Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (4. Kammer) - 4 A 565/11

Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, den Eintrag "Die Personendaten beruhen auf den eigenen Angaben der Antragstellerin" im Reiseausweis für Staatenlose der Klägerin zu streichen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Streichung des Eintrags in ihrem Reiseausweis für Staatenlose „Die Personendaten beruhen auf den eigenen Angaben der Antragstellerin“.

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Die Klägerin ist 1965 in Aserbaidschan geboren. Sie reiste 2002 nach Deutschland ein. Im Rahmen des Asylverfahrens gemeinsam mit ihren zwei Kindern stellte das Verwaltungsgericht 2006 fest, dass die Klägerin staatenlos sei (Az. 14 A 278/02). Aus einem Klageverfahren im Jahr 2008 um die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für sich und ihren seinerzeit minderjährigen Sohn (Az. 4 A 91/08) geht hervor, dass der Beklagte nach einer Vorführung der Klägerin bei der Armenischen Botschaft davon ausging, dass die Klägerin Armenierin sei. Im April 2009 hat die Armenische Botschaft in Berlin nach einer Sondervorführung negativ bestätigt, dass die Klägerin, ihr getrennt lebender Ehemann und ihre beiden Söhne keine Armenischen Staatsangehörigen sind. Die Klägerin ist nach einem gerichtlichen Vergleich in dem Verfahren 4 A 91/08 von November 2009 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sowie eines Reiseausweises für Staatenlose.

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Am 27.5.2011 legte der Bevollmächtigte der Klägerin vorsorglich Widerspruch gegen den Zusatz im Reiseausweis ein. Falls der Eintrag nur faktisches Tun sei, werde geben, den Eintrag unverzüglich zu löschen. Es gebe Zeugen, die die belegte glaubhafte Identität bestätigen könnten. Beigefügt wurde eine eidesstattliche Versicherung des anerkannten Flüchtlings …, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

4

Der Beklagte wies am 8.6.2011 darauf hin, dass der Eintrag nur ein Hinweis sei. Er sei auch schon in dem vorherigen Reiseausweis der Klägerin enthalten gewesen. Bei den vorgelegten Unterlagen handele es sich nicht um Lichtbildausweise, sodass die Identität der Klägerin nicht gesichert nachgewiesen sei. Solange keine weiteren Unterlagen vorgelegt würden, bleibe der Hinweis in dem Reiseausweis bestehen.

5

Auf nochmaliges Beharren des Kl-PB stellte sich der Beklagte am 21.6.2011 auf den Standpunkt, dass ernsthafte Zweifel an den Identitätsangaben der Klägerin bestünden. Ein Widerspruch gegen den Hinweis sei nicht möglich, da es keine anfechtbare Regelung im Sinne eines Verwaltungsaktes sei. Die Angelegenheit werde als erledigt angesehen.

6

Am 23.11.2011 hat die Klägerin (Untätigkeits-)Klage erhoben. Sie trägt vor, sie habe verschiedene Dokumente zum Nachweis ihrer Identität vorgelegt, z.B. Geburtsurkunde, Schulzeugnisse der 8. und 10. Klasse, Schreibmaschinenkurs, Schneiderinkurs sowie die eidesstattliche Versicherung des Herrn vom 9.12.2008, ohne dass der Beklagte diese berücksichtigt hätte. Es sei nicht ersichtlich, warum der Beklagte annehme, es bestünden Zweifel an ihrer Identität, da er seine Auffassung sachlich nicht begründet habe. Die Klägerin bietet Zeugenbeweis durch ihre Schwester, an. Diese könne ihre Identität bestätigen.

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Sie werde durch den Zusatz in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Es werde dadurch unterstellt, dass ihre Angaben nicht stimmten.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten zu verpflichten, den Eintrag „Die Personendaten beruhen auf den eigenen Angaben der Antragstellerin“ im Reiseausweis für Staatenlose zu streichen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der strittige Hinweis im Reiseausweis für Staatenlose der Klägerin gründe sich auf fehlenden Lichtbildnachweisen.

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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs des Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Zusatz „Die Personendaten beruhen auf den Angaben der Antragstellerin“ im Reiseausweis für Staatenlose der Klägerin ist rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten.

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Rechtsgrundlage für den Reiseausweis für Staatenlose ist Artikel 28 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 12. April 1976 (BGBl. 1976 II S. 476 ff.). Danach stellen die Vertragsstaaten den Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen außerhalb dieses Hoheitsgebiets gestatten. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Aufenthaltsverordnung vom 27. Februar 2013 (AufenthV) sind durch deutsche Behörden ausgestellte Passersatzpapiere für Ausländer u.a. der Reiseausweis für Staatenlose.

16

Die Klägerin hat zunächst ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Streichung des Zusatzes. Der Reiseausweis für Staatenlose ist nicht etwa nur in dem Sinne Passersatz, dass er es einem Ausländer ermöglicht, seiner aufenthaltsrechtlichen Passpflicht (vgl. §§ 3, 48 AufenthG; Vorschrift über Passersatzpapiere in § 4 AufenthV) nachzukommen. Vielmehr haben Reiseausweise, die auf der Grundlage von Art. 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen ausgestellt worden sind, eine weiter gehende Beweiskraft hinsichtlich der darin enthaltenen Personalien als andere von der Ausländerbehörde ausgestellte Dokumente. Staatenlose können sich im Personenstandsverfahren durch einen deutschen Reiseausweis für Staatenlose ausweisen. Den Reiseausweisen für Staatenlose und für Flüchtlinge kommt nämlich unter anderem eine Identifikationsfunktion zu. Sie haben die Aufgabe, die Identität des Ausweisinhabers anstelle eines Nationalpasses zu bescheinigen, und ersetzen in weitem Umfang einen nationalen Reisepass (BVerwG Urteil vom 17.3.2004 - 1 C 1/03 - BVerwGE 120, 206 ff.; Urteil vom 1.9.2011 – 5 C 27/10 - BVerwGE 140, 311 ff.). Ein Reiseausweis nach Art. 28 des genannten Abkommens ermöglicht wie ein nationaler Reisepass den (widerlegbaren) Nachweis, dass sein Inhaber die in ihm genannte, beschriebene und abgebildete Person ist und die darin enthaltenen Angaben mit den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Inhabers übereinstimmen (BVerwG a.a.O.). Die Gleichstellung mit einem Pass ergibt sich jeweils aus dem Text des Muster-Reiseausweises in den Anlagen zu den genannten Abkommen und den Vorschriften in den Anhängen, die auf nationale Pässe Bezug nehmen.

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Die Identifikationsfunktion des Reiseausweises kann aufgehoben werden durch einen Vermerk, wonach die angegebenen Personalien auf eigenen Angaben beruhen (BVerwG a.a.O.). In § 4 Abs. 6 S. 2 AufenthV ist dazu näher bestimmt, dass ein solcher Hinweis bei Reiseausweisen für Flüchtlinge und für Staatenlose aufgenommen werden kann, wenn ernsthafte Zweifel an den Identitätsangaben des Antragstellers bestehen (während dies bei Reiseausweisen für Ausländer nach § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 S. 1 i. V. m. § 5 AufenthV generell möglich ist). Wenn die ausstellende Behörde durch den Vermerk die Gewähr für die Richtigkeit der Identitätsangaben ablehnt, kann auch keine andere Behörde auf die Richtigkeit der Angaben im Sinne eines auch nur widerlegbaren Nachweises vertrauen (vgl. zu allem Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. August 2013 – 2 W 54/13 –, juris).

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Die Voraussetzungen für die Aufnahme eines solchen Hinweises liegen hier nicht vor. Der Beklagte hat nicht individuell geprüft, ob und aus welchem Grund er ernsthafte Zweifel an den Angaben der Klägerin hat. Die Klägerin hat diverse schriftliche Unterlagen, u.a. ihre Geburtsurkunde vorgelegt. Sie hat Zeugenbeweis für ihre Identität geliefert. Der Beklagte hat sich mit diesen Angaben nicht befasst, sondern auf der Vorlage eines Lichtbildausweises bestanden, um einen Reiseausweis ohne den streitigen Zusatz auszustellen. Diese Verwaltungspraxis steht jedoch im Widerspruch zu § 4 Abs. 6 AufenthV.

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Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

20

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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