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Die Berufungen sind nach ihrer Zulassung im Beschluss des Senats vom 13.1.2005 - 3 S 2353/04 - statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere sind die Anforderungen des § 124 a Abs. 3 VwGO erfüllt.
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Die Berufungen sind jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für den Neubau des von ihnen geplanten Bürogebäudes. Das Regierungspräsidium hat auf den Widerspruch der Beigeladenen zu Recht die den Klägern von der Stadt Gerlingen erteilte Baugenehmigung aufgehoben, denn die Beigeladene wird durch diese Baugenehmigung in nachbarschützenden Rechten verletzt:
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1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die den Klägern erteilte Baugenehmigung gegen die über § 34 Abs. 2 BauGB anwendbaren §§ 4 und 13 BauNVO verstößt. Die baurechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Kläger beurteilt sich nach § 34 BauGB, weil das Baugrundstück nicht vom Geltungsbereich eines Bebauungsplans erfasst wird. Gemäß § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich damit die Zulässigkeit eines Vorhabens hinsichtlich seiner Art allein danach, ob es nach der BauNVO in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, dem die Eigenart der näheren Umgebung entspricht. Auf Grundlage der verschiedenen in den Akten enthaltenen Pläne sowie Fotografien geht auch der Senat zu Gunsten der Kläger davon aus, dass die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks zumindest einem allgemeinen Wohngebiet entspricht. Gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 BauNVO sind dort demnach allgemein zulässig nur: Wohngebäude (Nr. 1), der Versorgung des Gebiets dienende Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störende Handwerksbetriebe (Nr. 2) und Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke (Nr. 3). Nach Absatz 3 der Norm können dort ausnahmsweise zugelassen werden: Betriebe des Beherbergungsgewerbes (Nr. 1), sonstige nicht störende Gewerbebetriebe (Nr. 2), Anlagen für Verwaltungen (Nr. 3), Gartenbaubetriebe (Nr. 4) und Tankstellen (Nr. 5).
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Das streitbefangene Vorhaben entspricht hinsichtlich seiner Art keinem dieser im allgemeinen Wohngebiet zulässigen Anlagen. Laut ihrem Baugesuch planen die Kläger den Neubau eines „Bürogebäudes mit Garage und Stellplätzen“. Ein reines Bürogebäude ist insbesondere kein „Wohngebäude“ im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO. In diesem Sinne sind Wohngebäude, einmal abgesehen von den nach § 13 BauNVO zulässigen (Teil-)Nutzungen, nur ausschließlich dem Wohnen dienende Gebäude.
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2. Das Bauvorhaben kann aber auch nicht unter Berufung auf § 13 BauNVO genehmigt werden. Hiernach sind in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 4 BauNVO, also sowohl im reinen als auch im allgemeinen Wohngebiet, für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlich Art ausüben, nur „Räume“, hingegen in den Baugebieten gemäß §§ 4 a bis 9 BauNVO auch „Gebäude“ zulässig. § 13 BauNVO enthält damit für die typisierten Baugebiete eine baugebietsübergreifende Regelung über die Zulässigkeit der Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben. Hinsichtlich der Baugebiete nach den §§ 2 bis 4 BauNVO wird ergänzend, aber nicht ersetzend, angeordnet, inwieweit u.a. freiberufliche Nutzungen (nur) in den dort allgemein bzw. ausnahmsweise zulässig errichteten Gebäuden möglich sind. Bezogen auf die Geschossfläche des jeweiligen Gebäudes soll die freiberufliche Nutzung - faustregelartig - einen Anteil von 50 % und den nur einer Wohnung grundsätzlich nicht übersteigen, damit das Gesamterscheinungsbild des Gebäudes von der im Übrigen ausgeübten Wohnnutzung geprägt bleibt (vgl. Jäde u.a., BauGB/BauNVO, 2005, § 13 BauNVO, Rn. 14, m.w.N.). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, soll hierdurch verhindert werden, dass insbesondere im Wohngebiet durch eine zu starke freiberufliche Nutzungsweise - generell - die planerisch unerwünschte Wirkung einer Zurückdrängung der Wohnnutzung eintreten kann und damit die zumindest teilweise Umwidmung des Plangebiets. § 13 BauNVO schützt vor der städtebaulich unerwünschten Verdrängung der primären Wohnnutzung und stellt insoweit auf eine abstrakte Betrachtungsweise ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.1.1985 - 4 C 34.81 -, VBlBW 1985, 382).
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Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 13 BauNVO steht auch diese Norm dem selbständigen Bürogebäude der Kläger zur freiberuflichen Berufsausübung entgegen. Die Sperrwirkung des § 13 BauNVO kann nicht dadurch relativiert werden, dass als Bezugsgröße das jeweilige Baugrundstück gewählt wird. Nach dem auch insoweit hinreichend eindeutigen Wortlaut des § 13 BauNVO wird vielmehr zwischen Räumen und Gebäuden unterschieden. In den Baugebieten nach den §§ 4 a bis 9 BauNVO sind Gebäude, in denen nach §§ 2 bis 4 BauNVO dagegen nur Räume in Gebäuden und nicht „auf Grundstücken“ für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger nutzbar. Die von den Klägern vorgenommene entgegen gesetzte Auslegung würde zudem den von der Norm bezweckten Gebietscharakterschutz leer laufen lassen und damit auch gegen ihren Sinn und Zweck verstoßen.
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3. Auch die von den Klägern erklärte Baulast macht aus dem streitgegenständlichen reinen Bürogebäude kein im allgemeinen Wohngebiet zulässiges „Wohngebäude“. Eine in diesem Sinne eintretende baurechtliche Verklammerung des Gebäudes mit dem auf dem Grundstück schon bestehenden Wohnhaus kann nicht angenommen werden, denn durch die Baulast verliert das Bürogebäude nicht seinen Charakter als eigenständiges Gebäude. Dem in § 2 bis § 9 BauNVO jeweils enthaltenen Zulässigkeitskatalog lässt sich entnehmen, dass der Gebäudebegriff als Unterfall von dem allgemeinen Begriff der (baulichen) Anlage mit umfasst wird, auf den insbesondere auch § 29 BauGB abstellt. Hieraus folgt einerseits, dass unselbständige Teile einer baulichen Anlage nicht als Gebäude qualifiziert werden können. Andererseits folgt hieraus, dass als Abgrenzungsmerkmal auf das Kriterium der selbständigen Benutzbarkeit abzustellen ist. Für den Gebäudebegriff im bauplanungsrechtlichen Sinne ist somit erforderlich und genügend, dass eine jedenfalls tatsächlich unabhängig von sonstigen baulichen Anlagen mögliche Nutzung gegeben ist. Diese funktionale Selbständigkeit wird dabei auch durch eine etwaige bauliche Verbindung mit anderen Gebäuden oder Anlagen nicht in Frage gestellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.12.1995 - 4 B 245.95 -, BauR 1996, 219).
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Nach diesen Grundsätzen würde das geplante Bürogebäude seine selbständige Benutzbarkeit und Gebäudeeigenschaft nicht dadurch verlieren, dass es, etwa durch einen Gang, mit dem Wohnhaus der Kläger baulich verbunden würde. Noch viel weniger kann es seine selbständige tatsächliche Benutzbarkeit dadurch verlieren, dass seine Nutzung mittels einer Baulast rechtlich mit der Wohnnutzung im bestehenden Gebäude Nr. ... verknüpft wird. Auf die Frage der Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der bestellten Baulast kommt es damit nicht entscheidungserheblich an. Das Verwaltungsgericht hat insoweit allerdings zutreffend dargelegt, dass es hier wohl schon an einem öffentlichen Interesse im Sinne des § 71 Abs. 3 Satz 2 LBO fehlt, so dass von der Baurechtsbehörde zwingend der Verzicht zu erklären wäre. Zu Recht wurde weiter ausgeführt, dass die Baulast kein Rechtsinstitut ist, mit dem planungsrechtlich verbindliche Festsetzungen verdrängt, aufgehoben oder verändert werden können (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.4.2002 - 2 S 2239/00 -, BWGZ 2002, 486). Nicht ersichtlich ist zudem, warum die in der Baulast erklärten Verpflichtungen hier nicht später im Wege einer genehmigungsfreien Teilung des Grundstücks umgangen werden könnten.
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4. Das Bürogebäude kann auch nicht ausnahmsweise gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO als „sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb“ zugelassen werden, denn die Kläger betreiben keinen Gewerbebetrieb. Auch wenn ihr Vortrag als wahr unterstellt wird, auf Grund steuer- und europarechtlicher Einflüsse verwische sich zunehmend die Unterscheidung zwischen Freiberuflern und Gewerbetreibenden, zwingt dies in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nicht zur Aufgabe der entsprechenden Differenzierung. Wie gerade die §§ 4 und 13 BauNVO zeigen, unterscheidet der Verordnungsgeber bauplanungsrechtlich nach wie vor zwischen freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit. Die Frage, ob diese Unterscheidung etwa im Hinblick auf ein heute möglicherweise generell nicht mehr wesentlich unterschiedliches Störungspotential der Tätigkeiten noch gerechtfertigt ist, fällt nicht in den Entscheidungsbereich des Senats.
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Das Vorhaben der Kläger könnte im Übrigen im Sinne des § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO selbst dann nicht als „Gewerbebetrieb“ eingestuft werden, wenn die Kanzleien etwa in der Rechtsform einer GmbH oder AG betrieben würden. Die Einstufung als freiberufliche Tätigkeit im Sinne der BauNVO hängt nicht von der jeweils gewählten Rechtsform ab (so auch OVG Hamburg, Urteil vom 19.12.1996 - Bf II 46/94 -, ). Denn die Wahl einer bestimmten Rechtsform hebt die Charakteristika der freiberuflichen Tätigkeit, bei der Dienstleistungen persönlich und eigenständig erbracht werden und die Betreffenden ihre individuellen Eigenleistungen in der Regel in unabhängiger Stellung erbringen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.1.1984, E 68, 324), nicht auf.
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Das geplante Bürogebäude der Kläger ist auch nicht als „Anlage für Verwaltungen“ gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässig. Zwar beschränken sich Anlagen für Verwaltungen in diesem Sinne nicht auf öffentliche Verwaltungen, sondern umfassen auch private Einrichtungen solchen Charakters (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 28.5.2001 - 9 N 1626/96 -, BauR 2002, 1134). Auch insoweit sind aber die durch den Gebietscharakter gezogenen Grenzen zu beachten; im allgemeinen Wohngebiet gebietsunverträglich und so auch nicht ausnahmsweise zulässig ist daher ein Gebäude, das nach seiner Ausgestaltung und Funktionalität einem Büro- oder Verwaltungsgebäude nahe kommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.2.2000 - 4 B 1.00 -, BRS 63, Nr. 102 <2000>).
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Ist das von den Klägern geplante streitbefangene Bürogebäude gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 und 3 BauNVO weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig, kommt es auf die aufgeworfene Frage, ob auch § 15 Abs. 1 BauNVO dem Vorhaben entgegenstünde, nicht an. Es kann offen bleiben, ob das Bürogebäude als Bebauung hier „in erster Reihe“ der Eigenart des Baugebietes widersprechen würde bzw. ob von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Gebietes im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Der Senat hatte auch insoweit keinen hinreichenden Anlass, den von den Klägern angeregten Augenschein einnehmen. Das unter dem 2.11.2004 von den Klägern weiter gestellte Baugesuch für den Neubau eines „Wohnhauses mit Büroanteil“, dem nach den vorgelegten Unterlagen insbesondere der prozentuale Anteil der Büronutzung nicht eindeutig entnommen werden kann und das - nach Aktenlage - hinsichtlich der Bebauung „in erster Reihe“ problematisch sein könnte, ist nicht Gegenstand dieses Berufungsverfahrens.
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5. Schließlich scheidet eine Befreiung entsprechend § 31 Abs. 2 BauGB aus. Hiernach kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit dies erfordern (Nr. 1) oder wenn die Abweichung städtebaulich vertretbar ist (Nr. 2) oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (Nr. 3) und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Wie das Verwaltungsgericht auch insoweit zutreffend dargelegt hat, läge bei der Genehmigung eines reinen Bürogebäudes im allgemeinen Wohngebiet ein Eingriff in die Grundzüge der Planung im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB vor. Wie dargelegt, widersprechen reine Bürogebäude freiberuflich Tätiger dem Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets. Auch über § 31 Abs. 2 BauGB kann die städtebaulich unerwünschte Verdrängung der primären Wohnnutzung nicht legitimiert werden. Damit kommt es nicht darauf an, ob eine Abweichung hier im Sinne von Nr. 2 der Norm städtebaulich vertretbar wäre oder ob im Sinne von Nr. 3 der Norm auf Grund der ungünstigen Topografie des Grundstückes eine offenbar nicht beabsichtigte Härte herbeigeführt würde.
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6. Die Genehmigung des streitbefangenen reinen Bürogebäudes würde mithin gegen § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 4 und 13 BauNVO verstoßen. Wie das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat, kann ein Verstoß gegen § 13 BauNVO von einem Nachbarn grundsätzlich unabhängig davon abgewehrt werden, ob er durch die freiberufliche Nutzung unzumutbar beeinträchtigt wird. Der Nachbarschutz beruht hier auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer im gleichen Plangebiet im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden sind. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Ein Rückgriff auf § 15 Abs. 1 BauNVO erübrigt sich damit auch insoweit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.12.1995 - 4 B 245.95 -, BauR 1996, 219).
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