Urteil vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - 6 K 965/21

Tenor

Ziffer II des Bescheides der Beklagten vom 7. Mai 2020 und der hierauf bezügliche Teil des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Tübingen vom 2. März 2021 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt zwei Drittel, die Beklagte ein Drittel der Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen das Verbot des Besitzes und Erwerbs von Waffen und Munition, deren Erwerb nicht der Erlaubnis bedarf, sowie gegen die die Verpflichtung, etwaige in seinem Besitz befindliche Waffen und Munition oder andere vom Waffengesetz erfasste Gegenstände unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen.
Der am ... 1978 in ... (Eritrea) geborene Kläger lebt seit seiner Kindheit in Deutschland und ist deutscher Staatsangehöriger. Er bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende.
Nachdem die Polizei dem Kläger zweimal ein Messer abgenommen hatte, zuletzt am 26. Dezember 2019 ein Küchenmesser mit einer 21 cm langen Klinge, regte das Polizeirevier ... am 27. Dezember 2019 bei der Beklagten die Prüfung eines Waffenverbots an. Die Beklagten holte daraufhin Auskünfte aus dem zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister vom 8. Januar 2020 (Verwaltungsakten Bl. 11/8), dem Zentralregister und dem Erziehungsregister vom 13. Januar 2020 (Verwaltungsakten Bl. 25/24) sowie des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg vom 9. März 2020 (Verwaltungsakten Bl. 16/15) ein und zog das (damals) letzte gegen den Kläger ergangene Urteil des Amtsgerichts ... vom 11. April 2017 - rechtskräftig seit 19. April 2017 - bei (Az.: C 1 Ds 34 Js 18651/16) bei (Verwaltungsakten Bl. 22/18). Hiernach war der Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, in einem davon in Tateinheit mit Beleidigung, unter Einbeziehung eines Strafbefehls des Amtsgerichts ... vom 18. Juli 2016 (40 Tagessätze zu je 10 Euro wegen Beleidigung [Az.: 4 Cs 32 Js 12324/16]) zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätze à 10 EUR verurteilt. Der Amtsrichter wertete dabei die Einzeltaten mit 80 bzw. 40 Tagessätzen und bildete daraus unter Einbeziehung der vorangegangenen Verurteilung eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagesätzen. Als Vorstrafen sind in dem Urteil genannt:
15. September 2010 Amtsgericht ...:
Vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit Beleidigung sowie Bedrohung in Tatmehrheit mit falscher Verdächtigung
Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 10 EUR
22. Januar 2014 Amtsgericht ...:
Beleidigung und Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten
Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10 EUR
10 
25. April 2014 Amtsgericht ...:
11 
Betäubungsmittelbesitz
12 
Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10 EUR
13 
18.07.2016 Amtsgericht ...:
14 
Beleidigung
15 
Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 EUR
16 
Mit Schreiben vom 16. März 2020 hörte die Beklagte den Kläger zu einem Waffenbesitzverbot an (Verwaltungsakten Bl. 34).
17 
Mit Bescheid vom 7. Mai 2020 - zugestellt am 9. Mai 2020 - untersagte die Beklagte dem Kläger den Besitz und Erwerb von Waffen und Munition, deren Erwerb nicht der Erlaubnis bedarf (Ziff. I) und ordnete weiter an, dass der Kläger etwaige Waffen und Munition (auch erlaubnisfreie!) oder andere vom Waffengesetz erfasste Gegenstände, die sich derzeit in seinem Besitz befinden, bis zum 7. August 2020 dauerhaft unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen hat (Ziff. II). Neben der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziff. I und II (Ziff. III) setzte die Beklagte eine Gebühr von 100 EUR fest. Zur Begründung wird u. a. ausgeführt, dem Kläger fehle aufgrund seiner zahlreichen Verurteilungen die waffenrechtliche Zuverlässigkeit. Das Besitzverbot sei geeignet, erforderlich und angemessen, um Gefährdungen Dritter und der Allgemeinheit auszuschließen. Gleiches gelte für die Verpflichtung zur Unbrauchbarmachung bzw. Überlassung der Waffe an einen Berechtigten als Folge des Waffenverbotes.
18 
Den hiergegen am 18. Mai 2020 eingelegten und nicht weiter begründeten Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Tübingen mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2021 - zugestellt am 4. März 2021 - zurück und führte u. a. aus, es liege ein Fall der Regelunzuverlässigkeit vor, der durch die sonstigen Auffälligkeiten des Klägers, die sich in zwölf Eintragungen im Bundeszentralregister niederschlügen, eher bestätigt werde als dass Gründe für ein ausnahmsweises Absehen von der Regel vorlägen. Vor diesem Hintergrund habe die Beklagte in ermessensfehlerfreier Weise ein Waffenverbot nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 Waffengesetz (WaffG) erlassen.
19 
Zur Begründung der hiergegen am Dienstag, den 6. April 2021 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhobenen Klage wird nichts Inhaltliches vorgetragen.
20 
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
21 
den Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2020 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 2. März 2021 aufzuheben und die Zuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
22 
Die Beklagte hat keinen förmlichen Klagantrag gestellt und auch nichts zur Sache vorgetragen.
23 
Das Gericht hat eine weitere Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 5. April 2022 eingeholt, die insgesamt 16 Verurteilungen seit dem Jahre 2000 verzeichnet, von denen die folgenden nach dem o. g. Urteil des Amtsgerichts ... ergangen sind:
24 
o 5. Februar 2020 AG ... (Az.: 6 Cs 21 Js 4325/18 92 VRs)
25 
Unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln
26 
Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 EUR
27 
o 27. Februar 2020 AG ... (Az.: 6 Cs 21 Js 2552/20 92 VRs)
28 
Unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln
29 
Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 30 EUR
30 
o 30. März 2020 AG ... (Az.: 4 Cs 35 Js 2860/20 92 VRs)
31 
Sachbeschädigung
32 
Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 EUR
33 
Aus diesen drei Verurteilungen wurde durch Beschluss vom 8. Juni 2020 nachträglich eine Gesamtstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 EUR gebildet.
34 
Mit Beschluss vom 6. April 2022 hat das Gericht dem Kläger insoweit Prozesskostenhilfe bewilligt, als er Ziffer II des Bescheides vom 7. Mai 2020 anficht.
35 
Die Beteiligten waren in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten.
36 
Dem Gericht liegen die Verwaltungsakten der Beklagten und die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Tübingen vor, auf welche ebenso wie auf die Gerichtsakten wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

 
37 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandeln und entscheiden, da der Kläger in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO) und die Beklagte, für deren Ladung ein Empfangsbekenntnis nicht vorliegt, jedenfalls auf ordnungsgemäße Ladung verzichtet hat (Gerichtsakte Bl. 67).
38 
Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere nicht verfristet. Nachdem Montag, der 5. April 2021 ein gesetzlicher Feiertag war (Ostermontag), lief die einmonatige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erst am Dienstag, den 6. April 2021 ab (§§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
39 
Es ist unschädlich, dass die Beklagte keinen förmlichen Klagabweisungsantrag gestellt hat, denn dass sie dem Klagbegehren nicht entsprochen hat, macht hinreichend deutlich, dass sie dem Klagantrag entgegentritt (vgl. Eyermann / Schübel-Pfister, VwGO, 16. Auflage 2022, § 103 Rdnr. 13). Im Übrigen folgt es aus dem Untersuchungsgrundsatz, dass die Klage abgewiesen werden muss, wenn sie sich als unzulässig oder unbegründet erweist (Bosch / Schmidt / Vondung, Einführung in die Praxis des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, 10. Aufl. 2019, Rdnr. 1178).
40 
Die Klage ist nur zum Teil begründet.
41 
Der Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2020 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 2. März 2021 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten, soweit in Ziffer II angeordnet wird, dass der Kläger etwaige Waffen und Munition (auch erlaubnisfreie) oder andere vom Waffengesetz erfasste Gegenstände, die sich derzeit in seinem Besitz befinden, dauerhaft unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen hat. Im Übrigen sind die angefochtenen Bescheide jedoch rechtmäßig und verletzen klägerische Rechte nicht.
42 
Dies bedeutet, dass die Beklagte zwar ein Waffenverbot erlassen (1.), nicht jedoch die Unbrauchbarmachung bzw. Überlassung vom Waffen und Munition sowie anderen vom Waffengesetz erfassten Gegenstände an Berechtigte verfügen durfte (2.)
43 
1. Rechtsgrundlage des in Ziff. I des angefochtenen Bescheides verfügten Besitz- und Erwerbsverbots für erlaubnisfreie Waffen und Munition ist § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 5 Waffengesetz (WaffG). Danach kann die zuständige Behörde jemandem den Besitz von Waffen oder Munition, deren Erwerb nicht der Erlaubnis bedarf, und den Erwerb solcher Waffen oder Munition untersagen, wenn Tatsachen bekannt werden, die die Annahme rechtfertigen, dass dem rechtmäßigen Besitzer oder Erwerbswilligen die für den Erwerb oder Besitz solcher Waffen oder Munition erforderliche Zuverlässigkeit fehlt.
44 
Erlaubnisfreie Waffen sind solche, die zwar unter den in § 1 Abs. 2 WaffG abstrakt definierten und in der Anlage 1 (Begriffsbestimmungen) zu § 1 Abs. 4 WaffG inhaltlich ausgeformten Waffenbegriff fallen, jedoch nicht bereits kraft Gesetzes verboten (§ 2 Abs. 3 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 WaffG) oder unter Erlaubnisvorbehalt gestellt sind (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 WaffG). Zu diesen erlaubnisfreien Waffen zählen nach Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.4.1 WaffG beispielsweise Springmesser, bei denen die Klinge seitlich aus dem Griff herausspringt und der aus dem Griff herausragende Teil der Klinge höchstens 8,5 cm lang und nicht zweiseitig geschliffen ist (vgl. Gade, WaffG, 2. Aufl. 2018, § 41 Rdnr. 5). Nicht in dem Anwendungsbereich von § 41 WaffG fallen indessen gefährliche Gegenstände, die nicht Waffen im Sinne des Waffengesetzes sind, insbesondere auch die hier fallrelevanten Küchenmesser (arg e § 42 a Abs. 1 Nr. 3 WaffG; vgl. auch VG Wiesbaden, Urteil vom 8. Februar 2016 - 6 K 1456/15.WI -, juris Rdnr. 23; Gade, a. a. O., § 42 a Rdnr. 1).
45 
Es bestehen beim Kläger zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass er derzeit erlaubnisfreie Waffen im Sinne des Waffengesetzes besitzt, allerdings kann ihm ein hierauf gerichteter Erwerbswille nicht abgesprochen werden.
46 
Eine Person ist nicht erst dann als erwerbswillig zu qualifizieren, wenn sie einen dahingehenden Willen geäußert hat oder ein solcher Wille trotz ausdrücklicher Verneinung nachweislich besteht. Der Erwerb muss auch nicht aktuell gewollt oder jedenfalls in absehbarer Zeit zu erwarten sein. Für das Tatbestandsmerkmal der „Erwerbswilligkeit“ ist es vielmehr ausreichend, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, der Betroffene wolle (künftig) in den Besitz von Waffen bzw. Munition gelangen. Für diese Erwartung ist keine konkrete Gefahr im Sinne des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts erforderlich, sondern das gesetzliche Konzept der Gefahrenvorsorge gilt auch für die Erwerbsprognose. Als erwerbswillig ist danach eine Person anzusehen, bei der die durch Tatsachen gerechtfertigte Erwartung im Sinne der allgemeinen Besorgnis besteht, sie werde im Zeitraum voraussichtlich fortbestehender Unzuverlässigkeit in den Besitz von Waffen oder Munition gelangen wollen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Mai 2021 - 6 S 2193/19 -, juris Rdnr. 117).
47 
Nach Auffassung der Kammer lassen die beim Kläger beschlagnahmten Küchenmesser - auch wenn sie selbst keine Waffen im Sinne des Waffengesetzes sind - den hinreichend sicheren Schluss zu, dass der Kläger, der glaubt, zu seiner Verteidigung einen zum Gebrauch als Waffe geeigneten Gegenstand zu benötigen, bei entsprechender Gelegenheit auch beispielsweise ein erlaubnisfreies Springmesser erwerben würde. Es ist insbesondere auch im Hinblick auf die psychische Verfassung des Klägers nicht zu erwarten, dass er bewusst zwischen einem Messer, das (nur) ein gefährlicher Gegenstand ist, und einem als Waffe geltenden Messer differenzieren könnte und wollte. Für den psychisch auffälligen Kläger kommt es offensichtlich nur darauf an, einen Gegenstand zu besitzen, den er nach seiner Vorstellung zu seiner Verteidigung einsetzen kann. Dass er bislang offensichtlich noch keine erlaubnisfreie Waffe erworben und besessen hat, dürfte eher dem Umstand zuzuschreiben sein, dass er keine Gelegenheit zum Erwerb hatte, als dass er bewusst davon Abstand nimmt. In Anbetracht der eher niedrigen Gefahrenschwelle einer „allgemeinen Besorgnis“, dass der Kläger in Besitz einer solchen Waffe gelangen will, sieht das Gericht in dem zweifachen Aufgreifen des Klägers mit einem Küchenmesser hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für einen Erwerbswillen auch bei erlaubnisfreien Waffen, insbesondere in Form von Messern.
48 
Der Kläger ist waffenrechtlich unzuverlässig. Dabei beurteilt sich der Begriff der Zuverlässigkeit ebenso nach § 5 WaffG wie im Bereich der erlaubnispflichtigen Waffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2022 - 6 B 9.21 -, juris Rdnr. 16 m. w. N.). Nach dieser Vorschrift besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Die Vermutungsregelung setzt weder voraus, dass außer der Verurteilung weitere nachteilige Umstände über den Waffenbesitzer bekannt geworden sind noch kommt es auf einen Bezug der Straftat zum Umgang mit Waffen an. Vielmehr wird die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit nicht nach der Art der begangenen Straftat bestimmt, sondern es wird allgemein auf die Rechtsfolgenseite, nämlich auf die Höhe der verhängten Strafe, abgestellt (VG München, Beschluss vom 17. August 2018 - M 7 S 18.1851 -, juris Rdnr. 25 m. w. N.).
49 
Letzte von der Beklagten in Bezug genommene Verurteilung ist das seit 19. April 2017 rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts ... vom 11. April 2017 (Az.: 1 Ds 34 Js 18651/16). Hierdurch wurde der Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 18. Juli 2016 zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt. Aus den Strafzumessungserwägungen ergibt sich, dass der erste Tatkomplex mit 80 Tagessätzen und der zweite mit 40 Tagessätzen bewertet wurde, aus denen unter Einrechnung des Strafbefehls von 40 Tagessätzen wegen Beleidigung eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen gebildet wurde.
50 
Nachdem maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage für das Erwerbs- und Besitzverbot der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist, da es sich hierbei um einen Dauerverwaltungsakt handelt (VG Freiburg, Urteil vom 1. Juli 2020 - 1 K 6023/18 -, BeckRS 2020, 41985, Rdnr. 32; VG Karlsruhe, Urteil vom 18. Oktober 2018 - 12 K 6041/17 -, juris Rdnr. 16 m. w. N.), sind auch die zwischenzeitlich erfolgten drei weiteren Verurteilungen zu berücksichtigen, aus denen nachträglich eine Gesamtstrafe von 60 Tagessätzen gebildet wurde (s. BZR-Auszug vom 5. April 2021 Einträge Nrn. 14 bis 17).
51 
Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG sind daher unter allen denkbaren Gesichtspunkten erfüllt. Selbst wenn man im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr auf die mit 80 Tagessätzen bewertete Einzeltat aus dem Urteil des Amtsgerichts ... rekurrieren könnte, weil seit deren Rechtskraft inzwischen mehr als fünf Jahre vergangen sind (zum Streitstand vgl. einerseits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 1 S 2749/17 -, juris Rdnr. 6 f., andererseits BayVGH, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 21 ZB 12.539 -, juris Rdnr. 12), so liegen nunmehr jedenfalls mehrere weitere Verurteilungen wegen vorsätzlicher Taten vor. In diesem Falle ist überhaupt keine Mindeststrafhöhe erforderlich. Seit Rechtskraft dieser Verurteilungen am 25. Februar, 17. März bzw. 16. April 2020 (vgl. BZR-Auszug Einträge Nrn. 14 bis 16) sind auch in keinem Fall fünf Jahre vergangen.
52 
Vorliegend verbietet sich auch eine Ausnahme von der Regelvermutung. Eine solche könnte nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung des Betroffenen ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen ließen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Maßstab für das Vorliegen eines Ausnahmefalls, der die Verfehlung des Betroffenen in einem milderen, von der waffenrechtlichen Regelwertung abweichenden Licht erscheinen lassen kann, ist allein die Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen wie sie in seinem damaligen Verhalten zum Ausdruck kommt. Auch unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist vorliegend keine Ausnahme von der Regelvermutung geboten, zumal besondere Tatumstände, die zu Gunsten des Klägers sprechen würden, weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Insbesondere hat der Kläger bislang weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren die Gelegenheit genutzt, irgendwelche zu seinen Gunsten sprechende Gesichtspunkte vorzutragen; Widerspruch und Klage sind inhaltlich unbegründet geblieben.
53 
Ob daneben - wie das Regierungspräsidium meint - die Zuverlässigkeit auch nach dem zwingenden Grund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG zu verneinen ist, weil der Kläger am 26. Dezember 2019 ein Küchenmesser bei sich getragen und erklärt hat, sich damit verteidigen zu müssen (Widerspruchsbescheid S. 7), kann hier offen bleiben. Dies wirkt sich nämlich nicht auf das Ergebnis aus, denn die Zuverlässigkeit ist bereits regelhaft nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG zu verneinen und eine Ausnahme von der Regelvermutung ist im Hinblick auf das - offenbar sogar mehrfache - Führen eines solchen Küchenmessers erst recht nicht geboten. Schon allein diese Begründung trägt vollumfänglich die Entscheidung zum Besitz- und Erwerbsverbot.
54 
Die Ermessensausübung der Beklagten ist im Rahmen des gerichtlichen Prüfungsumfangs (§ 114 Satz 1 VwGO) ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat - wie sich aus den Gründen der streitgegenständlichen Bescheide ergibt - das ihr zustehende Ermessen erkannt und zweckgerecht sowie im Rahmen der gesetzlichen Grenzen ausgeübt. Auch die inzwischen hinzugekommenen neuen Erkenntnisse können keinen Ermessensfehler zu Gunsten des Klägers rechtfertigen, bestätigen sie doch die Wertung der Beklagten eindeutig.
55 
Ziff. I der Verfügung vom 7. Mai 2020 ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.
56 
2. Die in Ziff. II des Bescheids vom 7. Mai 2020 gegenüber dem Kläger getroffene Anordnung, noch vorhandene erlaubnisfreie Waffen und Munition oder andere vom Waffengesetz erfasste Gegenstände bis 7. August 2020 dauerhaft unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen, erweist sich indes als rechtswidrig und für den Kläger rechtsverletzend.
57 
Gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WaffG kann die zuständige Behörde, wenn jemand entgegen einem vollziehbaren Verbot nach § 41 Abs. 1 oder 2 WaffG eine Waffe oder Munition besitzt, anordnen, dass er binnen angemessener Frist die Waffe oder Munition dauerhaft unbrauchbar macht oder einem Berechtigten überlässt.
58 
a) Die Norm erlaubt damit nur Eingriffe zur Unbrauchbarmachung bzw. Überlassen an Berechtigte von Waffen im Sinne des Waffengesetzes; hinsichtlich „anderer vom Waffengesetz erfasster Gegenstände“, die keine Waffen oder Munition sind, bietet sie keine Rechtsgrundlage.
59 
Der Begriff der Waffe ist - wie oben bereits näher dargelegt - gesetzlich definiert. Die beim Kläger vorgefundenen Gegenstände waren keine Waffen in diesem Sinne. Wie der nachträglich eingefügte § 42 a WaffG, der (u. a.) das Führen von feststehenden Messern mit einer Klingenlänge von über 12 cm untersagt (Abs. 1 Nr. 3) zeigt, sollen hierdurch gerade Gegenstände erfasst werden, die per definitionem keine Waffen im Sinne des Waffengesetzes sind (Gade, a, a. O., § 42 a Rdnr. 1). Küchenmesser wie das beim Kläger festgestellte mögen zwar „andere vom Waffengesetz erfasste Gegenstände“ sein, stellen als solche aber keinen tauglicheren Regelungsgegenstand für eine Verfügung nach § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WaffG dar, zumal auch nicht ihr Besitz, sondern nur das Führen verboten ist.
60 
b) Hinsichtlich vorhandener erlaubnisfreier Waffen und Munition könnte die gegenüber dem Kläger getroffene Anordnung zwar auf die angeführte Rechtsgrundlage gestützt werden; sie setzt jedoch weiter voraus, dass beim Kläger der Besitz von erlaubnisfreien Waffen im Sinne des Waffengesetzes zu besorgen wäre. Hierfür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte, denn es ist kein einziger Fall dokumentiert, aus dem sich auch nur der begründete Verdacht des Umgangs des Klägers mit Waffen im Sinne des Waffengesetzes ergeben könnte. Adressat der Maßnahme nach § 46 Abs. 3 Satz 1 WaffG ist nach dem Wortlaut aber (nur) derjenige, der Waffen oder Munition besitzt (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 2. Februar 2021 - RN 4 K 19.1980 -, juris Rdnr. 56). Dies bedeutet, dass zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen muss, dass der Betroffene erlaubnisfreie Waffen und / oder Munition besitzt.
61 
Beim Kläger bestehen indessen keine Anhaltspunkte dafür, dass er derzeit bereits im Besitz von (erlaubnisfreien) Waffen im Sinne des Waffengesetzes ist. Hiergegen spricht auch, dass er bei seinen Auffälligkeiten zweimal ein Küchenmesser bei sich getragen hat. Hätte er eine „richtige“ Waffe besessen, beispielsweise ein wesentlich komfortabler zu handhabendes erlaubtes Springmesser, so hätte es nahe gelegen, dass er diese benutzt.
62 
Auch wenn die Verfügung damit aller Voraussicht nach ins Leere geht, entfällt doch nicht jegliche Beschwer für den Kläger, denn sie könnte immerhin als Grundlage für Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht kommen. Daher ist dem Kläger ein Interesse an ihrer Aufhebung zuzubilligen.
63 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Gericht sieht nach § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, die Entscheidung bezüglich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
64 
Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren ergeht durch gesonderten Beschluss.

Gründe

 
37 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandeln und entscheiden, da der Kläger in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO) und die Beklagte, für deren Ladung ein Empfangsbekenntnis nicht vorliegt, jedenfalls auf ordnungsgemäße Ladung verzichtet hat (Gerichtsakte Bl. 67).
38 
Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere nicht verfristet. Nachdem Montag, der 5. April 2021 ein gesetzlicher Feiertag war (Ostermontag), lief die einmonatige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erst am Dienstag, den 6. April 2021 ab (§§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
39 
Es ist unschädlich, dass die Beklagte keinen förmlichen Klagabweisungsantrag gestellt hat, denn dass sie dem Klagbegehren nicht entsprochen hat, macht hinreichend deutlich, dass sie dem Klagantrag entgegentritt (vgl. Eyermann / Schübel-Pfister, VwGO, 16. Auflage 2022, § 103 Rdnr. 13). Im Übrigen folgt es aus dem Untersuchungsgrundsatz, dass die Klage abgewiesen werden muss, wenn sie sich als unzulässig oder unbegründet erweist (Bosch / Schmidt / Vondung, Einführung in die Praxis des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, 10. Aufl. 2019, Rdnr. 1178).
40 
Die Klage ist nur zum Teil begründet.
41 
Der Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2020 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 2. März 2021 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten, soweit in Ziffer II angeordnet wird, dass der Kläger etwaige Waffen und Munition (auch erlaubnisfreie) oder andere vom Waffengesetz erfasste Gegenstände, die sich derzeit in seinem Besitz befinden, dauerhaft unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen hat. Im Übrigen sind die angefochtenen Bescheide jedoch rechtmäßig und verletzen klägerische Rechte nicht.
42 
Dies bedeutet, dass die Beklagte zwar ein Waffenverbot erlassen (1.), nicht jedoch die Unbrauchbarmachung bzw. Überlassung vom Waffen und Munition sowie anderen vom Waffengesetz erfassten Gegenstände an Berechtigte verfügen durfte (2.)
43 
1. Rechtsgrundlage des in Ziff. I des angefochtenen Bescheides verfügten Besitz- und Erwerbsverbots für erlaubnisfreie Waffen und Munition ist § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 5 Waffengesetz (WaffG). Danach kann die zuständige Behörde jemandem den Besitz von Waffen oder Munition, deren Erwerb nicht der Erlaubnis bedarf, und den Erwerb solcher Waffen oder Munition untersagen, wenn Tatsachen bekannt werden, die die Annahme rechtfertigen, dass dem rechtmäßigen Besitzer oder Erwerbswilligen die für den Erwerb oder Besitz solcher Waffen oder Munition erforderliche Zuverlässigkeit fehlt.
44 
Erlaubnisfreie Waffen sind solche, die zwar unter den in § 1 Abs. 2 WaffG abstrakt definierten und in der Anlage 1 (Begriffsbestimmungen) zu § 1 Abs. 4 WaffG inhaltlich ausgeformten Waffenbegriff fallen, jedoch nicht bereits kraft Gesetzes verboten (§ 2 Abs. 3 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 WaffG) oder unter Erlaubnisvorbehalt gestellt sind (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 WaffG). Zu diesen erlaubnisfreien Waffen zählen nach Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.4.1 WaffG beispielsweise Springmesser, bei denen die Klinge seitlich aus dem Griff herausspringt und der aus dem Griff herausragende Teil der Klinge höchstens 8,5 cm lang und nicht zweiseitig geschliffen ist (vgl. Gade, WaffG, 2. Aufl. 2018, § 41 Rdnr. 5). Nicht in dem Anwendungsbereich von § 41 WaffG fallen indessen gefährliche Gegenstände, die nicht Waffen im Sinne des Waffengesetzes sind, insbesondere auch die hier fallrelevanten Küchenmesser (arg e § 42 a Abs. 1 Nr. 3 WaffG; vgl. auch VG Wiesbaden, Urteil vom 8. Februar 2016 - 6 K 1456/15.WI -, juris Rdnr. 23; Gade, a. a. O., § 42 a Rdnr. 1).
45 
Es bestehen beim Kläger zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass er derzeit erlaubnisfreie Waffen im Sinne des Waffengesetzes besitzt, allerdings kann ihm ein hierauf gerichteter Erwerbswille nicht abgesprochen werden.
46 
Eine Person ist nicht erst dann als erwerbswillig zu qualifizieren, wenn sie einen dahingehenden Willen geäußert hat oder ein solcher Wille trotz ausdrücklicher Verneinung nachweislich besteht. Der Erwerb muss auch nicht aktuell gewollt oder jedenfalls in absehbarer Zeit zu erwarten sein. Für das Tatbestandsmerkmal der „Erwerbswilligkeit“ ist es vielmehr ausreichend, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, der Betroffene wolle (künftig) in den Besitz von Waffen bzw. Munition gelangen. Für diese Erwartung ist keine konkrete Gefahr im Sinne des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts erforderlich, sondern das gesetzliche Konzept der Gefahrenvorsorge gilt auch für die Erwerbsprognose. Als erwerbswillig ist danach eine Person anzusehen, bei der die durch Tatsachen gerechtfertigte Erwartung im Sinne der allgemeinen Besorgnis besteht, sie werde im Zeitraum voraussichtlich fortbestehender Unzuverlässigkeit in den Besitz von Waffen oder Munition gelangen wollen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Mai 2021 - 6 S 2193/19 -, juris Rdnr. 117).
47 
Nach Auffassung der Kammer lassen die beim Kläger beschlagnahmten Küchenmesser - auch wenn sie selbst keine Waffen im Sinne des Waffengesetzes sind - den hinreichend sicheren Schluss zu, dass der Kläger, der glaubt, zu seiner Verteidigung einen zum Gebrauch als Waffe geeigneten Gegenstand zu benötigen, bei entsprechender Gelegenheit auch beispielsweise ein erlaubnisfreies Springmesser erwerben würde. Es ist insbesondere auch im Hinblick auf die psychische Verfassung des Klägers nicht zu erwarten, dass er bewusst zwischen einem Messer, das (nur) ein gefährlicher Gegenstand ist, und einem als Waffe geltenden Messer differenzieren könnte und wollte. Für den psychisch auffälligen Kläger kommt es offensichtlich nur darauf an, einen Gegenstand zu besitzen, den er nach seiner Vorstellung zu seiner Verteidigung einsetzen kann. Dass er bislang offensichtlich noch keine erlaubnisfreie Waffe erworben und besessen hat, dürfte eher dem Umstand zuzuschreiben sein, dass er keine Gelegenheit zum Erwerb hatte, als dass er bewusst davon Abstand nimmt. In Anbetracht der eher niedrigen Gefahrenschwelle einer „allgemeinen Besorgnis“, dass der Kläger in Besitz einer solchen Waffe gelangen will, sieht das Gericht in dem zweifachen Aufgreifen des Klägers mit einem Küchenmesser hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für einen Erwerbswillen auch bei erlaubnisfreien Waffen, insbesondere in Form von Messern.
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Der Kläger ist waffenrechtlich unzuverlässig. Dabei beurteilt sich der Begriff der Zuverlässigkeit ebenso nach § 5 WaffG wie im Bereich der erlaubnispflichtigen Waffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2022 - 6 B 9.21 -, juris Rdnr. 16 m. w. N.). Nach dieser Vorschrift besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Die Vermutungsregelung setzt weder voraus, dass außer der Verurteilung weitere nachteilige Umstände über den Waffenbesitzer bekannt geworden sind noch kommt es auf einen Bezug der Straftat zum Umgang mit Waffen an. Vielmehr wird die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit nicht nach der Art der begangenen Straftat bestimmt, sondern es wird allgemein auf die Rechtsfolgenseite, nämlich auf die Höhe der verhängten Strafe, abgestellt (VG München, Beschluss vom 17. August 2018 - M 7 S 18.1851 -, juris Rdnr. 25 m. w. N.).
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Letzte von der Beklagten in Bezug genommene Verurteilung ist das seit 19. April 2017 rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts ... vom 11. April 2017 (Az.: 1 Ds 34 Js 18651/16). Hierdurch wurde der Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 18. Juli 2016 zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt. Aus den Strafzumessungserwägungen ergibt sich, dass der erste Tatkomplex mit 80 Tagessätzen und der zweite mit 40 Tagessätzen bewertet wurde, aus denen unter Einrechnung des Strafbefehls von 40 Tagessätzen wegen Beleidigung eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen gebildet wurde.
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Nachdem maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage für das Erwerbs- und Besitzverbot der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist, da es sich hierbei um einen Dauerverwaltungsakt handelt (VG Freiburg, Urteil vom 1. Juli 2020 - 1 K 6023/18 -, BeckRS 2020, 41985, Rdnr. 32; VG Karlsruhe, Urteil vom 18. Oktober 2018 - 12 K 6041/17 -, juris Rdnr. 16 m. w. N.), sind auch die zwischenzeitlich erfolgten drei weiteren Verurteilungen zu berücksichtigen, aus denen nachträglich eine Gesamtstrafe von 60 Tagessätzen gebildet wurde (s. BZR-Auszug vom 5. April 2021 Einträge Nrn. 14 bis 17).
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Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG sind daher unter allen denkbaren Gesichtspunkten erfüllt. Selbst wenn man im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr auf die mit 80 Tagessätzen bewertete Einzeltat aus dem Urteil des Amtsgerichts ... rekurrieren könnte, weil seit deren Rechtskraft inzwischen mehr als fünf Jahre vergangen sind (zum Streitstand vgl. einerseits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 1 S 2749/17 -, juris Rdnr. 6 f., andererseits BayVGH, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 21 ZB 12.539 -, juris Rdnr. 12), so liegen nunmehr jedenfalls mehrere weitere Verurteilungen wegen vorsätzlicher Taten vor. In diesem Falle ist überhaupt keine Mindeststrafhöhe erforderlich. Seit Rechtskraft dieser Verurteilungen am 25. Februar, 17. März bzw. 16. April 2020 (vgl. BZR-Auszug Einträge Nrn. 14 bis 16) sind auch in keinem Fall fünf Jahre vergangen.
52 
Vorliegend verbietet sich auch eine Ausnahme von der Regelvermutung. Eine solche könnte nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung des Betroffenen ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen ließen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Maßstab für das Vorliegen eines Ausnahmefalls, der die Verfehlung des Betroffenen in einem milderen, von der waffenrechtlichen Regelwertung abweichenden Licht erscheinen lassen kann, ist allein die Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen wie sie in seinem damaligen Verhalten zum Ausdruck kommt. Auch unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist vorliegend keine Ausnahme von der Regelvermutung geboten, zumal besondere Tatumstände, die zu Gunsten des Klägers sprechen würden, weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Insbesondere hat der Kläger bislang weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren die Gelegenheit genutzt, irgendwelche zu seinen Gunsten sprechende Gesichtspunkte vorzutragen; Widerspruch und Klage sind inhaltlich unbegründet geblieben.
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Ob daneben - wie das Regierungspräsidium meint - die Zuverlässigkeit auch nach dem zwingenden Grund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG zu verneinen ist, weil der Kläger am 26. Dezember 2019 ein Küchenmesser bei sich getragen und erklärt hat, sich damit verteidigen zu müssen (Widerspruchsbescheid S. 7), kann hier offen bleiben. Dies wirkt sich nämlich nicht auf das Ergebnis aus, denn die Zuverlässigkeit ist bereits regelhaft nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG zu verneinen und eine Ausnahme von der Regelvermutung ist im Hinblick auf das - offenbar sogar mehrfache - Führen eines solchen Küchenmessers erst recht nicht geboten. Schon allein diese Begründung trägt vollumfänglich die Entscheidung zum Besitz- und Erwerbsverbot.
54 
Die Ermessensausübung der Beklagten ist im Rahmen des gerichtlichen Prüfungsumfangs (§ 114 Satz 1 VwGO) ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat - wie sich aus den Gründen der streitgegenständlichen Bescheide ergibt - das ihr zustehende Ermessen erkannt und zweckgerecht sowie im Rahmen der gesetzlichen Grenzen ausgeübt. Auch die inzwischen hinzugekommenen neuen Erkenntnisse können keinen Ermessensfehler zu Gunsten des Klägers rechtfertigen, bestätigen sie doch die Wertung der Beklagten eindeutig.
55 
Ziff. I der Verfügung vom 7. Mai 2020 ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.
56 
2. Die in Ziff. II des Bescheids vom 7. Mai 2020 gegenüber dem Kläger getroffene Anordnung, noch vorhandene erlaubnisfreie Waffen und Munition oder andere vom Waffengesetz erfasste Gegenstände bis 7. August 2020 dauerhaft unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen, erweist sich indes als rechtswidrig und für den Kläger rechtsverletzend.
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Gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WaffG kann die zuständige Behörde, wenn jemand entgegen einem vollziehbaren Verbot nach § 41 Abs. 1 oder 2 WaffG eine Waffe oder Munition besitzt, anordnen, dass er binnen angemessener Frist die Waffe oder Munition dauerhaft unbrauchbar macht oder einem Berechtigten überlässt.
58 
a) Die Norm erlaubt damit nur Eingriffe zur Unbrauchbarmachung bzw. Überlassen an Berechtigte von Waffen im Sinne des Waffengesetzes; hinsichtlich „anderer vom Waffengesetz erfasster Gegenstände“, die keine Waffen oder Munition sind, bietet sie keine Rechtsgrundlage.
59 
Der Begriff der Waffe ist - wie oben bereits näher dargelegt - gesetzlich definiert. Die beim Kläger vorgefundenen Gegenstände waren keine Waffen in diesem Sinne. Wie der nachträglich eingefügte § 42 a WaffG, der (u. a.) das Führen von feststehenden Messern mit einer Klingenlänge von über 12 cm untersagt (Abs. 1 Nr. 3) zeigt, sollen hierdurch gerade Gegenstände erfasst werden, die per definitionem keine Waffen im Sinne des Waffengesetzes sind (Gade, a, a. O., § 42 a Rdnr. 1). Küchenmesser wie das beim Kläger festgestellte mögen zwar „andere vom Waffengesetz erfasste Gegenstände“ sein, stellen als solche aber keinen tauglicheren Regelungsgegenstand für eine Verfügung nach § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WaffG dar, zumal auch nicht ihr Besitz, sondern nur das Führen verboten ist.
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b) Hinsichtlich vorhandener erlaubnisfreier Waffen und Munition könnte die gegenüber dem Kläger getroffene Anordnung zwar auf die angeführte Rechtsgrundlage gestützt werden; sie setzt jedoch weiter voraus, dass beim Kläger der Besitz von erlaubnisfreien Waffen im Sinne des Waffengesetzes zu besorgen wäre. Hierfür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte, denn es ist kein einziger Fall dokumentiert, aus dem sich auch nur der begründete Verdacht des Umgangs des Klägers mit Waffen im Sinne des Waffengesetzes ergeben könnte. Adressat der Maßnahme nach § 46 Abs. 3 Satz 1 WaffG ist nach dem Wortlaut aber (nur) derjenige, der Waffen oder Munition besitzt (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 2. Februar 2021 - RN 4 K 19.1980 -, juris Rdnr. 56). Dies bedeutet, dass zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen muss, dass der Betroffene erlaubnisfreie Waffen und / oder Munition besitzt.
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Beim Kläger bestehen indessen keine Anhaltspunkte dafür, dass er derzeit bereits im Besitz von (erlaubnisfreien) Waffen im Sinne des Waffengesetzes ist. Hiergegen spricht auch, dass er bei seinen Auffälligkeiten zweimal ein Küchenmesser bei sich getragen hat. Hätte er eine „richtige“ Waffe besessen, beispielsweise ein wesentlich komfortabler zu handhabendes erlaubtes Springmesser, so hätte es nahe gelegen, dass er diese benutzt.
62 
Auch wenn die Verfügung damit aller Voraussicht nach ins Leere geht, entfällt doch nicht jegliche Beschwer für den Kläger, denn sie könnte immerhin als Grundlage für Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht kommen. Daher ist dem Kläger ein Interesse an ihrer Aufhebung zuzubilligen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Gericht sieht nach § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, die Entscheidung bezüglich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
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Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren ergeht durch gesonderten Beschluss.

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