Grundurteil vom Verwaltungsgericht Münster - 2 K 1319/20
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des beitreibbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der Kläger wendet sich gegen die Eintragung eines in seinem Eigentum stehenden Gebäudes in die Denkmalliste der Beklagten.
3Er ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung E. -Stadt, G. --, G1. --- (D. Straße --, ----- E. ). Das G1. --- ist zur D. Straße hin mit einem freistehenden eingeschossigen Wohngebäude mit pfannengedecktem Satteldach bebaut. Dieses wurde im Jahr 19-- nach einem Brand am Standort, in der Konstruktionsweise (Mischbauweise) und Kubatur des schon seit 1863 bestehenden Vorgängerbaus errichtet. Anfang des 20. Jahrhunderts verkaufte der ursprüngliche Eigentümer das Grundstück an den jüdischen Viehhändler T. und auch in der Folge blieb das Grundstück im jüdischen Eigentum. Erst im Jahr 1942 ging das Grundstück zunächst in das Eigentum der Beklagten über.
4Anlässlich eines Bauantrages des Klägers bat die Beklagten den Beigeladenen mit Schreiben vom 6. Oktober 2016 um Stellungnahme, ob es sich bei dem Objekt um ein Denkmal nach § 3 DSchG NRW handele.
5Dies bejahte der Beigeladene im Rahmen seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 6. Februar 2017. Zur Begründung führte er aus: Das Wohnhaus, das von 19-- bis 19-- als sogenanntes „-----haus“ genutzt worden sei, sei bedeutend für die Geschichte der Menschen. Seine Erhaltung und Nutzung liege aus wissenschaftlichen, insbesondere ortshistorischen Gründen im öffentlichen Interesse. Zum Zeitpunkt der Machtübernahme im Jahr 1933 hätten 72 Juden in E. gelebt. Bis zum 31.12.1938 sei die jüdische Gemeinde auf 44 Mitglieder geschrumpft. Diese hätten im Juni 1939 ins „-----haus“ an der D. Straße umziehen müssen. Am 31. Dezember 1939 seien noch 20 Personen in dem Haus untergebracht gewesen. Im Mai 1941 hätten noch 10 Personen im „-----haus“ gelebt. Vom Denkmalumfang seien das Wohnhaus in seiner Kubatur, die Straßenfassade sowie die Binnenstruktur, die bauzeitliche wandfeste Ausstattung und der als Nutz- und Ziergarten angelegte Freiraum umfasst.
6Nach Anhörung des Klägers trug die Beklagte das Objekt wie vom Beigeladenen vorgeschlagen am 18. September 2017 in die Denkmalliste ein und gab dies dem Kläger mit Bescheid vom selben Tag bekannt. Hiergegen erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Münster (2 K 6326/17). Im Rahmen eines Erörterungstermins äußerte das Gericht Zweifel an dem Umfang der Unterschutzstellung, woraufhin die Beklagte die Unterschutzstellung vom 18. September 2017 mit Bescheid vom 29. November 2019 aufhob und das Klageverfahren von den Beteiligten für erledigt erklärt wurde.
7Mit Bescheid vom 29. November 2019 ordnete die Beklagte an, dass das ,,Wohnhaus D. Straße --", E. -Stadt, G. --, G1. --- als Baudenkmal vorläufig als eingetragen gelte. Der Umfang des Denkmals beziehe sich auf die Kubatur des Wohnhauses und die Straßenfassade. Auch hiergegen erhob der Kläger Klage vor dem entscheidenden Gericht (2 K 3238/19). Dieses Verfahren ist durch Beschluss vom 21. Januar 2022 eingestellt worden, nachdem der Kläger und die Beklagte das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
8Unter dem 11. Dezember 2019 erteilte der Beigeladene sein Benehmen zur Eintragung des Wohnhauses D. Straße -- in dem reduzierten Umfang.
9Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger am 13. Januar 2020 zur beabsichtigen endgültigen Unterschutzstellung an.
10Hierzu nahm die Prozessbevollmächtigte des Klägers unter dem 12. Februar 2020 im Wesentlichen wie folgt Stellung: Es fehle an der geschichtlichen Bedeutung des Objekts. Die ortsgeschichtlichen Gründe an der Erhaltung des Gebäudes – die in der Nutzung des Gebäudes im Nationalsozialismus begründet würden – seien an dem aus dem Jahr 1914 stammende Gebäude nicht ablesbar. Die von der Beklagten angenommene Anzahl der in dem „-----aus“ untergebrachten Personen beruhe lediglich auf Sekundärquellen von --------------, der selbst im Konjunktiv formuliere, dass dort etwa 30 Juden untergebracht gewesen sein könnten und diese Vermutung nicht belege. Mithin greife das Argument, die Kubatur des Gebäudes zeige die beengten Lebensverhältnisse der dort untergebrachten Juden, nicht durch. Im Übrigen seien -----häuser nicht grundsätzlich Denkmäler, wie der Umgang des Beigeladenen mit anderen -----häusern zeige. Ferner sei das Objekt nicht denkmalwürdig.
11Der Beigeladene erklärte in seinem Schreiben vom 11. Mai 2020, dass er nach fachlicher Überprüfung an seiner Auffassung, dass es sich bei dem Objekt um ein Denkmal handele, festhalte. Zur Begründung verwies er auf seine Ausführungen in seiner Stellungnahme vom 28. April 2020 im Verfahren 2 K 3238/19. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Stellungnahme Bezug genommen.
12Daraufhin trug die Beklage das Wohnhaus D. Straße -- hinsichtlich seiner Kubatur und der zur D. Straße zugewandten Fassade am 14. Mai 2020 in seine Denkmalliste ein und gab dies dem Kläger mit Bescheid vom selben Tage bekannt. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Das Wohnhaus sei aufgrund seiner spezifischen Nutzung als „-----haus“ in den Jahren 1939 bis 1942 bedeutend für die Geschichte der Menschen in E. . Als historischer Ort der Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung Dülmens dokumentiere das Gebäude sowohl das Leben und Leiden der ------- Juden als auch die Untaten des antisemitischen Regimes. Hier zeige sich insbesondere an der Lage inmitten der städtischen Gemeinschaft und der Gebäudekubatur mit der Unterbringung von rund 30 Personen in der überbelegten Wohnung der menschenunwürdige Umgang des antisemitischen Regimes mit Juden. Der straßenseitigen Fassade komme besondere Bedeutung zu, da sie dokumentiere, dass die jüdische Bevölkerung in einem bestehenden und vor allem damals im jüdischen Besitz befindlichen Gebäude zusammengezogen worden sei und damit die nationalsozialistische Praxis, jüdische Immobilien umzunutzen, um dort die wohnraumenteigneten Juden der Stadt/ Gemeinde vor ihrer Deportation zu konzentrieren. Die Erhaltung und Nutzung des „-----hauses“ liege aufgrund seiner ortsgeschichtlichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit. Hier manifestierten sich baulich-räumlich die Verbrechen der Nationalsozialisten an der jüdischen Bevölkerung auf lokaler Ebene. Trotz aller Veränderungen sei es ein authentischer Ort, der für die historische Beschäftigung mit der Geschichte ------- insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus sowie für wissenschaftliche Untersuchungen zur jüdischen Geschichte in E. eine zentrale Rolle spiele.
13Hiergegen hat der Kläger am 19. Juni 2020 Klage erhoben.
14Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen aus den Verwaltungsverfahren: Die Beklagte habe den Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt. Sie sei zunächst unter Berufung auf einen Aufsatz von ----------- davon ausgegangen, dass die gesamte jüdische Bevölkerung – mithin 44 Personen – in das Gebäude zwangsumgesiedelt worden seien. Nunmehr stütze sie die Eintragung auf die Ausführungen von ---------, der davon ausgehe, dass in dem „-----haus“ anfänglich etwa 30 Personen untergebracht worden seien. Die Beklagte habe also widersprüchliche Sekundärquellen zur Begründung der Denkmaleigenschaft herangezogen. Dies werde den Anforderungen an die Beurteilung der Voraussetzungen des § 2 DSchG nicht gerecht. Das von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Verzeichnis der „evakuieren Juden aus dem Bereich der Staatspolizei Münster nach Riga vom 10. Dezember 1941 werde von der weiteren von der Beklagten überreichten Anlage in Frage gestellt. Die Anzahl der untergebrachten Personen sei auch nicht unerheblich, da die Beklagte den Denkmalwert zum maßgeblichen Zeitpunkt der Eintragung in die Denkmalliste gerade aus der Überbelegung des Wohnhauses heraus begründe. Eine solche liege selbst bei einer unterstellten Belegung mit zehn Juden in dem Haus mit einer Wohnfläche von 293 m² jedoch nicht vor. Die Quellenlage gebe eine Einordnung als „-----haus“ nicht her. Da die beweisbelastete Beklagte das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht nachweisen könne, komme eine Unterschutzstellung nicht in Betracht. Ferner sei das Objekt aufgrund der vielfältigen Änderungen nicht denkmalgeeignet, da es nicht mehr einer vergangenen Epoche zugeordnet werden könne. Es fehle an der geschichtlichen Bedeutung des Objekts. Denn ein menschenunwürdiger Umgang mit den -------- Juden mit Blick auf eine Überbelegung sei nicht hinreichend belegt. Das 1915 errichtete Gebäude lasse keine Rückschlüsse auf seine Nutzung im Nationalsozialismus zu. Ein Aussagewert im Sinne einer Dokumentation des Lebens bestimmter Zeitepochen komme dem Wohnhaus nicht zu. Insofern sei zu berücksichtigen, dass im Jahr 2016 ein „-----haus“ in -----------mit der Begründung, dass es an Spuren jüdischen Lebens mangele, nicht unter Schutz gestellt habe. Ein etwaiger Aussagewert sei jedenfalls mit Blick auf die zahlreichen baulichen Veränderungen entfallen. So sei die innere Aufteilung des Wohnhauses mehrfach durchgreifend verändert worden. Die Ostseite des Daches sei mit einer Schleppgaube versehen und die Dachgauben seien in den 1970er Jahren erweitert worden. Zudem sei die Außenfassade im Dachbereich auf der Rückfront und an den Giebelseiten mit einem Wärmeverbundsystem verkleidet worden. Die Fenster seien durch Kunststofffenster ersetzt worden. Es fehle auch an der wissenschaftlichen Bedeutung des Objekts. Es könne nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein, da mit Blick auf die erheblichen Veränderungen an dem Gebäude und mangels hinreichender Sachverhaltsaufklärung keine Rückschlüsse auf die Lebensverhältnisse der --------- Juden gezogen werden könnten. Auch einem großen Kreis von Sachverständigen dränge sich seine Denkmalwürdigkeit nicht auf. Soweit die Beklagte die Unterschutzstellung der straßenseitigen Fassade damit begründe, dass Juden in der Mitte der Gesellschaft interniert worden seien, handele es sich um eine nachgeschobene Begründung, die sich aus der Begründung der Eintragung nicht ergebe.
15Der Kläger beantragt,
16die Eintragung des Gebäudes D. Straße in E. in die Denkmalliste der Beklagten und den hierzu ergangenen Eintragungsbescheid vom 14. Mai 2020 aufzuheben.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Sie sei bereits im Rahmen der angefochtenen Eintragung und dem Eintragungsbescheid davon ausgegangen, dass sich die Bewohnerzahlen des Hauses im Laufe der Zeit von 1939 bis 1941 verändert hätten. Belegt sei aus Primärquellen, das vor ihrer Deportation zehn Personen zur gleichen Zeit im Objekt gelebt hätten. Bereits diese abgesicherten Belegzahlen genügten, um die Überbelegung des Wohnhauses nachzuweisen. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass das Wohnhaus nicht als Mehr- sondern Einfamilienhaus ausgestaltet gewesen sei. Die Familie ----- sei gezwungen worden, ihr Wohnhaus mit sieben weiteren Personen zu teilen. Unabhängig davon sei jedoch davon auszugehen, dass zuvor tatsächlich ca. 30 Personen dort gelebt haben. Die insofern vorliegenden Sekundärquellen seien mit Blick auf die weitgehende Zerstörung von Primärquellen als ausreichend anzusehen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass --------- Zeitzeuge und studierter Historiker gewesen sei. Mit Blick auf die gesicherte Erkenntnis, dass 1933 jedenfalls 61 Juden in E. lebten, erscheine seine Schätzung von 30 Personen zutreffend. Die unter Schutz gestellte Kubatur und Fassade seien durch die baulichen Veränderungen nicht beeinträchtigt worden, sodass das Objekt seinen Denkmalwert nicht verloren habe. Die Bedeutung eines Objekts müsse sich nicht schon auf den ersten Blick und erst recht nicht aus laienhafter Sicht erschließen.
20Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
21Er schließt sich den Ausführungen der Beklagten an. Ergänzend weist er darauf hin, dass es in der Natur des nationalsozialistischen Unrechts liege, dass es sich nicht über ein Lagerwesen definiere, sondern auch in den Alltag vor Ort hineingereicht und hier die vorgefundenen Gegebenheiten für seine völkischen Ziele nutzbar gemacht habe. Dies sei vorliegend durch die Umfunktionierung eines aus anderer Zeit stammenden Wohnhauses hin zur Konzentration von Personen bestimmter Glaubensrichtung gegen ihren Willen. Vor diesem Hintergrund liege ein wissenschaftlicher Grund zur Erhaltung vor. Es bedürfe insoweit keiner restlosen Ausforschung der durch das Objekt vermittelten historischen Bezüge. Es solle vielmehr für weitere Forschung gesichert werden und nachfolgenden Generationen als Quelle hierfür zur Verfügung stehen. Dabei könne nie ausgeschlossen werden, dass durch nachzeitige aufkommende Forschungsmethoden oder das Auffinden zum Zeitpunkt der Eintragung unbekannter Quellen hier eine genauere Erkenntnis zum/am/über das Objekt möglich werden wird/kann. Der Themenkomplex „----- bzw. -----häuser“ sei nach wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Insofern legt er den Aufsatz „Leben in den Breslauer Judenhäusern“ von -------- vor. Dass vorliegend mit Sekundärquellen gearbeitet wurde, mache die erarbeiteten Ergebnisse nicht weniger tragfähig. Insofern werde darauf hingewiesen, dass grundsätzlich keine prozessualen Bedenken in Bezug auf das Beweismittel des Zeugen bestehen, der ebenfalls eine Sekundärquelle darstelle. Im Übrigen sei der herangezogene Autor historisch geschult. Widersprüche oder denklogische Brüche innerhalb der Quellen seien dem Beigeladenen nicht bekannt geworden. Es liege hier ein einzigartiger Bezug zwischen dem nationalsozialistischen Unrecht und der Ortsgeschichte der Beklagten vor. Diese Zeugniskraft sei individuell und könne nicht durch die Existenz eines anderen „-----hauses“ kompensiert werden. Die von dem Kläger angeführten Vergleichsobjekte könne die Beklagte schon mangels örtlicher Zuständigkeit nicht eintragen. Im Übrigen komme der Beklagten kein Ermessen hinsichtlich einer Unterschutzstellung zu. Die von dem Kläger vorgetragenen Aspekte zur Denkmalgeeignetheit und Denkmalwürdigkeit seien ohne Belang, da es nach dem Willen des Gesetzgebers keine solchen ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale neben der notwendigen Merkmale des § 2 Abs. 1 DSchG NRW.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in dem vorliegenden Verfahren sowie den Verfahren 2 K 6326/17 und 2 K 3238/19 und der jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
24I. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
25Die Eintragung des Wohnhauses D. Straße -- in E. in die Denkmalliste der Beklagten und deren Eintragungsbescheid vom 14. Mai 2020 sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten (Vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
26Die Eintragung in die Denkmalliste der Beklagten richtet sich gem. §§ 43 Abs. 2, 44 Denkmalschutzgesetz Nordrhein-Westfalen vom 22. April 2022 (GV NRW S. 662, nachfolgend: DSchG NRW 2022) nach dem nordrhein-westfälischem Denkmalschutzgesetz in der Fassung vom 11. März 1980, zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 15. November 2016 (GV NRW S. 934, nachfolgend: DSchG NRW). Die vorliegend im Streit stehende Eintragung findet ihre gesetzliche Grundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 und 2 S. 1 DSchG NRW und ist formell (1.) und materiell (2.) rechtmäßig erfolgt.
271. Die Eintragung ist formell rechtmäßig.
28Insbesondere greift der vom Kläger erhobene Einwand mangelhafter Sachverhaltsaufklärung und damit eines Verstoßes gegen § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NW nicht durch.
29Der in § 24 VwVfG normierte Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet die Behörde, den für das Verwaltungsverfahren maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen umfassend und ohne Bindung an das jeweilige Beteiligtenvorbringen objektiv zu ermitteln. Art und Umfang der Ermittlungen bestimmt deshalb innerhalb der vom Gegenstand des Verfahrens gezogenen Grenzen primär die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Behörde muss sämtliche entscheidungserhebliche Tatsachen und Umstände soweit aufklären, dass die Voraussetzungen für den Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu ihrer Überzeugung vorliegen, also Entscheidungsreife gegeben ist. Der Rahmen wird abgesteckt durch den Verfahrensgegenstand und die rechtliche Beurteilung, die die Behörde dem Fall nach dem jeweiligen Fachrecht zugrunde legt. Die Intensität der Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhaltes wird durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt. So darf die Behörde ihre Ermittlungsbemühungen nach pflichtgemäßen Ermessen auf das im jeweiligen Einzelfall gebotene zumutbare Maß an sachlichem und zeitlichem Aufwand beschränken. Die Amtsermittlungspflicht findet entsprechend dort seine Grenze, wo weitere Bemühungen der Behörde im Verhältnis zum Erfolg nicht mehr vertretbar und zumutbar wären.
30Vgl. Ritter in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 24 VwVfG (Stand: 07.04.2021), Rn. 11 ff.
31Unter Anwendung dieser Grundsätze sind die Beklagte und der Beigeladene ihrer Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung ausreichend nachgekommen. Sie haben die Geschichte des Wohnhauses D. Straße -- insbesondere in den Jahren 1939 bis 1941 unter Berücksichtigung der ihnen zur Verfügung stehenden Quellen recherchiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das Wohnhaus in dieser Zeit als sogenanntes „-----haus“ fungiert hat, in dem die jüdische Bevölkerung ------- zusammengezogen wurde, um im Anschluss deportiert zu werden. Dass sie sich hierbei im Wesentlichen auf Sekundärliteratur von --------- berufen, ist nicht zu beanstanden. Denn die Primärquellen zu diesem Thema sind in großen Teilen vernichtet worden. Die noch existente Primärquelle „Liste der am 10.12.1941 von der Staatspolizeileitstelle Münster nach Riga deportierten Juden“ bestätigt die Ergebnisse des I. C. , wonach im Mai/ Juni 1941 noch zehn Personen im „-----haus“ an der D. Straße aufhielten (vgl. ------ Heimtatblätter, 1993, Heft 3/4, S. 3).
32Entgegen der Auffassung des Klägers ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Deportationsliste erst im gerichtlichen Verfahren vorgelegt hat. Denn das Nachschieben von Gründen ist grundsätzlich im Rahmen des materiellen Rechts und des Verwaltungsprozessrechts zulässig. Das Verwaltungsgericht hat gem. dem Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO den Sachverhalt in dem zur Sachentscheidung erforderlichen Umfang aufzuklären und unter Berücksichtigung aller rechtlichen Gesichtspunkte selbst über den Klagantrag zu entscheiden. Deren Vorliegen haben die Gerichte unabhängig von der Rechtsauffassung der Beteiligten selbständig und in eigener Verantwortung zu prüfen. Entscheidend ist bei gebundenen Entscheidungen die Übereinstimmung der getroffenen Regelung mit den gesetzlichen Voraussetzungen.
33Vgl. Schemmer in: BeckOK, VwVfG, Stand 01.07.2022, § 46, Rn. 35
34Dass der Beklagten bzw. dem Beigeladenen weitergehende Ermittlungen möglich gewesen wären, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
35Soweit der Kläger der Auffassung ist, dass die von der Beklagten und Beigeladenen ins Feld geführten Quellen den von ihr zugrunde gelegten Sachverhalt und in der Folge ihre rechtliche Einschätzung nicht tragen, ergibt sich daraus keine mangelhafte Sachverhaltsermittlung.
362. Gegen die Unterschutzstellungsverfügung ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nichts zu erinnern. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage sind vorliegend erfüllt. Gemäß § 3 Abs. 1 DSchG NRW sind Denkmäler in die Denkmalliste einzutragen. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 DSchG NRW sind Denkmäler Sachen, Mehrheiten von Sachen und Teile von Sachen, an deren Erhaltung und Nutzung ein öffentliches Interesse besteht. Ein öffentliches Interesse besteht nach Satz 2 der genannten Vorschrift, wenn die Sachen bedeutend für die Geschichte des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse sind und für die Erhaltung und Nutzung künstlerische, wissenschaftliche, volkskundlichen oder städtebauliche Gründe vorliegen.
37Nach der gesetzlichen Regelung ist die Denkmaleigenschaft, welche die Behörde zur Eintragung in die Denkmalliste verpflichtet und ihr insoweit nicht etwa ein Ermessen einräumt, bereits dann gegeben, wenn jeweils nur eines der einzelnen Merkmale, die in den beiden in § 2 Abs. 1 Satz 1 DSchG NRW angeführten Gruppen von Tatbestandsmerkmalen enthalten sind, erfüllt ist, das heißt auch wenn die in Rede stehende Sache „bedeutend“ nur unter einem der angeführten Aspekte ist und für seine Erhaltung und Nutzung nur einer der angeführten Gründe vorliegt.
38Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Januar 1990 – 7 A 429/88 –, juris Rn. 31.
39Für die Einordnung eines Objektes als Baudenkmal kommt es somit darauf an, dass die zuständige Untere Denkmalbehörde – ggf. im Zusammenwirken mit dem Beigeladenen (§ 22 Abs. 2 DSchG NRW) – den Denkmalwert anhand von Tatsachen ermittelt und diesen wenigstens einer der Bedeutungskategorien und mindestens einer der Erhaltungskategorien des § 2 Abs. 1 Satz 2 DSchG NRW zuordnet. Eine pauschale Erklärung genügt nicht; vielmehr ist es erforderlich darzulegen, welche Teile des denkmalwerten Objektes wofür Zeugnis ablegen und welche Aussagen ihnen jeweils zugesprochen werden sollen. Nur in Kenntnis dieser an Tatsachen festzumachenden Bewertungen lässt sich letztlich rechtsfest ermessen, ob und inwieweit eine Veränderung der baulichen Substanz eines Denkmals dessen Aussagewert nachteilig berührt.
40Vgl. OVG NRW, Urteil vom 02. März 2018 – 10 A 2580/16 –, juris Rn. 45.
41Ausgehend von diesem Bewertungsmaßstab handelt es sich bei dem Wohnhaus D. Straße -- in E. um ein Denkmal. Es ist bedeutend für die Geschichte des Menschen (dazu a.) und es liegen wissenschaftliche Gründe für seine Erhaltung und Nutzung vor (dazu b.).
42a. Den einzelnen Merkmalen, aus denen sich die Bedeutung des Objektes ergeben soll, ist die Kategorie des Geschichtlichen gemeinsam. Die Bedeutung des Objekts folgt aus seinem Wert für die Dokumentation früherer Bauweisen und der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die in dem Gebäude und seiner Bauweise zum Ausdruck kommen. Das Objekt muss in besonderem Maße geeignet sein, geschichtliche Entwicklungen aufzuzeigen und zu erforschen.
43Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12.09.2006 - 10 A 1541/05 -, BauR 2007, 363.
44Dabei sollen nicht nur museumswürdige Objekte oder klassische Denkmäler Schutz genießen, sondern auch solche Objekte, die unterhalb dieser Schwelle in besonderer Weise einen geschichtlichen Bezug aufweisen. Nicht zu verlangen ist, dass es sich um ein einzigartiges oder qualitativ hervorragendes Objekt handelt und sich daher die Bedeutung auch jedem durchschnittlichen Betrachter unmittelbar aufdrängt. Das Tatbestandsmerkmal "bedeutend" hat in diesem Sinne vor allem die Funktion, aus dem Bereich des Denkmalschutzes solche Gegenstände auszuschließen, die zwar einen historischen oder städtebaulichen Bezug haben, jedoch deshalb nicht von Bedeutung sind, weil es sich um Massenprodukte handelt, oder weil die Sache wegen zu weitgreifender Veränderungen keinen geschichtlichen Aussagewert mehr hat.
45Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.02.2008 - 10 A 4484/06 -, juris.
46Bedeutung für die Geschichte des Menschen hat ein Objekt dann, wenn es einen Aussagewert für das Leben bestimmter Zeitepochen sowie für die politischen, kulturellen und sozialen Verhältnisse und Geschehensabläufe hat. Diese Bedeutung kann aus allen Zweigen der Geschichte hergeleitet werden, etwa aus der politischen Geschichte, der Militär-, Religions-, Wirtschafts-, Geistes-, Technik-, Kunst- oder Sozialgeschichte,
47Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. April 2004 - 8 A 687/01 -, juris Rn. 51, m.w.N; Urteil vom 2. April 1998 - 10 A 6950/95 -, juris Rn. 32; VG Düsseldorf, Urteile vom 28. Januar 2021 - 28 K 823/18 -, juris Rn. 84 und vom 30. Januar 2020 - 28 K 7833/19 -, juris Rn. 30.
48Nach den Stellungnahmen des Beigeladenen, dessen Amt für Denkmalpflege die Rolle unparteilicher, fachlich weisungsungebundener Gutachter zugewiesen ist (vgl. § 22 Abs. 4 Halbsatz 1 DSchG NRW) und von denen sachkundige Stellungnahmen zur Schutzwürdigkeit von Baudenkmälern erwartet werden können, ist das Gebäude in seiner Kubatur sowie mit seiner straßenseitigen Fassade bedeutend. Eine tragfähige Grundlage für denkmalfachliche Feststellungen bieten solche Stellungnahmen nur dann nicht, wenn sie widersprüchlich oder unschlüssig sind oder von falschen Voraussetzungen ausgehen.
49Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. November 2016 – 10 A 660/15 –, juris, Rn. 7 m.w.N.
50Dies ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht der Fall.
51Der Beigeladene hat in seinen Stellungnahmen den historischen Hintergrund sowie die Baugeschichte des Wohnhauses hinreichend aufgearbeitet. Danach habe der ursprüngliche Eigentümer I1. N. im Jahr 1913 das heute überkommene Gebäude errichtet, nachdem der eingeschossige in Mischbauweise errichtete Vorgängerbau niedergebrannt war. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt habe N. das Gebäude an den jüdischen Viehhändler T. veräußert, der es an seine Schwester S. H. vererbte, die es im Jahr 1939 an den jüdischen Gewerbetreibenden Q. verkaufte. Bis zum Zeitpunkt der Novemberpogrome 1938 sei der jüdische Haus- und Grundbesitz in E. in fremde Hände übergegangen. Nur das Haus an der D. Straße -- habe sich noch im Eigentum des jüdischen I2. Q. befunden. Dies stelle eine Seltenheit dar. Ab 1939 habe das Wohnhaus als sogenanntes „-----haus“ gedient. Nach den Novemberpogromen seien die Nationalsozialisten unter Berufung auf die „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ dazu übergegangen, die verbliebenen Juden auch räumlich von der übrigen Bevölkerung zu trennen. So sei auch in E. die verbliebene jüdische Bevölkerung zur vollständigen Isolation und Vorbereitung der Deportation im „-----haus“ an der D. Straße konzentriert worden. Die jüdische Gemeinde der Beklagten sei der Machtergreifung bis zum 31. Dezember 1938 auf 44 Mitglieder geschrumpft. Diese hätten im Juni 1939 ins „-----haus“ an der D. Straße umziehen müssen. Am 31. Dezember 1939 seien noch 20 Personen in dem Haus untergebracht gewesen. Im Mai 1941 hätten noch 10 Personen im „------haus“ gelebt. Im April 1942 seien die letzten zwei Bewohner – I2. und Sara Q. – nach Riga deportiert worden. Im Anschluss sei das Eigentum an dem Wohnhaus auf die Beklagte übergegangen, die es in den 1950er Jahren an die Familie des Klägers veräußert habe.
52Erhebliche Widersprüche, Unschlüssigkeiten oder falsche Feststellungen sind in den Ausführungen des Beigeladenen und in der Folge der Beklagten nicht zu erkennen. Dass sich sie sich im Wesentlichen auf Sekundärliteratur berufen, ist nicht zu beanstanden. Denn die Primärquellen zu diesem Thema sind in großen Teilen vernichtet worden. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der zitierten Quelle I3. C. um einen Zeitzeugen und studierten Historiker gehandelt hat, von dem eine zutreffende Einschätzung erwartet werden kann. Diese Beurteilung wird durch den Umstand gestützt, dass seine Angaben, wonach sich im Mai/ Juni 1941 noch zehn Personen im „-----haus“ an der D. Straße aufhielten (vgl. ------ Heimtatblätter, 1993, Heft 3/4, S. 3), von der noch existenten Primärquelle „Liste der am 10.12.1941 von der Staatspolizeileitstelle N1. nach Riga deportierten Juden“ bestätigt werden. Anhaltspunkte dafür, dass seine übrigen Einschätzungen an der Wirklichkeit vorbei gehen könnten, sind nicht ersichtlich. Soweit der Kläger insofern rügt, dass die Beklagte und der Beigeladene unter Bezugnahme auf Sekundärquellen zunächst davon ausgegangen seien, dass sich in dem „-----haus“ 44 Personen aufgehalten hätten und später von 30 Personen die Rede gewesen sei, lässt sich dies daraus erklären, dass die jüdische Gemeinde Dülmens am 31. Dezember 1938 44 Mitglieder aufwies, der Bezug des „-----hauses“ jedoch erst im Juni 1939 erfolgte. Die sinkenden Zahlen der jüdischen Bevölkerung in E. in den Jahren 1933 bis 1941 greift C. bereits in der Festschrift aus dem Jahr 1961 auf. Dies steht in keinem Widerspruch zu seinen weiteren Publikationen. Dass sich die Bewohnerzahlen im Laufe der Zeit durch Wegzug, Tod und Deportation verändert haben, liegt in der Natur der Sache. Dies haben auch der Beigeladene und die Beklagte im Rahmen des Eintragungsverfahrens zugrunde gelegt. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus den von dem Kläger vorgelegten Zeitungsartikeln. Vielmehr bestätigt der Artikel „Von E. über Riga in den Tod“ vom 30. November 1990 die Feststellungen von C. und aus der Deportationsliste. Über die Situation des Hauses an der D. Straße vor der Deportation im Jahr 1941 verhält er sich nicht. Ob die für den Artikel „Die beiden letzten Juden in E. “ interviewten Zeitzeugen von einem „-----haus“ berichtet haben, ist unklar. Sie werden zwar in dem Artikel insofern nicht zitiert. Dies erklärt sich aber ohne weiteres aus dem Thema des Interviews, nämlich dem Leben der Eheleute Q. nach der Deportation ihrer Tochter D1. und der übrigen noch in E. lebenden jüdischen Personen. Im Übrigen ordnet auch dieser Zeitungsartikel das Haus an der D. Straße als „-----haus“ ein. Soweit der Kläger anmerkt, dass auf den Meldekarten der aus dem Objekt heraus deportierten Juden teilweise noch andere Wohnsitze aufgeführt werden, erklärt sich dies dadurch, dass dort noch der Wohnort vor der Zwangseinweisung aufgeführt wurde. Dass diese Personen in das Haus an der D. Straße -- (heute --) eingewiesen worden waren, ergibt sich nachweislich aus der Deportationsliste.
53Das Gericht hat unter Berücksichtigung des Vorbingens der Beteiligten keinen Zweifel, dass die gesamte jüdische Bevölkerung in den Jahren 1939 bis 1942 und damit anfänglich ca. 30 Personen in dem Wohnhaus D. Straße -- zusammengezogen wurde.
54Der Beigeladene und die Beklagte haben auch die ortsgeschichtliche Bedeutung des Wohnhauses D. Straße -- in E. schlüssig dargelegt: Das Haus sei aufgrund seiner spezifischen Nutzung als „-----haus“ in den Jahren 1939 bis 1942 bedeutend für die Geschichte der Menschen in E. . Als historischer Ort der Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung -------dokumentiere das Gebäude sowohl das Leben und Leiden der -------- Juden als auch die Untaten des antisemitischen Regimes. Der nationalsozialistische Vernichtungsapparat erschließe sich an authentischen historischen Orten auf lokaler Ebene wie dem streitgegenständlichen Wohnhaus. Hier zeige sich insbesondere an der Lage inmitten der städtischen Gemeinschaft und der Gebäudekubatur mit der Unterbringung von rund 30 Personen in der überbelegten Wohnung der menschunwürdige Umgang des antisemitischen Regimes mit Juden. Der überlieferten Fassade komme Denkmalwert zu, da durch sie dokumentiert werde, dass die jüdische Bevölkerung ab 1939 in einem bestehenden und vor allem damals im jüdischen Besitz befindlichen Gebäude zusammengezogen wurde. Die Umnutzung jüdischer Immobilien zur Zwangseinweisung der wohnraumenteigneten Juden und damit ihre Konzentration vor der Deportation sei übliches Vorgehen gewesen. Die überlieferte Straßenfassade des Wohnhauses D. Straße -- in E. dokumentiere damit die gängige sozialsozialistische Praxis, jüdische Immobilien umzunutzen, um dort die wohnraumenteigneten Juden der Gemeinde vor ihrer Deportation zu konzentrieren. Bei dem ehemaligen ------haus D. Straße -- handele es sich um den letzten überlieferten, zentralen Ort jüdischen Lebens in E. . An diesem manifestierten sich baulich-räumlich die Verbrechen des Nationalsozialismus an der jüdischen Bevölkerung auf lokaler Ebene.
55Dieser Bewertung schließt sich das Gericht an.
56Entgegen der Auffassung des Klägers sind an dem Wohnhaus in seiner Kubatur und Lage der Umgang des nationalsozialistischen Regimes mit den -------- Juden und ihre Lebensumstände – insbesondere in der Zeit von 1938 bis 1942 – ablesbar. Dabei kommt es auf die genaue Anzahl der dort eingewiesenen Juden nicht an. Selbst wenn dort in der gesamten Zeit von 1939 bis 1941 „nur“ zehn Personen aus unterschiedlichen Familien gegen ihren Willen gemeinsam untergebracht worden sind, kann anhand der Kubatur und Lage des Wohnhauses ihr Leben in beengten Verhältnissen und der unmenschliche Umgang der Nationalsozialisten mit der jüdischen Bevölkerung veranschaulicht werden. In dem Zusammenhang kommt es nicht nur auf den mathematisch zur Verfügung stehenden Raum an. Vielmehr ist auch zu berücksichtigen, dass es sich um ein Einfamilienhaus handelte, das nicht für die Unterbringung mehrerer Familien ausgestattet war und die dort lebenden Menschen aufgrund der nationalsozialistischen Gesetzgebung entrechtet und ausgegrenzt wurden. Jedoch ist das Gericht – wie oben ausgeführt - anhand der vorliegenden Quellen davon überzeugt, dass sich anfänglich circa 30 Personen in dem Wohnhaus aufhalten mussten und somit auch rein mathematisch eine räumliche Enge gegeben war. Die Lage des Hauses inmitten der städtischen Gemeinschaft macht zudem deutlich, dass der Umgang mit den jüdischen Mitbürgern der -------- Bevölkerung nicht verborgen geblieben sein kann. Die straßenseitige Fassade dokumentiert, dass die jüdische Bevölkerung in einem bestehenden Gebäude zusammengezogen wurde. Diese Erwägung findet sich bereits in dem Eintragungsbescheid, sodass die Rüge des Klägers, die Beklagte habe in unzulässiger Weise Gründe nachgeschoben, ins Leere geht. Mit Blick auf seine Nutzung „-----haus“ ist das Objekt in besonderem Maße geeignet, den Umgang der Nationalsozialisten mit der jüdischen Bevölkerung aufzuzeigen und zu erforschen. Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf die Ausführungen von G2. M. in dem Aufsatz „Leben in den ----------- ------häusern“ die Auffassung vertritt, bei dem Objekt handele es sich nicht um ein „-----haus“ folgt das Gericht dem nicht. Die von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung aus dem Aufsatz herausgefilterten Kriterien für das Vorliegen eines „-----hauses“ sind nicht allgemeingültig und auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Denn in dem Artikel werden ausdrücklich die „--------- -----häuser“ beleuchtet, also die ----häuser in der Stadt mit der drittgrößten jüdischen Gemeinde. G2. M. selbst weist ausdrücklich darauf hin, dass die Situation in den verschiedenen Städten und damit die Zahl, Lage und Art der „-----häuser“ sehr unterschiedlich war (vgl. Bl. 107, Abs. 1 der Schriftenreihe Jüdisches Leben in Deutschland, Bl. 108 der Gerichtsakte). Insofern kann weder aus dem Fehlen eines Listeneintrages noch aus dem Umstand, dass es sich nicht um ein unattraktives Gebäude am Stadtrand handelte, geschlossen werden, dass das streitgegenständlichen Objekt kein „-----haus“ war. Gleiches gilt für den Umstand, dass unbekannt ist, ob das Haus durch ein Papier- oder Pappstern gekennzeichnet war. Maßgeblich ist vielmehr die hier vorliegende zwangsweise Einweisung der jüdischen Bevölkerung in das Objekt. Dabei ist ohne Belang, ob der Zwang zu einer Umsiedlung oder zur Aufnahme weiterer Juden in der eigenen Wohnung führte (so auch G2. M. in ihrem Aufsatz, s. S. 107, Abs. 2 der Schriftenreihe Jüdisches Leben in Deutschland, Bl. 108 der Gerichtsakte).
57Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den von dem Kläger ins Feld geführten baulichen Veränderungen. Die für den Denkmalwert erforderliche besondere Bedeutung einer Sache entfällt wegen baulicher Veränderungen nur dann, wenn sie insgesamt auf Dauer ihre ursprüngliche Identität verloren hat, was nicht der Fall ist, wenn sie nach den Veränderungen mit ihrem historischen Dokumentationswert und mit den ihren Denkmalwert begründenden Merkmalen im Wesentlichen noch vorhanden ist und die ihr als Denkmal zugedachte Funktion, Aussagen über bestimmte Vorgänge oder Zustände geschichtlicher Art zu dokumentieren, noch erfüllen kann.
58Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Februar 2017 - 10 A 2568/15 -, juris Rn. 8 und Urteil vom 12. September 2006 - 10 A 1541/05 -, juris Rn. 59.
59Es entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung, dass eine historische Bausubstanz im Laufe der Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte mit seinen Reparatur- und Sanierungsmaßnahmen „durch die Zeit“ geht. Eine Denkmaleigenschaft entfällt regelmäßig nicht schon dann, wenn im Laufe der Zeit Teile des Denkmalobjektes im Zuge üblicher Erhaltungsmaßnahmen ausgetauscht werden. Selbst wenn dies über Generationen hinweg dazu führt, dass der überwiegende Teil der Originalsubstanz nach und nach durch Material aus der Zeit der jeweiligen Erhaltungsmaßnahmen ersetzt wird, fällt die Denkmaleigenschaft nicht weg. Denn ein derartiges Gebäude ist auf den fortwährenden Austausch abgängiger Bestandteile angelegt.
60Vgl. OVG NRW, Urt. v. 4. Mai 2009 – 10 A 699/07 -, juris, Rn. 33; Beschl. v. 29. November 2016 – 10 A 660/15 -, juris, Rn. 12.
61Ausgehend von diesen Maßstäben haben die baulichen Veränderungen keinen Einfluss auf den Denkmalwert des Wohnhauses D. Straße --. In Bezug auf die Kubatur sind keine Veränderungen vorgenommen worden. An der unter Schutz gestellten straßenseitigen Fassade sind zwar Kunststofffenster eingebaut worden. Jedoch ist es nicht so, dass moderne Materialien bei der Renovierung von Baudenkmälern generell keine Verwendung finden dürften. Die gesetzlich geforderte sinnvolle Nutzung von Baudenkmälern kann auch die Verwendung solcher Materialien jedenfalls dann gestatten, wenn ihr Einsatz für den jeweiligen Denkmalwert keine besondere Bedeutung hat und die konkrete Ausführung auf das Erscheinungsbild des Denkmals angemessen Rücksicht nimmt.
62Vgl. OVG NRW, Urt. v. 20. März 2018 – 10 A 2580/16 -, juris Rn. 50.
63b. Für die Erhaltung und Nutzung des Gebäudes liegen auch wissenschaftliche Gründe für seine Erhaltung vor. So führt der Beigeladene in seiner fachlichen Stellungnahme bzw. seiner Klageerwiderung überzeugend aus: Es handele sich um einen Vermittlungsort, der Ortsgeschichte greifbar und begreifbar mache. Über das lokale wissenschaftliche Interesse hinaus könne das ------haus auch für die allgemeine Beschäftigung mit dem Phänomen ------ bzw. ------haus als Mittel nationalsozialistischer Vernichtungspolitik von Bedeutung für die Geschichtshistoriografie sein. Nicht nur augenscheinliche Orte, sondern gerade die inmitten der städtischen Gemeinschaft gelegenen Orte von Ausgrenzung und Isolationen – wie die -----häuser – verdeutlichten die Verbrechen der Nationalsozialisten an der jüdischen Bevölkerung. Für die Vermittlung der deutschen Geschichte an kommende Generationen bedürfe es der authentischen Orte an denen sich die historischen Ereignisse heute noch ablesen bzw. erläutern lassen. Die -----häuser spielten im Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung eine zentrale Rolle. Es bedürfe insoweit keiner restlosen Ausforschung der durch das Objekt vermittelten historischen Bezüge. Es solle vielmehr für weitere Forschung gesichert werden und nachfolgenden Generationen als Quelle hierfür zur Verfügung stehen. Dabei könne nie ausgeschlossen werden, dass durch nachzeitige aufkommende Forschungsmethoden oder das Auffinden zum Zeitpunkt der Eintragung unbekannter Quellen hier eine genauere Erkenntnis zum/am/über das Objekt möglich werden wird/kann. Dem schließt sich das Gericht an.
643. Mit Blick darauf, dass es sich bei der Eintragung eines Denkmals in die Denkmalliste nach § 3 DSchG NRW um eine gebundene Entscheidung handelt, ist – unabhängig von der Frage der örtlichen Zuständigkeit – für eine Selbstbindung der Beklagten und einen darauf gestützten Anspruch auf Gleichbehandlung kein Raum. Insofern sind die Ausführungen des Klägers zum I4. C1. in C2. P. ohne Belang.
65II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nach §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Referenzen
- VwGO § 154 2x
- VwGO § 162 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 3 DSchG 2x (nicht zugeordnet)
- § 2 DSchG 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 24 Untersuchungsgrundsatz 3x
- VwGO § 167 1x
- § 2 Abs. 1 DSchG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- § 2 Abs. 1 und 2 S. 1 DSchG 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 1 DSchG 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 1 S. 1 DSchG 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 1 Satz 1 DSchG 1x (nicht zugeordnet)
- § 22 Abs. 2 DSchG 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 1 Satz 2 DSchG 1x (nicht zugeordnet)
- § 22 Abs. 4 Halbsatz 1 DSchG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 K 6326/17 2x (nicht zugeordnet)
- 2 K 3238/19 3x (nicht zugeordnet)
- 7 A 429/88 1x (nicht zugeordnet)
- 10 A 2580/16 2x (nicht zugeordnet)
- 10 A 1541/05 2x (nicht zugeordnet)
- 10 A 4484/06 1x (nicht zugeordnet)
- 8 A 687/01 1x (nicht zugeordnet)
- 10 A 6950/95 1x (nicht zugeordnet)
- 28 K 823/18 1x (nicht zugeordnet)
- 28 K 7833/19 1x (nicht zugeordnet)
- 10 A 660/15 2x (nicht zugeordnet)
- 10 A 2568/15 1x (nicht zugeordnet)
- 10 A 699/07 1x (nicht zugeordnet)