Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (15. Kammer) - 15 A 4638/17 As SN
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt über dem ihm bereits bewilligten subsidiären Schutzstatus hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
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Der 1991, 1994 oder 1995 geborene Kläger ist eigenen Angaben zufolge eritreischer Staatsangehöriger der Volksgruppe Tigrinya. Zum Reiseweg trug er vor: Er habe Eritrea im August 2012 verlassen und sei über Äthiopien, den Sudan, Libyen, Italien und der Schweiz am 12. September 2016 in das Bundesgebiet eingereist. In der Schweiz habe er sich zwei Jahre aufgehalten.
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Am 27. September 2016 stellte der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Dazu trug er zunächst vor, dass ein Asylgesuch in der Schweizer Eidgenossenschaft mit Asylentscheid vom 2. September 2016 abgelehnt und ihm seine Abschiebung in seinen Heimatstaat angedroht worden sei (vgl. Beiakte 1 Bl. 44 ff. Anhörung, aaO Bl. 65 ff. [deutsch]). Daher sei er nach Deutschland gekommen.
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Mit Bescheid vom 11. November 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers in die Schweiz an. Nach Ablauf der Überstellungsfrist wurde dieser Bescheid unter dem 6. September 2017 aufgehoben. Daraufhin begründete der Kläger sein Asylbegehren in der Anhörung vom 23. November 2017 näher. Im Juli 2012 habe er vom Einwohnermeldeamt den Einberufungsbescheid erhalten. Er habe sich versteckt gehalten, weshalb seine Mutter in Haft genommen worden sei. Plötzlich seien zehn Soldaten in seine Nähe gekommen. Aus Angst habe er weglaufen wollen. Er sei von einem Soldaten am Bein verletzt worden. Er habe ihnen erklärt, er sei weggelaufen, weil seine drei Brüder bereits Nationaldienst leisteten. Er wolle nicht auch lebenslangen Dienst leisten. Darauf hätten die Soldaten von ihm abgelassen und er sei für zwei Wochen ins Krankenhaus gekommen.
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Mit Bescheid vom 13. Dezember 2017 erkannte ihm das Bundesamt den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte aber den Asylantrag im Übrigen ab. Wegen der näheren Begründung wird auf den Bescheid verwiesen. Der Bescheid wurde am gleichen Tage als Einschreiben zur Post gegeben.
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Er Kläger hat am 18. Dezember 2017 die vorliegende Klage mit der Begründung erhoben, dass nach den vorliegenden Erkenntnisquellen zu Eritrea die illegale Ausreise unter Entziehung vom Nationaldienst zu einer erheblichen, politischen motivierten Haft führe.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter entsprechend teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 13. Dezember 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt des angegriffenen Bescheides.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst beigezogenen Verwaltungsvorgängen des Bundesamtes Bezug genommen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Gericht konnte die Sache verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen ist. Sie ist unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ordnungsgemäß geladen worden.
II.
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Die Klage ist zulässig, insbesondere auch fristgerecht erhoben worden. Die Klage ist aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist zwar rechtswidrig, weil er sich unzutreffend auf die allgemeinen Bestimmungen der §§ 3 ff. des Asylgesetzes (AsylG) stützt. Dennoch verletzt er den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), soweit im Bescheid die von ihm begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft versagt worden ist. Der Kläger hat bei Berücksichtigung der zutreffenden Rechtsgrundlage des § 71 a AsylG keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da dieser Anspruch in Deutschland wegen der abschließenden Durchführung eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (hier: Schweizerische Eidgenossenschaft) nicht mehr zu prüfen ist. Durch die Auswechselung der Rechtsgrundlagen wird der angegriffene Bescheid als ablehnende Entscheidung nicht in seinem Wesen geändert.
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1. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt ein Verwaltungsakt der gerichtlichen Aufhebung, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Darin kommt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zum Ausdruck zu prüfen, ob ein angefochtener Verwaltungsakt mit dem objektiven Recht in Einklang steht und, falls nicht, ob er den Kläger in seinen Rechten verletzt. Bei dieser Prüfung sind alle einschlägigen Rechtsvorschriften und - nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO - alle rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen, gleichgültig, ob die Normen und Tatsachen von der erlassenden Behörde zur Begründung des Verwaltungsaktes angeführt worden sind oder nicht. Dies gilt aber nur, wenn und soweit der angefochtene Verwaltungsakt hierdurch nicht in seinem Wesen verändert wird. Diese Grenze wird überschritten, wenn durch einen Austausch der Rechtsgrundlage prozessual der Streitgegenstand verändert würde.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 – 1 C 4/15 –, BVerwGE 153, 234-246, juris Rn. 28 mwN; Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 113 Rn. 64 ff.
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2. Das Gericht folgt nicht der Auffassung der Beklagten, dass das vorliegende Asylverfahren nach den allgemeinen Regeln des Asylgesetzes zu behandeln ist. Einschlägig ist vielmehr die Bestimmung über den Zweitantrag nach § 71 a AsylG. Hierbei handelt es sich um vorrangig zu prüfende spezielle Vorschriften zu den allgemeinen Bestimmungen der §§ 3 ff. AsylG. Die deutsche nationale Zuständigkeit der Beklagten folgt für das vorliegende Asylverfahren nicht aus der Ermessensbestimmung des Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO), sondern aus der zwingenden Bestimmung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO.
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a) Entgegen der Auffassung z. B. des VG Minden
- 19
- VG Minden, Beschluss vom 13. September 2019 – 10 L 1000/19.A –, juris LS 1 und Rn.21 ff. -
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verstoßen die Rechtsvorschriften über das Zweitverfahren nicht gegen Unionsrecht, weil dort auch das Nicht-EU-Mitglied Schweiz (mit Liechtenstein)] einbezogen ist (vgl. Anlage 1 zum AsylG [zu § 26a]). Zwar wird in Art. 2 b) der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 - ABl. L 180/60) ein Antrag auf internationalen Schutz dahin definiert, dass es sich um ein Ersuchen auf Schutz durch einen Mitgliedstaat handelt. Jedoch sind diese Bestimmung in Kenntnis der Tatsache ergangen, dass die Schweiz [und Norwegen] sich durch Abkommen mit der Europäischen Union am Dublin-System beteiligt (ABl EG vom 3.April 2001 Nr. L. 93 S. 40 ff.). Insofern ist der Begriff „Mitgliedstaat“ in der Dublin III-VO und in der Verfahrensrichtlinie erweiternd dahin auszulegen, das auch weitere am Dublin-System beteiligte Staaten wie Norwegen als Mitgliedstaat in diesem Sinn zu betrachten sind.
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Wie hier: VG Cottbus, Urteil vom 14. Mai 2020 – 8 K 1895/18.A –, juris LS 1 und Rn. 21; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 30. Dezember 2019 – 13 A 392/19 –, juris Rn. 30 ff.; dazu jetzt ausführlich Broscheit, InfAuslR 2020, 230 ff m. umfassenden Nachw. aus der Rechtsprechung auch zur Gegenansicht. - Vgl. zu dem Protokoll zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (ABl. EU L 160) VG Würzburg, Beschluss vom 27. Januar 2014 – W 6 S 14.30036 –, juris Rn. 15; ferner Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 1. Aufl. 2014, Art. 2 K1 und S. 402 ff. (Wortlaut des Protokolls mit der Schweiz).
- 22
b) Nach Auffassung des Gerichts ist nach dem schweizerischen Recht auch subsidiärer Schutz nach Maßgabe des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikations-Richtlinie [QualfRL]) zu erlangen.
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A. A. etwa VG Cottbus, Urteil vom 14. Mai 2020 – 8 K 1895/18.A –, juris LS 2 und Rn. 26 ff.
- 24
Dies folgt aus der Zusammenschau der Art. 4 und Art. 44 Satz 2 des schweizerischen AsylG vom 26. Juni 1998 (Stand: 1. April 2020) sowie Art. 83 und 84 des schweizerischen Ausländer und Integrationsgesetzes (AIG) vom 16. Dezember 2005 (Stand: 01. Januar 2019).
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aa) Zwar ist der Wortlaut der Regelung des subsidiären Schutzes nicht unmittelbar aus Art. 15 QualRL übernommen worden. Jedoch sind die in der Schweiz bei einem Asylverfahren zu berücksichtigenden Voraussetzungen im Wesentlichen vergleichbar mit dem Prüfprogramm des internationalen Schutzes. Damit entspricht der dort gewährte Schutz im Ergebnis im Wesentlichen der Qualifikationsrichtlinie.
- 26
Dazu und zum Folgenden: VG Stuttgart, Urteil vom 11. März 2020 – A 7 K 10711/17 –, juris LS 2 und Rn 23 ff.; VG Würzburg, Beschluss vom 04. Juli 2019 – W 4 S 19.31134 –, juris Rn. 22 ff.
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bb) Die Schweiz hat mit Art. 4 AsylG und vor allem mit Art. 83 AIG Regelungen, die dem Prüfungsmaßstab des subsidiären Schutzes im Wesentlichen entsprechen. Art. 4 AsylG sieht vor, dass die Schweiz Schutzbedürftigen für die Dauer einer schweren allgemeinen Gefährdung, insbesondere während eines Krieges oder Bürgerkrieges sowie in Situationen allgemeiner Gewalt, vorübergehenden Schutz gewähren kann. Lehnt das Staatssekretariat für Migration (SEM) das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es nach Art. 44 AsylG in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie. Art. 44 Satz 2 AsylG verweist insoweit allerdings hinsichtlich des Vollzugs der Wegweisung auf Art. 83 und 84 AIG. Gemäß Art. 83 Abs. 1 AIG verfügt das SEM die vorläufige Aufnahme, wenn der Vollzug der Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar ist. Der Vollzug ist nach Abs. 2 nicht möglich, wenn (faktisch oder rechtlich) die Ausländerin oder der Ausländer weder in den Heimat- oder in den Herkunftsstaat noch in einen Drittstaat ausreisen oder dorthin gebracht werden kann. Der Vollzug ist nach Abs. 3 unzulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder in einen Drittstaat entgegenstehen. Nach Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen oder Ausländer unzumutbar sein, wenn sie in Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage im Heimat- oder Herkunftsstaat konkret gefährdet sind.
- 28
Vgl. dazu auch Bundesrat (Schweiz), Vorläufige Aufnahme und Schutzbedürftigkeit: Analyse und Handlungsoptionen (ohne Datum), S. 18 ff.; abrufbar: https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/aktuell/news/2016/2016-10-14/ber-va-d.pdf ; ferner Überblick bei International Centre for Migration Policy Development, Handlungsoptionen zur Reform der vorläufigen Aufnahme (November 2012), S. 7.
- 29
cc) Danach ist nach schweizerischem Recht eine vorläufige Aufnahme zu verfügen, wenn ein ernsthafter Schaden in Form der Todesstrafe oder Hinrichtung droht (vgl. Art. 15 a) QualRL) oder Folter und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung des Antragstellers im Herkunftsland droht (Art. 15 b) QualRL). Die Schweiz hat sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention als auch die EMRK ratifiziert. Daher bestehen keine Zweifel an im Wesentlichen inhaltlich vergleichbaren Voraussetzungen wie in Art. 15 QualRL bzw. § 4 (deutsches) AsylG und damit einem vergleichbaren Schutz. Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt durch bewaffnete Konflikte nach Art. 15 c) QualRL ergibt sich in der Schweiz aus Art. 4 AsylG und Art. 83 Abs. 4 AIG. Danach kann die Schweiz Schutzbedürftigen für die Dauer einer schweren allgemeinen Gefährdung, insbesondere während eines Krieges oder Bürgerkrieges sowie in Situationen allgemeiner Gewalt, vorübergehenden Schutz gewähren.
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Ebenso VG Würzburg, Beschluss vom 04. Juli 2019 – W 4 S 19.31134 –, juris Rn. 24 unter Hinweis auf aida, Country Report: Switzerland, 2018 Update, Stand 31.12.2018, S. 15; a. A.: VG Cottbus, Urteil vom 14. Mai 2020 – 8 K 1895/18.A –, juris Rn. 27; VG Köln, Urteil vom 21. Februar 2019 – 8 K 9975/17.A –, juris Rn. 31 ff., 35 ff. mwN..
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Nach Auffassung von aida (Country Report Switzerland 2019, S. 18) geht der rechtlich mögliche Schutz in der Schweiz sogar über den subsidiären Schutz der Qualifikationsrichtlinie hinaus. Auch UNHCR hat sich in einer ausführlichen Stellungnahme vom 24. Februar 2020 zu einem Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württembergs unter Hinweis auf die schweizerische Rechtsprechung dahingehend geäußert, dass nach den hier referierten Bestimmungen die Schweiz einen mit dem subsidiären Schutz nach Art. 15 QualRL und § 4 (deutsches) AsylG vergleichbaren Schutz bietet. Diese Stellungnahme ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz der Beklagten vom 29. Mai 2020 im Verfahren 15 A 1072/18 SN zur Kenntnis gebracht worden.
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dd) Nach allem führen die referierten Bestimmungen dazu, dass Asylantragsteller bei Vorliegen der beschriebenen Voraussetzungen - wenn auch teilweise auf der Vollzugsebene - nicht in einen Staat abgeschoben werden dürfen, in denen ihnen ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15 QualRL droht. Die vorläufige Aufnahme ist zwar kein selbstständiger aufenthaltsrechtlicher Status wie der Aufenthalt oder die Niederlassung, sondern eine Ersatzmaßnahme für eine nicht vollziehbare Wegweisung.
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So Bundesrat (Schweiz), Vorläufige Aufnahme und Schutzbedürftigkeit: Analyse und Handlungsoptionen (ohne Datum), aaO, S. 18.
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Dies ist aber unerheblich. Der durch die Schweiz gewährte Schutz auf der Rechtsfolgenseite mag zu weniger Rechten führen, als die Anerkennung eines subsidiären Schutzes nach der Qualifikationsrichtlinie. Entscheidend ist aber die Erfüllung der Voraussetzung für die Erlangung eines solchen Schutzes.
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Dazu VG Stuttgart, Urteil vom 11. März 2020 – A 7 K 10711/17 –, juris Rn. 28; VG Würzburg, Beschluss vom 04. Juli 2019 – W 4 S 19.31134 –, juris Rn. 23.
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c) Die Zuständigkeit ist im vorliegenden Fall nach Ablauf der Überstellungsfrist kraft Gesetzes auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Demnach hatte das Bundesamt bereits im weiteren Verwaltungsverfahren (zunächst) zu prüfen, ob in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) ein Asylverfahren durchgeführt und abgeschlossen worden ist.
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Sowohl das Bundesamt als auch die Gerichte sind gehalten zu prüfen, ob Gründe für die Unzulässigkeit des Antrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 5 AsylG gegeben sind. Ggf. muss dieses aufgeklärt werden. Ein Verwaltungsgericht darf in einem solchen Fall einer Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur stattgeben, wenn keiner der in § 29 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AsylG geregelten (echten) Unzulässigkeitsgründe vorliegen. Da diese zwingendes Recht sind, sind ihre Voraussetzungen vor jeder stattgebenden Entscheidung von Amts wegen zu prüfen. Dies gilt auch dann, wenn das Bundesamt dem Asylantrag - wie hier teilweise - entsprochen haben sollte.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2019 – 1 C 28/18 –, juris LS 2 und Rn. 11 ff. unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018 - C- 585/16 - „Alheto“, Rn. 119 ff., 130; ferner BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 – 1 C 15/18 –, juris
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Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Gericht nicht an die Auswahl der Rechtsgrundlage durch das Bundesamt gebunden. Eine solche Bindung kommt grundsätzlich schon deshalb nicht in Betracht, weil der angegriffene Bescheid nicht bestandskräftig ist und eine solche Bindung zudem mit Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes widersprechen würde. Im Übrigen müsste dies gesetzlich geregelt sein.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 – 1 BvR 419/81 –, BVerfGE 84, 34-58 juris Rn. 46; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 86 Rn. 5 je mwN.
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Bestehen demnach - wie hier wegen der im „Dublin-Verfahren“ gewonnenen Erkenntnisse - Anhaltspunkte dafür, dass in einem sicheren Drittstaat ein Asylverfahren anhängig gewesen ist, muss das Bundesamt dies zunächst zu klären versuchen, bevor es über einen Anspruch des Asylbewerbers nach den allgemeinen Bestimmungen des §§ 3 ff. AsylG entscheidet. Wenn der endgültige Abschluss des Verfahrens im Drittstaat feststeht, ist § 71 a AsylG einschlägig.
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Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 - BVerwGE 157, 18 -34 juris Rn. 24 a. E.; dazu Berlit, jurisPR-BVerwG 4/2017 Anm. 2.
- 43
d) Ein Asylverfahren kann in Deutschland nach § 71 a Abs. 1 AsylG nur noch durchgeführt werden, wenn in dem Drittstaat kein diesbezügliches Asylverfahren abgeschlossen worden ist. Das folgt auch aus der Intention der Dublin III-VO (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 2), einen Antrag auf internationalen Schutz in der Europäischen Union nur noch durch einen Mitgliedstaat umfassend prüfen zu lassen.
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aa) Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, setzt ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4/16 –, BVerwGE 157, 18-34; BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 – 9 C 28/97 –, BVerwGE 106, 171-177, juris jeweils Rn. 29; ebenso Marx, AsylG 9. Aufl. 2017, § 71a Rn. 12 mwN.
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bb) Zur Überzeugung des Gerichts ist im vorliegenden Fall ein Asylverfahren bereits in der Schweiz abgeschlossen worden.
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(1) Im vorliegenden Fall hat nach Aktenlage der Kläger am 5. November 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Dieser wurde mit Asylentscheid vom 02. September 2016 abgelehnt. Es ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger gegen den Asylentscheid Rechtsmittel erhoben hätte. Damit ist das Verfahren in der Schweiz endgültig beendet worden.
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(2) Für die abschließende Entscheidung des Asylverfahrens im sicheren Drittstaat spricht auch, dass die schweizerische Migrationsbehörde im Rahmen des „Dublin-Verfahrens“ in dem Schreiben vom 01. November 2016 dem Bundesamt unter Hinweis auf Art. 18 d) Dublin III-VO mitgeteilt hatte, es werde den Kläger wieder übernehmen. Dies ist jedenfalls ein Indiz dafür, dass das Asylverfahren in der Schweiz tatsächlich abschließend beendet worden ist, auch wenn die genannte Dublin-Bestimmung insoweit nach Auffassung des Einzelrichters mehrdeutig ist.
- 49
Dazu zuletzt VG B-Stadt, Beschluss vom 21. März 2019 - 15 B 518/19 SN, Umdruck S. 3 f. mwN.
- 50
cc) Nach § 71 a Abs. 1 AsylG ist im Falle eines erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Diese Voraussetzungen sind indessen im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
- 51
(1) Das wäre nur der Fall gewesen, wenn die der Entscheidung der ausländischen Asylbehörde und Asylgerichte zugrunde liegende Sach- und Rechtslage sich zugunsten des betroffenen Asylbewerbers geändert hätte (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind (Nr. 3). Nach § 51 Abs. 2 VwVfG ist ein solcher Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Schließlich muss der Antrag gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG binnen drei Monate nach Kenntniserlangung des Wiederaufnahmegrundes gestellt werden. Nach Auffassung des Gerichts sind diese Voraussetzungen vom Asylbewerber substantiiert vorzutragen.
- 52
(2) Danach hat der Kläger vorliegend keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in Deutschland. Es ist nicht ersichtlich, dass sich in Eritrea die flüchtlingsrechtlich relevante Sach- und Rechtslage zwischen der (letzten) Entscheidung in der Schweiz und der heutigen mündlichen Verhandlung zu Gunsten des Klägers geändert hat. Nach den Erkenntnissen des Gerichts hat sich die flüchtlingsrechtlich relevante Lage in Eritrea seit jedenfalls 2012 auch nicht durchgreifend verschlechtert. Dazu hat auch der Kläger nichts vorgetragen.
IV.
- 53
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
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