Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 A 283/15

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Minderung seiner Versorgungsbezüge.

2

Der im Jahre 1971 geborene Kläger war Soldat auf Zeit und stand zuletzt im Range eines Oberfeldwebels im Dienste der Beklagten. Sein Dienstzeitende war auf den 31.08.2008 festgesetzt. Ab dem 01.09.2008 erhielt er eine Übergangsbeihilfe und fortlaufend Übergangsgebührnisse. Diese beliefen sich laut Bescheid vom 24.07.2008 zunächst auf 2.161,27 Euro (75 % der letzten Dienstbezüge). Nachdem er der Beklagten mitgeteilt hatte, dass er eine Berufsausbildung als Anlagenmechaniker absolviere und bis zum 28.02.2009 ohne Einkünfte sei, änderte die Beklagte mit Bescheid vom 12.08.2008 die Höhe der Übergangsgebührnisse und setzte diese auf 90 % der letzten Dienstbezüge fest.

3

Mit Bescheid vom 11.03.2009 wurden die Übergangsgebührnisse wegen Änderung der persönlichen Verhältnisse des Klägers wieder auf 75 % der letzten Dienstbezüge festgesetzt.

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Die Beklagte erhielt per Fax unter dem 12.07.2011 einen Arbeitsvertrag des Klägers, wonach dieser ab dem 08.03.2009 als Anlagenmechaniker fest angestellt und zu einem Stundenlohn von 10,47 Euro in einer 40-Stunden-Woche arbeite.

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Mit Änderungsbescheid vom 25.07.2011 minderte die Beklagte die Übergangsgebührnisse des Klägers um 15 % und setzte diese mit Wirkung vom 08.03.2009 auf 60 % der letzten Dienstbezüge fest. Zur Begründung hieß es, dass der Kläger Erwerbseinkommen außerhalb des öffentlichen Dienstes beziehe bzw. bezogen habe, welches höher sei als der Betrag dieser Verminderung.

6

In seinem dagegen erhobenen Widerspruch trug der Kläger vor, dass er seinen Meldepflichten nachgekommen sei; er habe den Arbeitsvertrag zeitgerecht beim Berufsförderungsdienst eingereicht und die Beklagte (Wehrbereichsverwaltung Nord) auch telefonisch über diese Tatsache unterrichtet.

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Mit Bescheid vom 26.08.2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

8

Sie machte zur Begründung im Wesentlichen geltend, dass der Kläger seine ihm aufgrund der Aushändigung eines Merkblattes und diverser weiterer Belehrungen bekannten Meldepflichten gegenüber der Wehrbereichsverwaltung nicht nachgekommen sei. Eine telefonische Unterrichtung reiche nicht aus. Gleiches gelte für die behauptete Einreichung des Arbeitsvertrages beim Berufsförderungsdienst. Dieser hätte vielmehr bei der seinerzeit noch zuständigen Wehrbereichsverwaltung Nord eingereicht werden müssen. Dies sei indes nicht geschehen. Die Minderung der Versorgungsbezüge werde im Wesentlichen auf die Vorschriften des § 11 Abs. 3 und 4 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) gestützt.

9

Der Kläger hat unter dem 25.09.2015 Klage erhoben.

10

Er trägt im Wesentlichen vor, dass sich die Aufhebung eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) richte. Bei Geldleistungen könne dieser nur unter den besonderen Voraussetzungen der Absätze 2 und 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Ausgeschlossen sei die Rücknahme, wenn der Begünstigte auf den Verwaltungsakt vertraut habe und dieses Vertrauen schutzwürdig sei. Er habe auf die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides vom 11.03.2009 vertraut. Die gewährten Leistungen seien für die allgemeine Lebensführung verbraucht worden. Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass er seiner 2004 geborenen Tochter und seiner Ehefrau gegenüber unterhaltsverpflichtet sei. Ihm müsse auch Vertrauensschutz zugebilligt werden. Er habe sämtliche Angaben richtig und vollständig gemacht, indem er sowohl telefonisch die Wehrbereichsverwaltung informiert als auch die notwendigen Unterlagen an den Berufsförderungsdienst geschickt habe. Der angefochtene Bescheid befasse sich im Übrigen ausschließlich mit den Vorschriften des SVG. Eine Ermessensausübung nach § 48 VwVfG sei nicht erkennbar. Schließlich habe die Beklagte über vier Jahre für den Erlass des Widerspruchsbescheides gebraucht. Es sei in diesem Zusammenhang die Wertung des § 48 Abs. 4 VwVfG zu berücksichtigen, wonach die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch die Behörde zulässig sei. Der Gesetzgeber habe dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er den Betroffenen innerhalb eines Jahres Rechtssicherheit in Bezug auf den Bestand des Verwaltungsaktes habe geben wollen. Er - der Kläger - habe darauf vertraut, dass eine Rückforderung überzahlter Übergangsgebührnisse nicht mehr erfolgen werden. Dessen ungeachtet sei bisher ein Rückforderungsbescheid noch nicht erlassen worden. Vorsorglich sei bereits darauf hinzuweisen, dass er die erlangten Leistungen zum einen verbraucht habe und zum anderen der Wegfall der Bereicherung eingetreten sei. Zudem seien etwaige Herausgabeansprüche auch verjährt.

11

Der Kläger beantragt,

12

den Bescheid der Beklagten vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2015 aufzuheben.

13

Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

15

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und trägt ergänzend vor, dass die Minderung um 15 % rechtmäßig sei. Diese richte sich nach § 11 Abs. 3 Satz 4 SVG. Den Meldepflichten sei der Kläger nicht nachgekommen. Der maßgebliche Arbeitsvertrag sei erst am 12.07.2011 an die zuständige Besoldung zahlende Stelle geschickt worden. Schließlich stünden die Versorgungsbezüge unter dem gesetzesimmanenten Vorbehalt einer möglichen Änderung und Rückforderung.

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Es könne dahinstehen, ob der Kläger sich nicht rechtsmissbräuchlich auf sein Vertrauen berufe; denn seine Schutzwürdigkeit sei nicht gegeben. Der Kläger habe Kenntnis gehabt, dass außerhalb des öffentlichen Dienstes erzieltes Einkommen unverzüglich der maßgeblichen Stelle mitzuteilen sei. Ihm sei auch bewusst gewesen, dass er dann mit einer Minderung zu rechnen habe.

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Die Kammer hat den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter durch Beschluss vom 14.04.2016 zur Entscheidung übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

20

Die Beklagte hat zu Unrecht ihre Bescheide vom 24.07., 12.08.2008 und 11.08.2009 durch den Bescheid vom 25.07.2011 geändert und die Übergangsgebührnisse des Klägers mit Wirkung vom 08.03.2009 um 15 % gemindert. Zwar nimmt das Gericht - zugunsten der Beklagten - an, dass sie mit dem Bescheid vom 25.07.2011 die früheren Bewilligungsbescheide zurückgenommen hat; denn auch wenn in dem Bescheid vom 25.07.2011 dies nicht ausdrücklich festgestellt wird, ist die Rücknahme zumindest konkludent erfolgt. Das legt bereits die Bezeichnung des Bescheides als „Änderungsbescheid“ nahe. Zudem wird dies deutlich aus dem Umstand, dass die Höhe der Übergangsgebührnisse für den Zeitraum ab 08.03.2009 und damit für die Vergangenheit neu festgesetzt und zur Begründung auf die ab diesem Zeitpunkt gegenüber der in den vorangegangenen Bescheiden zugrundegelegten geänderten Rechtslage verwiesen wurde (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.10.2011 - OVG 6 B 8.09 - juris).

21

Die Voraussetzungen der in Ermangelung einer spezialgesetzlichen Regelung im SVG heranzuziehenden Vorschrift des § 48 VwVfG als Rechtsgrundlage für die Rücknahme sind indes nicht erfüllt.

22

Nach der Bestimmung des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach S. 2 der Bestimmung darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlichen erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 -4 zurückgenommen werden.

23

Die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen zwar vor. Die vorangegangenen Bescheide, aufgrund derer dem Kläger Übergangsgebührnisse in Höhe von 90 % bzw. von 75 % gezahlt worden sind, sind rechtswidrig (geworden). Dies wird auch vom Kläger dem Grunde nach nicht in Abrede gestellt.

24

Auch wenn die Vorschrift des § 48 VwVfG im Grundsatz nur für solche Verwaltungsakte gilt, die von Anfang an, also bereits bei ihrem Erlass rechtswidrig waren und nicht für solche, die erst später rechtswidrig werden (für letztere gilt vielmehr § 49 Abs. 3 Nr. 3 und 4 VwVfG) wird jedoch eine Ausnahme für sogenannte Dauerverwaltungsakte gemacht. Diese weisen die Besonderheit auf, dass die Verwirklichung des ihnen zugrundeliegenden Sachverhalts nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern während eines bestimmten Zeitraumes eintritt

25

So liegt es hier.

26

Die Bescheide vom 24.07. und 12.08.2008 sowie vom 11.03.2009 regelten die Bewilligung der Übergangsgebührnisse als wiederkehrende Leistung für einen bestimmten Zeitraum. Sie sind damit als sogenannte Dauerverwaltungsakte anzusehen und fallen unter § 48 VwVfG (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.10.2011, aaO).

27

Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Übergangsgebührnisse ist die Bestimmung des § 11 SVG. Nach dieser Vorschrift erhalten Soldaten auf Zeit - wie der Kläger - mit einer Wehrdienstzeit von 12 und mehr Jahren (11 Abs. 2 Nr. 4 SVG) Übergangsgebührnisse, wenn ihr Dienstverhältnis wegen Ablaufs der Zeit, für die sie berufen sind, oder wegen Dienstunfähigkeit endet. Die Höhe der Übergangsgebührnisse bestimmt sich nach § 11 Abs. 3 SVG. Nach S. 1 betragen diese grundsätzlich 75 % der Dienstbezüge des letzten Monats (ausnahmsweise erhöhen sie sich auf 90 %, wenn und solange während des Bezugzeitraumes an einer nach § 5 geförderten Bildungsmaßnahme in Vollzeitform - wie sie der Kläger durchlaufen hat - teilgenommen wird). Indes vermindert sich der jeweilige Bemessungssatz um 15 %, wenn und solange während des Bezugzeitraumes Erwerbseinkommen, das kein Erwerbseinkommen aus einer Verwendung iSd § 53 Abs. 6 SVG ist, oder Einkünfte aufgrund einer Bildungsmaßnahme erzielt werden, die höher sind als der Betrag dieser Verminderung.

28

Der Kläger erzielt seit dem 08.03.2009 Einkommen (außerhalb des Öffentlichen Dienstes), das (wesentlich) höher ist als 15 % seiner letzten aktiven Dienstbezüge, so dass die Beklagte grundsätzlich zur Rücknahme befugt war.

29

Auch stehen die Bestimmungen der Abs. 2 - 4 des § 48 VwVfG einer solchen Rücknahme nicht entgegen.

30

Nach § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Ob der Kläger ein schutzwürdiges Vertrauen (überhaupt) geltend machen kann, weil er ein etwaiges Vertrauen in den Bestand des rechtswidrigen Verwaltungsaktes überhaupt ausreichend betätigt hat, kann im Ergebnis dahinstehen. Vertrauensschutz kann der Kläger deshalb nicht für sich in Anspruch nehmen, weil er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder zumindest in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG). Die Beklagte hat in ihrem Widerspruchsbescheid insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger wiederholt darüber belehrt worden ist, dass er bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit notwendige Unterlagen unverzüglich schriftlich der Wehrbereichsverwaltung vorzulegen hat. Nicht ausreichend ist es - den Sachvortrag des Klägers insoweit einmal als richtig unterstellt - entsprechende Unterlagen dem Berufsförderungsdienst zuzuleiten. Auch soweit der Kläger behauptet, einem Mitarbeiter der Wehrbereichsverwaltung (telefonisch) über seine Erwerbstätigkeit informiert zu haben, reicht dies nicht aus. Er hat weder den Namen dieses Mitarbeiters angegeben noch befindet sich in der Versorgungsakte des Klägers ein entsprechender Vermerk darüber. Der insofern beweispflichtige Kläger kann deshalb mit seinem Vortrag nicht durchdringen (vgl. insoweit OVG Koblenz, Urteil vom 22.07.2014 - 2 A 10834/13 - juris).

31

Soweit der Kläger - erstmals - in der mündlichen Verhandlung am 21.07.2016 behauptet hat, dass er seine Einkünfte während des Bezugszeitraumes von Übergangsgebührnissen angegeben habe und insoweit auf ein Schreiben mit Datum vom 27.02.2009 an die WBV Nord verweist (vgl. seinen Schriftsatz vom 20.07.2016), kann er damit ebenfalls nicht gehört werden. Ein solches Schreiben findet sich ebenfalls nicht in der Versorgungsakte. Der Kläger hat zwar vorgebracht, ein solches Schreiben an die WBV Nord gesandt zu haben, einen Nachweis darüber, dass dieses Schreiben auch tatsächlich bei der WBV Nord eingegangen ist, konnte er nicht vorlegen. Insoweit ist der Kläger beweispflichtig geblieben. Da eine Aufklärung nicht mehr möglich ist, geht die Unerweislichkeit dieser Tatsache zu Lasten des Beteiligten, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 108 Rdnr. 13). Dies ist hier der Kläger. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Beklagte erst per Fax am 12.07.2011 über den Arbeitsvertrag des Klägers und damit über sein Erwerbseinkommen in Kenntnis gesetzt worden ist.

32

Der Kläger ist insoweit seinen ihm obliegenden Mitteilungspflichten nicht nachgekommen;

33

Aufgrund der mehrfachen und deutlichen Hinweise in den dem Kläger ausgehändigten Merkblättern sowie dem Hinweisschreiben der WBV Nord vom 06.08.2008 (Bl. 136 der Beiakte B), in denen dem Kläger ausdrücklich die Regelungen für eine Minderung bzw. das Ruhen der Übergangsgebührnisse dargelegt worden sind, hatte der Kläger auch positive Kenntnis darüber, jedenfalls lag grob fahrlässige Unkenntnis vor, dass sich der jeweilige Bemessungssatz der Übergangsgebührnisse um 15 % der Dienstbezüge des letzten Monats vermindert, wenn und solange ein Erwerbseinkommen erzielt wird, das diesen Kürzungsbetrag übersteigt.

34

Allerdings erweist sich der angefochtene Bescheid deshalb als rechtswidrig, weil die Beklagte das ihr in § 48 Abs. 1 VwVfG eingeräumte Ermessen („kann“) nicht erkannt und nicht ausgeübt hat. Die Bestimmung des § 48 VwVfG ist eine Ermessensvorschrift, deren Anwendung vom Gericht nur gem. § 114 VwGO überprüft werden kann. Auch wenn - wie hier - die Beklagte die Bestimmung des § 48 VwVfG nicht explizit erwähnt, so muss sie sich doch - zumindest sinngemäß - mit dessen Inhalt auseinandersetzen und diese Auseinandersetzung dem Betroffenen auch mitteilen. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid zwar ausgeführt, dass der Kläger anhand der Belehrung, die dem Ausgangsbescheid beigefügt war und aufgrund der Merkblätter hätte wissen müssen, bei wem und wann er Änderungen in seinen Einkommensverhältnissen mitzuteilen hat. Ihre Schlussfolgerung, dass sein Vertrauen auf das Behalten der überzahlten Bezüge nicht schutzwürdig ist, mag daher im Ergebnis (wie oben dargelegt) auch zutreffen. Es ist indes nicht erkennbar, dass die Beklagte Ermessen ausgeübt hat. Vielmehr lassen sowohl die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid und auch dem Widerspruchsbescheid darauf schließen, dass sich die Behörde „gezwungen“ sah, die Rücknahme vorzunehmen. Selbst wenn man annimmt, dass die Ausübung des Ermessens durch die Strukturvorgaben des § 48 VwVfG für viele praktisch relevante Fallgestaltungen bereits weitgehend determiniert wäre (vgl. BeckOK, VwVfG/J. Müller, VwVfG, § 48 Rdnr. 40), erscheint fraglich, ob die Norm des § 48 VwVfG generell ein sog. intendiertes Ermessen vorgibt (vgl. BeckOK, a.a.O.). Selbst wenn dies der Fall wäre, ergeben sich für die rechtliche Beurteilung der Ermessensausübung in Fällen der vorliegenden Arten Besonderheiten, die aus der Anwendbarkeit der Grundsätze über das sog. intendierte Ermessen folgen. Danach ist eine Ermessen einräumende Vorschrift, die für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, dahin auszulegen, dass besondere Gründe vorliegen müssen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst, mit der weiteren Konsequenz, dass es einer ansonsten nach § 39 Abs. 1 S. 3 VwVfG notwendigen (ausführlicheren) Begründung bzw. Darlegung der Ermessenserwägungen im Bescheid nicht bedarf (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.06.1997 - 3 C 22/96 - juris; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 40 Rdnr. 45 mwN; Urteile der Kammer vom 21.09.2006 und 30.06.2011 - 12 A 247/05 und 12 A 76/10 -).

35

Allerdings entbindet auch das sog. intendierte Ermessen (bei einer typischen Fallgestaltung) die Behörde nicht davon, ihrer Verpflichtung nach § 39 Abs. 1 Satz 2 VwVfG nachzukommen, den Sachverhalt in einer Weise darzustellen, dass festgestellt werden kann, ob ein Regelfall, bei dem das Ermessen intendiert ist, überhaupt vorliegt (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 39 Rdnr. 70 mwN; Urteile der Kammer vom 21.09.2006 und 30.06.2011 a.a.O.) bzw. wenigstens auf das Gesetz und die in diesem für den Regelfall vorgesehene Entscheidung sowie darauf zu verweisen, dass besondere Umstände, die eine andere Beurteilung oder Entscheidung rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich sind (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O.).

36

Indes sind weder in dem angefochtenen Ausgangsbescheid noch in dem Widerspruchsbescheid überhaupt Ausführungen in Bezug auf die Entscheidung über die Rücknahme enthalten. Vielmehr hat sich die Beklagte ausschließlich mit den Voraussetzungen des § 11 SVG auseinandergesetzt und diese geprüft. Die Bestimmung des § 48 VwVfG hat sie überhaupt nicht zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht. Insoweit hat sie die Rechtslage verkannt. Nach dem Vorstehenden hätte wenigstens erkennbar sein müssen, dass sie ihr (intendiertes) Ermessen erkannt (und einen atypischen Fall nicht angenommen) hat. Insoweit liegt ein Ermessensausfall vor, der den angefochtenen Bescheid rechtswidrig macht.

37

Schließlich rechtfertigt auch der Hinweis der Beklagten auf den gesetzesimmanenten Vorbehalt einer späteren Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, unter denen die Zahlung der Übergangsgebührnisse steht, die Rücknahmeentscheidung nicht. Zum einen hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid diesen Umstand überhaupt nicht erwähnt, vielmehr erst in ihrer Erwiderung darauf hingewiesen. Dessen ungeachtet greift dieser Hinweis auch nicht durch. Der gesetzesimmanente Rückforderungsvorbehalt ist eine Rechtsfortbildung, die geschaffen wurde, um den besonderen Anforderungen des Versorgungsrechts für Beamte sowie Soldaten im Rahmen des Vertrauensschutzes gerecht zu werden. Der dazu ergangenen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1985 - 6 C 37.83 -, OVG Saarlouis, Beschluss vom 22.06.2004 - 1 Q 8/04 -; OVG Lüneburg, Urteil vom 28.04.2015 - 5 LB 141/14 - alle juris) ist gemein, dass sich die entschiedenen Fälle sämtlich beziehen auf Rückforderungsbegehren der Behörde bzw. um (Rechts-) Streitigkeiten, in denen es um die Rückforderung von überzahlten Versorgungsbezügen geht. Das Rechtsinstitut des gesetzesimmanenten Rückforderungsvorbehalts „ersetzt“ in diesen Überzahlungsfällen quasi die Prüfung, ob der Empfänger verschärft haftet bzw. er sich auf Entreicherung berufen kann oder nicht. Dies spielt im Rahmen der Prüfung des § 48 VwVfG jedoch keine Rolle. Vielmehr ist hier nur maßgeblich, ob sich der Betroffene bei einer Überzahlung und im Hinblick auf eine verfügte Rücknahme eines Bescheides auf Vertrauensschutz berufen kann oder nicht. Die Prüfung des Vertrauensschutzes ersetzt insofern eine solche der verschärften Haftung und der des gesetzesimmanenten Rückforderungsvorbehalts.

38

Um eine Rückforderung geht es vorliegend aber nicht. Dies hat auch die Beklagte so gesehen; denn Seite 7 des Widerspruchsbescheides enthält als „außerhalb des Bescheides“ den „Hinweis“, dass über die Rückforderung des überzahlten Betrages in einem gesonderten Verfahren entschieden wird.

39

Soweit das Gericht in Bezug auf das intendierte Ermessen und den gesetzesimmanenten Rückforderungsvorbehalt im Beschluss vom 14.07.2016 noch eine andere Auffassung vertreten hat, wird daran nicht mehr festgehalten.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; sie ist gem. §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.


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