1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
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| Das Gericht entscheidet am 15.04.2021 in Kenntnis der Antragsschrift, der am 14.04.2021 eingegangenen Antragserwiderung sowie des weiteren Schriftsatzes des Antragstellers vom 14.04.2021. |
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| Der am 13.04.2021 gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom selben Tag gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.04.2021, mit welchem die für den 17.04.2021 angemeldete Versammlung mit Aufzug zum Thema „Es reicht!!!“ im Oberen Schlossgarten in Stuttgart ebenso verboten wird (Ziff. 1) wie jede Form einer Ersatzveranstaltung (Ziff. 2), ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Er ist jedoch nicht begründet. |
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| In formeller Hinsicht genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung den – allein verfahrensrechtlichen – Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. |
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| Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei der Entscheidung hat das Gericht das Interesse des Antragstellers, dass die angefochtene Verbots- oder Auflagenverfügung vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht durchgesetzt wird, gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung abzuwägen. Im Verfahren auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt. Die Verwaltungsgerichte müssen daher schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht nur summarisch zu prüfen, jedenfalls aber eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris). |
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| Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.Dabei umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris). Diese Tatbestandsvoraussetzungen der Norm sind unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zukommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierend (BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris). Von Art. 8 Abs. 1 GG umfasst wird das Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden, Art. 8 Abs. 2 GG. Eine solche, im pflichtgemäßen Ermessen stehende Beschränkung der durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit durch ein Verbot oder die Erteilung von Auflagen setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung voraus. Erforderlich ist eine Prognose, wonach aufgrund tatsächlicher Umstände der Eintritt einer Gefahr nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Wegen der besonderen Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf ihre Ausübung nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt werden (BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris). Für eine Gefahrenprognose können auch Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen – auch wenn diese nicht vom Anmelder der in Rede stehenden Versammlung veranstaltet worden waren – als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 21.11.2020 -1 BvQ 135/20 -, juris Ls. 2 und Rn. 11). |
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| Aus §§ 28 Abs. 1, 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.03.2021 - 1 S 1072/21 -, UA Seite 4, nicht veröffentlicht). Nach dieser Norm trifft die zuständige Behörde bei Feststellung von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern oder wenn sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Abs. 1 und in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. § 28 Abs. 1 IfSG konkretisiert damit, dass bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die darauf beruhen, dass sich eine ansteckende Krankheit verbreitet, Versammlungen – aus Gründen des Gesundheitsschutzes – auch mit den in § 28a Abs. 1 IfSG genannten Auflagen versehen werden dürfen. Inhaltlich, das heißt hinsichtlich der Frage der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Gefahr oder der insoweit zu treffenden Abwägung gerade vor dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sind damit keine Änderungen verbunden. Wie § 15 VersG müssen sich auch die ausdrücklich in § 28a Abs. 1 IfSG genannten Maßnahmen, sollen sie für Versammlungen getroffen werden, an der durch Art. 8 Abs.1 GG gewährten Versammlungsfreiheit messen lassen. |
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| Aus denselben Gründen ist für den Prüfungsmaßstab des Gerichts unerheblich, ob sich auch aus § 11 Abs. 3 CoronaVO eigenständig oder in Verbindung mit § 15 Abs. 1 VersG eine rechtliche Grundlage für den Ausspruch eines Verbots herleiten lässt. |
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| Bei Zugrundelegung des oben dargestellten Prüfungsmaßstabs führt die nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Abwägung im Rahmen summarischer Prüfung dazu, dass der Antrag sowohl hinsichtlich des Verbots der angemeldeten Versammlung in Ziff. 1 des Bescheids (siehe dazu 1.) als auch bezüglich des Verbots von Ersatzveranstaltungen in Ziff. 2 des Bescheids (siehe dazu 2.) abzulehnen ist. |
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| 1. Das Gericht geht wie die Antragsgegnerin davon aus, dass die Durchführung der Versammlung höchstwahrscheinlich zu erheblichen Gefahren für die Schutzgüter von Leib und Leben führen würde (siehe dazu 1.a.). Die Antragsgegnerin dürfte auch das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt haben (vgl. § 114 VwGO). Denn diesen Gefahren kann nach den vorliegenden Erkenntnissen insbesondere nicht mit Auflagen begegnet werden, so dass sich das Verbot als „ultima ratio“ darstellt (siehe dazu 1.b.). |
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| a. Das Gericht geht davon aus, dass die Durchführung der Versammlung höchstwahrscheinlich zu erheblichen Gefahren für die Schutzgüter von Leib und Leben führen würde. Es teilt die Auffassung der Antragsgegnerin hinsichtlich des derzeitigen Infektionsgeschehens und der sich daraus ergebenden Gefahren, die aus der Durchführung einer Versammlung in der vom Antragsteller beantragten Form resultierten. Seit Erlass des Bescheides vor drei Tagen hat sich die Infektionslage weiter verschlechtert. |
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| Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, die zum Erlass eines entsprechenden von § 15 Abs. 1 VersG getragenen Verbots berechtigt, besteht im Hinblick auf das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) der Versammlungsteilnehmer, von Gegendemonstranten, von Passanten und beteiligten Polizeibeamten sowie im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitswesens in Deutschland. Denn es besteht angesichts der aktuellen Pandemielage weiterhin die Gefahr, dass bei der Durchführung der angemeldeten Versammlung weiter Menschen mit dem Coronavirus infiziert werden und die potentiell tödliche COVID-19-Krankheit erleiden sowie, dass die Infektionsgeschwindigkeit wieder sehr schnell zunimmt und es zu einer Überbelastung des Gesundheitssystems kommt. |
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| Denn nach wie vor handelt es sich bei der Corona-Pandemie um eine weltweit auch in Deutschland sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation, wobei die Zahl der Fälle weltweit zunimmt. Nach einem Rückgang ab Ende Dezember steigen die 7-Tage-Inzidenz und Fallzahlen im Bundesgebiet seit Februar wieder an und beschleunigt sich aktuell, dies betrifft alle Altersgruppen unter 65 Jahren. Ein besonders rascher Anstieg wird bei Kindern und Jugendlichen beobachtet. Die COVID-19-Fallzahlen auf Intensivstationen steigen seit Mitte März 2021 deutlich an.In den meisten Landkreisen handelt es sich um ein diffuses Geschehen, sodass oft keine konkrete Infektionsquelle ermittelt werden kann und man von einer anhaltenden Zirkulation in der Bevölkerung (Community Transmission) ausgehen muss. Neben der Fallfindung und der Nachverfolgung der Kontaktpersonen sind daher die individuellen infektionshygienischen Schutzmaßnahmen von herausragender Bedeutung. Die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten von SARS-CoV-2 (B.1.1.7, B.1.351 und P1) ist besorgniserregend. Diese besorgniserregenden Varianten (VOC) werden auch in Deutschland nachgewiesen. Insgesamt ist die Variante B.1.1.7 inzwischen in Deutschland der vorherrschende COVID-19-Erreger. Aufgrund der vorliegenden Daten hinsichtlich einer erhöhten Übertragbarkeit der Varianten und potenziell schwererer Krankheitsverläufe trägt dies zu einer schnellen Zunahme der Fallzahlen und der Verschlechterung der Lage bei. Alle Impfstoffe, die aktuell in Deutschland zur Verfügung stehen, schützen nach derzeitigen Erkenntnissen sehr gut vor einer Erkrankung durch die in Deutschland hauptsächlich zirkulierende Variante B.1.1.7, und sie schützen auch vor schweren Erkrankungen durch die anderen Varianten. Das Robert Koch-Institut schätzt daher die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung weiterhin als sehr hoch ein (vgl. Risikobewertung zu COVID-19 des Robert Koch-Instituts, Stand: 31.03.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Diese Einschätzung wird durch das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, bei COVID-19-Infektionen handele es sich im Wesentlichen um ein Phänomen in Innenraum und Ansteckungen außerhalb geschlossener Räume könnten vernachlässigt werden, nicht durchgreifend in Frage gestellt. Denn für eine nicht unerhebliche Infektionsgefahr im Zuge der Versammlung sprechen die dortigen besonderen Bedingungen. Es treffen sich eine Vielzahl von Personen, es kann aufgrund der auch innerhalb einer stationären Kundgebung herrschenden Dynamik nicht stets von der Einhaltung des erforderlichen Abstands ausgegangen werden und es ist nicht zuletzt zu berücksichtigen, dass eine Kundgebung auch vom Meinungsaustausch der Teilnehmer untereinander und von lautstarker Kundgabe der eigenen Meinung nach außen lebt. Auch wenn eine Übertragung des Coronavirus im Freien durch Aerosole weniger stattfinden sollte als in Innenräumen, ist immer noch eine Übertragung durch Tröpfchen möglich, insbesondere wenn sich eine größere Menschenmenge ohne die Einhaltung von Abstands- und Maskenregeln trifft. Nicht durchgreifend erschüttert wird diese Bewertung auch durch den Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, ein Abstellen auf einen „dubiosen“ Inzidenzwert allein sei nicht sachgerecht. Es trifft zu, dass der Inzidenzwert in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Anzahl der durchgeführten PCR-Testungen steht. Über die Aussagekraft dieses Wertes besteht seit längerer Zeit ein kontrovers geführter Diskurs. Nach wie vor beruht diese, sich aus den vom RKI zur Verfügung gestellten Information getroffene Risikobewertung allerdings auf einer Auswertung der zurzeit vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und ist inhaltlich nachvollziehbar (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.03.2021 – 1 S 1072/21 – UA S. 7, nicht veröffentlicht; mit Verweis auf VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.12.2020 - 1 S 4028/20 -, juris). Zudem ist nicht zu erkennen, dass sich aus der derzeit hohen 7-Tage-Inzidenz keine Anhaltspunkte für eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems und die Auslastung der Intensivbetten herleiten ließe. Denn mit den derzeit steigenden Inzidenzen steigt derzeit auch die Auslastung der Intensivbetten, obwohl innerhalb der am meisten gefährdeten Gruppe der Über-80-Jährigen mittlerweile ein erheblicher Prozentsatz vollständig geimpft ist. Vor diesem Hintergrund sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für versammlungsrechtliche Auflagen und Verbote zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zum Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung sowie zum Schutz vulnerabler Personen, mithin zum Schutz von Leben und Gesundheit, weiterhin gegeben. |
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| b. Die Antragsgegnerin dürfte auch das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt haben (vgl. § 114 VwGO). Das Verbot der angemeldeten Versammlung am 17.04.2021 dürfte geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Insbesondere kann diesen Gefahren nach den vorliegenden Erkenntnissen mit Auflagen nicht begegnet werden, so dass sich das Verbot als „ultima ratio“ darstellt. |
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| Das von der Antragsgegnerin angeordnete Verbot der angemeldeten Versammlung ist grundsätzlich ein geeignetes Mittel zur Erreichung eines legitimen Zwecks. Die Antragsgegnerin verfolgt mit dem versammlungsrechtlichen Verbot das Ziel, die Pandemie des Virus SARS-CoV-2 zum Schutze der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu bekämpfen. Hierbei handelt es sich ohne weiteres um einen legitimen Zweck (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 15.10.2020 - 1 S 3156/20 -, juris Rn. 26). Ein Verbot der Versammlung stellt auch ein geeignetes Mittel dar, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei ist ein Mittel bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es ist nicht erforderlich, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht wird oder jedenfalls erreichbar ist; die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (BVerfG, Beschluss vom 10.04.1997 - 2 BvL 45/92 -, juris Rn. 61). Das streitgegenständliche Verbot beruht im Wesentlichen auf der Grundannahme, dass sich das Coronavirus nach derzeitigen Erkenntnissen bei direkten persönlichen Kontakten im Wege einer Tröpfcheninfektion oder über Aerosole, bestehend aus kleinsten Tröpfchenkernen, besonders leicht von Mensch zu Mensch verbreitet. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber Tröpfchen und Aerosolen im Umkreis von 1 bis 2 Metern um eine infizierte Person herum erhöht (Robert Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, 2. Übertragungswege, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html, Stand: 18.03.2021). |
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| Das Verbot dürfte hier auch erforderlich sein. Denn es bestehen nach den vorliegenden Erkenntnissen keine anderen, ebenso geeigneten Mittel. Insbesondere die Anordnung von Auflagen wie die Einhaltung eines Mindestabstands und/oder einer Maskenpflicht durch die Antragsgegnerin dürfte kein ebenso geeignetes Mittel sein, denn nach aller Voraussicht wäre der Antragsteller als Versammlungsleiter weder willens noch in der Lage, für die Einhaltung solcher Auflagen zu sorgen und es wäre zu erwarten , dass eine beträchtliche Zahl der zu erwartenden Demonstrationsteilnehmer die zur Bekämpfung der Pandemie erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen in Form von Auflagen zur Einhaltung des Mindestabstands und/oder einer Maskenpflicht nicht einhalten würde. |
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| Diese Einschätzung beruht auf Feststellungen, die insbesondere bei der Demonstration mit dem Thema „1 Jahr Lockdown Politik „Es reicht“ am 13.03.2021 im Oberen Schlossgarten in Stuttgart, bei der der Antragsteller der verantwortliche Versammlungsleiter war, getroffen wurden. Diese Feststellungen begründen auch nach Auffassung des Gerichts Zweifel an der erforderlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers für die Durchführung von Versammlungen der angemeldeten Art. |
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| Bei der Versammlung am 13.03.2021 ordnete die Antragsgegnerin als Auflage an, dass die Vorgaben zu den Abstandsregelungen durch geeignete organisatorische Maßnahmen (z.B. Markierungen auf dem Boden, etc.) einzuhalten seien, außerdem durch Hinweise des Versammlungsleiters und der eingesetzten Ordner sicherzustellen sei, dass ein Mindestabstand von 1,5 Metern zu anderen Personen eingehalten werde. Neben der Einhaltung des Mindestabstandes wurde eine Verpflichtung zum Tragen einer geeigneten Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet. Diese Auflagen wurden von einer Vielzahl von Teilnehmern nicht beachtet. Aus den vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich, dass der Antragsteller als Versammlungsleiter nicht ernsthaft und nachdrücklich darauf hinwirkte, dass die Auflagen eingehalten werden. Nach Angaben des Polizeipräsidiums Stuttgart in der WE-Meldung (Meldung wichtiger Ereignisse) zum 13.03.2021 und der Empfehlung des Polizeipräsidiums Stuttgart vom 07.04.2021 nahmen bis zu 1.500 Personen an der Versammlung teil, wobei zunächst ca. 80 % der Teilnehmer weder den Mindestabstand einhielten noch eine Mund-Nasen-Bedeckung trugen. Auch wenn der Antragsteller zwar vordergründig mit der Polizei kooperierte, war er jedoch nicht gewillt, die gemachten Auflagen ernsthaft durchzusetzen. Denn weder bemühte sich der Antragsteller von sich aus darum, für eine Einhaltung der Auflagen zu sorgen, sondern musste von der Polizei hierzu mehrmals aufgefordert werden. Noch waren die erfolgten Ordnungsdurchsagen ernsthafter Art, sondern erfolgten nach Angaben der Polizei nur unmotiviert. Die fehlende Ernsthaftigkeit zeigt sich nachfolgend am erfolgten Geschehen. Die Durchsagen des Antragstellers hatten keinen Einfluss auf die Versammlungsteilnehmer. Denn trotz seiner Ordnungsdurchsagen trugen nach den polizeilichen Berichten weiterhin ca. 80 % der Teilnehmer keine Mund-Nasen-Bedeckung. Erst nach polizeilichen Durchsagen verringerte sich diese Anzahl auf ca. 50 %. Auch dies war aber nicht von Dauer. |
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| Ob dem Antragsteller zudem die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Auflösung der Demonstration und der danach erfolgten spontanen Aufzüge zugerechnet werden können, ist für diese Bewertung nicht erheblich. Der Einwand des Antragstellers, ihm solle ein vermeintlicher „Polizeifehler“ zugerechnet werden, greift daher nicht durch. Denn die Bewertung der Kammer beruht auf den Vorgängen während der Versammlung, bei der der Antragsteller verantwortlicher Versammlungsleiter war. |
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| Der Antragsteller hat nicht dargelegt, wie er bei der streitgegenständlichen Versammlung im Gegensatz zu der Versammlung am 13.03.2021 für eine Einhaltung von Auflagen zur Abstands- und Maskenpflicht sorgen will bzw. wie auf Verstöße gegen Auflagen zur Abstands- und Maskenpflicht reagiert werden soll. Sein Angebot in der Antragsschrift, dass er auch dazu bereit sei, regelmäßig Durchsagen in Bezug auf Abstände zu machen und mit seinen Ordnern darauf zu achten, dass Abstände eingehalten werden, ist hierfür nicht ausreichend. Denn dies hat bereits bei der Versammlung am 13.03.2021 nicht zum Erfolg geführt. |
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| Die Erwartung, es sei bei der angemeldeten Versammlung mit einer Einhaltung von Auflagen zur Abstands- und/oder Maskenpflicht nicht zu rechnen, wird durch den zu erwartenden Teilnehmerkreises verstärkt. Auch insoweit teilt die Kammer die Auffassung der Antragsgegnerin, dass die Durchsetzung der beauflagten Maßnahmen bei den Teilnehmern auf Widerspruch stoßen würde. Die Prognose der Antragstellerin, dass bei der angemeldeten Versammlung am 17.04.2021 ein gleicher bis ähnlicher Teilnehmerkreis kommen würde wie bei der Versammlung am 13.03.2021 und dass diese Teilnehmer sich in gleicher Weise verhalten würden wie bei der Versammlung am 13.03.2021, dürfte nicht zu beanstanden sein. Denn es handelt sich bei der streitgegenständlichen Versammlung am 17.04.2021 im Vergleich mit der Versammlung am 13.03.2021 um eine Versammlung desselben Veranstalters zur gleichen Thematik und am gleichen Ort. Bei der Versammlung am 13.03.2021 hat sich – wie bereits oben dargestellt – gezeigt, dass die Versammlungsteilnehmer auch nach Ordnungsdurchsagen des Versammlungsleiters und der Polizei nicht gewillt waren, Auflagen zur Einhaltung eines Mindestabstands und zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu befolgen. Die Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, dass 50 % der ca. 1.500 Teilnehmer aufgrund eines ärztlichen Attests von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit gewesen wären, teilt das Gericht nicht. Dem steht schon entgegen, dass ein Teil der Anwesenden auf Aufforderung eine Mund-Nasen-Bedeckung aufsetzte. Zudem lägen auch dann immer noch zahlreiche Verstöße gegen die Abstandspflicht vor. |
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| Auch andere mildere Mittel wie die Bestimmung eines anderen Versammlungsleiters, eine nur stationäre Versammlung oder eine Begrenzung der Teilnehmerzahl scheiden daher aus. Auch insoweit wäre nicht zu erwarten, dass von der Antragsgegnerin verfügte Auflagen zuverlässig eingehalten würden. |
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| Das Verbot dürfte sich auch im Lichte von Art. 8 GG als verhältnismäßig im engeren Sinne erweisen. Denn die körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG der Versammlungsteilnehmer, von Gegendemonstranten, von Passanten und beteiligten Polizeibeamten sowie im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitswesens in Deutschland dürfte vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemiesituation höher zu bewerten sein als die Versammlungsfreiheit. |
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| Insbesondere erweist sich das Verbot auch nach den Anforderungen des § 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 IfSG nicht als unverhältnismäßig. Nach dieser Norm ist die Untersagung einer Versammlung nur zulässig, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Corona-Virus-Krankheit 2019 (COVID-19) erheblich gefährdet wäre. Aus dem Normtext, der eine erhebliche Gefährdung normiert, wie auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass für die in Absatz 2 Satz 1 aufgeführten Maßnahmen höhere Anforderungen gelten sollen. Umgekehrt bedeutet dies eine Privilegierung bestimmter, grundrechtlich in besonderer Weise geschützter Bereiche. Hiervon geht auch das OVG Lüneburg in dem vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers genannten Beschluss (vom 06.04.2021 - 13 ME 166/21 -, juris) aus, der das Bestehen „besondere[r] Anforderungen an die Notwendigkeit, dort von Ausgangssperren, postuliert (aaO, juris Rn. 17). Allerdings liegt eine solche besondere Notwendigkeit nicht erst dann vor, wenn alle 17 in § 28a Abs. 1 IfSG genannten Schutzmaßnahmen umgesetzt wurden. Dies ergibt sich bereits aus dem Normtext selbst, der ausdrücklich von der „Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen“ spricht und damit nicht verlangt, es müssten alle nach Absatz 1 möglichen Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. Für Versammlungen lässt sich aus § 28a Abs. 2 Satz 1 IfSG auch nicht herleiten, dass jede Einschränkung einer Versammlung an den von der Norm genannten weitergehenden Voraussetzungen zu messen wäre. Beschränkende Auflagen sind nach wie vor unter den oben genannten Voraussetzungen möglich und können zum Schutze der Gesundheit und des Lebens anderer vor dem Hintergrund eines dynamischen Infektionsgeschehens zum Ausgleich der widerstreitenden Grundrechte sogar zwingend notwendig sein. Die Auffassung des Antragsteller-Vertreters, von Versammlungen unter freiem Himmel ginge im Hinblick auf eine Verschärfung des Infektionsgeschehens keine Gefahr aus, teilt das Gericht nicht. Dies wird durch die Studie des ZEW Mannheim (Lange/Monscheuer, Spreading the Disease: Protest in Times of Pandemics, http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp21009.pdf) zumindest ernsthaft in Frage gestellt. |
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| Die Zulässigkeit der Untersagung der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung auch vor dem Hintergrund der in § 28a Abs. 1 Satz 1 IfSG normierten Voraussetzungen beruht im Übrigen maßgeblich darauf, dass die oben dargestellte Prognose über den voraussichtlichen Verlauf der Versammlung ergibt, dass beschränkende Auflagen, die der Versammlung möglicherweise zu einem auch in Zeiten starken Infektionsgeschehens zulässigen Rahmen verhelfen könnten, voraussichtlich nicht eingehalten würden. In einem solchen Fall kann den Gefahren auch aus Sicht des Gerichts nur mit einem Verbot begegnet werden. |
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| 2. Die obigen Ausführungen gelten auch für das Verbot jeder Form einer Ersatzveranstaltung in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheids. |
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