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| Die zulässigen Anträge auf Zulassung der Berufung sind begründet. Jedenfalls der geltend gemachte Zulassungsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) ist hinreichend im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt und liegt in der Sache auch vor. Die Kläger berufen sich mit ihrem Zulassungsvorbringen zu Recht auf das Vorliegen einer unzulässigen Überraschungsentscheidung. |
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| 1. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht dieser Verpflichtung nachgekommen ist (BVerfG, Beschluss vom 01.02.1978 - 1 BvR 426/77 -, BVerfGE 47, 182; vom 25.03.1992 - 1 BvR 1430/88 -, BVerfGE 85, 386; vom 19.05.1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133; Kammerbeschluss vom 17.04.2012 - 1 BvR 3071/10 -, juris; vom 15.05.2012 - 1 BvR 1999/09 -, juris). Es ist nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen des Klägers in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Nur die wesentlichen der Rechtsverteidigung und -verfolgung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Daher kann aus der fehlenden Erörterung von Teilen des Vorbringens nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, diese seien gar nicht erwogen worden. Eine derartige Annahme ist vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass Tatsachen oder Tatsachenkomplexe übergangen wurden, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.10.1988 - 1 BvR 818/88 -, BVerfGE 79, 51). |
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| Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann es im Einzelfall gebieten, Verfahrensbeteiligte auf einen tatsächlichen Gesichtspunkt oder auf eine bestimmte Rechtsauffassung, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen beabsichtigt, in geeigneter Form ausdrücklich hinzuweisen. Der Verfahrensbeteiligte muss vor der Entscheidung des Gerichts bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt erkennen können, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 29.05.1991 - 1 BvR 1383/90 -, BVerfGE 84, 188). Die Hinweispflicht (vgl. § 86 Abs. 3 VwGO) konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und hat insbesondere das Ziel der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (BVerwG, Beschluss vom 13.12.2011 - 5 B 38.11 -, juris, m.w.N.; vom 27.01.2015 - 6 B 43.14 -, NVwZ-RR 2015, 416). Daraus folgt aber grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab seine Rechtsauffassung und seine Würdigung des tatsächlichen Vorbringens mitzuteilen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung bzw. Entscheidungsfindung nach der mündlichen Verhandlung erfolgt (vgl. dazu BVerwG, Beschlüsse vom 13.12.2011, a.a.O., vom 11.05.1999 - 9 B 1076.98 -, juris, und vom 17.11.1995 - 9 B 505.95 -, juris). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist nur anzunehmen, wenn das Gericht einen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der der Beteiligte nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht rechnen musste (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschlüsse vom 29.05.1991, a.a.O., vom 19.05.1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133 und vom 31.05.1995 - 2 BvR 736/95 -, NVwZ-Beil. 1995, 66; BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, juris, und vom 10.04.1991 - 8 C 106.89 -, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235, Beschlüsse vom 13.12.2011, vom 11.05.1999 und vom 17.11.1995, jew. a.a.O.). |
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| 2. Nach diesen Maßstäben verletzt das angegriffene Urteil zwar - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht schon deshalb den Anspruch auf rechtliches Gehör, weil das Gericht in Abwesenheit der Kläger verhandelt und entschieden oder die Verhandlung nicht vertagt hat. Denn ihr - in der mündlichen Verhandlung anwesender - Prozessbevollmächtigter hat trotz Fernbleibens der Kläger ausweislich des Protokolls weder einen Vertagungsantrag gestellt (vgl. zu diesem Erfordernis VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 06.07.2006 - A 9 S 773/06 -, juris, Rn. 3), noch war ein erheblicher Grund im Sinne des § 173 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 1 ZPO vorgetragen oder sonst ersichtlich. In der Ladung zum Termin waren die Beteiligten zudem darauf hingewiesen geworden, dass bei ihrem Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). |
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| Das Urteil erweist sich aber als unzulässige Überraschungsentscheidung im Sinne der o. g. Rechtsprechung. Denn das Verwaltungsgericht hat die Abweisung der - allein auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten - Klagen tragend darauf gestützt, dass es sich von der Herkunft der Kläger nicht habe überzeugen und diese auch nicht näher habe aufklären können, weil die Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen seien. Darauf, dass es diesen Umstand für entscheidungserheblich halten könnte, hätte das Gericht aber nach dem Gang des gesamten Verfahrens hinweisen müssen. Zweifelt das Gericht nämlich an einem für den geltend gemachten Anspruch maßgeblichen Umstand (hier: der Herkunft der Kläger), von dem die Verfahrensbeteiligten bisher übereinstimmend ausgehen und der sogar bereits Grundlage einer begünstigenden Entscheidung des Bundesamts ist (hier: der Zuerkennung subsidiären Schutzes), und kann es auf diese Zweifel entscheidungserheblich ankommen, so gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, den Beteiligten - jedenfalls vor Schluss der mündlichen Verhandlung - einen entsprechenden Hinweis zu erteilen. Dies gilt zumal, wenn nicht nur bereits eine begünstigende Entscheidung der Behörde auf diesem Umstand beruht, sondern darüber hinaus auch Dokumente vorhanden sind, die den ihr zugrundeliegenden, vom Gericht in Zweifel gezogenen Umstand stützen. |
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| Dieser Hinweispflicht ist das Verwaltungsgericht, wie das Zulassungsvorbringen zutreffend darlegt, nicht nachgekommen. Die Kläger hatten im Verfahren vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) angegeben, aus Syrien zu stammen. Die Kläger Ziff. 1, 3 und 4 befürchteten Verfolgung insbesondere im Hinblick darauf, dass sie sich durch ihre Ausreise dem Dienst im Militär bzw. der Wehrpflicht entzogen hätten. Zum Nachweis ihrer syrischen Staatsangehörigkeit legte die Familie beim Bundesamt drei syrische Reisepässe sowie vier syrische Personalausweise (ID-Cards) vor, bei deren zerstörungsfreier Untersuchung das Bundesamt keine Manipulationen feststellen konnte. Es erkannte der Familie daraufhin den subsidiären Schutzstatus zu. Weder im behördlichen noch im vorbereitenden gerichtlichen Verfahren wurden Zweifel an der syrischen Herkunft der Kläger aktenkundig. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung ordnete das Gericht das persönliche Erscheinen der Kläger (vgl. § 95 VwGO) nicht an; an der mündlichen Verhandlung nahm auf Seiten der Kläger lediglich deren Prozessbevollmächtigter teil. Die Originale der - in der Akte lediglich als Scan enthaltenen - Identitätsdokumente forderte das Gericht nicht an. |
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| Erwägt das Gericht bei dieser Sachlage eine Klageabweisung allein deshalb, weil die Kläger der mündlichen Verhandlung persönlich ferngeblieben sind und ihre Identität somit nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden könne, gebietet der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs zwingend, vorab einen entsprechenden Hinweis zu erteilen. |
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| 3. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten. |
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| Der Beschluss ist unanfechtbar. |
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