Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 6/22
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme derjenigen des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5000, – € festgesetzt.
Gründe
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Der – sinngemäße – Antrag des Antragstellers,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die Stelle bei der Wasserschutzpolizei zum 01.03.2022, Laufbahngruppe 2, Vertretung der Leitung Wasserschutzpolizeirevier A-Stadt, Landespolizeiamt, Dienstposten der Kategorie –B– mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über seine – des Antragstellers – Bewerbung neu und bestandskräftig entschieden ist,
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hat keinen Erfolg.
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Nach der Vorschrift des § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts eines Antragstellers erlassen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.
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Der erforderliche Anordnungsgrund ist gegeben. In Konkurrentenstreitigkeiten um die Besetzung eines Dienstpostens kann ein Anordnungsgrund gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bestehen. Dies kann der Fall sein, wenn ein rechtswidrig ausgewählter Bewerber auf dem Dienstposten einen Erfahrungsvorsprung sammeln kann, der bei einer nochmaligen Auswahlentscheidung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen wäre. Vor diesem Hintergrund kann ein Anordnungsgrund zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs in den Fällen sogenannter reiner Dienstpostenkonkurrenz nur dann verneint werden, wenn aufgrund der Umstände des konkreten Falls die Vermittlung eines relevanten Erfahrungs– bzw. Kompetenzvorsprungs ausnahmsweise ausgeschlossen werden kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21.12.2016 – 2 VR 1/16 –juris Rn. 11 ff. und vom 27.09.2011 – 2 VR 3.11 juris Rn. 17; OVG Münster, Beschluss vom 11.02.2016 – 1 B 1206/15 – juris Rn. 37 ff.). Der auf einem umstrittenen Dienstposten gesammelte Erfahrungsvorsprung ist – wenn es sich, wie hier, um einen für beide Bewerber höherwertigen Dienstposten handelt – auch nicht ohne praktische Relevanz. Er kann bei einer nochmaligen Auswahlentscheidung zur Besetzung des streitigen Dienstpostens, also bei einer erneuten reinen Dienstpostenkonkurrenz, zu Gunsten des Konkurrenten wirken. Der Dienstherr kann Gesichtspunkten wie der dienstlichen Erfahrung oder der Verwendungsbreite den Vorrang einräumen, wenn mehrere Bewerber nach dem in erster Linie maßgebenden Gesamturteil ihrer Beurteilungen als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen sind und der Dienstherr die besondere Bedeutung der einzelnen Gesichtspunkte begründet (OVG Münster, Beschluss vom 11.02.2016 a. a. O. Rn.41).
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Der Antragsteller hat indes einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller im Ergebnis nicht für die streitbefangene Stelle auszuwählen, verletzt nicht dessen Bewerbungsverfahrensanspruch.
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Nach der Rechtsprechung folgt aus Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ein Bewerbungsverfahrensanspruch, der dem Bewerber um ein öffentliches Amt ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung – nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung – in die Bewerberauswahl gibt; die Bewerbung darf nur aus Gründen abgelehnt werden, die durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.08.2005 – 2 C 37.04 – juris Rn. 18 f.).
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Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dann gerechtfertigt, wenn die Verletzung des Rechts auf fehlerfreie Entscheidung über das Begehren der Antragsgegner glaubhaft gemacht worden ist und die Möglichkeit besteht, dass die noch zu treffende rechtmäßige Auswahlentscheidung zur Besetzung der Stelle mit dem Antragsteller führen kann. Ist die getroffene Auswahlentscheidung fehlerhaft, kann die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes nur dann in Betracht kommen, wenn im Sinne einer „offensichtlichen Chancenlosigkeit“ von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Wiederholung des Stellenbesetzungsverfahrens unter Vermeidung der Rechtsverletzung zu einer günstigeren Entscheidung für den Antragsteller führen kann (vgl. etwa OVG Münster, Beschluss vom 14.03.2016 – 1 B 1512/15 – juris Rn. 19).
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Der Antragsgegner hat zu Recht den Beigeladenen im Ergebnis als besser geeignet für den ausgeschriebenen Dienstposten angesehen als den Antragsteller. Grundlage für den Leistungsvergleich war ausweislich des Auswahlvermerkes aus Dezember 2021/Januar 2022 die letzte dienstliche Beurteilung der Bewerber. Danach ist der Antragsteller wie der Beigeladene mit dem Gesamturteil „C“ (Anforderungen werden übertroffen) bewertet worden. Weisen indes – wie hier – die Bewerber das gleiche Gesamturteil in ihrer Beurteilung auf, ist für die Auswahlentscheidung auf weitere unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung geht davon aus, dass der Dienstherr bei gleichem Gesamturteil zunächst die Beurteilungen umfassend inhaltlich auswerten muss bzw. Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien oder in der verbalen Gesamtwürdigung zur Kenntnis zu nehmen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.6.2011 – 2 C 19/10 – juris Rn. 17; Beschluss vom 22.11.2012 – 2 VR 5/12 – juris Rn. 26; Beschluss vom 20.6.2013 – 2 VR 1/13 – juris Rn. 46/48; Beschluss vom 19.12.2014 – 2 VR 1/14 – juris Rn. 35; OVG Münster, Beschlüsse v. 23.1.2015 – 6 B 1365/14 – juris Rn. 4; vom 01.08.2011 – 1 B 186/11 – juris Rn. 11; vom 25.10.2010 – 1 B 901/10 – juris Rn. 12; VGH Kassel, Beschluss vom 23.09.2015 – 1 B 707/15 – juris Rn. 31; VGH München Beschlüsse vom11.05.2015 – 3 CE 15.886 – juris Rn. 49; vom 16.04.2015 – 3 CE 15.815 – juris Rn. 52; VGH Mannheim, Beschluss vom 21.12.2011 – 4 S 2543/11 – juris Rn. 10; OVG Lüneburg, Beschluss vom 21.12.2016 – 5 ME 151/16 – juris Rn.21) bzw. er zumindest so verfahren kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse v. 04.10.2012 – 2 BvR 1120/12 – juris Rn. 13; vom 16.12.2015 – 2 BvR 1958/13 – ZBR 2016, 128, 134 Rn. 63 und vom 05.09.2007 – 2 BvR 1855/07 – juris Rn. 7). Weitere Erkenntnisquellen (etwa frühere Beurteilungen) dürfen bzw. können danach nur ergänzend herangezogen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.09.2007 a. a. O. Rn. 7; OVG Lüneburg, Beschluss vom 21.12.2016 a. a. O. Rn.21).
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Bei der hiernach grundsätzlich gebotenen bzw. möglichen Ausschöpfung der Einzelfeststellungen der Beurteilungen ergibt sich ein Vorsprung des Beigeladenen, der in einigen Einzelmerkmalen besser als der Antragsteller bewertet worden ist (2.1 Arbeitszuverlässigkeit und Arbeitshaltung; 2.2 Fachkenntnisse/Berufliche Erfahrung; 2.12 Wahrnehmung der Führungsverantwortung; 2.17 Förderung der Gleichstellung und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie). Auch wenn der Antragsgegner nicht verpflichtet war, im Auswahlverfahren die Einzelmerkmale der Leistungsbeurteilung zu gewichten (OVG Lüneburg, Beschluss vom 21.12.2016 a. a. O. Rn. 22), durfte er aufgrund der ausschärfenden Betrachtung (gleichgewichteter) Einzelmerkmale bei gleichen Gesamturteilen zu dem Ergebnis kommen, dem Bewerber den Vorzug zu geben, der in einem oder in mehreren Einzelmerkmalen eine oder mehrere Stufen besser bewertet worden ist.
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Zu Recht hat der Antragsgegner ferner darauf hingewiesen, dass die Schwierigkeit der Tätigkeit auf dem Dienstposten des Antragstellers bei der Beurteilung berücksichtigt und in die Bewertung der Einzelmerkmale und damit auch in die Gesamtnote eingeflossen ist. Das zeigt die Begründung des Gesamturteils, in der ausdrücklich auf das zugewiesene Aufgabengebiet des Antragstellers abgehoben wird. Insoweit fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten für die Annahme und stellt lediglich eine Behauptung dar, dass der Antragsgegner zu Unrecht die höhere Wertigkeit der mit der „C“ beurteilten Leistung des Antragsstellers nicht berücksichtigt hat. Die mit „C“ beurteilte Leistung kann damit im Ergebnis nicht als höherwertig als die Note „C“ des Beigeladenen angesehen werden. Eine nochmalige Berücksichtigung im Rahmen des Auswahlverfahrens wäre im Übrigen unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.12.2015 a. a. O. Rn.60).
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs.1, 3, 162 Abs. 3 VwGO.
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Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2, i.V.m. Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges festgesetzt worden (es handelt sich für beide Bewerber nur um eine Umsetzung, die keine Vorwirkung auf eine anstehende Beförderung hat).
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Referenzen
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- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 B 1512/15 1x
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