Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 1/21

Tenor

Die Anträge werden abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 1.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen zwei Baueinstellungsverfügungen des Antragsgegners nebst Zwangsgeldandrohung, mit denen ihnen die weitere Einzäunung eines Grundstücks untersagt wurde.

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Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks R. in A-Stadt, Flur xxx, Flurnummer xxx in der Gemarkung S.. Das Flurstück liegt außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans. Im Flächennutzungsplan der Gemeinde ist das Grundstück als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt. Zudem liegt es im Geltungsbereich der Landschaftsschutzgebietsverordnung „Pönitzer Seenplatte und Haffwiesen“ aus dem Jahr 2003. Es hat eine Fläche von ca. 1,4 ha. Im Norden grenzt es teilweise an eine bebaute Fläche an.

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Im Jahr 2019 stellten die Antragsteller beim Antragsgegner erfolglos eine Bauvoranfrage für die Errichtung eines Gebäudes mit Betriebsräumen für eine Imkerei samt Betriebswohnung auf dem Grundstück. Dieses Begehren ist Gegenstand einer am 23.01.2020 erhobenen Klage (Az. 2 A 16/20).

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Im Februar 2020 beantragte der Antragsteller eine naturschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung eines Damwildgeheges für 7-10 Tiere auf dem Grundstück. Zur Begründung gab er an, das Gelände sei bereits vollständig mit einem Zaun als Pferdekoppel eingefriedet, jedoch nicht in für Damwild ausreichender Höhe. Dies lehnte der Antragsgegner – hier der Fachdienst Natur und Umwelt – mit Bescheid vom 09.10.2020 unter Verweis auf § 4 Abs. 1 der Landschaftsschutzgebietsverordnung „Pönitzer Seenplatte und Haffwiesen“ ab. Dieser Antrag ist Gegenstand einer am 21.09.2020 erhobenen Verpflichtungsklage (Az. 1 A 118/20).

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Am 06.01.2021 stellte der Fachdienst Bauordnung bei einer Ortsbesichtigung fest, dass mit der Errichtung eines Zaunes begonnen wurde.

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Am 07.01.2021 erließ der Fachdienst Natur und Umwelt gegenüber dem Antragsteller eine auf § 11 Abs. 7 des Schleswig-Holsteinischen Landesnaturschutzgesetzes (LNatSchG) gestützte Baueinstellungsverfügung. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf eine fehlende Genehmigung des Tiergeheges sowie eine fehlende Genehmigung nach der Landschaftsschutzgebietsverordnung. Dieser Bescheid war Gegenstand eines in der 1. Kammer des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts unter dem Az. 1 B 2/21 anhängig gemachten Antrags auf Eilrechtsschutz, der mit Beschluss vom 23.04.2021 abgelehnt wurde.

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Mit zwei weiteren, hier streitgegenständlichen Beschieden vom 07.01.2021 untersagte der Fachdienst Bauordnung des Antragsgegners den Antragstellern jeweils ebenfalls die Fortsetzung der Bautätigkeit auf dem Flurstück (Errichtung eines Zaunes) ab Zustellung der Bescheide, ordnete die sofortige Vollziehung an und drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld in Höhe von 500 € an. Zur Begründung führte er aus: Bei einer Ortsbesichtigung sei festgestellt worden, dass 96 Naturholzpfosten mit einer Höhe von ca. 1,93 Metern errichtet und die Pfosten auf einer Länge von 191,36 Metern mit einem Stahldrahtzaungeflecht eingefasst worden seien. Auf einer Strecke von 91,70 Metern sei die Einfassung noch nicht abgeschlossen. Das Vorhaben sei formell baurechtswidrig, da die Errichtung der Zaunanlage nach § 62 Abs. 1 der Landesbauordnung (LBO) der vorherigen Baugenehmigung bedürfe. Sie sei nicht nach § 63 LBO privilegiert, da sie keinem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb diene. Das Vorhaben sei auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Vielmehr sei es offensichtlich materiell baurechtswidrig, weil bei der Zulassung des Bauvorhabens öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BGB beeinträchtigt würden. Es sei weder mit den Darstellungen des Flächennutzungsplanes, noch mit den Belangen des Naturschutzes und des Bodenschutzes sowie der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswertes vereinbar. Daher sei der Erlass der Anordnung selbst bei hypothetischer Annahme einer Verfahrensfreiheit im Sinne des § 63 LBO tatbestandlich gerechtfertigt. Die Anordnung sei auch verhältnismäßig. Das angedrohte Zwangsgeld sei erforderlich, da die Antragsteller trotz des baubehördlichen Hinweises auf das Genehmigungserfordernis mit der illegalen Bauausführung begonnen hätten. Dieses Verhalten rechtfertige die Prognose, dass zur zwangsweisen Durchsetzung der Anordnung ein Zwangsgeld i.H.v. 500 € erforderlich, aber auch ausreichend sei. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei erfolgt, weil das behördliche Interesse an der sofortigen Befolgung das Aufschubinteresse der Antragsteller überwiege. Die Herstellung des Bauwerks habe gegebenenfalls Vorbildwirkung für weitere Flächen in der Umgebung. Zudem könne nur so verhindert werden, dass „Fakten geschaffen“ würden.

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Am 07.01.2021 haben die Antragsteller hiergegen bei gleichzeitiger Widerspruchserhebung um gerichtlichen Eilrechtsschutz ersucht.

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Sie rügen zur Begründung zunächst, dass man sie vor Erlass der Verfügung nicht angehört habe. Soweit der Antragsgegner auf die Absicht eingehe, auf der Weide ein Dammwildgehege zu errichten, habe dies mit dem vorliegenden Verfahren nichts zu tun. Der Zaun betreffe die Frage, ob überhaupt eine Weidetierhaltung zulässig sei. Ausweislich eines Wertermittlungsgutachtens handele es sich bei dem Grundstück um Weideland. Teile des vorhandenen Weidezauns aus Stacheldraht seien in Bäume eingewachsen und die Pfosten morsch gewesen. Daher habe man den Zaun bzw. die Zaunreste entfernt und am 22.12.2020 mit einer Erneuerung begonnen. Die Weidenutzung widerspreche nicht den Zielen des Landschafts- und Naturschutzes und die hierfür erfolgte Errichtung von Einfriedungen stelle keinen Eingriff im naturschutzrechtlichen Sinne dar.

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Der Zaun sei schon keine bauliche Anlage. Jedenfalls sei er nach § 63 Abs. 1 Nr. 7 lit. c LBO genehmigungsfrei, da er der landwirtschaftlichen Nutzung in Form von Weidewirtschaft diene. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners beabsichtige er keine hobbymäßige Landwirtschaft, sondern betreibe bereits seit 18 Jahren Land- und Forstwirtschaft. So habe er seit vielen Jahren eine berufsmäßige Imkerei im Nebenerwerb mit Betriebseinnahmen im fünfstelligen Bereich. Die Damwildhaltung sei als Nebenerwerb geplant. Mit der angestrebten Bestandsgröße von zehn Zuchttieren lasse sich jährlich ein Erlös von rund 5.000 - 6.000 € erzielen. Der Zaun ermögliche es, Weidetiere vor den auf dem Grundstück gehaltenen Bienen zu schützen und umgekehrt. Bis auf Weiteres werde beabsichtigt, das Grundstück mit Bio-Gänsen zu beweiden.

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Jedenfalls die Errichtung einer Einfriedung bis zu einer Höhe von 1,5 Metern sei außerdem gem. § 63 Abs. 1 Nr. 7 lit. b) LBO verfahrensfrei. Damit habe dem Antragsgegner als milderes Eingriffsmittel eine Anordnung der Baueinstellung zur Verfügung gestanden, soweit der Zaun eine Höhe von 1,5 m übersteige. Es bestehe zudem Bestandsschutz hinsichtlich des Zaunes. Es verstoße auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, dass in der Umgebung zahlreiche andere Flächen, teils sogar zu Wohnzwecken, eingezäunt seien, gegen die der Antragsgegner nicht vorgegangen sei.

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Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit sei nicht erforderlich, da mit der Errichtung des Zaunes keine unumkehrbaren, schwerwiegenden Folgen geschaffen würden. Denn die Pfähle seien nur in den Boden eingeschlagen und könnten jederzeit wieder problemlos herausgezogen werden. Die Beweidung der Fläche sei auch erforderlich, um die negativen Auswirkungen eines Brachliegens (Umbruch der Grasnarbe und Ansiedlung unerwünschter Vegetation) zu vermeiden.

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Die Antragsteller beantragen wörtlich,

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im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung gegen die Baueinstellungsverfügungen des Beklagten vom 07.01.2021 wiederherzustellen und die Zwangsgeldandrohung aufzuheben.

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Der Antragsgegner beantragt,

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die Anträge abzulehnen.

17

Zur Begründung verweist er auf den Inhalt der Ausgangsbescheide und führt ergänzend im Wesentlichen aus: Soweit sich die Antragsteller auf die unterlassene Anhörung beriefen, sei diese jedenfalls nach § 114 Abs. 1 Nr. 3 LVwG geheilt. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Insbesondere sei dargelegt, dass sich die Behörde des Ausnahmecharakters der Maßnahme bewusst sei. Der Weidezaun sei eine bauliche Anlage. Die Antragsteller hätten wechselnd vorgetragen, Damwild, Bio-Gänse, Pferde und Schafe halten zu wollen. Dies belege, dass sie eine planlose Hobbytierhaltung beabsichtigten. Eine hobbymäßige Weidewirtschaft sei jedoch gerade keine privilegierte Landwirtschaft i.S.d. § 35 BauGB. Dementsprechend sei auch keine ausnahmsweise Verfahrensfreiheit des Vorhabens nach § 63 Abs. 1 Nr. 7 lit c LBO gegeben. Mangels offensichtlicher Genehmigungsfähigkeit der Anlage sei die Baueinstellung gerechtfertigt. Das Vorhaben sei darüber hinaus auch materiell baurechtswidrig, da öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 BauGB entgegenstünden. Die Antragsteller könnten sich auch nicht auf Bestandsschutz berufen, da dieser sich nur auf den genehmigten Bestand und die genehmigte Funktion erstrecke. Ein völliger Austausch der Anlage führe dagegen zum Erlöschen. Soweit sie sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz beriefen, habe man von vergleichbaren baurechtswidrigen Einfriedungen in der maßgeblichen Umgebung keine Kenntnis. Andernfalls schritte man dagegen systemgerecht ein.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

19

Das Gericht legt bei verständiger Würdigung des geltend gemachten Begehrens die Anträge als Anträge auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche vom 07. bzw. 11.01.2021 aus. Das so verstandene, hinsichtlich der für sofort vollziehbar erklärten Baueinstellungsverfügungen nach § 80 Abs. 5 S. 1, 2. Alt. VwGO und in Bezug auf die Androhungen einer Zwangsgeldfestsetzung wegen der kraft Gesetzes entfallenden aufschiebenden Wirkung der Widersprüche (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO, § 248 Abs. 1 S. LVwG) nach § 80 Abs. 5 S.1, 1. Alt. VwGO zu beurteilende vorläufige Rechtsschutzgesuch ist zulässig; es ist jedoch unbegründet.

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Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aufschubinteresse der Antragsteller einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Hat die Behörde - wie vorliegend hinsichtlich der Baueinstellungsverfügung - die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO angeordnet, kommt es im Besonderen darauf an, ob sie zu Recht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung höher gewichtet hat als das private Interesse, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens den Verwaltungsakt nicht befolgen zu müssen.

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1. Zunächst ist festzustellen, dass die der Sofortvollzugsanordnung beigegebene Begründung den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO genügt. Ähnlich wie bei der Begründung von Ermessensentscheidungen richtet sich der (notwendige) Inhalt und Umfang der Begründung der sofortigen Vollziehung nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles.

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Geht es - wie hier - um die Anordnung einer Baueinstellung eines formell illegalen Bauvorhabens (zur Illegalität unter 2.b.), sind bereits mit Blick auf die negative Vorbildwirkung formell rechtswidriger Vorhaben sowie auf die Kontrollfunktion des Bauordnungsrechts nur geringe Anforderungen an die Begründung der Vollziehungsanordnung zu stellen. Denn die sofortige Vollziehung einer (rechtmäßigen) Baueinstellungsverfügung liegt regelmäßig im besonderen öffentlichen Interesse, weil sie die Vorbildwirkungen eines gemäß § 73 Abs. 6 LBO formell illegalen Baubeginns bekämpft, dem „Schwarzbauer“ sowie dem „Schwarznutzer“ ungerechtfertigte Vorteile gegenüber dem erst nach Erteilung einer Baugenehmigung Bauausführenden entzieht und ein Unterlaufen der präventiven Kontrolle der Bauaufsicht verhindert (st. Rspr. des OVG Schleswig, vgl. Beschluss vom 20.12.2017 – 1 MB 18/17 - Rn. 9, juris, m.w.N.).

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Diesen Anforderungen genügen die in den Verfügungen vom 07.01.2021 abgegebenen Begründungen. Es werden insoweit vorliegend keine bloß formel- oder floskelhaften Ausführungen gemacht, sondern es wird vielmehr in einer separaten Begründung über die auch die Ermessensentscheidung tragenden Erwägungen hinaus auf die negative Vorbildwirkung, die von der Bauausführung nicht genehmigter und damit illegaler Bauten ausgeht, abgestellt. Überdies sei die Unterbindung eines illegalen Baubeginns und Baufortschritts erforderlich, um zu verhindern, dass „Fakten geschaffen“, also illegale, geduldete Vorhaben den Schein der Legalität erlangen und der Schwarzbauer in den Genuss ungerechtfertigter Vorteile gelangt.

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2. Vorliegend ist bei Anwendung des Eingangs dargestellten Maßstabes das öffentliche Interesse an den bauaufsichtlichen Anordnungen des Antragsgegners vom 07.01.2021 höher zu bewerten als das Interesse der Antragsteller, vorerst weiterbauen zu dürfen. Denn die in Nr. 1 der Bescheide vom 07.01.2021 ausgesprochenen Baueinstellungsverfügungen erweisen sich bei der gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zudem wäre ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit nicht hinnehmbaren Nachteilen für öffentliche Schutzgüter verbunden, hinter denen die Interessen der Antragsteller an einem Zuwarten zurücktreten.

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Die angegriffenen Baueinstellungsverfügungen finden ihre rechtliche Grundlage in § 59 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 (lit. a) LBO. Danach haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden (§ 59 Abs. 1 Satz 1 LBO). Sie haben die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen zu treffen (§ 59 Abs. 1 Satz 2 LBO). Nach § Abs. 2 Satz 1 (lit. a) LBO können die Bauaufsichtsbehörden insbesondere die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden.

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a. Hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der Bescheide bestehen keine Bedenken.

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(1) Der Antragsgegner durfte in seiner Funktion als Bauaufsichtsbehörde die streitgegenständlichen Verfügungen unabhängig von der Verfügung des Fachdienstes Natur und Umwelt als Unterer Naturschutzbehörde erlassen. Insbesondere stellten die naturschutzrechtlichen Eingriffsermächtigungen in § 3 Abs. 2 BNatSchG i.V.m. mit §§ 2 Abs. 4 und 11 LNatSchG keine vorrangige Spezialregelung dar, die eine Anwendbarkeit der bauordnungsrechtlichen Generalklausel im vorliegenden Fall versperren würden. Denn die Eingriffsermächtigung des § 11 Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 LNatSchG gilt bereits ausweislich ihres Wortlauts „unbeschadet der Zuständigkeit anderer Behörden“. Auch in § 1 Abs. 2 LBO finden sich keine hier einschlägigen Ausnahmen von der bauaufsichtlichen Zuständigkeit.

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(2) Die Beschiede sind auch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 87 Abs. 1 LVwG formell rechtswidrig. Es kann dahinstehen, ob ein Fall des § 87 Abs. 2 Nr. 1 LVwG vorliegt. Denn die Anhörung der Antragsteller ist jedenfalls im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt und damit gem. § 114 Abs. 1 Nr. 3 LVwG geheilt worden. Eine Nachholung der Anhörung nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass den Betroffenen eine vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird und dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Bereits das im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erstellte Anhörungsschreiben vom 19.01.2021 greift das Vorbringen der Antragsteller ausdrücklich auf und legt dar, warum eine Abhilfe nach Auffassung des Antragsgegners dennoch nicht in Betracht kommt.

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b. Die beiden Baueinstellungsanordnungen erweisen sich bei der gebotenen summarischen Prüfung auch als materiell rechtmäßig.

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Anders als bei einer Beseitigungsanordnung verlangt eine Baustilllegungsverfügung nach § 59 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 (lit. a) LBO tatbestandlich lediglich die formelle, nicht hingegen die materielle Illegalität der Anlage, es sei denn, das Vorhaben ist ausnahmsweise offensichtlich genehmigungsfähig bzw. bei verfahrensfreien Vorhaben offensichtlich zulässig (vgl. hierzu zuletzt OVG Schleswig, Urteil vom 04.03.2021 – 1 LB 28/20 –, Rn. 76, juris, m.w.N.).Dies ist hier der Fall. Bei dem Zaun handelt es sich um eine genehmigungspflichtige Anlage, die auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist.

31

(1) Bei dem errichteten Knotengeflechtzaun handelt es sich zunächst entgegen der Auffassung des Antragstellers fraglos um eine bauliche Anlage i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 LBO, mithin auch um eine Anlage im Sinne des § 59 LBO. Bauliche Anlagen sind gem. § 2 Abs. 1 S. 1 LBO mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen. Unter den Begriff des Bauproduktes fallen gemäß § 2 Abs. 11 Nr. 1 LBO unter anderem Baustoffe. Baustoffe sind ungeformte oder geformte Stoffe, die dazu dienen, bauliche oder andere Anlagen oder ihre Teile herzustellen oder zu erhalten. Dazu gehören traditionelle Materialien wie natürliche oder künstliche Steine, Holz, Stahl, Teer, Glas, Zement, Lehm, Eisen, Blech, Kalk, Beton, Ziegel, (Schutz-)Anstriche, aber auch Kunststoffe verschiedenster Art und Verarbeitung (Jäde/Dirnberger/Böhme in: Jäde/Dirnberger/Böhme, Bauordnungsrecht Sachsen, 21. Update Oktober 2020, 2. Baustoffe, Rn. 167, m.w.N.), und damit auch der im Wesentlichen aus Holz und Drahtgeflecht hergestellte streitgegenständliche Zaun. Entgegen der Auffassung der Antragsteller kommt es dagegen nicht darauf an, ob die Bauprodukte in der VO (EU) Nr. 305/2011 aufgeführt werden, da dies nur eine der Tatbestandsvarianten für das Vorliegen von - hier nicht weiter relevanten - sog. „Bausätzen“ darstellt.

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(2) Der Zaun ist auch formell illegal errichtet worden. Das Genehmigungserfordernis für die Errichtung des Zauns ergibt sich aus § 62 Abs. 1 Hs. 1 LBO. Danach bedürfen die Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und die Beseitigung von Anlagen einer Baugenehmigung, soweit in den §§ 63, 68, 76 und 77 LBO nichts anderes bestimmt ist. So liegt es hier.

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Die Errichtung der Zaunanlage ist - entgegen der Rechtsauffassung der Antragsteller - nicht nach § 63 Abs. 1 Nr. 7 lit. b) LBO verfahrensfrei, da diese Vorschrift nur Einfriedungen bis zu einer Höhe von 1,5 Metern erfasst, noch - da es sich um eine Neuerrichtung handelt - als Nutzungsänderung bestimmter bestehender Anlage nach § 63 Abs. 2 LBO.

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Eine Genehmigungsfreiheit folgt hier auch nicht aus § 63 Abs. 1 Nr. 7 lit. c) LBO. Danach sind u.a. offene, sockellose Einfriedungen für Grundstücke, die einem landwirtschaftlichen Betrieb dienen, verfahrensfrei.

35

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn bei der gebotenen summarischen Prüfung dient die Zaunanlage keinem landwirtschaftlichen Betrieb.

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Der Begriff des landwirtschaftlichen Betriebes ist wie in § 35 Abs. 1, § 201 BauGB zu verstehen (vgl. Möller/Bebensee, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, Stand: September 2019, § 63 Rn. 116).

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Gemäß § 201 BauGB ist Landwirtschaft insbesondere der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich Tierhaltung, soweit das Futter überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden, landwirtschaftlich genutzten Flächen erzeugt werden kann, die gartenbauliche Erzeugung, der Erwerbsobstbau, der Weinbau, die berufsmäßige Imkerei und die berufsmäßige Binnenfischerei.

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Ein landwirtschaftlicher Betrieb wiederum ist durch eine spezifisch betriebliche Organisation gekennzeichnet und erfordert eine Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung. Es muss sich um ein auf Dauer gedachtes und auf Dauer lebensfähiges Unternehmen handeln. Dabei kann auch eine landwirtschaftliche Nebenerwerbsstelle einen Betrieb darstellen. Ob sich ein Betrieb auf Dauer als lebensfähig erweist, ist im Wege einer Prognose zu beantworten. Notwendig ist eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei sind die Umstände, die für oder gegen die Annahme der Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit des Betriebes sprechen, ihrerseits zu gewichten und ins Verhältnis zueinander zu setzen. Es handelt sich um Hilfstatsachen, die im Rahmen einer Gesamtschau zu bewerten sind. Ein Betrieb i.S.v. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB muss zunächst auf eine lange, im Regelfall für mehrere Generationen bemessene Dauer angelegt sein. Lebensfähigkeit und Nachhaltigkeit setzen dabei ein Mindestmaß an Umfang der landwirtschaftlichen Betätigung voraus. Zu den Merkmalen zur Bestimmung der Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit eines landwirtschaftlichen Betriebs, denen indizielle Bedeutung zukommt, zählt weiter auch die Möglichkeit der Gewinnerzielung. Das bedeutet zwar nicht, dass stets und in allen Fällen die Betriebseigenschaft zu verneinen ist, wenn (bisher) ein Gewinn nicht erzielt wurde. Die Gewinnerzielung ist allerdings ein Indiz, dem gerade bei kleiner Nutzfläche und geringem Tierbestand erhöhte Bedeutung zukommt. In diesem Fall ist mit besonderer Aufmerksamkeit zu prüfen, ob – in Abgrenzung zu einem landwirtschaftlichen Betrieb – lediglich eine Hobbytierhaltung aus Liebhaberei vorliegt. Gerade bei Neugründungen kommt dem Aspekt der (beabsichtigten) Gewinnerzielung in Ermangelung anderweitiger, manifester Anhaltspunkte ein besonderes Gewicht zu. Fehlt es an dem Nachweis eines Gewinns, können durchaus andere Indizien für die Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung und damit für eine Betriebseigenschaft sprechen. Hierzu zählen die Größe der landwirtschaftlichen Nutzflächen, der Bestand an Tieren und Maschinen sowie die Betriebsform und Betriebsorganisation. Auch eine geplante Vergrößerung der Betriebsflächen oder Erhöhung der Zahl der zu haltenden und verkaufenden Tiere kann ein Anhaltspunkt für die Dauerhaftigkeit des Betriebes sein. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Missbrauchsgefahr bei Vorhaben, bei denen der Außenbereich erstmals für eine behauptete landwirtschaftliche Betätigung in Anspruch genommen werden soll, besonders hoch ist. In solchen Fällen sind an die Betriebseigenschaft strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.10.2012 – 4 C 9/11 –, Rn. 7- 8, juris, m.w.N.).

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Ein Vorhaben dient einem landwirtschaftlichen Betrieb im vorgenannten Sinne, wenn es nach der konkreten Wirtschaftsweise dem Betrieb funktional zugeordnet und nach seiner Gestaltung und Ausstattung durch den betrieblichen Verwendungszweck geprägt wird. Bei der Auslegung des Merkmales "Dienen" ist der Grundgedanke des § 35 BauGB zu beachten, dass der Außenbereich grundsätzlich nicht bebaut werden soll. Dadurch wird die Privilegierung eingeschränkt. Maßgeblich ist, ob ein vernünftiger Landwirt - auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebotes größtmöglicher Schonung des Außenbereiches - das Vorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 07.02.1995 – 1 L 121/94 –, Rn. 37, juris, m.w.N.).

40

Hieran gemessen kann die Haltung von Damwild und Gänsen zwar bei entsprechend großen Gehegen ggf. als Weidewirtschaft und damit auch als Landwirtschaft zu bewerten sein. Die verfahrensgegenständliche Zaunanlage dient in ihrer konkreten Ausführung jedoch keinem landwirtschaftlichen Betrieb i.S.v. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB und § 63 Abs. 1 Nr. 7 lit. c) LBO.

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Zunächst ist festzustellen, dass die bisherige Bienenhaltung der Antragsteller - unabhängig von der Frage, ob sie als berufsmäßige Imkerei zu qualifizieren sein könnte - hier außer Betracht bleiben muss. Denn die verfahrensgegenständliche Zaunanlage „dient“ jedenfalls nicht der Bienenhaltung, weil es insoweit an einem funktionalen Zusammenhang zwischen dem Bauvorhaben und dieser Form der landwirtschaftlichen Betätigung fehlt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum gerade ein Knotengeflechtzaun mit einer Höhe von 1,80 Metern zum Schutz der Bienenvölker objektiv erforderlich sein sollte (vgl. zum Begriff des „Dienens“ BeckOK-Söfker, BauGB (Stand: 01.02.2020), § 35 Rn. 12).

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Dies gilt auch für die zwischenzeitlich an verschiedenen Stellen geltend gemachte Absicht, auf dem Grundstück statt des Damwilds oder zusätzlich dazu Gänse zu halten. Dass ein vernünftiger Landwirt hierfür einen derartigen Zaun errichten würde, ist zu bezweifeln und von den Antragstellern auch nicht vorgetragen worden. Damit ist für die Beurteilung der Frage, ob der konkrete Zaun einem landwirtschaftlichen Betrieb dienen soll, nur auf die Damwildhaltung abzustellen.

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Bei der gebotenen Gesamtschau stellt sich diese beabsichtigte Damtierhaltung als Hobbytierhaltung dar. Zunächst spricht die mit 1,37 Hektar sehr kleine Nutzfläche, die nach den Angaben der Antragsteller gerade einmal die Haltung von bis zu zehn Alttieren (zwei Hirsche und sechs bis acht Kühe mit jeweils einem Jungtier) erlaubt, gegen die Annahme einer nachhaltigen und langfristig angelegten Betriebsstruktur. Auch hinsichtlich der Gewinnerzielungsabsicht ergeben sich bereits aus dem geringen Umfang der Betätigung Zweifel. Die Antragsteller haben zwar Berechnungen aufgestellt, aus denen sich ergeben soll, dass mit ihrem Vorhaben Betriebsumsätze im Bereich von einigen tausend Euro generiert werden können. Die Kalkulationen sind jedoch recht pauschal und geprägt von zahlreichen Wechseln. So haben sich die Prognosen hinsichtlich der Einnahmen im Laufe der verschiedenen Antragstellungen in die Höhe entwickelt und sich hinsichtlich der Ausgaben weiter ermäßigt. Die Angaben sind teilweise auch widersprüchlich. So wird zunächst der Verkauf von lebenden Tieren an nicht weiter bezeichnete Personen als Einnahmequelle angeführt. Später wird dann angeführt, dass man den gesamten Wildtierbestand an weiblichen Tieren geschenkt bekommen wird und daher hierfür keine Ausgaben haben wird. Einnahmen durch den Verkauf von Fellen und Geweihen werden nur pauschal behauptet. Inwieweit sich hierfür tatsächlich Abnehmer finden lassen, bleibt offen. Auch hinsichtlich der Einnahmen durch den Verkauf von Fleisch ist das Betriebskonzept nur rudimentär. So wird nicht klar, ob der Antragsteller die Tiere selbst zerlegen will und wo er das Fleisch zwischenzeitlich aufbewahren will. Der zeitliche Aufwand hierfür erscheint ebenfalls nicht in den Kalkulationen. Auch dass er im Laufe des Verfahrens angegeben hat, nun einen festen Abnehmer in Form eines Restaurants zu haben, spricht noch nicht für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Vertriebswegen für etwaige Produkte und damit nicht für einen auf Dauer angelegten Betrieb.

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Auch der weitere Vortrag hinsichtlich des gesamten Betriebskonzepts ist von Wechseln und Widersprüchen durchzogen und erweckt dadurch Zweifel an der Ernsthaftigkeit. So verfolgen die Antragsteller auch weiterhin für dasselbe Grundstück die Errichtung eines Wohnhauses mit Betriebsräumen für eine Imkerei. Zudem haben die Antragsteller mehrfach ohne nähere Erläuterungen angegeben, auf dem Grundstück stattdessen Gänse züchten zu wollen. Zuletzt haben sie sogar angegeben, dass die Gänse- und Damwildhaltung gleichzeitig geschehen und jährlich einen Gewinn von 12.000 bis 16.000 € abwerfen soll und auf die Nutzung des Grundstücks durch eine mittlerweile angepflanzte Streuobstwiese verwiesen.

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Insgesamt erwecken die vagen und wechselhaften Angaben der Antragsteller den Eindruck, dass hier nicht etwa im Vordergrund steht, für einen konkreten beabsichtigten landwirtschaftlichen Betrieb eine entsprechende Fläche zu finden, sondern dass umgekehrt nach irgendeiner zulässigen Nutzung des Grundstücks gesucht wird, ggf. gar nach einer Nutzung, mit der sich letztlich das Vorhaben „Wohnen im Außenbereich“ erreichen lässt.

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(3) Es liegt hier auch kein Ausnahmefall vor, in dem trotz der Genehmigungspflichtigkeit der Baumaßnahme von einer Baueinstellungsverfügung abzusehen ist, weil die Baumaßnahme offensichtlich genehmigungsfähig wäre.

47

Die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ist insbesondere in bauplanungsrechtlicher Hinsicht gerade nicht offensichtlich. Es spricht bei der gebotenen summarischen Prüfung sogar vieles dafür, dass das Vorhaben öffentliche Belange i. S. d. § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtigt und gerade nicht genehmigungsfähig ist.

48

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich nach § 35 BauGB, da das Grundstück im unbeplanten Außenbereich liegt, und nicht etwa - wie die Antragsteller behaupten - aufgrund von im nördlichen Bereich angrenzenden bebauten Flächen in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil i.S.v. § 34 Abs. 1 BauGB. Denn der Bebauungszusammenhang endet grundsätzlich am letzten Baukörper.

49

Zugunsten der Antragsteller greifen auch keine Privilegierungen nach § 35 Abs. 1 BauGB. Es handelt sich mangels Betriebseigenschaft nicht um einen landwirtschaftlichen Betrieb i.S.v. § 35 Abs. 1 Nr. BauGB (s.o.). Auch § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift ist ein Vorhaben im Außenbereich u.a. privilegiert zulässig, wenn es wegen seiner “besonderen Zweckbestimmung“ oder seiner „besonderen Anforderungen an die Umgebung“ nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Die Vorschrift ist allerdings mit Blick auf den Ausnahmecharakter des § 35 Abs. 1 BauGB eng auszulegen. Daher sind regelmäßig nur solche Vorhaben privilegiert, die über eine individuelle und die Allgemeinheit ausschließende Nutzung des Außenbereichs hinausgehen. Am Merkmal des “Sollens“ fehlt es danach immer dann, wenn gegenüber dem allgemeinen Bedürfnis nach Erholung in der freien Natur, dem der Außenbereich dient, individuelle Freizeitwünsche bevorzugt werden sollen. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist deshalb gerade nicht anwendbar, wenn ein Vorhaben - wie hier - vorwiegend aus Liebhaberei bzw. „hobbymäßig“ errichtet und betrieben wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.09.2004 – 4 B 58/04 –, Rn. 6 ff., juris).

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Das Vorhaben ist dementsprechend nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB zu beurteilen, wonach es nur zulässig ist, wenn es keine öffentlichen Belange beeinträchtigt, wobei bestimmte öffentliche Belange in § 35 Abs. 3 BauGB beispielhaft aufgeführt sind. Es ist hier aber gerade nicht offensichtlich, dass der Zaun keine Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB beeinträchtigt.

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Namentlich ist hier zweifelhaft, ob dem Vorhaben nicht die Landschaftsschutzverordnung „Pönitzer Seenplatte und Haffwiesen“ aus dem Jahr 2003 entgegensteht, die hier die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB näher konkretisiert. Es wird insoweit auf die Ausführungen der 1. Kammer - Fachkammer für Naturschutzrecht - in dem Beschluss vom 23.04.2021, Az. 1 B 2/21 verwiesen. Darin wird ausgeführt, dass die Errichtung der Zaunanlage eine rechtswidrige Veränderung eines Teils von Natur und Landschaft i.S.v. § 2 Abs. 4 Satz LNatSchG i.V.m. § 3 Abs. 2 der hier anzuwendenden Landschaftsschutzverordnung „Pönitzer Seenplatte und Haffwiesen“ darstellt, für die allenfalls eine im Ermessen des Antragsgegners stehende Ausnahmegenehmigung erteilt werden könnte. Zudem sei das Gehege auch nicht nach § 28 Abs. 2 Nr. 3 LNatSchG ausnahmsweise genehmigungsfrei.

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Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit kann bereits danach auch im Rahmen dieser Entscheidung keinesfalls bejaht werden.

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(4) Schließlich erweisen sich die Baueinstellungsverfügungen auch nicht aus Gründen des Bestandsschutzes als materiell rechtswidrig. Auf den sog. passiven Bestandsschutz können sich die Antragsteller schon deshalb nicht berufen, weil ein solcher spätestens mit der Beseitigung der „alten“ Weidezaunanlage im Jahr 2020 erloschen wäre, zumal es sich bei der vollständigen Neuerrichtung des Zauns auch nicht um eine bloße Instandhaltungsmaßnahme handelt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.12.1996 – 4 B 231/96 –, Rn. 2, juris). Ein aktiver Bestandsschutz, den der Gesetzgeber nur in Ausnahmefällen gewährt, kommt ebenso wenig in Betracht. Insbesondere greift keiner der in § 35 Abs. 4 BauGB beschriebenen Ausnahmetatbestände ein.

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(5) Die Baueinstellungsverfügungen erweisen sich auch als ermessensfehlerfrei i.S.v. § 114 Satz 1 VwGO. Der Antragsgegner hat erkannt, dass die Baueinstellung in seinem pflichtgemäßen Ermessen liegt und die beteiligten Belange fehlerfrei abgewogen.

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Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Erlass einer Baueinstellungsverfügung bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 (lit. a) LBO regelmäßig intendiert ist. Entsprechend hat der Antragsgegner hier sein Ermessen ausgeübt, indem er sich bei dem Erlass der Baueinstellungsverfügungen vorwiegend an dem Ziel einer Sicherung der präventiven Baukontrolle orientierte.

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Es bestehen zudem keine Anhaltspunkte für besondere Gründe, die eine andere Entscheidung als die Baueinstellung zu rechtfertigen vermögen. Insbesondere ist das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben nicht offensichtlich genehmigungsfähig (s.o.). Auch liegt keine Ermessensüberschreitung in Form eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor. Soweit die Antragsteller in der Umgebung befindliche Zäune aufgeführt haben, ist nichts dafür ersichtlich, dass es sich um gleichgelagerte Fälle von illegalen Neuerrichtungen handelt, gegen die der Antragsgegner in willkürlicher Weise nicht vorgegangen wäre. Auf den von den Antragstellern eingereichten Bildern sind auch keine mit Knotengeflechtzäunen eingefriedete Weideflächen erkennbar. Zudem hat der Antragsgegner eine Überprüfung von Amts wegen bei weiteren Ortsbesichtigungen zugesichert.

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Der Antragsgegner war auch nicht gehalten, im Sinne des Übermaßverbots nur eine Teiluntersagung auszusprechen, soweit der Zaun eine Höhe von 1,5 Metern übersteigt. Bei einem formell illegalen Bauvorhaben muss die Behörde nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nach einem noch genehmigungsfähigen Teilvorhaben suchen, sondern kann die Stilllegung des gesamten Baus verfügen. Die angeführte Teiluntersagung stellt sich zudem auch nicht notwendig als ein milderes Mittel dar. Denn hier wäre ein 1,50 Meter hoher Zaun für die beabsichtigte Damwildhaltung nach dem eigenen Vortrag des Klägers zu niedrig und damit unbrauchbar.

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(6) Es liegt - wie bereits im Hinblick auf die formell ordnungsgemäße Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ausgeführt - auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Baustilllegungsverfügung vor, weil die Verfügungen auch hier die Vorbildwirkungen eines gemäß § 73 Abs. 6 LBO formell illegalen Baubeginns bekämpft, dem „Schwarzbauer“ sowie dem „Schwarznutzer“ ungerechtfertigte Vorteile gegenüber dem erst nach Erteilung einer Baugenehmigung Bauausführenden entzieht und ein Unterlaufen der präventiven Kontrolle der Bauaufsicht verhindert.

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3. Auch die Zwangsgeldandrohungen begegnen danach keinen Bedenken.

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG. Das Gericht ist zunächst davon ausgegangen, dass bei einem auf die Genehmigung eines derartigen Zaunes gerichteten Hauptsacheverfahren eine Wertfestsetzung von 2.000 € angemessen wäre. Dieser Wert war, da es sich vorliegend nur um Baueinstellungsverfügungen handelt und wegen des nur vorläufigen Regelungscharakters des Eilverfahrens zunächst auf ein Viertel zu reduzieren. Für jeden der beiden streitgegenständlichen Bescheide waren daher 500 € anzusetzen und diese zu addieren.

        


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