Urteil vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 9 K 895/15

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 29.07.2014 und der Widerspruchsbescheid vom 28.01.2015 werden aufgehoben, soweit Rücknahme und Rückforderung den Kassenanteil von 701,17 EUR betreffen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Tatbestand

 
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Kassenleistungen.
Die Klägerin ist Erbin ihres am 27.05.2011 52-jährig verstorbenen Ehemannes W. M., welcher B1-Mitglied bei der Beklagten mit einer Tarifklasse in Höhe von 30 v. H. war.
Mit Leistungsantrag vom 11.08.2010 reichte der Ehemann der Klägerin bei der Beklagten drei Rechnungen mit einem Gesamtbetrag von 2366,39 EUR (statt der im Antrag angegebenen 2365,89 EUR) ein: Die Rechnung des Universitätsklinikums U., Abteilung klinische Chemie, wegen stationärer Behandlung vom 01.05.2010 bis 31.05.2010 in Höhe von 988,96 EUR, die Rechnung des Arztes Prof. Dr. M. vom 09.08.2010 wegen Laboruntersuchungen im Zeitraum vom 03.05.2010 bis 31.05.2010 in Höhe von 1009,93 EUR sowie die Rechnung des Universitätsklinikums U., Abteilung Mikrobiologie und Hygiene, wegen stationärer Behandlung vom 03.05.2010 bis 23.05.2010 in Höhe von 367,50 EUR.
Mit an den Ehemann der Klägerin gerichteter Leistungsabrechnung vom 30.08.2010 (Vorgangsnummer 14…59) erstattete die Beklagte insgesamt einen Zahlbetrag von 2337,24 EUR, nämlich 1636,07 EUR als Beihilfeleistung sowie 701,17 EUR als Kassenleistung der Beklagten, und überwies den Betrag auf das Konto von W. M. Hinsichtlich der Laborrechnung wurde ein Betrag in Höhe von 29,15 EUR nicht als erstattungsfähig anerkannt.
Mit Fax vom 04.09.2010 legte der Ehemann der Klägerin Widerspruch gegen die Abrechnung vom 30.08.2010 ein und fügte eine Erläuterung des Rechnungsausstellers der Laborrechnung bei.
Mit an den Ehemann der Klägerin gerichteter und bis auf Datum und Vorgangsnummer mit der Leistungsabrechnung vom 30.08.2010 inhaltsgleicher Leistungsabrechnung vom 08.09.2010 (Vorgangsnummer 14…42) erstattete die Beklagte erneut einen Gesamtzahlbetrag von 2337,24 EUR, den sie ebenfalls auf das Konto von W. M. überwies.
Mit an W.M. gerichteter Leistungsabrechnung vom 28.09.2010 half die Beklagte dem Widerspruch vom 04.09.2010 ab, hob die Leistungsabrechnung mit der Vorgangsnummer 14…42 auf und erstattete nunmehr die drei mit Leistungsantrag vom 11.08.2010 eingereichten Rechnungen vollständig. Ein Zahlbetrag in Höhe von 29,15 EUR, nämlich 20,40 EUR als Nacherstattung von Beihilfeleistungen und 8,75 EUR als Nacherstattung von Kassenleistungen, wurde auf das Konto von W. M. überwiesen.
Im Rahmen einer Überprüfung stellte die Beklagte am 29.07.2014 fest, dass dem verstorbenen Mitglied aufgrund eines Buchungsfehlers Leistungen in Höhe von 2337,24 EUR doppelt gewährt worden waren.
Mit formlosem Schreiben vom 29.07.2014, gerichtet an die Klägerin als Erbin ihres verstorbenen Ehemannes, wies die Beklagte auf die Überzahlung von 2337,24 EUR hin, nahm die Leistungsabrechnungen vom 08.09.2010 und vom 28.09.2010 „insoweit“ zurück und forderte den überzahlten Betrag an Beihilfe und Kassenleistungen, insgesamt 2337,24 EUR zurück.
10 
Mit Schreiben vom 20.08.2014, bei der Beklagten eingegangen am 22.08.2014, teilte die Klägerin mit, aufgrund der seinerzeitigen Erkrankung ihres Ehemannes sei es zu einer Vielzahl von Leistungsanträgen gekommen. Immer wieder habe es nur Teilerstattungen gegeben und auch auf entsprechende Widersprüche ihres Ehemannes sei es nicht immer zu vollständigen Nacherstattungen gekommen. Aus diesem Grund sei die Doppelzahlung ihrem Ehemann und auch ihr in der Folgezeit nicht aufgefallen. Die Klägerin erhob die Einrede der Verjährung und erklärte vorsorglich die Aufrechnung mit den von ihrem Ehemann beantragten, aber von der Beklagten nicht erstatteten Beträgen, ohne diese näher zu beziffern.
11 
Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch. Mit Schreiben vom 03.11.2014 stellte sie die Sach- und Rechtslage aus ihrer Sicht ausführlich dar. Am Ende des Schreibens gab die Beklagte der Klägerin Gelegenheit zur Rücknahme ihres Widerspruchs. Eine Reaktion der Klägerin erfolgte nicht.
12 
Mit an W. M., vertreten durch die Klägerin als Erbin, gerichtetem Widerspruchsbescheid vom 28.01.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In der anschließenden Begründung wurde die Klägerin durchgängig als Widerspruchsführerin bzw. „Wfn“ bezeichnet. Dort wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Rücknahme des Bescheids vom 08.09.2010 in der Fassung vom 28.09.2010 sei rechtmäßig, weil die Leistungen aufgrund der bereits zuvor erfolgten Erstattung zu Unrecht bewilligt worden seien. Der Rücknahme stehe § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG nicht entgegen. Es bestehe vorliegend nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG kein Vertrauensschutz, weil die Rechtswidrigkeit der zweiten Leistungsbewilligung für den Ehemann der Klägerin erkennbar gewesen sei. Bei ordnungsgemäßer Geschäftsführung hätte dieser erkennen müssen, dass eine Doppelzahlung vorgelegen habe. Der Ehemann der Klägerin habe auch über ausreichende Kenntnisse zur Bewertung von Leistungsabrechnungen verfügt, wie sich aus seinem zeitnahen Widerspruch gegen die erste Leistungsabrechnung unter Vorlage von Erläuterungen des Rechnungsausstellers ergebe. Die Klägerin müsse sich das Verhalten ihres Ehemannes als dessen Erbin zurechnen lassen. Die Rücknahme auch für die Vergangenheit sei nicht zu beanstanden, weil das Interesse der Beklagten und der Versichertengemeinschaft an der Erbringung satzungsgemäßer Leistungen das Interesse des Mitglieds bzw. seiner Erben am Behaltendürfen der rechtswidrigen Leistung überwiege. Dabei habe die Beklagte auch berücksichtigt, dass die Erstattung auf einem Buchungsfehler ihrerseits beruhe. Der aus § 30 Abs. 4 S. 1 ihrer Satzung folgende Rückforderungsanspruch sei zudem nicht verjährt. Nach § 79 Abs. 4 der Satzung beginne die dreijährige Verjährungsfrist erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden sei und die Beklagte von den den Anspruch begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt habe. Der Rückforderungsanspruch sei mit der Rücknahme der insoweit rechtswidrigen Leistungsabrechnung am 29.07.2014 entstanden und die Beklagte habe auch erst an diesem Tag positive Kenntnis von der doppelten Erstattung erlangt. Einen Verjährungsbeginn infolge grob fahrlässiger Unkenntnis sehe die Satzung nicht vor.
13 
Hiergegen hat die Klägerin am 23.02.2015 Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Die Klägerin wiederholt und vertieft zur Begründung ihrer Klage ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt sie vor, ihr Ehemann habe zwischen 2005 und 2011 insgesamt 141 Anträge bei der Beklagten eingereicht, die die Beklagte in 184 Leistungsabrechnungen abgerechnet und verbeschieden habe, und legt hierzu eine 13-seitige Aufstellung (Bl. 5-31 der Gerichtsakte) sowie die zugehörigen Anträge, Leistungsabrechnungen sowie Widersprüche vor, aus welcher sich nicht erstattete Leistungen in Höhe von 6239,59 EUR ergeben. Die Klägerin erklärt hilfsweise die Aufrechnung mit diesem Betrag.
14 
Die Klägerin beantragt,
15 
den Bescheid der Beklagten vom 29.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2015 aufzuheben, soweit Rücknahme und Rückforderung den Kassenanteil von 701,17 EUR betreffen.
16 
Die Beklagte beantragt,
17 
die Klage abzuweisen.
18 
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen in der angefochtenen Widerspruchsentscheidung. Ergänzend trägt sie vor, die erklärte Aufrechnung mit „offenen Fehlbeträgen“ gehe ins Leere, da die diesbezüglich ergangenen Leistungsabrechnungen bestandskräftig seien.
19 
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die zur Sache gehörenden Behördenakten der Beklagten, die dem Gericht vorliegen, verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die zulässige Klage ist begründet.
21 
Sie richtet sich gegen die Postbeamtenkrankenkasse, die hinsichtlich der streitgegenständlichen Regelungen (Rücknahme und Erstattung) nur insoweit passiv legitimiert ist, als diese den Kassenanteil in Höhe von 701,17 EUR betreffen. Bei entsprechender sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) des Klageschriftsatzes vom 23.02.2015 ist davon auszugehen, dass die Klägerin den streitgegenständlichen Bescheid bereits bei Klageerhebung auch nur in diesem Umfang angegriffen und somit nicht in der mündlichen Verhandlung die Klage teilweise zurückgenommen hat. Dem Klageschriftsatz war auch der Widerspruchsbescheid vom 28.01.2015 beigefügt, aus dem sich ergibt, dass die Beklagte eine Regelung betreffend Rücknahme und Erstattung nur hinsichtlich des Kassenanteils (im eigenen Namen) treffen wollte. Soweit die Beklagte darüber hinaus mit dem angefochtenen Ausgangsbescheid Beihilfeleistungen zurückgenommen und Erstattung gefordert hat, geschah dies als „actus contrarius“ zu ihrer nach § 1 Abs. 1 S. 2 ihrer Satzung (in der Fassung der 88. Änderung, Stand 01.01.2015) bestehenden Verpflichtung, in Auftragsverwaltung für ihre Mitglieder Beihilfe nach der Bundesbeihilfeverordnung zu berechnen und zu bezahlen. Die Regelungen wurden daher insoweit im Namen des früheren Dienstherrn des verstorbenen Mitglieds Walter Meßmer getroffen.
22 
Der Bescheid der Beklagten vom 29.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
23 
Die Teilrücknahme der Leistungsabrechnungen vom 08.09.2010 und vom 28.09.2010 ist bereits formell wegen fehlender Anhörung rechtswidrig, was auch zur Rechtswidrigkeit der Rückforderung der gewährten Zahlungen führt.
24 
Die auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 3, S. 4 VwVfG gestützte Rücknahme ist formell rechtswidrig, da die Klägerin nicht nach § 28 Abs. 1 VwVfG angehört worden ist, ein Ausnahmefall nach § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG nicht vorliegt, die Anhörung nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG nachgeholt worden ist und die Voraussetzungen für eine Unschädlichkeit des Verfahrensfehlers gemäß § 46 VwVfG nicht gegeben sind.
25 
Nach § 28 Abs. 1 VwVfG ist einem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte eingreift. Eine entsprechende Anhörung der Klägerin vor Erlass des Bescheids vom 29.07.2014 hat nicht stattgefunden. Es ist auch nicht ersichtlich und wurde von der Beklagten auch nicht vorgetragen, dass die Verpflichtung zur Anhörung nach § 28 Abs. 2 VwVfG entfallen sein könnte oder aus den zwingenden Gründen des § 28 Abs. 3 VwVfG zu unterbleiben hatte.
26 
Die Verletzung der Anhörungspflicht ist auch nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG unbeachtlich.
27 
Nach dieser Vorschrift ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; nach Abs. 2 der Vorschrift können derartige Handlungen bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Eine Heilung in diesem Sinne tritt allerdings nur ein, wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird (BVerwG, Urteil vom 24.06.2010 - 3 C 14/09 -, BVerwGE 137, 199). Das setzt voraus, dass der Beteiligte – nachträglich – eine vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme erhält und die Behörde die vorgebrachten Argumente zum Anlass nimmt, die ohne vorherige Anhörung getroffene Entscheidung kritisch zu überdenken (Hess. VGH, Beschluss vom 23.09.2011 - 6 B 1701/11 -, juris).
28 
Nach Maßgabe dieser Grundsätze wurde die unterbliebene Anhörung der Klägerin weder durch die Einlegung des Widerspruchs mit Schreiben vom 20.08.2014 noch durch das Schreiben der Beklagten vom 03.11.2014 nachgeholt.
29 
Gegen das Schreiben der Beklagten vom 29.07.2014 wandte sich die Klägerin zwar mit Schreiben vom 20.08.2014. Dies allein führt jedoch nicht zur Heilung des Anhörungsmangels. Denn das Schreiben vom 29.07.2014 enthielt nicht alle für die Entscheidung erheblichen Tatsachen (vgl. § 28 Abs. 1 VwVfG). Zum einen werden die Tatsachen, die nach Ansicht der Beklagten den Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Leistungsabrechnungen betreffen, nicht genannt. Zum anderen fehlt es an jeglichen Ermessenserwägungen, die Grundlage für die Ermessensausübung gewesen sind. Insoweit enthält das Schreiben vom 29.07.2014 neben dem Hinweis auf die Überzahlung und der Benennung der betroffenen Leistungsabrechnungen lediglich den Satz, „die… Leistungsabrechnungen werden daher nach Ausübung des Ermessens insoweit zurückgenommen“, woraus jedoch nicht zu ersehen ist, ob und welche Gesichtspunkte die Beklagte im Rahmen der gebotenen Abwägung berücksichtigt hat.
30 
Auch mit dem Schreiben vom 03.11.2014 hat die Beklagte nach Auffassung des Gerichts die Anhörung nicht ordnungsgemäß nachgeholt, obwohl das Schreiben eine ausführliche Darstellung der Sach- und Rechtslage, insbesondere auch erstmals Ermessenserwägungen enthielt. Aus dem Schreiben ging nämlich nicht hervor, dass der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde.
31 
Grundsätzlich ist es nicht erforderlich, dass der Verfahrensbeteiligte ausdrücklich auf die Möglichkeit zur Äußerung hingewiesen wird. Die Gelegenheit zur Stellungnahme kann sich auch aus den Gesamtumständen ergeben (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 31.03.2010 - 4 LC 281/08 -, NJW 2010, 2601, 2602). Dies gilt im Regelfall auch bei der Nachholung der Anhörung (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.08.1982 - 1 C 22/81 -, BVerwGE 66, 111 ff.), es sei denn, die Behörde hat bei ihrem Ausgangsbescheid eine entscheidungserhebliche Tatsache übersehen und der Beteiligte hat sich dazu auch nicht von sich aus geäußert (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.10.1982 - 3 C 46/81 -, BVerwGE 66, 184 ff.; Urteil vom 17.8.1982 - 1 C 22/81 -, a.a.O.).
32 
Vorliegend kann offen bleiben, ob sogar ein ausdrücklicher Hinweis auf die Gelegenheit zur Stellungnahme angezeigt gewesen wäre. Jedenfalls ergibt sich auch aus den Gesamtumständen des Schreibens vom 03.11.2014 nicht hinreichend deutlich, dass der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden sollte. Vielmehr erweckt das gesamte Schreiben den Eindruck, dass eine Entscheidung bereits gefällt wurde und nichts, was die Klägerin noch vorbringen könnte, etwas daran ändern könnte. So werden nach einer kurzen Darstellung des Sachverhalts die rechtlichen Ausführungen damit eingeleitet, dass die Beklagte anlässlich des Widerspruchs die Sach- und Rechtslage erneut geprüft habe und die Klägerin über das Ergebnis informieren möchte. Das Schreiben schließt mit folgenden Formulierungen: „Wir hoffen, dass wir Ihnen mit diesen Ausführungen unsere Entscheidung für Sie nachvollziehbar erläutern konnten. Da Ihrem Widerspruch aus den dargestellten Gründen nicht abgeholfen werden kann, müsste aus rechtlichen Gründen ein Widerspruchsbescheid ergehen. Mit diesem Bescheid würde ihr Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen werden. Gegen diesen Bescheid könnten Sie dann Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Dieses Verfahren könnten Sie vermeiden, wenn Sie an Ihrem Widerspruch nicht festhalten. Aus formellen Gründen ist hierfür eine von Ihnen unterzeichnete Rücknahmeerklärung notwendig. Wir haben eine solche Rücknahmeerklärung für Sie vorbereitet und bitten Sie, uns diese möglichst innerhalb der nächsten 14 Tage zurückzusenden. Einen frankierten Rückumschlag haben wir beigefügt. Gerne vereinbaren wir mit Ihnen einen verbindlichen Ratenplan. Senden Sie uns hierfür bitte zusammen mit der unterschriebenen Rücknahmeerklärung, den ausgefüllten Fragebogen zu.“ Auch wenn aus dem Schreiben hervorgeht, dass der Widerspruchsbescheid nicht sofort, sondern frühestens 14 Tage nach Zugang des Schreibens ergehen wird, konnte die Klägerin unter diesen Umständen nicht davon ausgehen, dass sie noch „gehört“ wird. Zu einer den Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 VwVfG genügenden Anhörung gehört nicht nur die Möglichkeit zur Äußerung, sondern auch – und dies muss bei der Anhörung hinreichend deutlich werden – dass die Behörde entscheidungserheblichen Vortrag auch zur Kenntnis nimmt und ihn in ihre Entscheidung mit einbezieht. Mit ihrem Schreiben hat die Beklagte der Klägerin dagegen ausschließlich Gelegenheit zur Rücknahme des Widerspruchs gegeben. Die skizzierten Alternativen – Rücknahme des Widerspruchs oder Ergehen eines Widerspruchsbescheids (ggf. noch mit der Möglichkeit zur Ratenzahlung) – schreckten geradezu von einer weiteren Stellungnahme ab. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass in dem Schreiben vom 03.11.2014 nicht erwähnt wird, dass die Entscheidung über den Widerspruch von einem Widerspruchsausschuss getroffen wird und somit andere Personen als der Verfasser des Schreibens die Letztentscheidungsbefugnis haben.
33 
Eine Nachholung der Anhörung während des Klageverfahrens hat ebenfalls nicht stattgefunden. Die Heilung von Verfahrens- und Formfehlern nach § 45 Abs. 1 VwVfG kann gemäß Abs. 2 der Vorschrift bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Ob im Hinblick auf den Wortlaut von § 45 Abs. 2 VwVfG – „bis zum Abschluss“ – Äußerungen und Stellungnahmen der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren überhaupt geeignet sind, die Heilung eines Anhörungsmangels im Sinne von § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG zu bewirken (verneinend: BVerwG, Urteil vom 24.06.2010 - 3 C 14/09 -, BVerwGE 137, 199 ff.; BSG, Urteil vom 20.12.2012 - B 10 LW 2/11 R -, juris; bejahend: OVG NRW, Beschluss vom 14.06.2010 - 10 B 270/01 -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 31.01.2002 - 1 MA 4216/01 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 20.05.1988 - 4 TH 3616/87 -, juris), muss in diesem Verfahren nicht abschließend entschieden werden. Jedenfalls hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung nicht zu erkennen gegeben, dass sie unter Berücksichtigung des vertiefenden Vortrags der Klägerin zum Gesundheitszustand ihres verstorbenen Ehemannes im streitgegenständlichen Zeitraum und nach nochmaliger Überprüfung weiter an ihrer Entscheidung festhält. Dies wäre aber bei einer Nachholung im Klageverfahren mindestens zu fordern (so auch: OVG NRW, Beschluss vom 14.06.2010 - 10 B 270/01 -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 31.01.2002 - 1 MA 4216/01 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 20.05.1988 - 4 TH 3616/87 -, juris). Die bloße Verteidigung der angegriffenen Entscheidungen und die Stellung des klageabweisenden Antrags genügen dem nicht. Denn die Situation der Rechtfertigung ist eine vollkommen andere als die Situation des „kritischen Überdenkens“.
34 
Schließlich ist der Anhörungsmangel auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Erforderlich ist, dass die Entscheidung auch bei Einhaltung der Verfahrensvorschrift offenkundig aus zwingenden rechtlichen Gründen nicht anders hätte ausfallen dürfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.1985 - 8 C 25/84 -, BVerwGE 71, 63 ff.). Dies ist in der Regel anzunehmen bei strikt gebundenen Entscheidungen; bei Ermessensentscheidungen ist dagegen im Regelfall die Möglichkeit einer anderen Sachentscheidung nicht auszuschließen, außer das Ermessen ist im konkreten Einzelfall auf Null reduziert. Nach diesem Maßstab ist es vorliegend nicht ausgeschlossen, dass die Beklagte bei ordnungsgemäßer Anhörung der Klägerin zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können. Selbst wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG vorliegen sollten und der Ehemann der Klägerin die Rechtswidrigkeit der zweiten Leistungsgewährung durch die Leistungsabrechnung vom 08.09.2010 in der Fassung vom 28.09.2010 tatsächlich grob fahrlässig nicht erkannt haben sollte, liegt kein Fall der Ermessensreduzierung vor. Zwar bestimmt § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG, dass der Verwaltungsakt in den Fällen des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, woraus für den Regelfall eine Rücknahmepflicht folgt. Um einen Regelfall handelt es sich jedoch im vorliegenden Fall nicht. Ein vergleichbarer Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG typischerweise verbunden ist, ist nicht gegeben. Hier richtet sich die Rücknahme gegen die Erbin des verstorbenen Mitglieds, dem grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen wird. Der Klägerin selbst kann aber grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der zweiten Leistungsgewährung nicht vorgeworfen werden. Sie hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und von der Beklagten nicht widersprochen vorgetragen, dass ihr Ehemann bis zuletzt allein mit den Leistungsabrechnungen gegenüber der Beklagten befasst gewesen war und sie sich damit nie beschäftigt hat. Auch das Bankkonto, auf das die Beträge der Beklagten gebucht worden sind, hat nur er geführt.
35 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
36 
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.

Gründe

 
20 
Die zulässige Klage ist begründet.
21 
Sie richtet sich gegen die Postbeamtenkrankenkasse, die hinsichtlich der streitgegenständlichen Regelungen (Rücknahme und Erstattung) nur insoweit passiv legitimiert ist, als diese den Kassenanteil in Höhe von 701,17 EUR betreffen. Bei entsprechender sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) des Klageschriftsatzes vom 23.02.2015 ist davon auszugehen, dass die Klägerin den streitgegenständlichen Bescheid bereits bei Klageerhebung auch nur in diesem Umfang angegriffen und somit nicht in der mündlichen Verhandlung die Klage teilweise zurückgenommen hat. Dem Klageschriftsatz war auch der Widerspruchsbescheid vom 28.01.2015 beigefügt, aus dem sich ergibt, dass die Beklagte eine Regelung betreffend Rücknahme und Erstattung nur hinsichtlich des Kassenanteils (im eigenen Namen) treffen wollte. Soweit die Beklagte darüber hinaus mit dem angefochtenen Ausgangsbescheid Beihilfeleistungen zurückgenommen und Erstattung gefordert hat, geschah dies als „actus contrarius“ zu ihrer nach § 1 Abs. 1 S. 2 ihrer Satzung (in der Fassung der 88. Änderung, Stand 01.01.2015) bestehenden Verpflichtung, in Auftragsverwaltung für ihre Mitglieder Beihilfe nach der Bundesbeihilfeverordnung zu berechnen und zu bezahlen. Die Regelungen wurden daher insoweit im Namen des früheren Dienstherrn des verstorbenen Mitglieds Walter Meßmer getroffen.
22 
Der Bescheid der Beklagten vom 29.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
23 
Die Teilrücknahme der Leistungsabrechnungen vom 08.09.2010 und vom 28.09.2010 ist bereits formell wegen fehlender Anhörung rechtswidrig, was auch zur Rechtswidrigkeit der Rückforderung der gewährten Zahlungen führt.
24 
Die auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 3, S. 4 VwVfG gestützte Rücknahme ist formell rechtswidrig, da die Klägerin nicht nach § 28 Abs. 1 VwVfG angehört worden ist, ein Ausnahmefall nach § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG nicht vorliegt, die Anhörung nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG nachgeholt worden ist und die Voraussetzungen für eine Unschädlichkeit des Verfahrensfehlers gemäß § 46 VwVfG nicht gegeben sind.
25 
Nach § 28 Abs. 1 VwVfG ist einem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte eingreift. Eine entsprechende Anhörung der Klägerin vor Erlass des Bescheids vom 29.07.2014 hat nicht stattgefunden. Es ist auch nicht ersichtlich und wurde von der Beklagten auch nicht vorgetragen, dass die Verpflichtung zur Anhörung nach § 28 Abs. 2 VwVfG entfallen sein könnte oder aus den zwingenden Gründen des § 28 Abs. 3 VwVfG zu unterbleiben hatte.
26 
Die Verletzung der Anhörungspflicht ist auch nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG unbeachtlich.
27 
Nach dieser Vorschrift ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; nach Abs. 2 der Vorschrift können derartige Handlungen bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Eine Heilung in diesem Sinne tritt allerdings nur ein, wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird (BVerwG, Urteil vom 24.06.2010 - 3 C 14/09 -, BVerwGE 137, 199). Das setzt voraus, dass der Beteiligte – nachträglich – eine vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme erhält und die Behörde die vorgebrachten Argumente zum Anlass nimmt, die ohne vorherige Anhörung getroffene Entscheidung kritisch zu überdenken (Hess. VGH, Beschluss vom 23.09.2011 - 6 B 1701/11 -, juris).
28 
Nach Maßgabe dieser Grundsätze wurde die unterbliebene Anhörung der Klägerin weder durch die Einlegung des Widerspruchs mit Schreiben vom 20.08.2014 noch durch das Schreiben der Beklagten vom 03.11.2014 nachgeholt.
29 
Gegen das Schreiben der Beklagten vom 29.07.2014 wandte sich die Klägerin zwar mit Schreiben vom 20.08.2014. Dies allein führt jedoch nicht zur Heilung des Anhörungsmangels. Denn das Schreiben vom 29.07.2014 enthielt nicht alle für die Entscheidung erheblichen Tatsachen (vgl. § 28 Abs. 1 VwVfG). Zum einen werden die Tatsachen, die nach Ansicht der Beklagten den Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Leistungsabrechnungen betreffen, nicht genannt. Zum anderen fehlt es an jeglichen Ermessenserwägungen, die Grundlage für die Ermessensausübung gewesen sind. Insoweit enthält das Schreiben vom 29.07.2014 neben dem Hinweis auf die Überzahlung und der Benennung der betroffenen Leistungsabrechnungen lediglich den Satz, „die… Leistungsabrechnungen werden daher nach Ausübung des Ermessens insoweit zurückgenommen“, woraus jedoch nicht zu ersehen ist, ob und welche Gesichtspunkte die Beklagte im Rahmen der gebotenen Abwägung berücksichtigt hat.
30 
Auch mit dem Schreiben vom 03.11.2014 hat die Beklagte nach Auffassung des Gerichts die Anhörung nicht ordnungsgemäß nachgeholt, obwohl das Schreiben eine ausführliche Darstellung der Sach- und Rechtslage, insbesondere auch erstmals Ermessenserwägungen enthielt. Aus dem Schreiben ging nämlich nicht hervor, dass der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde.
31 
Grundsätzlich ist es nicht erforderlich, dass der Verfahrensbeteiligte ausdrücklich auf die Möglichkeit zur Äußerung hingewiesen wird. Die Gelegenheit zur Stellungnahme kann sich auch aus den Gesamtumständen ergeben (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 31.03.2010 - 4 LC 281/08 -, NJW 2010, 2601, 2602). Dies gilt im Regelfall auch bei der Nachholung der Anhörung (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.08.1982 - 1 C 22/81 -, BVerwGE 66, 111 ff.), es sei denn, die Behörde hat bei ihrem Ausgangsbescheid eine entscheidungserhebliche Tatsache übersehen und der Beteiligte hat sich dazu auch nicht von sich aus geäußert (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.10.1982 - 3 C 46/81 -, BVerwGE 66, 184 ff.; Urteil vom 17.8.1982 - 1 C 22/81 -, a.a.O.).
32 
Vorliegend kann offen bleiben, ob sogar ein ausdrücklicher Hinweis auf die Gelegenheit zur Stellungnahme angezeigt gewesen wäre. Jedenfalls ergibt sich auch aus den Gesamtumständen des Schreibens vom 03.11.2014 nicht hinreichend deutlich, dass der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden sollte. Vielmehr erweckt das gesamte Schreiben den Eindruck, dass eine Entscheidung bereits gefällt wurde und nichts, was die Klägerin noch vorbringen könnte, etwas daran ändern könnte. So werden nach einer kurzen Darstellung des Sachverhalts die rechtlichen Ausführungen damit eingeleitet, dass die Beklagte anlässlich des Widerspruchs die Sach- und Rechtslage erneut geprüft habe und die Klägerin über das Ergebnis informieren möchte. Das Schreiben schließt mit folgenden Formulierungen: „Wir hoffen, dass wir Ihnen mit diesen Ausführungen unsere Entscheidung für Sie nachvollziehbar erläutern konnten. Da Ihrem Widerspruch aus den dargestellten Gründen nicht abgeholfen werden kann, müsste aus rechtlichen Gründen ein Widerspruchsbescheid ergehen. Mit diesem Bescheid würde ihr Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen werden. Gegen diesen Bescheid könnten Sie dann Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Dieses Verfahren könnten Sie vermeiden, wenn Sie an Ihrem Widerspruch nicht festhalten. Aus formellen Gründen ist hierfür eine von Ihnen unterzeichnete Rücknahmeerklärung notwendig. Wir haben eine solche Rücknahmeerklärung für Sie vorbereitet und bitten Sie, uns diese möglichst innerhalb der nächsten 14 Tage zurückzusenden. Einen frankierten Rückumschlag haben wir beigefügt. Gerne vereinbaren wir mit Ihnen einen verbindlichen Ratenplan. Senden Sie uns hierfür bitte zusammen mit der unterschriebenen Rücknahmeerklärung, den ausgefüllten Fragebogen zu.“ Auch wenn aus dem Schreiben hervorgeht, dass der Widerspruchsbescheid nicht sofort, sondern frühestens 14 Tage nach Zugang des Schreibens ergehen wird, konnte die Klägerin unter diesen Umständen nicht davon ausgehen, dass sie noch „gehört“ wird. Zu einer den Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 VwVfG genügenden Anhörung gehört nicht nur die Möglichkeit zur Äußerung, sondern auch – und dies muss bei der Anhörung hinreichend deutlich werden – dass die Behörde entscheidungserheblichen Vortrag auch zur Kenntnis nimmt und ihn in ihre Entscheidung mit einbezieht. Mit ihrem Schreiben hat die Beklagte der Klägerin dagegen ausschließlich Gelegenheit zur Rücknahme des Widerspruchs gegeben. Die skizzierten Alternativen – Rücknahme des Widerspruchs oder Ergehen eines Widerspruchsbescheids (ggf. noch mit der Möglichkeit zur Ratenzahlung) – schreckten geradezu von einer weiteren Stellungnahme ab. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass in dem Schreiben vom 03.11.2014 nicht erwähnt wird, dass die Entscheidung über den Widerspruch von einem Widerspruchsausschuss getroffen wird und somit andere Personen als der Verfasser des Schreibens die Letztentscheidungsbefugnis haben.
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Eine Nachholung der Anhörung während des Klageverfahrens hat ebenfalls nicht stattgefunden. Die Heilung von Verfahrens- und Formfehlern nach § 45 Abs. 1 VwVfG kann gemäß Abs. 2 der Vorschrift bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Ob im Hinblick auf den Wortlaut von § 45 Abs. 2 VwVfG – „bis zum Abschluss“ – Äußerungen und Stellungnahmen der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren überhaupt geeignet sind, die Heilung eines Anhörungsmangels im Sinne von § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG zu bewirken (verneinend: BVerwG, Urteil vom 24.06.2010 - 3 C 14/09 -, BVerwGE 137, 199 ff.; BSG, Urteil vom 20.12.2012 - B 10 LW 2/11 R -, juris; bejahend: OVG NRW, Beschluss vom 14.06.2010 - 10 B 270/01 -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 31.01.2002 - 1 MA 4216/01 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 20.05.1988 - 4 TH 3616/87 -, juris), muss in diesem Verfahren nicht abschließend entschieden werden. Jedenfalls hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung nicht zu erkennen gegeben, dass sie unter Berücksichtigung des vertiefenden Vortrags der Klägerin zum Gesundheitszustand ihres verstorbenen Ehemannes im streitgegenständlichen Zeitraum und nach nochmaliger Überprüfung weiter an ihrer Entscheidung festhält. Dies wäre aber bei einer Nachholung im Klageverfahren mindestens zu fordern (so auch: OVG NRW, Beschluss vom 14.06.2010 - 10 B 270/01 -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 31.01.2002 - 1 MA 4216/01 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 20.05.1988 - 4 TH 3616/87 -, juris). Die bloße Verteidigung der angegriffenen Entscheidungen und die Stellung des klageabweisenden Antrags genügen dem nicht. Denn die Situation der Rechtfertigung ist eine vollkommen andere als die Situation des „kritischen Überdenkens“.
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Schließlich ist der Anhörungsmangel auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Erforderlich ist, dass die Entscheidung auch bei Einhaltung der Verfahrensvorschrift offenkundig aus zwingenden rechtlichen Gründen nicht anders hätte ausfallen dürfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.1985 - 8 C 25/84 -, BVerwGE 71, 63 ff.). Dies ist in der Regel anzunehmen bei strikt gebundenen Entscheidungen; bei Ermessensentscheidungen ist dagegen im Regelfall die Möglichkeit einer anderen Sachentscheidung nicht auszuschließen, außer das Ermessen ist im konkreten Einzelfall auf Null reduziert. Nach diesem Maßstab ist es vorliegend nicht ausgeschlossen, dass die Beklagte bei ordnungsgemäßer Anhörung der Klägerin zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können. Selbst wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG vorliegen sollten und der Ehemann der Klägerin die Rechtswidrigkeit der zweiten Leistungsgewährung durch die Leistungsabrechnung vom 08.09.2010 in der Fassung vom 28.09.2010 tatsächlich grob fahrlässig nicht erkannt haben sollte, liegt kein Fall der Ermessensreduzierung vor. Zwar bestimmt § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG, dass der Verwaltungsakt in den Fällen des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, woraus für den Regelfall eine Rücknahmepflicht folgt. Um einen Regelfall handelt es sich jedoch im vorliegenden Fall nicht. Ein vergleichbarer Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG typischerweise verbunden ist, ist nicht gegeben. Hier richtet sich die Rücknahme gegen die Erbin des verstorbenen Mitglieds, dem grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen wird. Der Klägerin selbst kann aber grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der zweiten Leistungsgewährung nicht vorgeworfen werden. Sie hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und von der Beklagten nicht widersprochen vorgetragen, dass ihr Ehemann bis zuletzt allein mit den Leistungsabrechnungen gegenüber der Beklagten befasst gewesen war und sie sich damit nie beschäftigt hat. Auch das Bankkonto, auf das die Beträge der Beklagten gebucht worden sind, hat nur er geführt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.

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