S 579/20 - juris Rn. 16). Angesichts der vom Antragsgegner vorgelegten Inhaltsübersicht der entsprechenden Akte geht das Gericht bei lebensnaher Betrachtung davon aus, dass sich in dieser geschützte Sozialdaten i.S.d. § 67 Abs. 2 SGB X befinden, die einer Einsichtnahme durch Dritte entgegenstehen. Im Rahmen der Meldungen von Kindeswohlgefährdungen kommt es regelmäßig zur Übermittlung von intimen Auskünften, wobei sich die offenbarende Person darauf verlässt, dass die von ihr offenbarten Informationen nicht weitergegeben werden (vgl. VG Cottbus, U.v. 22.6.2020 - 8 K 444/17 - juris Rn. 47). Dass diese Betrachtungsweise hier ausnahmsweise nicht zutreffen sollte, ist dem Gericht nicht ersichtlich. Eine Einsichtnahme in die betreffende Akte ist daher abzulehnen.

2. Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf nochmalige (ermessensfehlerfreie) Entscheidung über das Akteneinsichtsbegehren in entsprechender Anwendung von § 25 SGB X. Außerhalb eines Verwaltungsverfahrens kann nach pflichtgemäßem Ermessen Einsicht in verwaltungsbehördliche Akten und Unterlagen gewährt werden, wenn ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme besteht und Gründe des Sozialdatenschutzes nicht entgegenstehen (vgl. BVerwG, B.v. 15.6.1989 - 5 B 63/89 - juris Rn. 3; U.v. 18.10.1984 - 7 C 10/81 - NJW 1985, 1234).

2.1. Ein solches berechtigtes Interesse der Antragstellerin ist vorliegend in Hinblick auf die Jugendhilfeakten in den Bereichen Unterhaltsbeistandschaft, Unterhaltsvorschuss und Wirtschaftliche Hilfen nicht glaubhaft gemacht.

Die Klägerin hat vorgetragen, dass sie vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Neuburg a.d. Donau Beteiligte eines familiengerichtlichen Verfahrens sei, welches das Umgangsrecht hinsichtlich ihres Sohnes M. betreffe. Die anwaltliche Vertretung des Kindsvaters habe dabei angegeben, Informationen über die Antragstellerin erhalten zu haben. Es würden Informationen „auf dem kurzen Dienstweg“ zwischen dem Kindsvater und Mitarbeitern des Jugendamtes besprochen werden. Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes habe im Januar 2020 dafür gesorgt, dass der Sohn M. einen Platz in einem bestimmten Kindergarten erhalte.

Ein Zusammenhang zwischen der im Jahre 2018 abgeschlossenen Verwaltungsverfahren und dem Umgangsverfahren vor dem Familiengericht vermag das Gericht nicht zu erkennen. Es fehlt an substantiiertem Vortrag der Antragstellerin, inwieweit eine Einsicht in diese seit mehreren Jahren abgeschlossenen Verwaltungsvorgänge erforderlich wäre, um eine wirksame Verfolgung ihrer Rechte im Hinblick auf das beim Familiengericht geführte Umgangsverfahren wahren zu können, zumal die von ihr beanstandeten „Vorgänge“ (Kindergartenplatzvergabe, Informationsweitergabe) anscheinend jüngeren Datums sind.

2.2. Was die Einsicht in die im Rahmen der Familiengerichtshilfe nach § 50 SGB VIII geführte Akte im Bereich „Trennung und Scheidung“ betrifft, ist teilweise bereits kein berechtigtes Interesse der Antragstellerin zu erkennen. Im Übrigen greifen auch hier die sozialdatenschutzrechtlichen Beschränkungen des § 25 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 65 SGB VIII (s.o.) entsprechend.

Gemäß den Angaben des Antragsgegners - an denen das Gericht hinsichtlich der Richtigkeit keine Zweifel hat - enthält die Akte größtenteils gerichtliche Schriftstücke, zu einem kleinen Teil jedoch auch Verläufe aus E-Mail-Kontakt mit dem Kindsvater oder Aktenvermerke der Mitarbeiterin, ärztliche Atteste über den Gesundheitszustand des Kindes, polizeiliche Mitteilungen und anderes.

Soweit die genannte Akte den Schriftverkehr mit dem Amtsgericht - Familiengericht - Neuburg a.d. Donau und mit dem OLG München sowie die im familiengerichtlichen Verfahren abgegebenen Stellungnahmen des Antragsgegners betrifft, geht das Gericht davon aus, dass diese Unterlagen der Antragstellerin bereits vorliegen. Gleiches gilt für den E-Mailverkehr zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner. Ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht in die Akte des Jugendamtes (Einsicht in die Familiengerichtsakten vor dem Familiengericht gewährleistet hingegen § 13 Abs. 1 FamFG) ist daher diesbezüglich nicht ersichtlich.

Hinsichtlich der ärztlichen Atteste zum Gesundheitszustand des Kindes M., der polizeilichen Mitteilungen und der Korrespondenz mit dem Kindsvater hat der Antragsgegner seine Entscheidung ermessensfehlerfrei auf das Weitergabeverbot des § 25 Abs. 3 SGB X gestützt. Diese Vorschrift ist auf den allgemeinen Akteneinsichtsanspruch entsprechend anzuwenden (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2003 - 5 C 48/02 - juris Rn. 28). Eine Einwilligung des Kindsvaters in die Weitergabe von dem Antragsgegner übermittelten Informationen ist angesichts der zahlreichen mit der Antragstellerin geführten gerichtlichen Verfahren wohl nicht zu unterstellen. Was die das Kind M. betreffenden Daten anbelangt, ist ebenfalls nicht von einer Einwilligung des allein sorgeberechtigten Kindsvaters in die Weitergabe auszugehen. Im Übrigen überwiegt hier auch das am Kindeswohl orientierte Geheimhaltungsinteresse gegenüber dem Informationsinteresse der Antragstellerin. Ausweislich des Vorbringens der Antragstellerin in der Antragsschrift vom 26. August 2020 geht es dieser wohl im Wesentlichen darum, in Erfahrung zu bringen, welche Informationen zwischen dem Antragsgegner und dem Kindsvater ihrer Auffassung nach auf inoffiziellem Wege über ihre Person ausgetauscht worden seien. Eine Weitergabe von Daten betreffend ihren Sohn M. dürfte daher schon gar nicht von dem im gerichtlichen Verfahren geltend gemachten Informationsbedürfnis der Antragstellerin gedeckt sein.

Mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs war das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht mehr zu prüfen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

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