Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (6. Kammer) - 6 A 159/21

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Abberufung des Landrats des Kreis A.

2

Der Kläger ist Mitglied des Beklagten.

3

Am 31. März 2021 fand eine Abstimmung im Beklagten über die Abberufung des derzeitigen Landrates statt. Ausweislich des Protokolls erklärte der Präsident des Beklagten vor der Abstimmung, dass im Ältestenrat vereinbart worden sei, die Abstimmung ohne Aussprache durchzuführen. Sodann ist weiter im Protokoll festgehalten: „Einwände werden nicht erhoben. Es folgt die Abstimmung.“ Das Abstimmungsergebnis setzte sich ausweislich des Protokolls aus 47 Ja-Stimmen, 0 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen zusammen.

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Mit Schreiben vom 25. April 2021 wandte sich der Kläger an den Präsidenten des Beklagten und rügte die fehlende Aussprache im Plenum am 31. März 2021 vor der Abstimmung über die Abberufung. Darüber hinaus rügte er, dass eine Aussprache auch für den 29. April 2021 nicht vorgesehen sei. Nach der Kreisordnung sei über die Abberufung eines Landrats zweimal zu beraten und zu entscheiden. Auch in der Sitzung am 31. März 2021 sei nicht beraten worden. Vielmehr sei die Abstimmung auf Antrag des Hauptausschusses hin erfolgt, ohne dass eine Begründung vorgelegt worden sei. Hierin erkenne er, der Kläger, eine Verletzung seines Anspruchs auf Beratung. Weil er auch die vorangegangene Abstimmung für unzulässig halte, verlange er eine Wiederholung der Abstimmung vom 31. März 2021 und die Aussetzung der Abstimmung am 29. April 2021.

5

Am 29. April 2021 fand eine erneute Abstimmung über die Abwahl des Landrates im Beklagten statt. Ausweislich des Protokolls habe auch hier der Präsident des Beklagten erläutert, dass im Ältestenrat vereinbart worden sei, die Abstimmung ohne Aussprache durchzuführen. Sodann ist weiter im Protokoll festgehalten: „Einwände werden nicht erhoben. Es folgt die Abstimmung.“ Das Abstimmungsergebnis setzte sich dem Protokoll zufolge aus 47 Ja-Stimmen, 0 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen zusammen.

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Unter dem 22. Mai 2021 beschwerte sich der Kläger bei der Kommunalaufsicht und begehrte die Anordnung der Wiederholung der Abstimmung.

7

Die Beschwerde wurde mit Schreiben des Ministeriums für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung (im Folgenden: Innenministerium) vom 11. Juni 2021 zurückgewiesen. Zur Begründung führte das Innenministerium aus, dass dem Kläger als Kreistagsabgeordneter kein subjektives Recht auf vorherige Beratung zustehe. Eine Aussprache über die Abberufung eines Landrates sei nicht zwingend.

8

Die Rüge des Klägers, dass der Antrag auf Abberufung des Landrates nicht gesondert begründet gewesen sei, ändere an diesem Ergebnis nichts. Die Abberufung stelle sich als Spiegelbild zur Wahl des Landrates dar. Die Mehrheitsentscheidung bei der Wahl müsse so interpretiert werden, dass dem gewählten Landrat das Vertrauen ausgesprochen werde. Umgekehrt sei eine Mehrheitsentscheidung für die Abberufung als der Entzug dieses Vertrauens zu verstehen. Dabei sei es unerheblich, aus welchen Gründen der Landrat das Vertrauen des Kreistages verloren habe.

9

Kreistagsabgeordnete könnten darüber hinaus keinen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen des Kreistages einlegen. Nur der Landrat könne im Falle eines Rechtsverstoßes einem Beschluss widersprechen. Darüber hinaus könne die Kommunalaufsichtsbehörde Beschlüsse des Kreistages beanstanden. Auch dies setze jedoch einen Rechtsverstoß voraus, der hier nicht vorliege.

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Am 17. Juli 2021 hat der Kläger zunächst gegen den Kreis A Klage erhoben.

11

Nachdem der Kreis A mit Schriftsatz vom 12. August 2021 gegenüber dem Gericht mitgeteilt hatte, nicht der richtige Klagegegner zu sein, hat der Kläger erklärt, die Klage nunmehr gegen den Beklagten zu richten.

12

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage vor, dass die Abwahl des Landrates rechtswidrig sei, weil sie entgegen der Bestimmungen der Kreisordnung ohne die erforderliche Beratung im Plenum des Kreistages erfolgt sei.

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Er, der Kläger, habe ausdrücklich eine Beratung gefordert, diese sei ihm jedoch verwehrt worden. Als er während der Sitzung am 29. April 2021 seinen Antrag habe begründen wollen, sei ihm das Wort entzogen worden. Das Innenministerium habe bei seiner Entscheidung verkannt, dass er, der Kläger, nicht sein eigenes subjektives Recht mit seinem Verlangen auf neue Abstimmung geltend mache. Vielmehr handele er zur Wahrung seiner Kompetenz, die ihm als Organ bzw. Organmitglied verliehen worden sei. Aus dieser Kompetenz heraus entstehe sein Anspruch auf Beratung. Diese Kompetenz nehme er für den Kreis A wahr. Entgegen der Auffassung des Innenministeriums sei eine Aussprache vor der Abstimmung über die Abwahl des Landrates zwingend notwendig gewesen. Im Gesetzeswortlaut finde sich kein Hinweis darauf, dass von der Voraussetzung einer vorherigen Beratung eine Ausnahme gemacht werden könne. Darüber hinaus gehe die Kommunalaufsicht zu Unrecht davon aus, dass es sich bei der Abwahl des Landrates um das Spiegelbild der Wahl handele. Dies sei schon deswegen nicht der Fall, weil der Landrat anders als bei seiner Wahl nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in zwei Sitzungen mit einem Abstand von 4 Wochen abberufen werden könne.

14

Es gehe dem Kläger insbesondere darum, die Gründe für die Abberufung des Landrates zu erfahren. Sodann wolle er, dass über die Gründe durch die Mitglieder des Kreistages im Plenum beraten werde, bevor diese eine Entscheidung träfen. So habe der Ältestenrat beschlossen, dass über die Abberufung des Landrates ohne Aussprache entschieden werden solle. Dem Ältestenrat komme jedoch nur eine beratende und unterstützende Funktion zu. Der Kreistag habe nicht beschlossen, die Entscheidung über die Aussprache dem Ältestenrat zu überlassen. Er, der Kläger, habe erst im Nachhinein von dem Beschluss des Ältestenrates erfahren. Der abberufene Landrat selbst solle ausschließlich im Hauptausschuss des Beklagten angehört worden sein, wovon er, der Kläger, auch nur im Nachhinein erfahren habe. Dort seien die Gründe für die Abwahl erörtert und Vertraulichkeit vereinbart worden. Ein Mandat hierzu habe der Hauptausschuss nicht besessen. Stattdessen sei der Kreistag im Anschluss vor vollendete Tatsachen gestellt worden.

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Die Strafermittlungsverfahren gegen den abberufenen Landrat seien mittlerweile eingestellt worden. Ein schwerwiegendes Fehlverhalten könne ihm daher nicht zur Last gelegt werden. Dies habe den Kreistagsabgeordneten bei ihrer Abstimmung über die Abberufung nicht bekannt sein können. Dem abberufenen Landrat sei auch vor dem Hauptausschuss lediglich sein Verhalten im Zusammenhang mit der Impfung vorgeworfen worden. Es sei ungeklärt, weshalb daher nicht öffentlich im Plenum hätte beraten werden können und Vertraulichkeit geboten sein solle, da dieser Sachverhalt zeitnah in der Presse dargestellt worden sei. Darüber hinaus habe der Hauptausschuss nicht erwogen, dass auch der Kreistag nichtöffentlich hätte tagen können. Anders als im Protokoll festgehalten, habe er, der Kläger, bei der zweiten Abstimmung über die Abberufung mit „Nein“ gestimmt. Das Protokoll sei daher unwahr. Im Anschluss hätten Mitglieder des Hauptausschusses erklärt, dass das Verhalten des abberufenen Landrats im Zusammenhang mit den Impfungen „nur die Spitze des Eisberges“ dargestellt habe. Damit hätten noch weiterreichende Gründe für die Abberufung vorgelegen, die jedoch den Kreistagsabgeordneten nicht bekannt gewesen seien. Indem diese Gründe allein im Hauptausschuss erörtert worden seien, hätte für die Kreistagsabgeordneten nicht die Chance bestanden, sich über diese zu informieren bzw. das Vorliegen einer Verfehlung des Landrates zu prüfen. Auch der Vorsitzende seiner Fraktion, der des Klägers, habe eine Auskunft verweigert. Eine weitere Abgeordnete seiner Fraktion, die am 31. August 2021 erstmalig an einer Sitzung des Kreistages teilgenommen habe, sei nicht über die Gründe zur Abwahl informiert worden. Diese fühle sich nunmehr, nachdem sie von den Einstellungen des Straf- und Disziplinarverfahrens gegen den abberufenen Landrat erfahren habe, getäuscht.

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Der Kläger beantragt:

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„1. Es wird festgestellt, dass die Abwahl des Landrats XX auf der Sitzung des Kreistags des Beklagten am 29. April 2021 unwirksam ist.

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2. Der Beklagte wird verurteilt, seine Sitzung vom 29. April 2021 - Abwahl des Landrats XX - mit Abstimmung nach Beratung im Kreistag zu wiederholen.“

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

21

Die Abwahl des Landrates sei in den gesetzlich vorgeschriebenen beiden Abstimmungen erfolgt.

22

Der Kläger sei bereits vor der Abstimmung am 31. März 2021 rechtzeitig auf die Tagesordnung aufmerksam gemacht worden und habe an der Sitzung des Kreistages teilgenommen. Dort habe es für die Abwahl 47 Ja-Stimmen, keine Gegenstimme und 5 Enthaltungen gegeben. Nachdem der Kläger im Vorwege der Sitzung am 29. April 2021 die fehlende Aussprache am 31. März 2021 gerügt habe, sei ausführlich im Plenum am 29. April 2021 über die Kritik des Klägers beraten worden. Die Politik habe klargestellt, dass es ausführliche Beratungen im Vorfeld gegeben habe. Man habe sich zum Wohle des Kreises, um die Funktionsfähigkeit der Kreisverwaltung aufrechtzuerhalten und um den abberufenen Landrat nicht persönlich zu beschädigen, dazu entschieden, diese Beratungen im Vorfeld stattfinden zu lassen. Der Beschluss über die Abwahl sei schließlich mit dem Ergebnis von 50 Ja-Stimmen, einer Gegenstimme und 0 Enthaltungen gefasst worden. Eine Aussprache sei nicht zwingend vom Gesetz vorgeschrieben. Vielmehr habe der Gesetzgeber das übliche Verfahren beschreiben wollen. Die Formulierung in der Kreisordnung sei insoweit unpräzise. Es gebe daher keinen Anspruch auf Aussprache im Kreistag.

23

Doch selbst wenn man einen solchen bejahen würde, hätte der Kläger seine Rechte bereits vor der ersten Beschlussfassung am 31. März 2021 geltend machen müssen, wozu er Gelegenheit gehabt habe. Er habe aber seine Frage- und Antwortrechte nicht vollständig ausgeschöpft. Auch aufgrund der Tatsache, dass der Kläger sich trotz der fehlenden Beratung im Anschluss an den Abstimmungen beteiligt habe, ließe sein Rechtsschutzinteresse entfallen.

24

Die Gründe für die Abberufung seien nicht unbekannt gewesen und in den Gremien des Kreistags ausführlich beraten worden. Die Fraktion des Klägers sei sowohl im Ältestenrat als auch im Hauptausschuss vertreten. Der Kläger hätte als Mitglied des Kreistages auch an den Sitzungen des Hauptausschusses teilnehmen und dort reden dürfen. Auch in den Fraktionssitzungen sei intensiv über die Abberufung beraten worden.

25

Am 14. April 2022 hat ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden. Einen von dem Beklagten vorgeschlagenen Vergleich zur endgültigen Beilegung des Verfahrens hat der Kläger abgelehnt.

26

Nachdem für den 16. Juni 2022 ein Termin für die Neuwahl eines Landrates für den Kreis A angesetzt worden war, hat der Kläger unter dem 28. Mai 2022 bei der Kammer einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt, die Durchführung der Neuwahl zu untersagen (Az.: 6 B 20/22). Mit Beschluss vom 13. Juni 2022 hat die Kammer den Antrag abgelehnt. Die gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde hat das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Juli 2022 verworfen (Az. 3 MB 11/22).

27

Am 16. Juni 2022 ist ein neuer Landrat gewählt worden.

28

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte zu diesem Verfahren sowie zu dem Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz mit dem Az.: 6 B 20/22 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist bereits unzulässig.

30

Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, weil streitentscheidend die öffentlich-rechtlichen Vorschriften betreffend die Vorschriften über die Abberufung eines Landrates gemäß § 35a der Kreisordnung für Schleswig-Holstein (KrO SH) sind. Die Streitigkeiten zwischen dem Kläger als Kreistagsmitglied und dem Kreistag sind auch nichtverfassungsrechtlicher Art. Zwar lassen sich die genannten Vorschriften systematisch dem Kommunalverfassungsrecht zuordnen. „Verfassungsrecht“ im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist jedoch nur das Staatsverfassungsrecht.

31

Der Wechsel auf der Beklagtenseite stellt eine subjektive Klageänderung im Sinne von § 91 VwGO dar. Diese erweist sich als sachdienlich, da andernfalls eine erneute Klageerhebung notwendig gewesen wäre. Es liegt auch keine Klageänderung bei verstrichener Klagefrist vor (vgl. zum Vorstehenden Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 91, Rn. 39 f.). Darüber hinaus ist von einer Zustimmung sämtlicher Beteiligter auszugehen. So haben sich sowohl der neue als auch der alte Beklagte nach Klageänderung zur Sache eingelassen.

32

Die Klage ist jedoch unzulässig, da dem Kläger die Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO analog fehlt.

33

Der kommunalverfassungsrechtliche Organstreit - vorliegend in Form einer Feststellungsklage - ist oftmals dadurch gekennzeichnet, dass Organe oder Organteile über Bestand und Reichweite zwischen- oder innerorganschaftlicher Rechte streiten. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch im Falle eines solchen Feststellungsbegehrens - wie vorliegend bei dem Antrag zu 1. - des Klägers eine subjektiv-rechtliche Anbindung an die Rechtssphäre des Klägers notwendig ist. Allein dann, wenn dieser zumindest die Möglichkeit darlegen kann, selbst vom Gegenstand seiner Klage betroffen zu sein, ist er befugt, Klage zu erheben (vgl. Pietzecker, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 43, Rn. 28 ff. m.w.N.). Dieses Prinzip gilt auch im Kommunalverfassungsstreit (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 12. August 2019 – Au 7 K 18.1674 –, juris Rn. 25). Ist eine Klage jedoch allein auf die Feststellung einer allein objektiv-rechtlichen Verletzung von Rechtsnormen gerichtet, ohne dass der Kläger für sich darlegen kann, durch rechtswidriges Organhandeln in einer ihm gesetzlich eingeräumten (Innen-)Rechtsposition als Teil jenes Organs verletzt zu sein, liegt auch bei Vorlage eines kommunalverfassungsrechtlichen Organstreits eine unzulässige Popularklage vor (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 1992 – 1 S 2242/91 – juris Rn. 13).

34

Ein solcher Fall ist hier anzunehmen. Der Kläger wendet sich gegen die Entscheidung des Beklagten, die dieser in zwei Sitzungen mit Zwei-Drittel-Mehrheit getroffen hat, den Landrat abzuberufen. Er selbst war in seiner Person und Amt nicht Gegenstand dieser Beschlüsse, sondern hatte vielmehr als Mitglied des Beklagten Gelegenheit, an den Abstimmungen teilzunehmen bzw. von seinen Rechten als Kreistagsabgeordneter Gebrauch zu machen. Ausweislich des Protokolls hat er dies auch getan. So hat er an beiden Abstimmungen teilgenommen. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

35

Sofern sich der Kläger darauf beruft, dass die KrO SH ihm einen (individuellen) Anspruch darauf zuspricht, dass er nur dann über die Abberufung eines Landrates abstimmen darf, wenn auch zweimal eine Aussprache darüber stattgefunden hat, kann ihm nicht gefolgt werden. Die Abberufung eines Landrates richtet sich nach § 35a KrO. Danach kann durch Beschluss des Kreistags abberufen werden, wer durch Wahl des Kreistags berufen wird. Ein Antrag auf Abberufung kann nur behandelt werden, wenn er auf der Tagesordnung gestanden hat. Der Beschluss bedarf der Mehrheit der anwesenden Kreistagsabgeordneten (Abs. 1). Der Beschluss, mit dem die Kreispräsidentin oder der Kreispräsident oder eine oder einer ihrer oder seiner Stellvertretenden aus dem Vorsitz (Ziff. 1) oder die Landrätin oder der Landrat aus ihrem oder seinem Amt (Ziff. 2) abberufen werden soll, bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Kreistagsabgeordneten (Abs. 2). Über den Antrag, die Landrätin oder den Landrat aus ihrem oder seinem Amt abzuberufen, ist zweimal zu beraten und zu beschließen. Die zweite Beratung darf frühestens vier Wochen nach der ersten stattfinden (Abs. 3).

36

Insofern sieht Abs. 3 der Vorschrift zwar vor, dass über den Antrag, die Landrätin oder den Landrat aus ihrem oder seinem Amt abzuberufen, zweimal zu beraten und zu beschließen ist. Allerdings vermittelt diese Vorschrift dem einzelnen Kreistagsabgeordneten nicht den individuellen Anspruch auf Durchführung von zwei Aussprachen, den er gerichtlich durchsetzen kann. Vielmehr ist in dieser Regelung eine Verfahrensvorschrift zu erkennen, mit der der Ablauf der Abberufung geregelt werden soll. Subjektive Rechte zugunsten einzelner Abgeordneter gewährt sie nicht. Es ist davon auszugehen, dass die KrO SH die Anfechtung einzelner Beschlüsse des Kreistages abschließend geregelt hat. So sieht § 38 Abs. 1 KrO SH ausdrücklich vor, dass allein der Landrat einem Beschluss des Kreistages zu widersprechen hat. Darüber hinaus steht es gemäß § 62 Abs. 1 KrO SH nur noch der Kommunalaufsichtsbehörde zu, Beschlüsse des Kreises zu beanstanden. Einzelnen Kreistagsabgeordneten ist es dagegen nicht möglich, Beschlüsse des Kreistages einzeln anzufechten bzw. Verfahrensfehler zu rügen. Sie sind an die Mehrheitsentscheidungen in den jeweiligen Gremien gebunden.

37

Ohne Erfolg macht der Kläger darüber hinaus geltend, dass er vor Durchführung der Abstimmung nicht ausreichend über die Gründe informiert gewesen sei, die Anlass zum Abberufungsverfahren gegen den ehemaligen Landrat gewesen seien. Auch diesbezüglich steht dem Kläger keine wehrhafte (Innen-)Rechtsposition zu, die durch die Durchführung der Abstimmungen am 31. März 2021 und 29. April 2021 verletzt sein könnte. Ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Herstellung eines bestimmten Informationsstands im Vorfeld einer Abstimmung ist für die Kammer nicht erkennbar. So kommt es für die Abwahl gemäß § 35a KrO SH zunächst bereits nicht darauf an, weshalb sie erfolgt, sondern dass der Kreistag eine entsprechende Entscheidung trifft. Ein bestimmtes Fehlverhalten eines Funktionsträgers oder ähnliches ist nicht erforderlich. Maßgeblich ist allein, dass der Kreistag das Vertrauen in die Person verloren hat und dies durch - im Falle der Abberufung des Landrates mit einer Zweidrittel-Mehrheit - Abstimmung zum Ausdruck bringt (vgl. Dehn, in: KVR SH / KrO Februar 2018, § 35a Rn. 8).

38

Dies ist hier geschehen. Der Kreistag hat in zwei Abstimmungen mit deutlicher Mehrheit für die Abberufung des damaligen Landrates gestimmt und damit zum Ausdruck gebracht, sein Vertrauen in dessen Person verloren zu haben. Auf welche Gründe die jeweiligen Abgeordneten ihre Entscheidung im Einzelnen gestützt haben, kommt es dabei nicht an und ist einer gerichtlichen Überprüfung auch insoweit nicht zugänglich, da sich dies nicht mit den Amtsgrundsätzen der Abgeordneten vereinbaren ließe. Nach § 27 Abs. 1 KrO handeln die Kreistagsabgeordneten in ihrer Tätigkeit nach ihrer freien, durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung. Wie sie sich diese Überzeugung bilden und worauf genau sie ihre Entscheidungen stützen, ist dabei frei von jeder gerichtlichen Kontrolle. Umgekehrt existiert kein Anspruch eines einzelnen Abgeordneten auf Herstellung eines Kenntnisstandes, aufgrund dessen er sich seine Überzeugung bilden kann.

39

In Bezug hierauf verkennt der Kläger zudem, dass ihm zwar gemäß § 25 KrO ein umfassendes Kontrollrecht zusteht. Die in dieser Vorschrift näher bezeichneten Rechte begründen jedoch einen Anspruch der Kreistagsabgeordneten auf Aufbereitung der von ihnen gewünschten Informationen in bestimmter Form nicht. Ebenso wenig entbindet es sie von ihrer eigenen Mitwirkung zur Herstellung der für ihre Entscheidungen notwendigen Wissengrundlage. So spricht § 25 Abs. 1 KrO ausdrücklich davon, dass den Kreistagsabgeordneten Auskünfte und Akteneinsicht „auf Verlangen“ zu gewähren sind. Damit geht auch die Kreisordnung davon aus, dass den Kreistagsabgeordneten zumindest ein Mindestmaß an eigenem Handeln zumutbar ist, um sich im Vorfeld der Entscheidungen zu informieren.

40

Etwas Anderes könnte sich im Einzelfall höchstens daraus ergeben, sollte sich feststellen lassen, dass den Abgeordneten für ihre Entscheidung im damaligen Zeitpunkt falsche Tatsachen vorgespiegelt wurden. Wird die Abberufung eines Funktionsträgers nämlich mit Tatsachen begründet, so kann die Rechtswidrigkeit der Abberufung damit begründet werden, dass diese nicht der Wahrheit entsprechen (vgl. Dehn, a.a.O.). Eine etwaige Täuschung ist jedoch nicht im Ansatz vorgetragen oder ersichtlich. So rügt der Kläger ausschließlich die fehlende Information bzw. die Tatsache, dass er sich selbst bestimmte Informationen beschaffen musste, nicht aber deren Unwahrheit. Die Einstellung strafrechtlicher und disziplinarrechtlicher Verfahren gegen den ehemals bestellten Landrat spielt dabei keine Rolle, da diese erst im Nachgang zur Abberufung des Landrates erfolgt sind.

41

Sofern der Kläger in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass sich für ihn aus den vom Beklagten vorgelegten Unterlagen, in die er, der Kläger, im Kreishaus vor der Abstimmung am 29. April 2021 Einsicht genommen habe, kein Fehlverhalten des damaligen Landrates ergebe, hat er zudem zu erkennen gegeben, entgegen seiner Ausführung in der Klageschrift sehr wohl über die Gründe informiert worden zu sein, die schließlich zur Einleitung des Abberufungsverfahrens geführt haben. Allein die Tatsache, dass er persönlich nach Durchsicht zu der Auffassung gelangt ist, kein Fehlverhalten des ehemaligen Landrates annehmen zu können, begründet nicht die Möglichkeit einer Rechtsverletzung zu seinen Lasten.

42

Nach dem Vorstehenden entscheidet die Kammer über den Antrag zu 2. des Klägers nicht. Entsprechend § 88 VwGO geht sie hierfür davon aus, dass es sich um einen sog. Annex-Antrag handelt, über den nicht zu entscheiden ist, da der Antrag zu 1 ohne Erfolg bleibt. Insofern erübrigt sich eine Entscheidung.

43

Die aus dem Tenor ersichtliche Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

44

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO in Verbindung mit § 709 Zivilprozessordnung (ZPO).


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