Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 24/22

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu je 1/3.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

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Der am 29. Dezember 2021 sinngemäß gestellte Antrag,

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern jeweils eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen,

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bleibt ohne Erfolg. Der zulässige Antrag ist jedenfalls deswegen unbegründet, weil die begehrte einstweilige Anordnung eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache darstellen würde.

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Zwar kann das Gericht gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Erforderlich ist danach die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Das Gericht kann im Rahmen des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO jedoch grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur im Hauptsacheprozess erreichen könnte. Grundsätzlich ausgeschlossen, da mit dem Wesen einer einstweiligen Anordnung nicht vereinbar, ist es daher, eine Regelung zu treffen, die rechtlich oder zumindest faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft. Eine derartige Regelung begehren die Antragsteller vorliegend, da sie bereits in dem hiesigen einstweiligen Rechtsschutzverfahren – im Sinne eines Verpflichtungsantrages (vgl. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) eines etwaigen Hauptsacheverfahrens – die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen erreichen wollen (vgl. entsprechend zur Vorwegnahme der Hauptsache im Falle der begehrten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Wege der einstweiligen Anordnung: VGH München, Beschl. v. 28.09.2020 – 10 CE 20.2081 –, juris Rn. 3; VG München, Beschl. v. 09.05.2019 – M 10 E 19.1429 –, juris Rn. 35).

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Eine Vorwegnahme der Hauptsache wäre im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig wäre, das heißt wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und zugleich ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen würde (VG München, Beschl. v. 09.05.2019 – M 10 E 19.1429 –, juris Rn. 34 ff.; vgl. auch OVG Schleswig, Beschl. v. 31.01.2022 – 3 MB 1/22 –, juris Rn. 10 m.w.N.; VGH München, Beschl. v. 10.03.2006 – 24 CE 05.2685 –, juris Rn. 19).

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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Antragsteller haben insbesondere nicht glaubhaft gemacht, dass ihnen ohne die Gewährung des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes – also der Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse – schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Der bloße – sinngemäße – Wunsch der Antragsteller, aufgrund angeführter unterschiedlicher Rechtsauffassungen der Beteiligten zur Frage der Erfüllung der Passpflicht nach § 3 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 48 Abs. 2 AufenthG bzw. der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) zügig eine abschließende gerichtliche Klärung bezüglich ihrer aufenthaltsrechtlichen Situation herbeizuführen und den Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht abwarten zu müssen (vgl. Bl. 8, 188 d. Gerichtsakte), begründet keine schweren und unzumutbaren Nachteile im vorgenannten Sinne.

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Selbst wenn man das Rechtsschutzbegehren der Antragsteller im Übrigen im Wege der weitestmöglichen Auslegung (vgl. § 88 VwGO i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO) dahingehend verstünde, dass diese – zum Zwecke der Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) – die Feststellung begehren, dass sie derzeit die Passpflicht im Sinne des § 3 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 48 Abs. 2 AufenthG erfüllen, bleibt der Antrag ohne Erfolg. Die Antragsteller begehren auch mit dem so verstandenen Antrag eine unzulässige Vorwegnahme einer etwaigen Hauptsachentscheidung. Mit der in der Hauptsache insoweit statthaften Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO könnten sie nämlich nicht mehr erreichen als mit der begehrten Feststellung der Erfüllung der Passpflicht in dem hiesigen einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Besondere Gründe im vorgenannten Sinne, die zwecks Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnten, sind durch die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Die Kammer nimmt diesbezüglich auf die vorstehenden Ausführungen Bezug, die insoweit entsprechend gelten. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch nicht ersichtlich ist, dass die Antragsteller zur Vermeidung irreparabler und schwerwiegender Nachteile alsbald einer isolierten Feststellung der Erfüllung der Passpflicht nach § 3 Abs. 1 AufenthG bedürften. Eine Klärung dieser Rechtsfrage kann vielmehr erforderlichenfalls im Rahmen des laufenden Verfahrens auf Erteilung beantragter Aufenthaltserlaubnisse erfolgen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 39 Abs. 1 GKG.


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