Beschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 11 K 2194/14

Tenor

Nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache wird das Verfahren eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt.

Gründe

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss zu entscheiden.
1. Die Kostenentscheidung konnte vorliegend nicht nach § 161 Abs. 3 VwGO getroffen werden. Nach dieser Vorschrift fallen bei einer zulässigen Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Zwar war die am 10.08.2009 erhobene Verpflichtungsklage der Klägerin hier gemäß § 75 VwGO zulässig, da bis zu diesem Zeitpunkt über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, den sie spätestens am 12.01.2009 gestellt hatte, noch nicht - weder positiv noch ablehnend - entschieden worden war. Gleichwohl scheidet die Anwendung der Kostenvorschrift des § 161 Abs. 3 VwGO hier aus, da die Klägerin jedenfalls im Zeitpunkt der Erhebung ihrer Untätigkeitsklage nach den besonderen Umständen des Falles mit ihrer Bescheidung noch nicht rechnen konnte (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 23.07.1991 - 3 C 56/90 -, NVwZ 1991, 1180). Die Klägerin wusste zu diesem Zeitpunkt, dass das Regierungspräsidium Freiburg bereits am 19.06.2009 vor dem Amtsgericht Göppingen - Familiengericht - eine Vaterschaftsanfechtungsklage (12 F 546/09) gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB erhoben hatte. Damit sollte letztlich geklärt werden, ob der Sohn der Klägerin, für den ein deutscher Staatsangehöriger die Vaterschaft gemäß § 1592 Nr. 2 BGB anerkannt hatte, hierdurch die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 StAG besaß - oder eben nicht. Ungeachtet der späteren Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 17.12.2013 - 1 BvL 6/10 - ), dass derartige Verfahren wegen eines Verstoßes u.a. von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB gegen Art. 16 Abs. 1 GG nicht möglich sind, konnte die Klägerin jedenfalls im Zeitpunkt der Erhebung ihrer Untätigkeitsklage im August 2009 noch nicht mit ihrer Bescheidung rechnen (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). § 161 Abs. 3 VwGO ist hier daher unanwendbar.
2. Daraus folgt, dass die Kostenentscheidung vorliegend allein gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen zu treffen war. Im Rahmen dieser Entscheidung sind weder schwierige Rechtsfragen zu klären, noch ist eine umfängliche Aufbereitung des Sachverhalts geboten (st. Rspr. d. VGH Ba.-Wü., vgl. Beschl. v. 12.12.2007 - NC 9 S 82/07 -, ).
Im vorliegenden Verfahren entsprach es danach (allein) billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen.
a) Der Berichterstatter legt dabei folgenden Sachverhalt zu Grunde:
Die Beklagte hatte mit Schriftsatz vom 25.08.2009 die Mehrfertigung der Klageschrift des Regierungspräsidiums Freiburg zum Amtsgericht Göppingen - Familiengericht - vom 17.06.2009 vorgelegt und sich auf die dortigen Ausführungen bezogen. Die Klägerin ist im laufenden Verfahren dieser Darstellung nicht entgegengetreten.
Danach wurde die Klägerin am 30.09.2004 wegen illegaler Einreise bzw. Aufenthalts erstmals festgenommen. Aus der Haft heraus stellte sie einen Asylantrag, der als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, nachdem sie sich dort - der Wahrheit zuwider - als liberianische Staatsangehörige ausgegeben hatte. Das Asylverfahren ist seit dem 28.12.2004 bestandskräftig abgeschlossen. Im April 2005 wurde die Klägerin in einem Bordellbetrieb in Hannover vorläufig festgenommen. Nachdem sie auf freien Fuß gekommen war, wurde sie zur Aufenthaltsermittlung bzw. Festnahme ausgeschrieben. Am 01.03.2006 wurde die Klägerin in einem Bordell in Bremerhaven festgenommen. Sie hatte sich mit einem gestohlenen niederländischen Reisepass ausgewiesen. Im Rahmen eines Einsatzes der Steuerfahndung Mannheim wurde die Klägerin schließlich am 18.09.2006 bei der Ausübung der Prostitution in Mannheim einer Kontrolle unterzogen. Im September 2007 brachte die Klägerin ihren Sohn zur Welt. Bereits vor dessen Geburt hat ein deutscher Staatsangehöriger nigerianischer Herkunft die Vaterschaft des Kindes anerkannt. Der betreffende Mann ist 27 Jahre älter als die Klägerin. Nach Ermittlungen der Ausländerbehörde sei für die Vaterschaftsanerkennung ein Betrag in Höhe von EUR 5.000,00 bezahlt worden, der leibliche Vater des Kindes sei, wie die Klägerin seinerzeit, in der Gemeinschaftsunterkunft wohnhaft.
Inzwischen hat die Klägerin zwei weitere Kinder zur Welt gebracht. Als Vater dieser beiden Kinder bemüht sich ein kamerunischer Staatsangehöriger derzeit um einen Aufenthaltstitel. Die gesamte Familie lebt von staatlichen Sozialleistungen.
b) Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen. Sie wäre mit ihrem Hauptantrag, ihr eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 AufenthG zu erteilen, aller Voraussicht nach unterlegen. Mangels Entscheidung über den Hauptantrag kommt es auf das mutmaßliche Ergebnis mit Blick auf den Hilfsantrag insoweit nicht an, da letzterer unter der prozessualen Bedingung gestellt wurde, dass der Hauptantrag abgewiesen wurde, was durch die beiderseitigen Erledigungserklärungen nun nicht mehr eintreten kann.
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An dieser rechtlichen Einschätzung (vgl. sogleich, unten) ändert sich nichts deshalb, weil eine andere Ausländerbehörde der Klägerin, nachdem sie in deren Zuständigkeitsbereich verzogen ist, zwischenzeitlich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG tatsächlich erteilt hat. Denn dies geschah in Verkennung der Rechtslage. Ohne dieses „erledigende Ereignis“ wäre die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit ohne Erfolg geblieben.
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aa) Zwar trifft es zu, dass nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 (a.a.O.) in Fällen der vorliegenden Art - allein im Referat des Berichterstatters sind mehrere nahezu identische Fälle anhängig - die bisher praktizierte Vorgehensweise der Behörden, gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB die Vaterschaftsan-erkennung anzufechten, wodurch das stammberechtigte Kind seine deutsche Staatsangehörigkeit verliert und ein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG der Mutter des Kindes entfällt, nicht mehr in Betracht kommt. Von der - wirksamen - deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes der Klägerin ist daher auszugehen. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG steht indes der Ausschlusstatbestand des § 27 Abs. 1a Nr. 1, 2. Alternative AufenthG entgegen. Hiernach wird ein Familiennachzug nicht zugelassen, wenn feststeht, dass das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen.
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Dies war vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (BGBl. I S. 313) am 1. Juni 2008 vergleichsweise unstrittig (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. März 2008 - 7 A 11276/07 -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 22. April 2009 - 11 A 389/08 -, juris; VG Köln, Urteil vom 28. Februar 2011 - 5 K 8736/09 -; vgl. auch Zeitler, HTK- AuslR / § 27 AufenthG/ Scheinehe 06/2011 Nr. 3.2; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: Februar 2008, A 1 § 27 Rn. 54; Kloesel/Christ/Häußer, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Januar 2009, § 27 AufenthG, Rn. 50; Katharina Breitkreuz, Boris Franßen-de la Cerda/Dr. Christoph Hübner, Berlin, Das Richtlinienumsetzungsgesetz und die Fortentwicklung des deutschen Aufenthaltsrechts - Fortsetzung -, ZAR 2007, 381; BMI, Hinweise zu den wesentlichen Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 , Stand: 18. Dezember 2007, Rn. 183; BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 , 27.1a.1.3 zu § 27 AufenthG). Denn auch durch eine wirksame Anerkennung der Vaterschaft wird ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Vater und dem Kind begründet und dieses Verwandtschaftsverhältnis kann ausschließlich zu dem Zweck begründet werden, dem Nachziehenden - so beispielsweise im Fall des Nachzugs einer unverheirateten ausländischen Mutter ohne gesicherten Aufenthalt zu ihrem Kind, das aufgrund der Vaterschaftsanerkennung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat - den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen (wie im vorliegenden Fall). Der Wortlaut der Vorschrift mit seiner zweiten Alternative lässt eine Erstreckung des Ausschlusstatbestandes auf missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen - sogenannte „Scheinvaterschaften“ - somit ohne weiteres zu.
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Zwar hat das OVG Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 23.08.2012 - 18 A 537/11 -, Urt. v. 23.08.2012 - 18 A 537/11 -, ) später die Auffassung vertreten, § 27 Abs. 1a Nr. 1, 2. Alt. AufenthG sei auf Fälle der vorliegenden Art nicht (mehr) anwendbar, da nach dem Willen des Gesetzgebers das Problem der Vaterschaftsanerkennung zum Zwecke der Erlangung eines Aufenthaltstitels bzw. der deutschen Staatsangehörigkeit allein durch Gewährung eines entsprechenden Vaterschaftsanfechtungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch zu lösen sei.
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Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 (a.a.O.) steht nun aber fest, dass diese familienrechtliche „Lösung des Problems der Vaterschaftsanerkennung zum Zwecke der Erlangung eines Aufenthaltstitels“ nicht möglich war. Das führt zu der Erkenntnis, die Lösung dieses Problems (wieder) in dem Regelungszusammenhang zu suchen, aus dem die Rechtsfrage stammt, mithin in § 27 Abs. 1a Nr. 1, 2. Alt. AufenthG. Ein Familiennachzug scheidet vorliegend danach aus, da nach dem zugrunde gelegten Sachverhalt (vgl. oben), der im Rahmen eines Beschlusses nach § 161 Abs. 2 VwGO nicht weiter aufgeklärt werden muss, hier angenommen werden kann, dass im Rechtssinne feststeht, dass das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Kind der Klägerin und dem dieses Kind anerkennenden Vater ausschließlich zu dem Zweck begründet wurde, der nachziehenden Mutter, also der Klägerin, den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen.
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Im Rahmen der Entscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO muss daher angenommen werden, dass die Klägerin mit ihrem Hauptantrag unterlegen wäre.
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bb) Aber selbst wenn § 27 Abs. 1a Nr. 1, 2. Alt. AufenthG hier nicht anwendbar wäre, müsste die Kostenentscheidung wie geschehen getroffen werden. Der Berichterstatter schließt sich auf Grund des hier anzunehmenden Sachverhalts (vgl. oben) der (älteren) Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg an (Beschl. v. 03.03.2005 - 13 S 3035/04 -, ), wonach sich aus einer Vaterschaftsanerkennung, die in kollusivem Zusammenwirken mit der Kindsmutter erfolgt ist, um der Mutter und dem Kind den Aufenthalt in der Bundesrepublik zu ermöglichen, wegen des Vorliegens eines sog. „Rechtsmissbrauchs“ keine ausländerrechtlichen Ansprüche ableiten lassen (a.A. OVG NRW, Beschl. v. 23.08.2012 a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse v. 25.08.2006 - 2 M 228/06 - u. v. 1.10.2004 - 2 M 441/04 -, ; Hess. VGH, Beschl. v. 5.07.2005 - 9 UZ 364/05 -, ; OVG Hamburg, Beschl. v. 24.10.2008 - 5 Bs 196/08 -, ).
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c) Zuletzt wäre aber selbst dann vorliegend über die Kosten nicht anders zu entscheiden gewesen, wenn die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG an die Klägerin letztlich zu Recht erfolgt wäre, also angenommen werden müsste, ihr Hauptantrag im vorliegenden Verfahren hätte gute Erfolgsaussichten besessen. Aus § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO ergibt sich nämlich, dass der Sach- und Streitstand, also die Prozesslage im Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits, nicht das allein ausschlaggebende Kriterium für eine Kostenverteilung nach § 161 Abs. 2 VwGO ist. Dieser Gesichtspunkt ist lediglich „zu berücksichtigen“. Im Rahmen einer Entscheidung „nach billigem Ermessen“ können und müssen aber auch andere Erwägungen herangezogen werden.
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Die Klägerin, die sich langjährig illegal in Deutschland aufgehalten hat und hier unerlaubt der Prostitution nachgegangen ist, hat sich - möglicherweise - eine Gesetzeslücke zu Nutze gemacht, um einen Aufenthaltstitel für sich zu erzwingen. Selbst wenn dieses Vorgehen als erfolgreich angesehen werden müsste, wäre es als grob unbillig i.S.v. § 161 Abs. 2 VwGO anzusehen, wenn die Behörden - hier die Beklagte - nach dieser „Trickserei“ mit Kosten belastet würden.
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Die alleinige Kostentragungspflicht der Klägerin war nach allem unvermeidlich.
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3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 51 Abs. 2 GKG.

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