Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 60/20

Tenor

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung bis zwei Wochen nach Vornahme einer erneuten Auswahlentscheidung untersagt, die für eine Besetzung mit dem Beigeladenen vorgesehene Planstelle der Beförderungsliste „Beteiligung extern_XXX_T“ nach „A9_vz“ mit dem Beigeladenen zu besetzen und diesen zu befördern.

Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

Die Kosten tragen die Antragsgegnerin zu 3/4 und der Antragsteller zu 1/4, mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird auf 11.262,81 € festgelegt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich im Wege der einstweiligen Anordnung gegen seine Nichtberücksichtigung durch die Antragsgegnerin bei der Beförderungsrunde 2019/2020.

2

Der Antragsteller steht als Beamter (Technischer Fernmeldehauptsekretär) im Statusamt A 8 BBesO im Dienste der Antragsgegnerin. Ihm ist dauerhaft die Tätigkeit eines Servicetechnikers bei der V-GmbH im Bereich Technical Operations zugewiesen. Seine Tätigkeit ist laufbahnübergreifend mit der Besoldungsgruppe A 10 BBesO bewertet.

3

Die Antragsgegnerin beurteilte ihn zuletzt für die Zeiträume 01. Juni 2015 bis 31. August 2016 sowie 01. September 2016 bis 31. August 2018. Beide Beurteilungen lauten auf das Gesamturteil „Gut ++“. Die Antragsgegnerin eröffnete dem Antragsteller beide Beurteilungen unter dem 13. Mai 2020, nachdem sie die ursprünglichen dienstlichen Beurteilungen für diese Zeiträume infolge eines Widerspruchs- bzw. Eilrechtsschutzverfahrens aufgehoben hatte.

4

Gegen die neu erstellten dienstlichen Beurteilungen legte der Antragsteller unter dem 28. Mai 2020 jeweils Widerspruch bei der Antragsgegnerin ein. Diese wies beide Widersprüche mit Bescheiden vom 22. Juli 2020 zurück. Am 17. August 2020 hat der Antragsteller dagegen Klage erhoben (Az. 12 A 142/20 und 12 A 143/20).

5

Mit Schreiben vom 12. August 2020 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass er entsprechend seiner letzten dienstlichen Beurteilung für den Zeitraum 01. September 2016 bis 31. August 2018 auf der Beförderungsliste „Beteiligung extern_XXX_T“ nach „A9_vz“ für die Beförderungsrunde 2019/2020 mit dem neuen Ergebnis „Gut ++“ geführt werde.

6

Für die Beförderung hätten (ursprünglich) insgesamt sechs Planstellen auf der gesamten Liste zur Verfügung gestanden. Die Beförderungsliste habe insgesamt 48 Beförderungsbewerber umfasst. Nach rechtskräftigem Abschluss mehrerer Eilverfahren habe die Antragsgegnerin eine neue Auswahlentscheidung getroffen, in die drei Beförderungsbewerber einbezogen worden seien, die durch vorherige Eilverfahren gesperrt gewesen seien. Für diese stehe insgesamt eine Planstelle auf der Beförderungsliste zur Verfügung. Da die Planstelle demnach nicht für alle Konkurrenten ausreiche, könnten nur Beamte befördert werden, die mit mindestens „Sehr gut ++“ beurteilt worden seien. Dies treffe auf den Antragsteller nicht zu.

7

Gegen diese Auswahlentscheidung hat der Antragsteller bei dem erkennenden Gericht unter dem 20. August 2020 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

8

Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, dass die Auswahlentscheidung fehlerhaft sei. Die ihr zugrundeliegende dienstliche Beurteilung für den Zeitraum 01. September 2016 bis 31. August 2018 sei weder hinsichtlich der vergebenen Einzelnoten noch hinsichtlich des darauf basierenden Gesamturteils nachvollziehbar.

9

Drei Einzelnoten, namentlich in den Bereichen „Allgemeine Befähigung“, „Soziale Kompetenzen“ sowie „Wirtschaftliches Handeln“, seien gegenüber der Stellungnahme der unmittelbaren Führungskraft, Herrn XXX, von „Sehr gut“ auf „Gut“ abgesenkt worden. Diese Abweichung werde nicht von einer nachvollziehbaren Begründung getragen.

10

Die Antragsgegnerin verkenne zudem, dass er seit vielen Jahren eine höherwertige, mit der Besoldungsgruppe A10 bewertete Tätigkeit sehr gut ausübe. Es sei daher davon auszugehen, dass er den geringeren Anforderungen seines Statusamts in mindestens ebenso guter Weise entspreche. Die Absenkung der benannten Einzelnoten werde jedoch nicht mit einer geringer eingestuften Leistung und Befähigung, sondern mit der Festlegung des Gesamtergebnisses begründet. Dieses Vorgehen widerspreche der gesonderten Notenskala für die Gesamtnote. Diese enthalte gegenüber den Einzelnoten die zusätzliche Note „Hervorragend“ sowie die Unterkategorien „Basis“, „+“ und „++“und solle gerade der Sondersituation der Antragsgegnerin Rechnung tragen, die eine Vielzahl der Beamten in höherwertigen Funktionen einsetze. Da dies auch auf ihn zutreffe, sei er für die Gesamtnote „Hervorragend“ in Betracht zu ziehen gewesen.

11

Der Antragsteller beantragt,

12

es der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die Beförderung eines anderen Beamten / einer anderen Beamtin auf die zu vergebende Planstelle der Beförderungsliste „Beteiligung extern_XXXX_T“ nach „A9_vz“ bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Rechtsmittel über die dienstlichen Beurteilungen vom 13. Mai 2020, betreffend den Beurteilungszeitraum vom 01. September 2016 bis 31. August 2018 und 01. Juni 2015 bis 31. August 2016, und bis zum Vorliegen einer ermessensfehlerfreien Beurteilung des Antragstellers vorzunehmen.

13

Die Antragsgegnerin beantragt,

14

den Antrag abzulehnen.

15

Es bestehe weder ein Rechtsanspruch auf Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens noch auf eine Beförderung. Der Antragsteller könne lediglich beanspruchen, dass über seine Bewerbung ohne Rechtsfehler entschieden werde. Das Beurteilungsverfahren sei verfahrensfehlerfrei durchgeführt worden, weshalb eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs ausscheide.

16

Der Antragsteller sei zu Recht mit der Note „Gut ++“ beurteilt worden. Die Absenkung der in der Stellungnahme des Vorgesetzten mit „Sehr gut“ bewerteten Einzelmerkmale „Allgemeine Befähigung“, „Soziale Kompetenzen“ und „Wirtschaftliches Handeln“ sei nicht zu beanstanden und insbesondere zutreffend begründet worden. Es handele sich dabei um weniger tätigkeitsbezogene Eigenschaften. Zudem sei eine bessere Bewertung des Antragstellers aufgrund der erzielten Ergebnisse der Beamten, die auf derselben Beurteilungsliste zu vergleichen seien, nicht gerechtfertigt. Die Beurteilungsergebnisse „Hervorragend“ und „Sehr gut“ seien demnach an Beamte vergeben worden, die zwar vergleichbare oder (geringfügig) schlechtere Leistungseinschätzungen erhalten hätten, demgegenüber aber (deutlich) höherwertiger eingesetzt worden seien.

17

Sie habe den Antragsteller mit der Gesamtnote „Gut ++“ daher insgesamt maßstabsgerecht beurteilt. Insbesondere habe man der Höherwertigkeit der vom Antragsteller ausgeübten Tätigkeit im Gesamtergebnis auch hinreichend Rechnung getragen. Dieser Umstand habe in der Konsequenz aber ebenfalls bei dem Beigeladenen Berücksichtigung gefunden. Dieser übe eine mit der Besoldungsgruppe A 11 BBesO bewertete Tätigkeit aus, was gegenüber seinem Statusamt eine Höherwertigkeit von drei Besoldungsgruppen bedeute. Demgegenüber könne der Antragsteller lediglich eine Höherwertigkeit von zwei Besoldungsgruppen vorweisen.

18

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

19

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Verwaltungsvorgänge sowie auf die Gerichtsakten der weiteren, hier anhängigen Verfahren des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin verwiesen.

II.

20

Der Antrag ist nach §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller begehrt, eine Beförderung des Beigeladenen auf die vakante Planstelle durch die Antragsgegnerin vorläufig zu unterbinden.

21

Dieser Antrag ist zulässig und überwiegend begründet.

22

Gemäß § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung dafür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch sowie einen Anordnungsgrund, mithin die Eilbedürftigkeit seines Rechtsschutzbegehrens, glaubhaft machen kann, § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.

23

Der Antragsteller hat den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

24

Dieser liegt vor, wenn durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte und dies glaubhaft gemacht wird. Insoweit ist bei Stellenbesetzungsverfahren zu berücksichtigen, dass ein unter Beachtung des Art. 33 Abs. 2 GG ausgewählter Bewerber einen Anspruch auf Verleihung des Amtes durch Ernennung hat. Die Bewerbungsverfahrensansprüche der unterlegenen Bewerber gehen dabei durch die Ernennung unter, wenn dadurch das Auswahlverfahren endgültig abgeschlossen wird. Dies ist regelmäßig der Fall, weil die Ernennung nach dem Grundsatz der Ämterstabilität nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, sodass das Amt unwiderruflich vergeben ist (BVerwG, Urt. v. 04. November 2010 – 2 C 16/09 – BVerwGE 138, 102-122 – Rn. 27, juris). Ausgehend davon, dass die Antragsgegnerin mit ihrer Auswahlentscheidung vom 12. August 2020 mitgeteilt hat, die freie Planstelle mit dem Beigeladenen besetzen zu wollen, kann der Antragsteller nur im Wege einer gerichtlichen Entscheidung sicherstellen, dass sein aus Art. 33 Abs. 2 GG folgender Bewerbungsverfahrensanspruch auf eine rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung für die in Rede stehende Beförderung gewahrt bleibt, indem die Besetzung der vakanten Stelle vorläufig unterbunden wird.

25

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin steht dem Antragsteller unter Auswertung des Akteninhalts und des gegenseitigen Vorbringens auch der notwendige Anordnungsanspruch insoweit zu, als bis zum rechtskräftigen Abschluss eines erneuten Auswahlverfahrens die Beförderung des Beigeladenen unterbleiben muss.

26

Da in Stellenbesetzungsverfahren effektiver gerichtlicher Rechtsschutz lediglich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gewährt werden kann, ist in Verfahren, die die Konkurrenz von Beamten um Beförderungsstellen oder Beförderungsdienstposten betreffen, regelmäßig ein Anordnungsanspruch bereits dann zu bejahen, wenn nach dem im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erkennbaren Sach- und Streitstand nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die vom Dienstherrn getroffene Auswahlentscheidung zu Lasten des Antragstellers rechtsfehlerhaft ist, weil sein Bewerbungsverfahrensanspruch gemäß den Vorgaben des in Art. 33 Abs. 2 GG geregelten Prinzips der Bestenauslese keine hinreichende Beachtung gefunden hat. Zugleich müssen die Aussichten des Betroffenen, in einem neuen rechtmäßigen Verfahren ausgewählt zu werden, zumindest "offen" sein. Der unterlegene Beamte kann eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen, wenn seine Aussichten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, d.h. wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, Beschl. v. 24. September 2002 – 2 BvR 857/02 – Rn. 13; VGH Mannheim, Beschl. v. 12. August 2015 – 4 S 1405/15 – Rn. 2; beide juris).

27

Beide Voraussetzungen sind hier gegeben.

28

In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt lässt sich nicht feststellen, dass in dem von der Antragsgegnerin durchgeführten Auswahlverfahren die Rechte des Antragstellers aus Art. 33 Abs. 2 GG hinreichend berücksichtigt wurden. Zwar hat ein Beamter regelmäßig keinen Anspruch auf die Verleihung eines höheren statusrechtlichen Amtes oder die Bestellung auf einen bestimmten Beförderungsdienstposten. Die Entscheidung darüber liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen jedoch ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Ein Bewerber hat dementsprechend einen Anspruch darauf, dass über seine Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei entschieden wird. Dabei kann die Entscheidung des Dienstherrn darüber, welcher Beamte der Bestgeeignete ist, als Akt wertender Erkenntnis gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden. Das Gericht ist nur befugt zu prüfen, ob der Dienstherr gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat, den gesetzlichen Rahmen und die anzuwendenden Rechtsbegriffe zutreffend gewürdigt hat, ob er von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, ob er allgemein gültige Wertmaßstäbe beachtet hat und ob er sich schließlich nicht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. Der Dienstherr ist verpflichtet, alle entscheidungserheblichen Tatsachen festzustellen, zu gewichten und seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. Wesentliche Grundlage für den erforderlichen aktuellen Leistungs-, Befähigungs- und Eignungsvergleich zwischen den in Betracht kommenden Beamten sind neben dem Inhalt der Personalakten insbesondere hinreichend aktuelle Regelbeurteilungen oder – soweit solche fehlen – aktuelle Bedarfsbeurteilungen, die ausreichend aussagekräftig und zwischen den Beteiligten vergleichbar sein müssen (BVerwG, Beschl. v. 20. Juni 2013 – 2 VR 1/13 – Rn. 21, juris). Der gebotene Vergleich der dienstlichen Beurteilungen muss bei gleichen Maßstäben in sich ausgewogen und stimmig sein. Maßgebend ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist (BVerwG, Urt. v. 26. Januar 2012 – 2 A 7/09 – Rn. 17 und Urt. v. 4. November 2010 – 2 C 16/09 – Rn. 46; Beschl. v. 19. Dezember 2014 – 2 VR 1/14 – Rn. 22, und Beschl. v. 22. November 2012 – 2 VR 5/12 – Rn. 25; VGH Mannheim, Beschl. v. 26. April 2016 – 4 S 64/16 – Rn. 9; alle juris).

29

Gemessen an den oben genannten Maßstäben hat das Gericht erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der für die Auswahlentscheidung herangezogenen dienstlichen Beurteilung des Antragstellers vom 13. Mai 2020 für den Zeitraum vom 1. September 2016 bis 31. August 2018, lautend auf das Gesamturteil „Gut ++“. Vielmehr ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass diese Beurteilung deshalb rechtswidrig ist, weil sie die für die Beurteilung maßgeblichen Verfahrensvorschriften nicht beachtet hat.

30

Sowohl die abweichende Bewertung von der Einschätzung der Führungskraft bei den Einzelmerkmalen als auch das Gesamturteil sind nicht hinreichend nachvollziehbar begründet.

31

Nach § 2 Abs. 3 der Anlage 1 zu den Beurteilungsrichtlinien für die bei der D-AG beschäftigten Beamtinnen und Beamten in der Fassung vom 14. Juni 2019, zuletzt aktualisiert am 08. August 2019 (nachfolgend: Beurteilungsrichtlinie) ist die Begründung der Einstufung des jeweiligen (Einzel-) Kriteriums nachvollziehbar zu dokumentieren.

32

Diesen Anforderungen genügt die unter dem 13. Mai 2020 für den Zeitraum 01. September 2016 bis 31. August 2018 eröffnete Beurteilung nicht. Es fehlt insoweit bereits bei den Einzelmerkmalen an einer nachvollziehbaren Begründung, weshalb drei von ihnen im Gegensatz zu den anderen eine Herabstufung erfahren haben. Der unsubstantiierte Vortrag der Antragsgegnerin, dass die Merkmale „Allgemeine Befähigung“, „Soziale Kompetenz“ und „Wirtschaftliches Handeln“ im Vergleich zu den Merkmalen „Arbeitsergebnisse“, „Praktische Arbeitsweise“ und „Fachliche Kompetenz“ weniger tätigkeitsbezogen seien, erschließt sich dem Gericht nicht. Insbesondere lässt die Beurteilungsrichtlinie keine Rückschlüsse auf diese Vorgehensweise zu. Denn es finden sich weder in Ziff. 6 der Beurteilungsrichtlinie Anhaltspunkte dafür, dass die Einzelmerkmale anhand dieses Kriteriums abweichend zu gewichten wären, noch lässt sich § 2 Abs. 4 der Anlage 4 der Beurteilungsrichtlinie, in der die Leistungskriterien näher definiert werden, Entsprechendes entnehmen. Vielmehr werden in Ziff. 6 der Beurteilungsrichtlinien die sechs Einzelmerkmale gleichwertig aufgezählt. Hätte die Antragsgegnerin beabsichtigt, bei allen Beurteilungen drei von ihnen als weniger tätigkeitsbezogen einzustufen, hätte sie dies hier kenntlich machen müssen. Im Übrigen wäre die Abwertung auch nicht hinreichend plausibel, wenn es sich um eine individuelle Gewichtung handeln würde, wogegen jedoch schon die abstrakte Beschreibung des Merkmals sprechen dürfte. Denn sie lässt sich nicht auf Grundlage der Erläuterungen der Einzelnoten nachvollziehen. Die allgemeine Feststellung, dass eine bessere Bewertung der Einzelleistung des Antragstellers in Anbetracht der erzielten Ergebnisse der Beamten, die auf derselben Beurteilungsliste zum Vergleich anstehen, nicht möglich sei, ist zu pauschal, um für den Antragsteller einsichtig und für Außenstehende verständlich zu sein. Es bleibt daher auch fraglich, ob diese Vorgehensweise nur in bestimmten Fällen oder allgemein zur Anwendung kommt.

33

Es ist überdies nicht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin die höherwertige Verwendung des Antragstellers bei der Absenkung der genannten drei Einzelmerkmale hinreichend berücksichtigt hat.

34

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Beamter, der über viele Jahre die Aufgaben eines an seinem Statusamt gemessen höher bewerteten Dienstpostens bzw. Arbeitspostens auf diesem hohen Niveau erfüllt (hier: laufbahnübergreifend zwei Besoldungsgruppen), die geringeren Anforderungen seines Statusamtes tendenziell eher noch besser erfüllt (grundlegend: OVG Münster, Beschl. v. 18. Juni 2015 – 1 B 384/15 – Rn. 8, juris). Diese Annahme basiert auf der Einschätzung, dass mit einem höheren Statusamt die Wahrnehmung höherwertiger Aufgaben verbunden ist, die im Allgemeinen gegenüber einem niedrigeren Statusamt gesteigerte Anforderungen beinhalten. Fallen indes Statusamt und Bewertung des tatsächlich innegehabten Dienst- bzw. Arbeitspostens eines Beamten wie vorliegend auseinander, ist zwar nicht schematisch eine Aufwertung vorzunehmen. Der Beurteiler ist jedoch gehalten, sich konkret und hinreichend ausführlich mit der genannten Annahme auseinanderzusetzen. Trifft sie seines Erachtens im jeweiligen Einzelfall nicht zu, bedarf dies in der Beurteilung einer detaillierten – d.h. die Umstände des Einzelfalles in den Blick nehmenden – und nachvollziehbaren Begründung (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 25. Februar 2016 – 5 ME/217 – Rn. 12; OVG Münster, Beschl. v. 30. November 2015 – 1 B 1007/15 – Rn. 10, Beschl. v. 19. November 2015 – 1 B 980/15 – Rn. 22 und Beschl. v. 18. Juni 2015, a.a.O.; VGH München, Beschl. v. 27. Oktober 2015 – 6 CE 15.1849 – Rn. 15; alle juris).

35

Der Antragsteller war während des gesamten Beurteilungszeitraums gegenüber seinem Statusamt höherwertiger beschäftigt. Namentlich wurde er auf einem Arbeitsplatz eingesetzt, den die Antragsgegnerin nach besoldungsrechtlichen Grundsätzen mit der Stufe A 10 BBesO bewertet, was gegenüber seinem Statusamt in der Besoldungsgruppe A 8 BBesO eine Höherwertigkeit von zwei Besoldungsgruppen bedeutet. Seine auf dieser Stelle geleistete Arbeit hat seine unmittelbare Führungskraft in einer Stellungnahme für die dienstliche Beurteilung vom 5. März 2019 (Bl. 10 ff. des Verwaltungsvorgangs) bei sechs Kriterien und fünf Notenstufen sechs Mal mit der besten Note „Sehr gut“ bewertet. Bei dieser Bewertung durch die Führungskraft soll nach § 1 und § 2 Abs. 4 der Anlage 4 zur Beurteilungsrichtlinie das Statusamt ausdrücklich unberücksichtigt bleiben. Die Führungskraft soll vielmehr (im Umkehrschluss) dessen tatsächliche Aufgabenerfüllung auf dem wahrgenommenen Dienst- bzw. Arbeitsposten in den Blick nehmen. Das Statusamt wird hingegen von den Beurteilern berücksichtigt (vgl. Ziff. 6 der Beurteilungsrichtlinie und § 2 Abs. 4 der Anlage 4 zu der Beurteilungsrichtlinie). In der dienstlichen Beurteilung des Antragstellers sind – wie bereits aufgezeigt – mit Ausnahme der Kriterien „Allgemeine Befähigung“, „Soziale Kompetenzen“ und „Wirtschaftliches Handeln“ alle in der Stellungnahme für die Einzelkriterien vergebenen Noten unverändert übernommen worden. Nahezu unverändert wurde ebenfalls auch die textliche Erläuterung der Einzelnoten übernommen.

36

Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass sich die Antragsgegnerin bei der Absenkung dieser Einzelmerkmale hinreichend mit der höherwertigen Beschäftigung des Antragstellers auseinandergesetzt hat.

37

Zu einer vergleichbaren Konstellation hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 14. August 2019 – 1 A 612/19 – Rn. 29, juris) folgende Ausführungen gemacht, denen sich die Kammer inhaltlich anschließt:

38

„Bei der Benotung der Einzelkriterien ist zunächst zu beachten, dass die Wahrnehmung höherwertiger Aufgaben grundsätzlich in Bezug auf alle nach dem jeweiligen Beurteilungssystem zu benotenden Einzelkriterien (hier: sechs oder sieben Einzelkriterien) die Schlussfolgerung rechtfertigt, der Beamte erfülle im Grundsatz die geringeren Anforderungen seines Statusamtes in mindestens ebenso guter wenn nicht besserer Weise wie die Anforderungen des innegehabten Postens. Denn die mit der Wahrnehmung eines höherwertigen Postens einhergehenden gesteigerten Anforderungen werden sich in aller Regel nicht nur bei bestimmten Einzelmerkmalen bemerkbar machen, sondern diese in ihrer Gesamtheit betreffen. So leuchtet es etwa nicht ein, weshalb die Bewertung einer bestimmten, im Beurteilungszeitraum dokumentierten Fachkompetenz unabhängig davon sein soll, ob der Beamte diese Kompetenz auf einem Dienst- oder Arbeitsposten gezeigt hat, der der Bewertung nach seinem Statusamt entspricht, oder ob er insoweit solchen Anforderungen ausgesetzt gewesen ist, die wegen der Höherwertigkeit des Postens über die seines Statusamtes hinausgehen. Vor diesem Hintergrund bedarf es zunächst in dem Fall einer nachvollziehbaren Begründung, in dem die Beurteiler zur Berücksichtigung der höherwertigen Tätigkeit nicht alle, sondern nur bestimmte einzelne Einzelkriterien höher bewertet haben als es nach den an den Anforderungen des Dienst- oder Arbeitspostens ausgerichteten Bewertungen der unmittelbaren Führungskraft in der von dieser vorgelegten Stellungnahme geschehen ist. Die Begründung muss insoweit erkennen lassen, warum gerade diese Einzelkriterien (und andere nicht) höher bewertet worden sind. Aber auch dann, wenn die Beurteiler mit Blick auf die höherwertige Beschäftigung sämtliche Einzelmerkmale mit im Vergleich zu den Bewertungen der unmittelbaren Führungskraft besseren Noten versehen haben, ist eine Begründung dafür erforderlich, warum die Höherwertigkeit der wahrgenommenen Aufgaben gerade in der konkret vorgenommenen Weise Berücksichtigung gefunden hat. Es ist also zu begründen, warum gerade welcher Notensprung (eine Note höher, zwei Noten höher etc.) erfolgt ist. Das kann – abhängig von den Umständen des Einzelfalles – gerade bei einem geringfügigen Notensprung um nur eine Notenstufe auch abgrenzende (und nicht als hypothetisch qualifizierbare) Erwägungen zu einer höheren, von dem Beurteilten im Ergebnis zwar nicht erreichten, aber mit in Betracht zu ziehenden Note notwendig machen, um die Benotung nachvollziehbar zu machen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 5. September 2017 – 1 B 498/17 – Rn. 47 ff. m. w. N.; ebenso OVG Bremen, Beschl. v. 12. November 2018 – 2 B 167/18 – Rn. 12; alle juris).“

39

Diesem Maßstab genügt die gegenständliche Beurteilung nicht. Zwar lässt sich sowohl der Begründung des Gesamturteils als auch dem Widerspruchsbescheid entnehmen, dass sich die Antragsgegnerin der höherwertigen Verwendung des Antragsstellers bewusst ist. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wie sie die Höherwertigkeit bei den abgesenkten Merkmalen berücksichtigt hat. Hier beschränkt sich die Begründung lediglich formelhaft auf den Leistungsvergleich, was jedoch aus den bereits aufgezeigten Gründen nicht genügt. Darüber hinaus lässt dies auch nicht erkennen, warum gerade diese Einzelmerkmale zum Vergleich herangezogen wurde und wie gerade dieser Notenunterschied zustande gekommen ist.

40

Auch unabhängig von der Bewertung der Einzelmerkmale überzeugt die Beurteilung des Antragstellers im Hinblick auf das Gesamturteil nicht.

41

Nach § 2 Abs. 4 der Anlage 4 zur Beurteilungsrichtlinie muss sich das zu begründende Gesamturteil schlüssig aus der Bewertung der einzelnen Beurteilungskriterien ergeben. Es ist insoweit zwar grundsätzlich unschädlich, dass sich die Antragstellerin zur Bildung des Gesamturteils der dienstlichen Beurteilung unterschiedlicher Notenskalen (einem fünfstufigen Notensystem zur Bewertung der Einzelkriterien und einem sechstufigen Notensystem mit zusätzlichen Ausprägungsgraden zur Bildung des Gesamturteils) bedient. Aus der Verwendung unterschiedlicher Notenskalen können jedoch strengere Anforderungen an die Begründung des Gesamturteils zu folgern sein, um eine Nachvollziehbarkeit und damit einhergehend eine gerichtliche Nachprüfbarkeit der Gewichtung, Abwägung und Würdigung der einzelnen Auswahlkriterien des Dienstherrn im Einzelfall zu ermöglichen.

42

Davon ausgehend ist die Begründung des Gesamturteils hier widersprüchlich. Denn die Antragsgegnerin stellt zwar fest, dass die vom Antragsteller ausgeübte Tätigkeit laufbahnübergreifend höherwertig war. Die bloße Erwähnung führt hingegen nicht zu dem zwingenden Schluss, dass der höherwertige Einsatz des Klägers auch angemessen berücksichtigt worden ist. Aus der Begründung des Gesamtergebnisses ergibt sich lediglich, dass die Beurteilungsergebnisse „Sehr gut“ und „Hervorragend“ Beamte erhalten hätten, die zwar vergleichbare oder (geringfügig) schlechtere Bewertungen ihrer Führungskräfte erhalten haben, demgegenüber aber (deutlich) höherwertiger eingesetzt worden seien. Diese grundsätzlich legitime Differenzierung entbindet die Antragsgegnerin jedoch nicht davon, ihre Notenvergabe in Entsprechung ihrer Beurteilungsrichtlinie nachvollziehbar zu begründen. Es wird insoweit nicht nachvollziehbar gemacht, wie es unter Berücksichtigung der Höherwertigkeit des Einsatzes des Antragstellers gerade zu der Gesamtnote „Gut ++“ gekommen ist. Die verwendeten unkonkreten Begrifflichkeiten ("vergleichbare Bewertung", "geringfügig schlechtere Leistungseinschätzung", "deutlich höherwertig eingesetzt" etc., Bl. 32 f. d.A.) zeigen auch unter Berücksichtigung der jeweils genannten Prozentwerte nicht auf, anhand welches konkreten Maßstabs die Beurteiler dem Antragsteller gerade die ausgeworfene Gesamtnote und nicht beispielsweise die Gesamtnote "Sehr gut" mit dem Ausprägungsgrad "Basis" zuerkannt haben (vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 14 August 2019 – 1 A 612/19 – Rn. 42, juris). Insbesondere findet sich eine entsprechende Vorgehensweise, nach der die Noten „Hervorragend“ und „Sehr gut“ ausschließlich Beamten vorbehalten sind, die mehr als zwei Besoldungsstufen über ihrem Statusamt eingesetzt werden, auch nicht in der Beurteilungsrichtlinie wieder.

43

Entsprechende Mängel sind zwar ebenfalls in der Beurteilung für den Zeitraum 01. Juni 2015 bis 31. August 2016 zu erkennen. Ihre Bewertung kann jedoch hier dahinstehen, da ausweislich der Mitteilung vom 12. August 2020 lediglich die Beurteilung für den Zeitraum 01. September 2016 bis 31. August 2018 der Auswahlentscheidung zugrunde gelegt wurde.

44

Im Ergebnis erscheint es möglich, dass der Antragsteller bei zutreffender dienstlicher Beurteilung, also insbesondere bei einer fehlerfreien Bewertung der Einzelmerkmale sowie ihrer Übersetzung in das Gesamtergebnis, in den Kreis der zu befördernden Beamten fällt, weshalb der notwendige Anordnungsanspruch besteht. Nach derzeitigem Erkenntnisstand bleibt die rechtlich gebotene Platzierung der einzelnen Bewerber anhand eines fehlerfreien Auswahlverfahrens offen. Dieser Anspruch besteht aber nur bis zu dem rechtskräftigen Abschluss eines erneuten Auswahlverfahrens. Im Anschluss erlischt er. Im Hinblick auf den vom Antragsteller beantragten zeitlichen Umfang bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über die dienstlichen Beurteilungen einschließlich ihrer ermessensfehlerfreien Neuerstellung ist er daher teilweise abzulehnen. Gegenstand dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens kann nur das Auswahlverfahren der Antragsgegnerin sein. Rechtsschutz allein im Hinblick auf die dienstliche Beurteilung kann hingegen in diesem Rahmen nicht gewährt werden. Insoweit ist der Antragsteller auf die Hauptsacheverfahren zu verweisen.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Kosten waren verhältnismäßig zu teilen. Da der Antragsteller mit einem überwiegenden Anteil obsiegt und sein Anordnungsanspruch nur in zeitlicher Hinsicht nicht den von ihm beantragten Umfang erreicht, war er nur mit einem Viertel der Kosten zu belasten, während der Antragsgegnerin die übrigen Kosten aufzuerlegen sind. Die Kosten des Beigeladenen sind nicht für erstattungsfähig zu erklären. Er hat keinen eigenen Antrag gestellt und damit auch nicht das Risiko übernommen, gemäß § 154 Abs. 3 S. 1 VwGO selbst an den Kosten beteiligt zu werden. In diesem Fall sind seine Kosten schon aus diesem Grund nicht für erstattungsfähig zu erklären.

46

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 63 Abs. 2 S. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 S. 4 in Verbindung mit S. 1 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs. Hiernach ist für den Antrag auf vorläufige Freihaltung der Beförderungsstelle ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge des angestrebten Amtes (Besoldungsgruppe A 9 BBesO) in Ansatz gebracht worden. Daraus ergibt sich auf Grundlage der genannten Vorschriften ein Streitwert in Höhe von 11.262,81 € (Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 der Stufe 8: 3754.27 € x 12 : 4 = 11.262,81 €).

        


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