Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 63/21

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin ist ukrainische Staatsangehörige und reiste am 25.12.2019 visumsfrei in die Deutsche Bundesrepublik ein. Der erlaubte Aufenthalt endete am 24.03.2020.

2

Mit Schreiben vom 30.01.2020 beantragte die Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis und begründete dies am 11.02.2020 damit, dass sie schwer krank und auf die Pflege durch ihre Tochter, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, angewiesen sei. Sie übersandte auch ein ärztliches Attest von Frau Dr. med. xxx, Fachärztin für Allgemeinmedizin, in dem u.a. Schwindel, chronische Rückenschmerzen, Depression, Demenz und Schwerhörigkeit diagnostiziert wurden. Die Antragstellerin sei auf umfangreiche Hilfe bei der Grundversorgung und im Haushalt angewiesen. Ohne fremde Hilfe würde sie nicht überleben. Sie sei wegen der Schwäche und dem Schwindel bis auf weiteres nicht reisefähig. Ferner fügte sie eine Bescheinigung einer ukrainischen Ärzteexpertenkommission, sowie eine Abschrift aus ihrer ukrainischen Krankenkarte bei, die eine Herzkrankheit und eine im August 2019 durchgeführte Herzschrittmacherimplantation angeben. Die Unterlagen sind beglaubigt übersetzt aus dem Russischen.

3

Am 01.03.2020 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Zur Begründung führte sie aus, dass eine Abschiebung unverhältnismäßig sei. Sie sei schwer krank, nicht reisefähig und im Falle der Ablehnung drohe ihr zudem eine Bestrafung wegen illegalem Aufenthalt. Bezüglich ihres Mann sei im Februar 2007 zudem durch die deutsche Botschaft in Kiew die deutsche Staatsangehörigkeit festgestellt worden, er sei aber vor Übergabe entsprechender Dokumente verstorben. Beim Bundesverwaltungsamt laufe seit 2013 auch ein Verfahren zur möglichen Feststellung ihrer eigenen deutschen Staatsangehörigkeit.

4

Mit Bescheid vom 03.04.2020 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziff. 1), forderte die Antragstellerin auf, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 30.04.2020 zu verlassen (Ziff. 2), drohte die Abschiebung an (Ziff. 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf ein Jahr (Ziff. 4). Die Antragstellerin sei für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist. Außerdem seien die ärztlichen Unterlagen unzureichend. Auch sei eine Behandlung im Heimatland bereits vor der Einreise erfolgt und könne auch wieder erfolgen.

5

Mit Schreiben vom 09.04.2020 legte die Antragstellerin daraufhin Widerspruch ein und führte im Wesentlichen aus, dass kein Titel nach § 36 Abs. 2 AufenthG begehrt werde, sondern ein Titel nach § 23a AufenthG. Außerdem fehle es dem Antragsgegner an der nötigen Fachkompetenz, die Reisefähigkeit zu beurteilen. Der Antragsgegner sei auch gar nicht zuständig zur Prüfung des Härtefalls. Zuständig sei vielmehr eine Härtefallkommission. Diese hätte beigezogen werden müssen. Der Gesundheitszustand habe sich nach dem Flug aus der Ukraine nach Deutschland zudem abermals verschlechtert. Die Hausärztin habe daher einen Termin zur Untersuchung am 28.05.2020 anberaumt. Ein Verstoß gegen das Visumverfahren liege nicht vor, da sie beabsichtige, bei ihrer Tochter zu wohnen und ohne Visum eingereist sei. Sie sei auf die Pflege durch ihre in Deutschland lebenden Verwandten angewiesen. In der Ukraine könne sie niemand pflegen, seitdem erst ihr Sohn (2001) und dann ihr Mann (2006) verstorben seien. Sie sei deshalb dort in Lebensgefahr. Ihre Pflegebedürftigkeit werde sie zudem demnächst durch Fachexperten feststellen lassen.

6

Am 28.04.2020 wurde der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt (Az.: 11 B 21/20). Die begehrte Anordnung einer aufschiebenden Wirkung sei bereits unstatthaft, hilfsweise aber unbegründet, da die geltend gemachte Pflegebedürftigkeit sowie auch die Reiseunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht seien, die Nachholung des Visumsverfahrens zumutbar sei und die Prüfung durch die Härtefallkommission kein im Eilrechtsverfahren sicherungsfähiger Anspruch sei.

7

Der Antragsgegner beteiligte daraufhin das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und bat um die Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten.

8

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.2021 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück. Als Begründung führte er u.a. aus, dass unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliege. Die kardiologischen Erkrankungen der Antragstellerin seien zwar glaubhaft gemacht; die Behandlung stehe aber auch im Heimatland zur Verfügung. Die Antragstellerin sei bereits vor ihrer Einreise ins Bundesgebiet behandelt worden, einschließlich der Implantation des Herzschrittmachers im August 2019. Weiterhin gäbe es in der Ukraine staatliche Altenpflegeheime und private Altenpflegeheime, in denen die Antragstellerin betreut werden könne. Diese Dienste würden Rückkehrern, die keine finanzielle Hilfe von Angehörigen bekommen könnten, kostenlos angeboten. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse seien weder vorgetragen, noch ersichtlich.

9

Am 08.07.2021 hat die Antragstellerin Klage erhoben (Az.: 11 A 218/21) und zugleich abermals um Eilrechtsschutz nachgesucht. Als Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass sich ihr Gesundheitszustand seit ihrer Einreise in Deutschland verschlechtert habe. Sie sei nun auf die Pflege ihrer Familienangehörigen angewiesen. Ihr Lebensunterhalt sei gesichert und auch die Kosten der Krankenkasse würden durch ihre Familie übernommen.

10

Das Gericht hat mit Verfügung vom 12.08.2021 darauf hingewiesen, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nach wie vor unstatthaft sein dürfte.

11

Die Antragstellerin beantragt dennoch,

12

die aufschiebende Wirkung der Klage vom 08.07.2021 anzuordnen und ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

13

Der Antragsgegner beantragt,

14

den Antrag abzulehnen.

15

Als Begründung verweist er auf den Beschluss der Kammer unter dem Az.: 11 B 21/20 und trägt vor, dass keine neuen sachdienlichen Erkenntnisse durch die Antragstellerin vorgebracht worden seien.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten (11 B 21/20 und 11 B 63/21).

II.

17

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist unzulässig.

18

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, ist als Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO unstatthaft und kann auch nicht umgedeutet werden.

19

Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nur dann statthaft, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels ein zunächst eingetretenes fiktives Bleiberecht nach § 81 AufenthG beendet hat, wenn also der Aufenthalt nach Stellung des Antrages auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach § 81 AufenthG zunächst als erlaubt oder als geduldet galt, d.h. die gesetzliche Erlaubnis- oder Duldungsfiktion ausgelöst hat (Dittrich/Breckwoldt in HTK-AuslR / Rechtsschutz / 2.1.3, Stand: 23.09.2019, Rn. 30 ff. m.w.N.). Zwar lebt im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG nicht (wieder) auf, denn die behördliche Ablehnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der nach der Konzeption des Gesetzgebers unbeschadet einer gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Ausländers beendet (OVG Magdeburg, Beschluss vom 22.01.2007 – 2 M 318/06 –, juris Rn. 4 m.w.N.; VG Schleswig, Beschluss vom 26.11.2018 – 1 B 115/18 –, juris Rn. 21). Allerdings würde die Einstellung des Vollzugs nach § 241 Abs. 1 Nr. 3 LVwG erreicht werden können, sodass der beantragte Rechtsbehelf nicht nutzlos wäre. Deshalb wäre in diesen Fällen § 80 Abs. 5 VwGO der zutreffende Rechtsbehelf (so auch OVG Schleswig, Beschluss vom 25.7.2011 – 4 MB 40/11 –, n.v. S. 4 der Beschlussausfertigung; VG Schleswig, Beschluss vom 09.01.2019 – 1 B 137/18 –, juris Rn. 6).

20

Vorliegend mangelt es aber an einer Fiktionswirkung des Antrags der Antragstellerin. Sie hielt sich zum Zeitpunkt der Antragstellung am 30.01.2020 nicht rechtmäßig ohne Titel im Bundesgebiet auf. Eine visumfreie Einreise ist nur dann als erlaubt entsprechend § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG anzusehen, wenn der beabsichtigte Aufenthaltszweck nur auf einen Kurzaufenthalt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 EG-VisaVO gerichtet ist (VGH Kassel, Beschluss vom 20. Oktober 2016 – 7 B 2174/16 –, juris Rn.26; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Juli 2012 – 8 ME 94/12 –, juris Rn. 5; VG Schleswig, Beschluss vom 09. Januar 2019 – 11 B 163/18 –, juris Rn. 17). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die Antragstellerin nach eigenem Bekunden in die Bundesrepublik einreiste, um dauerhaft bei ihrer Tochter zur Pflege zu leben. Soweit sie im Widerspruchsverfahren vorträgt, nur zwecks Besuchs ihrer Verwandtschaft eingereist zu sein, genügt dieser Einwand nicht zur Überzeugung des Gerichts. Die Antragstellerin war bereits vor ihrer Einreise erkrankt. Aus der Abschrift der Krankenkarte vom Ministerium für Gesundheitsschutz der Ukraine, in dessen Klinik die Antragsteller in der Ukraine behandelt wurde, geht hervor, dass sich ihr Gesundheitszustand bereits damals verschlechterte. Dort wurde ihr auch ein Herzschrittmacher nur wenige Monate vor der Einreise nach Deutschland implantiert. Ferner beantragte die Antragstellerin schon einen Monat nach ihrer Einreise eine Aufenthaltserlaubnis bei dem Antragsgegner und legte dabei auch ukrainische Arztbefunde vor, die sie bei ihrer Einreise nach Deutschland wohl mitgebracht hatte. Es kann anhand dieser Tatsachen nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin nur einen kurzen Besuch ihrer Verwandten geplant hatte. Vielmehr ist sie nach Deutschland gereist, um dort von ihrer Tochter unterstützt zu werden und ein dauerhaftes Bleiberecht zu erwerben. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage würde daher die Wirksamkeit des Bescheides vom 03.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2021 unberührt lassen, § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, woran die Antragstellerin kein rechtliches Interesse haben kann.

21

Einer Umdeutung des Antrags in einen Antrag nach § 123 VwGO steht die eindeutige Formulierung des Antrags entgegen. Die anwaltlich vertretene Antragstellerin hat den Antrag auch nach Hinweis des Gerichts nicht angepasst. Das Gericht ist damit seiner Fürsorgeverpflichtung aus § 86 Abs. 3 VwGO nachgekommen. Eine Auslegung des Antrages gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO ist gegen den ausdrücklichen Willen der Antragstellerin nicht möglich (vgl. Beschluss der Kammer vom 21. April 2020 – 11 B 17/20 -, n.v.).

22

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz nicht gegeben, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

24

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen