Beschluss vom Verwaltungsgericht Münster - 5 L 400/20
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
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G r ü n d e
2I. Die Kammer entscheidet gemäß § 80 Abs. 8 VwGO durch den Vorsitzenden, da ein dringender Fall vorliegt. Die Regelungen der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 00.00.0000 greifen bereits seit dem heutigen Tag um 1.00 Uhr; der Schichtbetrieb im Fleischcenter D. hätte regulär ab 3.00 Uhr begonnen. Ein weiterer Richter ist aktuell nicht an Gerichtsstelle verfügbar (9. Mai 2020, …).
3II. Der zulässige Antrag der Antragstellerin,
4die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 9. Mai 2020 – 5 K 938/20 – gegen die Ordnungsverfügung des Kreises D. vom 00.00.0000 anzuordnen,
5hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet.
6Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung des Kreises D. vom 00.00.0000 überwiegt das private Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung. Nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die Ordnungsverfügung rechtmäßig ist (1.) und ein öffentliches Interesse an der Vollziehung besteht (2.).
71. Die Ordnungsverfügung des Kreises D. vom 00.00.0000 ist nach Aktenlage aller Voraussicht nach rechtmäßig.
8a) Die auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG beruhende Ordnungsverfügung ist formell rechtmäßig. Sie erging aufgrund der bestehenden Eilbedürftigkeit durch den Kreis als untere Gesundheitsbehörde (Gesundheitsamt) als zuständige Behörde (§ 28 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 7 Satz 1, § 2 Nr. 14 IfSG, § 1 Abs. 1 IfSBG NRW). Einer Anhörung der Antragstellerin bedurfte es gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW wegen Gefahr im Verzug nicht, weil eine Anhörung geeignet gewesen wäre, wegen des hierdurch entstehenden Zeitverzugs den Zweck der Maßnahme zu gefährden. Ungeachtet dessen ist davon auszugehen, dass eine Anhörung im Laufe des erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann (§ 45 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW).
9b) Für den Erlass der Ordnungsverfügung liegen nach Aktenlage die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vor. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde u. a. die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden.
10aa) Im Betrieb der Antragstellerin am Standort T. 2, D. (Fleischcenter D. ) sind Kranke im infektionsschutzrechtlichen Sinn festgestellt worden (§ 2 Nr. 4 IfSG). Nach den Ausführungen des Antragsgegners in der Ordnungsverfügung sind bis zum 00.00.0000, 00.00 Uhr, bei den im Betrieb der Antragstellerin beschäftigten Personen 000 Testungen auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus durchgeführt worden. Hiervon sind 000 Tests positiv ausgefallen, 000 negativ, 000 Ergebnisse stehen noch aus. Ohne dass es an dieser Stelle entscheidungserheblich darauf ankäme, wird ergänzend darauf hingewiesen, dass nach den vom Antragsgegner im Antragserwiderungsschriftsatz vom 00.00.0000 mitgeteilten Ergebnissen zwischenzeitlich 000 Testungen durchgeführt wurden, wobei von 000 vorliegenden Ergebnissen 000Testergebnisse positiv sind. Auf dieser Grundlage ist zudem davon auszugehen, dass neben den festgestellten Kranken auch noch eine unbestimmte Anzahl von Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern vorliegt. Das Amt für Arbeitsschutz der Bezirksregierung Münster hat anlässlich seiner Überprüfung im o. g. Betrieb der Antragstellerin vom 00.00.0000 Folgendes festgehalten:
11„Die Zuordnung von Übertragungswegen gestaltet sich als schwierig, da aufgrund des niedrigen Personalstands bei der Fa. X. die ursprünglichen Arbeitsgruppen zusammengelegt wurden. Dadurch erfolgte eine Durchmischung der zuvor bestehenden Teams, was ein Erkennen ursprünglicher Infektions“gruppen“ oder –wege nicht mehr eindeutig zulässt. Sowohl im Bereich des Zerlegebandes als auch in den Umkleiden gibt es Probleme, den Mindestabstand von 1,50 m einzuhalten. Der zur Verfügung gestellte Mund-Nasen-Schutz wird am Zerlegeband nicht korrekt getragen (entweder unter der Nase oder unter dem Kinn, beim Erteilen von Anweisungen ziehen die Vorarbeiter den MNS vollständig herunter). Die Vertreter der Firma waren nicht in der Lage, Infektionsschwerpunkte (z. B. für bestimmte Arbeitsplätze, Arbeitsgruppen, -schichten oder Unterkünfte oder Gruppen aus einzelnen Unterbringungen) zu benennen.“
12Die Antragstellerin ist taugliche Adressatin der Ordnungsverfügung. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG erlaubt auch Maßnahmen gegenüber Dritten (sog. Nichtverantwortliche), wenn ein Tätigwerden allein gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern (sog. Verantwortliche) eine effektive Gefahrenabwehr nicht gewährleistet.
13Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 -, juris, Rn. 26; OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2020 – 13 B 539/20.NE -, juris, Rn. 28; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 23. März 2020 - OVG 11 S 12/20 -, juris, Rn. 8.
14Dies ist hier der Fall. Eine effektive Gefahrenabwehr wird durch die Inanspruchnahme der Antragstellerin erreicht. Die organisatorischen Vorsichtsmaßnahmen zur Eindämmung von Infektionen im Betrieb der Antragstellerin sind nach Aktenlage, die im Kern auf den Feststellungen des Amtes für Arbeitsschutz beruht, unzureichend. Jedenfalls bieten sie keinen hinreichend verlässlichen Schutz, Neuinfektionen zu verhindern, Infektionsketten zu unterbrechen und nachzuverfolgen. Mit den im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden eingeschränkten Erkenntnismitteln ist eine weitergehende Aufklärung nicht zu erzielen.
15bb) Die Einwendungen der Antragstellerin stellen das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage nicht durchgreifend in Frage.
16- Dass die Kontrolle durch das Amt für Arbeitsschutz im Schlachtzentrum D. lediglich von 11.18 Uhr bis 12.45 Uhr, also weniger als 1 1/2 Stunden gedauert und die effektive Kontrollzeit von rund einer Stunde bei Weitem nicht ausgereicht habe, um das gesamte ca. 00.000 qm große Betriebsgelände zu kontrollieren, stellt die Richtigkeit der Ausführungen im oben zitierten Kontrollbericht nicht in Frage. Es ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die vom Amt für Arbeitsschutz getätigten Feststellungen innerhalb dieser Kontrollzeit nicht möglich gewesen oder nach Durchführung einer längeren Kontrollzeit anders ausgefallen wären.
17- Dass es eine Durchmischung von Arbeitnehmern entgegen der Annahme des Antragsgegners nicht gegeben habe, wird von der Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt. Der Antragsgegner hat hierzu ausgeführt, dass aufgrund des niedrigen Personalstandes die ursprünglichen Arbeitsgruppen zusammengelegt worden seien. Dadurch sei eine Durchmischung der zuvor bestehenden Teams erfolgt. Die Vertreter der Firma seien nicht in der Lage gewesen, Infektionsschwerpunkte z. B. für bestimmte Arbeitsplätze, Arbeitsgruppen, -schichten oder Unterkünfte oder Gruppen aus einzelnen Unterbringungen zu benennen. Nach den Feststellungen im Telefonvermerk von Frau Dr. A. vom 00.00.0000 über ein Gespräch mit Mitarbeitern des Amtes für Arbeitsschutz soll diesbezüglich von der Firmenseite nur auf das Gesundheitsamt verwiesen worden sein; eigene Ermittlungen seien hierzu nicht angestellt worden.
18Eine nähere Auseinandersetzung mit der Sachverhaltsdarstellung des Antragsgegners erfolgt seitens der Antragstellerin nicht. Vielmehr wird der Kern der Darstellung nicht getroffen, wenn die Antragstellerin den Mitarbeitern des Amtes für Arbeitsschutz vorhält, sie hätte eine Durchmischung aufgrund der gleichen Arbeitskleidung gar nicht erkennen können. Von einer Durchmischung ist nicht aufgrund unterschiedlicher Arbeitskleidung, sondern aufgrund organisatorischer Umstrukturierungen in den Arbeitsgruppen ausgegangen worden. Dass solche entgegen der Annahme des Antragsgegners nicht stattgefunden hätten, trägt die Antragstellerin hingegen nicht vor.
19- Entgegen der Annahme der Antragstellerin ist es unerheblich, ob die Mitarbeiter des Amtes für Arbeitsschutz im Rahmen der von ihnen durchgeführten Kontrolle mangelnden Abstand und fehlenden Mund-Nasen-Schutz bei Mitarbeitern im kontrollierten Betrieb bemängelt haben. Den festgestellten Mangel hat die Antragstellerin damit nicht substantiiert in Abrede gestellt. Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass sie nach ihrem weiteren Vortrag durch organisatorische Maßnahmen die Einhaltung von Abständen und das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes und die entsprechende Kontrolle sichergestellt haben will. In Anbetracht der unwidersprochenen Feststellungen anlässlich der Kontrolle am 00.00.0000 waren die organisatorischen Maßnahmen ersichtlich nicht wirksam.
20- Unerheblich ist des Weiteren der Hinweis der Antragstellerin, dass sich im Zeitpunkt der Kontrolle nur eine Person im Umkleideraum aufgehalten habe. Hierzu hat das Amt für Arbeitsschutz festgehalten, dass es in den Umkleiden Probleme gebe, den Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten. Auf die Anzahl der sich im Zeitpunkt der Kontrolle im Umkleideraum aufhaltenden Personen kommt es hierbei nicht an. Dass die tatsächlichen räumlichen Gegebenheiten durch das Amt für Arbeitsschutz falsch eingeschätzt worden sind, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen.
21- Soweit die Antragstellerin sinngemäß eine Voreingenommenheit der Mitarbeiter des Amtes für Arbeitsschutz rügt, indem sie vermutet, diese hätten von Anfang an nur das Ziel gehabt, Gründe für die Schließung des Betriebs der Antragstellerin zu finden, bleibt in Anbetracht der insoweit unergiebigen Ausführungen der Antragstellerin spekulativ. Dies ändert sich auch nicht durch den Hinweis auf eine behauptete vorzeitige Mitteilung der Betriebsschließung durch den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW bereits am Nachmittag des 00.00.0000. Den festgestellten Defiziten in ihrem Betrieb tritt die Antragstellerin damit nicht entgegen.
22- Soweit die Antragstellerin die Rechtmäßigkeit der auf § 25 IfSG gestützten Untersuchungen ihrer Mitarbeiter durch den Antragsgegner bezweifelt, die schriftliche Bestätigung der mündlich ausgesprochenen Untersuchungsanordnungen anfordert und sich Rechtsbehelfe hiergegen vorbehält, stellt dies die Richtigkeit der infolge der Untersuchungen festgestellten Infektionszahlen der Mitarbeiter ihres Betriebes nicht in Frage.
23- Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass noch am 00.00.0000 mit Mitarbeitern des Antragsgegners abgesprochen gewesen sei, dass eine Betriebsfortführung mit sog. Kontaktpersonen der Kategorie I (negativer Test, aber Kontakt mit einer infizierten Person) unter bestimmten Bedingungen erfolgen könne, hat der Antragsgegner dem in seiner Antragserwiderung widersprochen. Die Antragstellerin habe lediglich darauf hingewiesen, dass bei Personalmangel eine Schließung des Betriebes drohe. Dass es gemeinsames Ziel gewesen sei, den Betrieb – bei Vorliegen der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen – weiterzuführen, bestätigt auch der Antragsgegner. Welche genauen Inhalte das Gespräch am 00.00.0000 hiernach hatte, ist offen und kann im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes auch nicht weiter aufgeklärt werden. Dies ist allerdings auch nicht notwendig: Dass der Absprache der Gehalt einer Zusicherung im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW zukommen würde, hat die Antragstellerin schon nicht dargelegt; im Übrigen fehlt es hierfür an der Schriftlichkeit. Ungeachtet dessen wäre der Antragsgegner an eine etwaig abgegebene Zusicherung ohnehin nicht mehr gebunden (§ 38 Abs. 3 VwVfG NRW), da mit den Feststellungen durch das Amt für Arbeitsschutz am 00.00.0000 und dem Umstand der nach dem 00.00.0000 weiter steigenden Infektionszahlen innerhalb der Belegschaft der Antragstellerin eine neue Sachlage besteht, sodass der Antragsgegner eine solche – unterstellte – Zusicherung nicht gegeben hätte.
24- Soweit die Antragstellerin ihre Verantwortlichkeit unter Hinweis darauf in Abrede zu stellen versucht, dass ihr Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigt sei, ist dies unerheblich. Ihre Verantwortlichkeit beruht auf infektionsschutzrechtlichen Erwägungen.
25cc) Die Verfügung bedurfte keiner Befristung, bis eine Entscheidung durch die örtliche Infektionsschutzbehörde zu erreichen ist. Gemäß § 28 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 7 Satz 4 IfSG gilt die Anordnung als von der zuständigen Behörde getroffen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Arbeitstagen nach der Unterrichtung dieser Behörde aufgehoben wird.
26c) Auf Rechtsfolgenseite bestehen nach Aktenlage ebenfalls keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung. Ermessensfehler im Sinne des § 114 S. 1 VwGO sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Ordnungsverfügung verhältnismäßig.
27Sie verfolgt ersichtlich einen legitimen Zweck. Die Corona-Pandemie begründet eine ernstzunehmende Gefahrensituation, die staatliches Einschreiten nicht nur rechtfertigt, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates weiterhin gebietet.
28Vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 1992 - 1 BvR 1025/82 u. a. - , juris, Rn. 69, m. w. N.
29Auch wenn sich der Reproduktionsfaktor R sowie die absolute Zahl der täglichen Neuinfektionen mittlerweile reduziert haben, ist ohne wirksame Gegenmaßnahmen eine massive Überlastung des Gesundheitswesens immer noch konkret zu befürchten mit der Folge, dass aus Kapazitätsgründen nicht mehr alle Patienten, die einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen (insbesondere auch die zahlreichen Patienten, die eine Behandlung nicht wegen einer schweren Erkrankung an COVID-19 dringend benötigen), ausreichend versorgt werden können.
30Vgl. Robert Koch-Institut, Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, Wenn die Reproduktionszahl R bereits am 22. März unter 1 lag, warum brauchte man dann noch Kontaktbeschränkungen?, abrufbar unter: https://www.rki.de/ SharedDocs/FAQ/NCOV-2019/gesamt.html, Stand: 22. April 2020; Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Aktualisierter Stand für Deutschland, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html, Stand: 29. April 2020, und Epidemiologisches Bulletin 12/2020, COVID-19: Jetzt handeln, vorausschauend planen, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/12_20.html, Stand: 19. März 2020; vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2020 – 13 B 539/20.NE -, juris, Rn. 35; Nds. OVG, Beschluss vom 27. April 2020 - 13 MN 98/20 -, juris, Rn. 54.
31Die in der Ordnungsverfügung getroffenen Maßnahmen sind geeignet, den dargestellten Zweck zu fördern. Sie sind auch erforderlich, da mildere, aber gleichermaßen geeignete Mittel nicht ersichtlich sind. Insbesondere ist die von dem Antragsgegner vorgenommene Auswahl der Antragstellerin als sog. Nichtverantwortliche nicht zu beanstanden. Es entspricht effektiver Gefahrenabwehr, infektionsschutzrechtliche Maßnahmen nicht nur gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern zu erlassen, sondern auch gegenüber der Antragstellerin, deren Betrieb aufgrund ersichtlich unzureichender Vorsichtsmaßnahmen mit einer zwischenzeitlichen sog. Durchseuchungsrate von etwa 20 % (Stand 00.00.0000) bzw. etwa 45 % (Stand 00.00.0000) der getesteten Personen zu einer erheblichen epidemiologischen Gefahrenquelle nicht nur für die eigene Belegschaft geworden ist. Sie ist schließlich angemessen; auf die zutreffenden Ausführungen auf S. 4 bis 6 der Ordnungsverfügung wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen.
32Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass den sog. Kontaktpersonen der Kategorie I die Beschäftigung erlaubt werden müsse, was auch in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts stehe (Optionen zum Management von Kontaktpersonen unter Personal der kritischen Infrastruktur bei Personalmangel, Stand 3. April 2020), fehlt es bereits an der hinreichenden Darlegung eines für die Antragstellerin relevanten Personalmangels. Insbesondere ist nichts dazu vorgetragen, dass eine (teilweise) Verlagerung des Betriebs von D. auf andere Standorte der Antragstellerin nicht in Betracht kommt. Nach den eigenen Angaben der Antragstellerin auf ihrer Internetpräsenz ist sie einer der führenden Fleischvermarkter in Deutschland und Europa. Das Unternehmen schlachte, verarbeite und veredele an neun Standorten in Nordwestdeutschland. Überdies setzt das Arbeiten in Ausnahmefällen durch Kontaktpersonen der Kategorie I eine konsequente Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln voraus, woran es nach den oben wiedergegebenen Feststellungen des Antragsgegners und des Amtes für Arbeitsschutz auf Seiten der Antragstellerin fehlt.
33Aus dem von der Antragstellerin zitierten Erlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 9. Mai 2020 ergibt sich nichts Abweichendes. Er erfasst ersichtlich nicht den hier vorliegenden Fall, dass aufgrund unzureichender Infektionsschutzkonzepte und einer auffällig hohen Infektionszahl die vorübergehende Teilschließung eines Schlachtbetriebs angezeigt ist (zum Vergleich der Infektionsraten am 00.00.0000 im Betrieb der Antragstellerin: 000 aktuell Infizierte von etwa 0000 Beschäftigten; im Stadtgebiet D. 000 Personen von über 00000 Einwohnern; im Stadtgebiet N. : 16 Personen von über 300.000 Einwohnern), sondern beschäftigt sich lediglich mit der Möglichkeit eines zügigen Wiedereinsatzes der Kontaktpersonen der Kategorie I.
342. Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der in Rede stehenden, aller Voraussicht nach rechtmäßigen Maßnahmen ist durch die gesetzliche Wertung, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Regelfall auszuschließen (vgl. § 28 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 8 IfSG), intendiert. Einen tragfähigen Anhaltspunkt, von dieser gesetzgeberischen Entscheidung abzuweichen, hat das Gericht nicht. Insbesondere greifen die von der Antragstellerin in den Fokus ihrer Ausführung gestellten wirtschaftlichen Erwägungen in Anbetracht der besonderen grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates gemäß Art. 2 Abs. 2 GG nicht durch. Die der Antragstellerin drohenden Nachteile sind rein finanzieller Natur und vermögen sich gegenüber dem Lebens- und Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeiter und all ihrer möglichen Kontaktpersonen nicht durchzusetzen.
35Ungeachtet dessen hat die Antragstellerin die ihr drohenden Nachteile insbesondere aufgrund eines behaupteten Verlustes ihrer Zulassung in der V. R. China bereits nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Die von ihr vorgelegte Mail der Referentin des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 7. Mai 2020 ist insoweit nicht aussagekräftig. In ihr ist nur festgehalten, dass das Zentrale Zollamt der V. R. China eine unverzügliche Benachrichtigung fordere, wenn Betriebe, die in der V. R. China für den Export von Schweinefleisch gelistet seien, ihre Produktion einstellen würden. Überdies fehlt es an jeglicher Darlegung zum behaupteten Umfang des wirtschaftlichen Nachteils durch eine neuntägige Teilschließung des Betriebs in D. unter Beachtung eines ggf. möglichen Ausgleichs durch eine Produktionsverlagerung an andere Standorte der Antragstellerin. Ebenso unsubstantiiert bleibt der Vortrag hinsichtlich einer Gefahr für die langjährigen Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten und Kunden.
36Dass es für die Antragstellerin aufgrund der in den Medien bereits bekannt gewordenen Teilbetriebsschließung über den ihr bereits zum Imagenachteil gereichenden Umstand eines unkontrollierten Ausbruchs der COVID-19-Infektion in ihrem Betrieb hinaus zu einem (weitergehenden) Imageschaden kommen mag, ist nicht auszuschließen. Dieser Belang ist jedoch infektionsschutzrechtlich irrelevant. Hinter den berechtigten grundrechtlich geschützten Interessen der bei der Antragstellerin Beschäftigten und der Bevölkerung im Übrigen hat er zurückzutreten.
37Auf die wirtschaftlichen Belange der Schweineproduzenten kann sich die Antragstellerin nicht berufen; hierdurch sind ihre rechtlichen Belange nicht betroffen.
38Die von der Antragstellerin betonten Umstände des Tierwohls – Schweine, die für die Schlachtung vorgesehen seien, müssten in einer bestimmten Zeit auch tatsächlich der Schlachtung zugeführt werden – sind zum einen keine rechtlich relevanten Belange der Antragstellerin; zum anderen ist dem Tierwohl ungeachtet der Frage, inwieweit dieser Einwand in der Sache überhaupt belastbar ist, auf andere Weise als durch eine Fortführung des Teilbetriebs in D. ohne tragfähiges infektionsschutzrechtliches Konzept bei gleichzeitig auffällig hoher Infektionsrate Rechnung zu tragen.
39Dass die Lebensmittelproduktion im Bereich Schweinefleisch durch die Teilbetriebsschließung des Standortes in D. in irgendeiner Weise systemrelevant eingeschränkt sei, wird durch die Antragstellerin lediglich behauptet, nicht aber ansatzweise belegt.
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Referenzen
- § 1 Abs. 1 IfSBG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1025/82 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 2x
- IfSG § 25 Ermittlungen 1x
- IfSG § 28 Schutzmaßnahmen 3x
- VwVfG § 38 Zusicherung 2x
- VwVfG § 45 Heilung von Verfahrens- und Formfehlern 1x
- IfSG § 16 Allgemeine Maßnahmen der zuständigen Behörde 1x
- IfSG § 2 Begriffsbestimmungen 2x
- VwGO § 117 1x
- 13 B 539/20 2x (nicht zugeordnet)
- 13 MN 98/20 1x (nicht zugeordnet)
- 11 S 12/20 1x (nicht zugeordnet)
- 5 K 938/20 1x (nicht zugeordnet)