Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 A 77/19
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 14.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2019 verurteilt, eine neue Auswahlentscheidung betreffend die Stelle Leitung Sachgebiet xxx bei der, D-Stadt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu treffen.
Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt, werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen eine Dienstpostenbesetzung mit dem Beigeladenen.
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Der im Jahre 1973 geborene Kläger stand als Kriminalhauptkommissar (Besoldungsgruppe A 11 Schleswig – Holsteinische Besoldungsordnung – SHBesO) ebenso wie der 1963 geborene Beigeladene im Dienst des Landes Schleswig – Holstein. Letzterer bekleidet als Kriminalhauptkommissar (Besoldungsgruppe A 12 SHBesO) seit dem 01.04.2019 den hier streitgegenständlichen Dienstposten. Der Kläger ist zwischenzeitlich (zum 01.12.2021) zum Kriminalhauptkommissar (Besoldungsgruppe A 12 SHBesO) befördert worden
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Unter dem 16.04.2018 schrieb der Beklagte den streitbefangenen Dienstposten der Leitung des Sachgebiets xxx bei der – D-Stadt Kategorie – C – aus. Es handelt sich um eine Stelle, bewertet nach Besoldungsgruppe A 12 SHBesO. Als (zwingende) Voraussetzung war der Nachweis einer mindestens sechsmonatigen erfolgreichen Führungserfahrung gefordert. Neben einem weiteren Beamten bewarben sich darauf der Kläger und der Beigeladene. Der Kläger hatte in seiner letzten dienstlichen Beurteilung vom 26.04.2018, welche den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 31.03.2018 umfasst, das Gesamturteil „C“ erhalten. Unter Nr. 3.1 des Beurteilungsvordrucks (Entwicklungsprognose) heißt es, dass die Übernahme einer Führungsvertretungsfunktion oder einer ersten Führungsfunktion oder einer nächsthöheren Führungsfunktion befürwortet werde.
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Die für den Beigeladenen für den gleichen Zeitraum unter dem 02.05.2018 gefertigte dienstliche Beurteilung endete mit dem Gesamturteil „D“. Weiter hieß es dort unter Nr. 3.1 (Entwicklungsprognose), dass die Übernahme einer Führungsfunktion nicht befürwortet werde.
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Auf die dagegen erhobene Gegenvorstellung änderte der Beklagte die Beurteilung unter dem Punkt „Entwicklungsprognose“ dahin ab, dass die Übernahme einer Führungsfunktion „noch nicht befürwortet“ werde. Das vom Beigeladenen nach erfolglosem Vorverfahren (Gegenvorstellungbescheid 01.09.2018, Widerspruch 14.09.2018, Widerspruchsbescheid 15.10.2018) eingeleitete Klagverfahren (xxx) wurde von der Kammer nach Aufhebung der Beurteilung durch den Beklagten mit Schreiben vom 21.01.2019 und Abgabe übereinstimmender Erledigungserklärungen mit Beschluss vom 07.02.2019 eingestellt und dem Beklagten die Kosten auferlegt.
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Bereits unter dem 28.11.2018 hatte der Beigeladene eine Anlassbeurteilung erhalten, die den Zeitraum 01.04. bis 30.09.2018 umfasst. Diese Beurteilung, in der als Anlass „Entwicklungsprognose“ genannt ist, und die von einem anderen Erst– und einem anderen Zweitbeurteiler erstellt worden ist, erschöpft sich allein in der Feststellung, dass nunmehr die Übernahme einer Führungsfunktion befürwortet werde. Ein Gesamturteil enthält sie nicht. Unter dem 26.02.2019 erhielt der Beigeladene dann eine weitere Regelbeurteilung, die wiederrum den Beurteilungszeitraum 01.10.2016 bis 31.03.2018 umfasst und die erneut mit dem Gesamturteil „D“ endet und die feststellt, dass die Übernahme einer Führungsfunktion befürwortet werde.
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Unter dem 10.12.2018 traf der Beklagte eine Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen. Zur Begründung führte er u. a. aus, dass es sich bei dem ausgeschriebenen Dienstposten um eine Verwendung in einer ersten Führungsfunktion handele. In der aktuellen Beurteilung habe bei dem Bewerber die Übernahme einer nächsthöheren Führungsfunktion befürwortet worden sein müssen. Bewerber ohne eine solche Prognose könnten nicht in das Verfahren einbezogen werden. Bei den Beigeladenen handele es sich um den einzigen Bewerber aus dem Statusamt A 12, bei dem die Verwendungsoption in der aktuellen Beurteilung dahin verändert worden sei, dass bei ihm die Übernahme einer Führungsfunktion befürwortet werde. Es liege damit kein Verfahrenshindernis (mehr) vor und der Beigeladene werde (weiterhin) in die Auswahl einbezogen. Da sowohl der Kläger als auch der Beigeladene für die Übernahme des ausgeschriebenen Dienstpostens geeignet seien, müsse darauf abgestellt werden, dass der Beigeladene seine Beurteilung im höheren Statusamt erhalten habe und dieser stets ein höheres Gewicht beizumessen sei, weil an den Inhaber eines höheren Statusamtes gesteigerte Anforderungen zu stellen seien. Im Ergebnis schlage nicht durch, dass der Kläger um eine Stufe im Gesamturteil besser beurteilt worden sei. Bei einer vergleichenden Betrachtung und Prüfung der Bewerber, gemessen am Anforderungsprofil nach notwendiger Relativierung der bezogen auf das geringere Statusamt einzuschätzenden Beurteilungseinzelmerkmale ergebe sich, dass der Beigeladene bedeutend länger (nahezu 17 Jahre) Angehöriger des Laufbahnabschnitts II, 1. Einstiegsamt als der Kläger sei. Darüber hinaus blicke der Beigeladene bereits auf viele Jahre Führungsverantwortung und– erfahrung in unterschiedlichen Organisationseinheiten zurück. Zudem habe er sich deutlich länger in Stellungsbesetzungsverfahren durchgesetzt und sich seitdem kontinuierlich positiv in seinen Beurteilungen als Resultat seiner Leistungen auf den schwereren Arbeitsplätzen präsentiert. In die Gesamtbetrachtung seien Umstände einzubeziehen, die dazu führten, die Bewertungen des Klägers in seiner dienstlichen Beurteilung im Abgleich zu denen des Beigeladenen aus dem höheren Statusamt um zwei Bewertungsstufen zu relativieren. Insgesamt könne der Kläger danach keine gleich gute und vergleichbare Leistungsentwicklung wie der Beigeladene vorweisen. Dieser sei damit auszuwählen.
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Mit E–Mail vom 14.12.2018 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er nicht ausgewählt worden sei. Er verwies darauf, dass eine Beurteilung im höheren Statusamt ein höheres Gewicht beizumessen und deshalb die Entscheidung zugunsten des Beigeladenen ausgefallen sei.
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Den vom Kläger gegen die Ablehnung seiner Bewerbung erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 20.03.2019 zurück.
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Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, dass das Auswahlverfahren frei von Rechtsfehlern gewesen sei. Die Entscheidung im Auswahlverfahren sei zeitlich verzögert ergangen, weil es zunächst keine belastbare Beurteilung für den Beigeladenen gegeben habe. Auf seine Gegenvorstellung gegen die dienstliche Beurteilung sei eine Anlassbeurteilung gefertigt worden. Diese sei Grundlage für die im Dezember durchgeführte Auswahlentscheidung gewesen. Die Aushändigung der Anlassbeurteilung sei allerdings formal fehlerhaft gewesen. Aus diesem Grund sei die Beurteilung des Beigeladenen aufgehoben worden und die Beurteiler zu einer Neufertigung einer Beurteilung aufgefordert worden. Die neue Beurteilung sei dem Beigeladenen dann am 26.02.2019 ausgehändigt worden. In dieser Beurteilung hätten sich einige Einzelmerkmale verbessert und die Entwicklungsprognose habe nunmehr gelautet „Die Übernahme einer Führungsfunktion werde befürwortet“. Im Ergebnis sei dadurch die Auswahlentscheidung bestätigt worden. Es sei mithin festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Durchführung des Auswahlverfahrens für den Beigeladenen die Prognose „Übernahme einer Führungsfunktion werde befürwortet“ vorgelegen habe. Auch das Abstellen auf das Statusamt sei nicht zu beanstanden. Der Beigeladene habe höherwertige Aufgaben der Kategorie „D“ bereits seit 2011 übernommen und könne eine längere Verweildauer (16 Jahre länger als der Kläger) als Angehöriger des Laufbahnabschnitts 2, erstes Einstiegsamt aufweisen. Im Ergebnis sei der Beigeladene besser geeignet.
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Der Kläger hat unter dem 08.04.2019 Klage erhoben.
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Er trägt unter Schilderung des Verfahrensablaufs bis zur Entscheidung über die Stellenbesetzung im Wesentlichen vor, dass die Gleichstellungsbeauftragte nicht rechtzeitig beteiligt worden sei. Darüber hinaus erfülle die Mitteilung an ihn nicht die nach der Rechtsprechung an eine Konkurrentenmitteilung notwendige Begründung. Die Stellenbesetzung als solche sei rechtswidrig. Statt auf das statushöhere Amt des Beigeladenen abzustellen, hätte der Beklagte eine ausschärfende Betrachtung der dienstlichen Beurteilungen der Bewerber vornehmen müssen. Es lägen zudem keine Gründe dafür vor, die eine Änderung der Beurteilung des Beigeladenen, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklungsprognose, gerechtfertigt hätten. Nicht nachvollziehbar seien die Ausführungen im Widerspruchsbescheid, wonach die für den Beigeladenen gefertigte Anlassbeurteilung aus formalen Gründen aufgehoben worden sei. Nicht zutreffend sei, dass nach der Gegenvorstellung des Beigeladenen dessen Entwicklungsprognose von „Übernahme einer Führungsfunktion nicht befürwortet“ in „Übernahme einer Führungsfunktion befürwortet“ geändert worden sei. Vielmehr sei im Rahmen des Gegenvorstellungsverfahrens die Entwicklungsprognose von „nicht befürwortet“ auf „noch nicht befürwortet“ geändert worden. Hinzu komme, dass die Beurteilungen der Bewerber nicht miteinander vergleichbar gewesen seien, weil er – der Kläger – eine Regelbeurteilung bis einschließlich April 2018, der Beigeladene hingegen eine solche bis zum 31.03.2019 erhalten habe. Schließlich sei es nicht angängig, eine aufgehobene Beurteilung aus der Personalakte zu entfernen. Zusammenfassend könne festgestellt werden, dass die für den Beigeladenen gefertigte Anlassbeurteilung, die Grundlage für die Stellenbesetzung gewesen sei, rechtswidrig gewesen sei. Gleiches gelte für die unter dem 26.02.2019 ausgehändigte Regelbeurteilung.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 14.12.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2019 zu verurteilen, über seine – des Klägers – Bewerbung um die ausgeschriebene Stelle, Leitung Sachgebiet 2 bei der, D-Stadt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor: Der vom Kläger dargestellte Verfahrensablauf finde im Wesentlichen seine Bestätigung in der Akte. Der Beigeladene habe nach dem Gegenvorstellungsgespräch und teilweiser Abhilfe Widerspruch erhoben, welcher dann mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2018 zurückgewiesen worden sei. Im anschließenden Klagverfahren sei diese Beurteilung, nachdem ein Beurteilungsfehler festgestellt worden sei, aufgehoben und der Beigeladene klaglos gestellt worden. Durch die Neufertigung der Regelbeurteilung am 26.02.2019 sei die alte Beurteilung gegenstandslos geworden; von ihr seien keine Wirkungen mehr ausgegangen. Maßgeblich und mit belastbarer Wirkung ausgestattet sei lediglich die dem Beigeladenen am 26.02.2019 ausgehändigte neue Regelbeurteilung. Der Grund für die Anlassbeurteilung sei gewesen, dass die Entwicklungsprognose für den Beigeladenen bereits älter als sechs Monate gewesen sei und deshalb auf ihre Aktualität habe überprüft werden müssen. Durch die später neu gefertigte Regelbeurteilung (26.02.2019) sei die Anlassbeurteilung ebenfalls gegenstandslos geworden.
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Der Beigeladene hat sich im Verfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach– und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts – eine erneute Auswahlentscheidung über die Besetzung des streitgegenständlichen Dienstpostens trifft.
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Der Anspruch des Klägers auf erneute Auswahlentscheidung folgt aus Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 9 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG). Danach dürfen öffentliche Ämter im statusrechtlichen Sinne nur nach Kriterien vergeben werden, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Beamte den Anforderungen seines Statusamtes genügt und sich in einem höheren Statusamt voraussichtlich bewähren wird. Der Grundsatz der Bestenauslese gilt für Beförderungen unbeschränkt und vorbehaltlos. Jeder Bewerber hat daher einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr seine Bewerbung nur aus Gründen zurückweist, die in Einklang mit Art. 33 Abs. 2 GG stehen (sogenannter Bewerbungsverfahrensanspruch, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 03.12.2014 – 2 A 3/13 – juris Rn. 15). Entsprechendes gilt für vorgelagerte Auswahlentscheidungen – etwa zur Besetzung eines höherwertigen Dienstpostens –, durch die eine zwingende Voraussetzung für die nachfolgende Beförderung oder zumindest für Bewerber – hier den Kläger – eine Beförderungsaussicht vermittelt und die Auswahl für diese Ämtervergabe damit vorweggenommen oder vorbestimmt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.06.2013 – 2 VR 1/13 – juris Rn. 14). Unabhängig davon gelten die Grundsätze der Bestenauslese auch dann, wenn sich – wie hier ebenfalls vorliegend – der Dienstherr entschieden hat, einen Dienstposten sowohl für Beförderungs – als auch für Versetzungs– und Umsetzungsbewerber auszuschreiben und nach Leistungsgrundsätzen zu vergeben. Er legt sich damit auf ein Auswahlverfahren fest, aus dem sich ein Bewerbungsverfahrensanspruch ergibt (vgl. BVerfG Beschluss vom 28.2.2007, Az. 2 BvR 2494/06 juris Rn. 6 m.w.N).
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Auswahlentscheidungen sind grundsätzlich anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen vorzunehmen, die auf das Statusamt bezogen sind. Eine Einengung des Bewerberfeldes anhand der Anforderungen eines bestimmten Dienstpostens ist hiermit grundsätzlich nicht vereinbar. Allerdings gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie der Oberverwaltungsgerichte etwas Anderes dann, wenn die Wahrnehmung der Aufgaben eines Dienstpostens zwingend besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten voraussetzt, die ein Laufbahnbewerber regelmäßig nicht mitbringt und sich in angemessener Zeit und ohne unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung auch nicht verschaffen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20.06.2013 – 2 VR 1/13 – juris Rn. 18, 31 und vom 19.12.2014 – 2 VR 1./14 – juris Rn. 26; für die Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe statt vieler: BayVGH, Beschluss vom 04.02.2015 – 6 CE 14.2477 – juris Rn. 16).
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Unter solchen Umständen darf der Dienstherr ein konstitutives Anforderungsprofil aufstellen, welches Bewerber, die dieses nicht erfüllen, von der weiteren Auswahl ausschließt.
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Bei dem in der Stellenausschreibung formulierten Anforderungsmerkmal einer mindestens sechsmonatigen erfolgreichen Personalführungserfahrung handelt es sich um ein solches Profilmerkmal. Auch der Beklagte hat das Merkmal als konstitutiv behandelt (s. die in der Ausschreibung verwendete Bezeichnung als „Konstitutive(s) Merkmal(e)“). Beide Bewerber erfüllen unstrittig dieses Merkmal und waren daher in die nähere Betrachtung einzubeziehen.
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Allerdings ist die letztlich mit Vermerk vom 10.12.2018 getroffene und mit Bescheid vom 14.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2019 dem Kläger mitgeteilte Auswahlentscheidung rechtswidrig und verletzt diesen in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch. Die Entscheidung des Beklagten ist unter Verletzung des Grundsatzes der Bestenauslese ergangen.
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Bei der gerichtlichen Überprüfung eines Stellenbesetzungsverfahrens ist maßgeblich der Zeitpunkt der letzten – tatsächlich getroffenen – Behördenentscheidung, also grundsätzlich der Entscheidung über die Stellenbesetzung durch den dafür zuständigen Amtsträger (BVerwG, Beschluss vom 25.04.2007 – 1 WB 31/06 – juris Rn.46; OVG Koblenz, Beschluss vom 13.07.2020 – 2 B 10681 – juris Rn. 22; BayVGH, Beschluss vom 22.11.2007 – 3 CE 07.2274 – juris Rn. 51). Dies ist hier die Auswahlentscheidung des Beklagten vom 10.12.2018. Zeitlich danach (also grundsätzlich nach dem Auswahlvermerk) liegende Vorgänge können wegen des nach der ständigen Rechtsprechung bestehenden Gebots, aus Gründen der Transparenz des Besetzungsverfahrens die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen, regelmäßig nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 22.11.2007 a.a.O. Rn. 51; VG Bayreuth, Beschluss vom 04.12.2014 – B 5 E 14.639 – juris Rn. 33 ff.). Aus diesem Grund spielt die für den Beklagten unter dem 26.02.2019 erstellte Regelbeurteilung – jedenfalls für die hier umstrittene Auswahlentscheidung – allein unter dem zeitlichen Aspekt keine Rolle.
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Der Beklagte hat in seinem Auswahlvermerk indes in unzulässiger Weise die unter dem 28.11.2018 erstellte Anlassbeurteilung des Beigeladenen in seine Entscheidung einbezogen. Auch wenn diese vor der Auswahlentscheidung gefertigt worden ist, ist sie aber bereits deshalb ungeeignet für einen Vergleich der Bewerber, weil sie einen ganz anderen Beurteilungszeitraum umfasst als die Regelbeurteilung des Klägers. Der Beurteilungszeitraum beginnt dort, wo derjenige der Beurteilung des Klägers endet. Aber auch unabhängig davon erschließt sich dem Gericht nicht, warum der Beigeladene überhaupt eine Anlassbeurteilung erhalten hat. Nach den Richtlinien über die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im Polizeivollzugsdienst des Landes Schleswig–Holstein vom 01.04.2017 (Beurteilungsrichtlinien Polizei – BURL Pol SH) kommt eine Beurteilung aus besonderem Anlass nur aus den unter Nr. 4.3 aufgeführten, hier nicht vorliegenden Gründen in Betracht. Zwar heißt es im zweiten Satz der Nr. 4.3, dass Beurteilungen aus weiteren besonderen Anlässen auch zulässig seien, wenn in besonders begründeten Ausnahmefällen sonstige dienstliche oder persönliche Verhältnisse die Beurteilung erfordern. Einen solchen Ausnahmefall hat der Beklagte aber nicht dargelegt. Der Hinweis, dass die Entwicklungsprognose (zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung) schon älter als ein Jahr gewesen sei, verfängt nicht. Vielmehr war die Regelbeurteilung des Beigeladenen noch existent und die Entwicklungsprognose noch hinreichend aktuell (vgl. den dazu ergangenen Widerspruchbescheid vom 15.10.2018, in dem die Bewertung „Übernahme einer Führungsfunktion noch nicht befürwortet“ auch noch gut sechs Wochen vor dem Auswahlvermerk ausdrücklich aufrechterhalten wurde). Zudem findet diese Einschätzung keine Grundlage in den Beurteilungsrichtlinien, insbesondere ist damit weder ein Ausnahmefall dargelegt noch wäre ein solcher ausreichend begründet worden. Die „Anlassbeurteilung“ beschäftigt sich darüber hinaus allein mit dem Aspekt „Entwicklungsprognose“; andere Merkmale sind überhaupt nicht bewertet worden. Insoweit ist überhaupt zweifelhaft, ob es sich um eine „Beurteilung“ im Sinne der Beurteilungsrichtlinien handelt oder ob es sich nicht vielmehr um eine – ebenfalls unzulässige, weil nicht erforderliche und nach den Beurteilungsrichtlinien nicht vorgesehene – Aktualisierung der dienstlichen Regelbeurteilung des Beigeladenen handelt. Für eine (ständige) Verwaltungsübung, die der Beklagtenvertreter erstmals in der mündlichen Verhandlung erwähnt hat, fehlen greifbare Anhaltspunkte im Akteninhalt und im Vortrag des Beklagten. Eine solche Praxis wiche im Übrigen von den Beurteilungsrichtlinien ab.
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Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Hinweis in dem an den Kläger gerichteten Widerspruchsbescheid vom 20.03.2019, wonach der „Bewerber (=Beigeladene) in eine Gegenvorstellung gegangen (sei), die dazu führte, dass Änderungen in der Beurteilung vorgenommen wurden, die in Form einer Anlassbeurteilung niedergeschrieben wurden.“ Das widerspricht den Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 15.10.2018, wonach die Feststellung einer positiven Entwicklungsprognose („befürwortet“) daran gescheitert sei, dass beim Beigeladenen beim Führungsverhalten noch „diverse Defizite“ vorhanden seien und u. a. deshalb dessen Regelbeurteilung rechtlich nicht zu beanstanden sei. Unverständlich ist auch der folgende Absatz im Widerspruchsbescheid vom 20.03.2019, wonach die Aushändigung der Anlassbeurteilung einen „formalen Fehler“ darstelle. Wenn dem so gewesen sein sollte, hätte die Anlassbeurteilung überhaupt nicht für die Auswahlentscheidung herangezogen werden dürfen. Die Ausführungen des Beklagten sind insoweit nicht nachvollziehbar und nähren den Eindruck, dass eine Aktualisierung (der Entwicklungsprognose) – wie der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 18.07.2019 vorträgt – offensichtlich nicht, jedenfalls nicht maßgeblich Motiv für die Fertigung der Anlassbeurteilung gewesen ist.
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Die Kammer kann sich deshalb nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass der Beklagte versucht hat, eine für die Besetzung der Stelle nicht ausreichende und den Beigeladenen aus dem Verfahren sogar ausschließende Beurteilung nachträglich durch eine Anlassbeurteilung zu heilen bzw. die Regelbeurteilung dadurch aufzuwerten. Dies ist indes – wie ausgeführt – nicht zulässig.
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Der Auswahlvermerk vom 10.12.2018 begegnet auch unter weiteren Gesichtspunkten Bedenken. Zwar findet im Unterschied zu dem Inhalt der Konkurrentenmitteilung vom 14.12.2018 kein rein schematischer Vergleich der Leistungen aufgrund der unterschiedlichen Statusämter statt mit der Schlussfolgerung, dass der in einem höheren Statusamt befindliche Beigeladene allein wegen seines höheren Statusamtes vorzuziehen gewesen wäre. Es erschließt sich aber nicht, wie der Verfasser des Auswahlvermerks am Ende zu der Einschätzung gelangt, dass die Leistungen des Klägers im Abgleich mit den Bewertungen des Beigeladenen aus dem höheren Statusamt um zwei Bewertungsstufen zu relativieren seien. Die dafür in dem Absatz zuvor gegebene Begründung trägt diese Einschätzung nicht. Soweit es dort heißt, dass der Beigeladene „bedeutend länger (nahezu 17 Jahre) Angehöriger des Laufbahnabschnitts 2, erstes Einstiegsamt, als der Kläger sei und er darüber hinaus im Gegensatz zum Kläger auf viele Jahre Führungsverantwortung und– erfahrung in unterschiedlichen Organisationseinheiten zurückblicken könne, findet dies keine Entsprechung in der Stellenausschreibung, weder bezüglich des (einzigen) konstitutiven Merkmals noch hinsichtlich der dort aufgeführten deklaratorischen Merkmale. Auch von einer „Leistungsentwicklung“ ist dort keine Rede. Unabhängig davon wird die Dauer der Führungsverantwortung des Beigeladenen dadurch relativiert, dass in seiner dienstlichen Beurteilung sowohl vom 02.05.2018 das Führungsverhalten fast durchgehend (nur) mit „D“ (Anforderungen werden erfüllt), das des Klägers indes mit „C“ (Anforderungen werden übertroffen), teilweise sogar mit „B“, (Anforderungen werden deutlich übertroffen) bewertet worden ist.
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Es ist zudem nicht zulässig, nachträglich (entscheidend) auf Merkmale abzustellen, die zuvor in der Stellenbeschreibung überhaupt nicht bzw. jedenfalls nicht als zwingende Anforderungsprofilmerkmale bzw. als prägend aufgeführt sind. Das Hervorheben der Dauer der Führungsverantwortung ist demnach unzulässig. Gleiches gilt für den anschließenden Hinweis, dass der Beigeladene sich „deutlich länger“ im Stellenbesetzungsverfahren durchgesetzt und „sich seitdem kontinuierlich positiv in seinen Beurteilungen als Resultat seiner Leistungen auf den schwereren Arbeitsplätzen präsentiert“ habe. Dies ist ebenso unzulässig wie die Schlussfolgerung, dass der Beigeladene damit über „die breitere und längere Führungserfahrung auf höherwertigen Dienstposten“ verfüge. Auch auf eine bessere „Leistungsentwicklung“ kommt es nicht an.
- 32
Auswahlkriterien können nachträglich nicht dergestalt geändert werden, dass der Bewerberkreis erweitert oder eingeengt wird, ohne dass mögliche Interessenten davon Kenntnis erhielten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.06.2013 – a.a.O. Rn. 32). Der Beklagte hätte, wenn er eine über sechsmonatige Führungserfahrung oder sonstige Erfahrungszeiten für maßgeblich erachtet hätte, dieses bereits in der Stellenausschreibung (als konstitutives oder zumindest deklaratorisches Merkmal) aufnehmen oder das Verfahren abbrechen und die Stelle (mit geänderten Anforderungen) neu ausschreiben müssen.
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Ist die Auswahlentscheidung bereits aus den o. g. Gründen rechtswidrig, bedarf es keiner Klärung mehr, ob die Gleichstellungsbeauftragte zu spät beteiligt worden ist.
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Schließlich erscheint in Anbetracht einer neu durchzuführenden Stellenbesetzung die Auswahl des Klägers möglich, was für den Erfolg im Verfahren ausreichend ist (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 21.12.2019 – 2 MB 3/19 –, juris Rn. 31 m. N.)
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 3, 162 Abs. 3 VwGO; sie ist gemäß §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.
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Referenzen
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- VwGO § 3 1x
- VwGO § 162 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 167 Rückwirkung der Zustellung 1x
- 2 VR 1/13 2x (nicht zugeordnet)
- 2 A 3/13 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 2494/06 1x (nicht zugeordnet)