Beschluss vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - 10 K 1068/19

Tenor

... wird zum Verfahren beigeladen.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom ... gegen die Entscheidung des Antragsgegners vom ... wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert wird auf EUR 2.500 festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Beiladung beruht auf § 65 Abs. 2 VwGO.
Nach dieser Vorschrift sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (notwendige Beiladung). Dies ist der Fall, wenn die vom Antragsteller begehrte Sachentscheidung des Gerichts nicht wirksam getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden betroffen, d. h. gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (Schenke, in: Kopp/Schenke, VWGO, 24. Auflage 2018, § 65 Rn. 14). So liegt es hier. Begehrt ein Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit dem eine informationspflichtige Stelle dem Antrag eines Dritten auf Zugang zu von ihm begehrten Informationen stattgibt, ist der durch den Verwaltungsakt Begünstigte notwendig beizuladen. Denn die mit einem solchen Antrag begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage kann nicht getroffen werden, ohne dass dadurch gleichzeitig die Rechte des Beigeladenen verändert oder aufgehoben werden (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 08.01.2018 - W 8 S 17.1396 -, juris Rn. 15; Urteil vom 03.04.2019 - W 8 S 19.239 -, S. 8 m.w.N., bislang unveröffentlicht). Damit kann die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich im Sinne von § 65 Abs. 2 VwGO ergehen. Durch die Beiladung wird die Sachentscheidung des Gerichts gemäß § 121 Satz 1 VwGO auch dem Beigeladenen gegenüber wirksam.
II.
Der Antrag gemäß §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom ... gegen die Entscheidung des Antragsgegners vom ... (Az. ...-...) anzuordnen, ist statthaft. Denn ihr Widerspruch hat in dem Fall des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (vgl. §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 VwGO in Verbindung mit § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG). Vorliegend geht es um den Fall der festgestellten nicht zulässigen Abweichungen von Anforderungen unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Denn die bei den letzten beiden Kontrollen der Antragstellerin in den Besuchsberichten dokumentierten „Feststellungen“ des Veterinäramts (von dem Antragsgegner als „Kontrollberichte“ bezeichnet) sind nach der - in der Entscheidung des Antragsgegners vom ... geäußerten - Auffassung des Antragsgegners als Verstöße gegen Hygienevorschriften für Lebensmittelunternehmer nach der Verordnung (EG) Nr. 852/8004 zu qualifizieren. Auch nimmt der Antragsgegner an, dass Widerspruch und Klage der Antragstellerin gegen die Auskunftserteilung keine aufschiebende Wirkung hätten.
b) Die Antragstellerin ist nach § 42 Abs. 2 VwGO analog auch antragsbefugt. Die Antragstellerin kann auf der Grundlage ihres Antragsvorbringens die mögliche Verletzung eigener Rechte geltend machen. § 3 Satz 1 Nr. 2 VIG zählt schützenswerte Rechtspositionen eines Unternehmens auf. Nach dieser Vorschrift ist der Auskunftsanspruch des Verbrauchers ausgeschlossen, wenn die dort abschließend aufgezählten privaten Belange berührt werden. Die Veröffentlichung von Informationen über - vermeintliche oder inzwischen beseitige - Mängel im Betrieb der Antragstellerin kann möglicherweise zu einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG führen (vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 15.03.2019 - RN 5 S 19.189 -, juris Rn. 26; VG Würzburg, Beschluss vom 08.01.2018, a.a.O., Rn. 21; BVerfG, Beschluss vom 21.03.2018 - 1 BvF 1/13 -, juris Rn. 28, 29).
2. Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht im Wege einer Interessenabwägung. Maßgeblich ist, ob das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs oder das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Für das Interesse des Antragstellers, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs von Belang. Ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Überprüfung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Erweist sich die Rechtslage nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung als offen, ist aufgrund sonstiger, nicht nur an den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens orientierter Gesichtspunkte abzuwägen, welches Interesse schwerer wiegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.02.2009 - 1 BvR 165/09 -, juris Rn. 18 ff.; Schoch,, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, §80 Rn. 372).
Vorliegend besteht die Besonderheit, dass eine Ablehnung des Eilantrags die Herausgabe der streitgegenständlichen Kontrollberichte an den Beigeladenen zur Folge hätte. Die Informationsfreigabe käme einer Vorwegnahme der Hauptsache gleich, die - auch wenn die Entscheidung in der Hauptsache anders ausfällt - nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Regelungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können und die Hauptsache praktisch vorwegnehmen, sind im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nur zulässig, wenn sie zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG schlechterdings notwendig sind und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch im Hauptsacheverfahren spricht (vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 15.03.2019, a.a.O., Rn. 29; Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 156).
10 
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist die sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung darbietende Sach- und Rechtslage (vgl. Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 147).
11 
a) Hieran gemessen dürfte sich die Entscheidung des Antragsgegners vom ... im Klageverfahren als voraussichtlich rechtswidrig erweisen.
12 
Denn dem Beigeladenen steht im Hinblick auf die letzten beiden Besuchsberichte (von dem Antragsgegner als „Kontrollberichte“ bezeichnet) kein Auskunftsanspruch gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG zu.
13 
Nach dieser Vorschrift hat jedermann nach Maßgabe des VIG Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über von den nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stellen festgestellte nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen (a) des LFMG und des ProdSG, (b) der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen, (c) unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze sowie Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit den in den Buchstaben a bis c genannten Abweichungen getroffen worden sind (Informationen), die bei einer Stelle im Sinne des Absatzes 2 unabhängig von der Art ihrer Speicherung vorhanden sind. Der Anspruch besteht insoweit, als kein Ausschluss- oder Beschränkungsgrund nach § 3 VIG vorliegt (§ 2 Abs. 1 Satz 2 VIG).
14 
Die bei den letzten beiden Kontrollen der Antragstellerin in den Besuchsberichten handschriftlich dokumentierten „Feststellungen“ des Veterinäramts sind nach Auffassung der Kammer im Eilverfahren nicht als festgestellte Abweichungen von nationalen oder europarechtlichen Vorgaben im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG zu qualifizieren.
15 
Festgestellt bedeutet, dass die zuständige Überwachungsbehörde die Abweichung eines Untersuchungsergebnisses von Rechtsvorschriften aufgrund naturwissenschaftlich-analytischer Erkenntnisse feststellt und diese einer juristischen Wertung unterzieht, d. h., dass die zuständige Behörde eine rechtliche Subsumtion der Kontroll- und Untersuchungsberichte vornimmt. Dies kann in der Weise erfolgen, dass in der Stellungnahme zu der Kontrolle zunächst die in den einzelnen Kontrollbereichen und Räumlichkeiten gemachten Feststellungen ausgeführt und diese sodann den gesetzlichen Vorgaben zugeordnet werden (vgl. Bundestag-Drucksache 17/7374, S. 18; vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 08.01.2018, a.a.O., Rn. 31; VG Regensburg, Beschluss vom 15.03.2019, a.a.O., Rn. 31; VG Würzburg, Beschluss vom 03.04.2019, a.a.O., S. 16; VGH Bayern, Urteil vom 16.02.2017 - 20 BV 15.2208 -, juris Rn. 47; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.12.2016 - 13 A 845/15 -, juris Rn. 111; so wohl auch Rossi, in: BeckOK, Informations- und Medienrecht, 23. Edition, Stand: 01.05.2018, VIG, § 2 Rn. 16; vgl. zur alten Fassung des VIG, VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.09.2010 - 10 S 2/10 -, juris Rn. 23 ff.;).
16 
Diesen Anforderungen entsprechen die Besuchsberichte, die der Antragsgegner dem Beigeladenen zur Offenbarung der beantragten Informationen zu überstellen beabsichtigt, nicht.
17 
Zwar enthalten diese Besuchsberichte naturwissenschaftlich-analytische Feststellungen zu den in den einzelnen Kontrollbereichen und Räumlichkeiten gemachten Befunden, wie z. B. den Standort der Beobachtung, die Beschreibung der Örtlichkeit sowie die gemessene Temperatur.
18 
Jedoch werden diese Befunde in den Besuchsberichten keiner gesetzlichen Vorgabe zugeordnet. Eine Subsumtion im Sinne einer Unterordnung eines Sachverhalts unter einen Rechtssatz ist nicht ersichtlich. In den Besuchsberichten wird keine juristische Wertung dahingehend vorgenommen, dass die naturwissenschaftlich-analytischen Feststellungen (hier: die Befunde) von bestimmten nationalen oder unionsrechtlichen Vorgaben abweichen. Es fehlt den Besuchsberichten mithin die Anwendung des Rechts auf den gegebenen Sachverhalt unter konkreter Zuordnung der einschlägigen lebens- oder futtermittelrechtlichen Rechtsvorschriften.
19 
Die Besuchsberichte enthalten lediglich die Beschreibung eines Zustands im Sinne einer Befund- bzw. Sachverhaltsschilderung unter dem Stichwort „Feststellungen“. Rechtsnormen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG als Rechtsgrundlagen sind in den Besuchsberichten nicht genannt. Allein auf Grundlage der Besuchsberichte lässt sich daher nicht feststellen, von welcher Rechtsvorschrift jeweils in unzulässiger Weise abgewichen worden sein soll.
20 
Eine rechtliche Bewertung der in den Besuchsberichten gemachten Befunde - im Sinne einer Abweichung von gesetzlichen Vorgaben - nimmt der Antragsgegner allein in der an die Antragstellerin adressierten Entscheidung vom ... vor.
21 
Die - wie von dem Antragsgegner beabsichtigt - isolierte Herausgabe der letzten beiden Besuchsberichte, denen sich keine konkreten Abweichungen von Rechtsvorschriften entnehmen lassen, kann nach Auffassung der Kammer im Eilverfahren jedenfalls nicht auf Grundlage des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG begehrt werden.
22 
Vor diesem Hintergrund fällt die Interessensabwägung zugunsten der Antragstellerin aus. Die in Art. 19 Abs. 4 GG statuierte Rechtsweggarantie gebietet es im vorliegenden Fall, die Antragstellerin gegen vorläufige Rechtsnachteile - hier durch eine im Nachhinein nicht mehr rückgängig zu machende Informationsfreigabe, die praktisch auch die Hauptsache vorwegnehmen würde - zu schützen.
23 
b) Deshalb kann die Kammer im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens auch die von den anderen Verwaltungsgerichten aufgeworfenen Rechtsfragen hinsichtlich der Rechtsmissbräuchlichkeit eines über die von foodwatch/FragDenStaat betriebenen Plattform „Topf Secret“ gestellten Antrags, einer unzulässigen Umgehung des § 40 Abs. 1a LFGB und der Verfassungsmäßigkeit des VIG im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.03.2018 - 1 BvF 1/13 -, juris offenlassen (vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 15.03.2019, a.a.O., Rn. 32, sich anschließend VG Würzburg, Beschluss vom 03.04.2019, a.a.O., S. 15). Offenlassen kann die Kammer weiter, ob nicht zulässige Abweichungen durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt festgestellt sein müssen (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 08.01.2018, a.a.O., Rn. 32). Dies gilt auch für die Frage, ob der Informationszugang voraussetzt, dass die festgestellten Abweichungen tatsächlich noch andauern (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 08.01.2018, a.a.O., Rn. 33).
24 
c) Die Kammer lässt im vorliegenden Eilverfahren weiter offen, ob dem Beigeladenen ein Auskunftsanspruch aus den Nummern 2 bis 7 des § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG zustehen könnte. Denn in diesen Fällen hätte ein Widerspruch bzw. eine Klage der Antragstellerin jedenfalls gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung, da nur in den Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG die aufschiebende Wirkung gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG kraft Gesetzes entfällt (vgl. Bundestag-Drucksache 17/7374, S. 18, vgl. auch VG Stade, Beschluss vom 01.04.2019 - 6 B 380/19 -, bislang unveröffentlicht).
25 
Nach alledem war dem Antrag stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten mangels Antragstellung selbst (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
26 
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2, Abs. 1 GKG in Verbindung mit den Ziffern 1.5 und 25.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Streitwertkatalog). Gemäß Ziffer 25.2 des Streitwertkatalogs ist für sonstige Maßnahmen im Lebensmittelrecht der Jahresbetrag der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen, sonst der Auffangwert anzusetzen. Da keine Anhaltspunkte hinsichtlich der Höhe der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen im Falle einer Herausgabe der streitgegenständlichen Informationen bestehen, war der Auffangwert anzusetzen. Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Entscheidung war der Streitwert gemäß Ziffer 1.5 Streitwertkatalog zu halbieren.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen