Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 12 S 675/19

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 21. Februar 2019 - 17 K 618/19 - geändert.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14.12.2018 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten beider Instanzen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe

 
Die gemäß §§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragsgegners gegen den am 27.02.2019 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat Erfolg.
I. Mit Bescheid vom 14.12.2018 nahm der Antragsgegner die dem Antragsteller mit Bescheid vom 24.07.2018 erteilten Erlaubnis zur Kindertagespflege gemäß § 45 SGB X zurück und ordnete gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, der Antragsteller, ein am …. geborener evangelischer Pfarrer im Ruhestand, sei wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern rechtskräftig verurteilt. Diese Verurteilung aus den 90er Jahren sei trotz Tilgung im Bundeszentralregister noch verwertbar und stünde - ebenso wie seine fehlende Einsicht und seine Verharmlosungstendenzen bezüglich seiner Straftaten - seiner Eignung als Tagespflegeperson gemäß § 43 Abs. 2 Satz 4 iVm § 72a Abs. 1 SGB VIII entgegen. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller im Jahre 2018 auf seiner Facebook-Seite als Bücher von besonderem Interesse „Tod in Venedig“ von Thomas Mann und „Dorian Gray“ von Oscar Wilde angegeben habe.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 09.01.2019 Widerspruch eingelegt und am 25.01.2019 einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gestellt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14.12.2018 unter folgenden Auflagen wiederhergestellt:
1. Der Antragsteller darf bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache keine männlichen Kinder betreuen.
2. Der Antragsgegner hat die Einhaltung der Auflage unter Ziffer 1 regelmäßig, mindestens 14-tägig, unangekündigt zu kontrollieren.
Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt.
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, dass die sich in einem Hauptsacheverfahren stellenden Rechtsfragen der Verwertbarkeit der Verurteilungen des Antragstellers aus den 1990er Jahren, deren Berücksichtigung im Rahmen der Eignungsprüfung sowie die Frage, ob bei dem Antragsteller ein schutzwürdiges Vertrauen geschaffen worden sei, als der Antragsgegner diese Straftaten für nicht ausreichend erachtet habe, um die Erlaubnis zu versagen, im Eilverfahren nicht abschließend geprüft werden könnten. Deshalb habe eine Interessenabwägung zu erfolgen. Die im gesamten Verwaltungsverfahren gezeigte Verharmlosung der Taten, die mangelnde Einsicht und nicht zuletzt das Bekenntnis zu zwei literarischen Werken, die jedenfalls einen Zusammenhang zu den vom Antragsteller begangenen Straftaten aufweisen würden, hinderten die Kammer auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Antragstellers seit mehr als 20 Jahren strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, an der Annahme, dass von diesem keinerlei Gefahr für die von ihm betreuten Kinder mehr ausgehe. Nachdem sich der vom Antragsteller begangene sexuelle Missbrauch auf männliche Kinder beschränkt habe und keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass ähnliche Taten an weiblichen Kindern begangen worden seien, sei auf der anderen Seite ausreichend, aber auch erforderlich, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs dahingehend zu beschränken, dass der Antragsteller vorerst keine männlichen Kinder betreuen dürfe. Zur Sicherstellung dieser Auflage halte die Kammer regelmäßige Kontrollen durch den Antragsgegner für notwendig.
II. Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich beschränkt ist, ergibt sich, dass abweichend vom Beschluss des Verwaltungsgerichts der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14.12.2018 insgesamt abzulehnen ist.
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In Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt es hinsichtlich der sofortigen Vollziehung von Verwaltungsakten bei Anträgen auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen grundsätzlich darauf an, wie die Erfolgsaussicht des betreffenden Rechtsbehelfs einzuschätzen ist; je höher die Erfolgsaussicht ist, desto eher überwiegt das private Interesse an der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs, während umgekehrt die offensichtliche Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Verfügung ein Indiz dafür sein kann, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an ihrer Vollziehung besteht. Können die Erfolgsaussichten nicht eindeutig prognostiziert werden, dürfen im Verfahren des fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes Entscheidungen aber auch auf eine Folgenabwägung gestützt werden (näher zum Maßstab etwa Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Aufl., § 80 Rn. 93 ff.; Schenke, in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl., § 80 Rn. 152 ff. – jew. mwN; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 26.06.2018 – 1 BvR 733/18 – juris Rn. 3 f.).
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Der Antragsgegner dürfte die dem Antragsteller mit Bescheid vom 24.07.2018 erteilte Erlaubnis zur Kindertagespflege voraussichtlich zu Recht gemäß § 45 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X zurückgenommen haben. Das Vertrauen des Antragstellers auf den (weiteren) Bestand der ihm erteilten Tagespflegeerlaubnis ist wegen des überragenden öffentlichen Interesses des Kinder- und Jugendschutzes insoweit nicht schutzwürdig (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Mit der Sicherstellung des Kindeswohls wurde auch die Dringlichkeit der Entscheidung und damit das Interesse an einer sofortigen Vollziehung ausreichend begründet (siehe nachfolgend 1.). Selbst wenn man von offenen Erfolgsaussichten ausgehen würde, führt eine Abwägung zu dem Ergebnis, dass das Interesse an der sofortigen Vollziehung der Rücknahme der Tagespflegerlaubnis (Schutz von Kindern vor möglichem sexuellem Missbrauch) schwerer wiegt als das Interesse des Antragstellers an der Fortsetzung seiner (Berufs-)Tätigkeit (unten 2.).
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1.) Der Senat teilt bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Beurteilung die Einschätzung des Antragsgegners, dass in der Person des Antragstellers auf Grund seiner in der Vergangenheit praktizierten pädophilen Neigungen ein für die Betreuung von Kindern in der Tagespflege nicht verantwortbares Risiko besteht, dass die Eignung des Antragstellers als Tagespflegeperson gem. § 43 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VIII ausschließt und eine Rücknahme der Tagespflegerlaubnis nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 SGB X eröffnet.
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Zwar ist bei summarischer Prüfung offen, ob ein Ausschluss des Antragstellers aus dem Kreis der Personen, die eine Tagespflegeerlaubnis erhalten können, bereits deswegen erfolgen könnte (§ 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII), weil der Antragsteller rechtskräftig wegen einer der in § 72a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII aufgezählten Katalogstraftat verurteilt worden ist (a), der Ausschluss des Antragstellers aus dem Kreis potentieller Tagespflegepersonen ergibt sich aber aus § 43 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VIII (b).
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Nach § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII iVm § 72a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist eine Tagespflegerlaubnis zu versagen, wenn die Tagespflegeperson rechtskräftig wegen einer Straftat aus den Bereichen der Straftaten gegen den Personenstand (§ 171 StGB), der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 ff. StGB), wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB), der Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (§ 225 StGB) sowie der Straftaten gegen die persönliche Freiheit (§§ 232 ff. StGB) verurteilt wurde. Der Antragsteller wurde eigenen Angaben zufolge in den 90er Jahren wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern bzw. Jugendlichen verurteilt. Allerdings waren die genannten Straftaten bereits bei der erstmaligen Antragstellung auf Erteilung einer Tagespflegeerlaubnis (am 08.07.2013) nach Ablauf der Tilgungsfrist aus dem Führungszeugnis gelöscht (§§ 45 ff. BZRG aF). In einem Hauptsacheverfahren wird sich deshalb die Frage stellen, ob dem Antragsteller die Taten und die Verurteilung im Rahmen des § 43 Abs. 2 Satz 4, § 72a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VIII nicht mehr vorgehalten und auch nicht zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen (§ 51 Abs. 1 BZRG - so Schindler/Smessaert in Münder/Meysen/Trenczek (Hrsg.), Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 72a Rn. 25; Schlegel/Voelzke in jurisPK- SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 72a Rn. 23 unter Bezugnahme auf DIJuF - Gutachten v. 26.07.2017, SN_2017_0319 Sm).
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Nach Auffassung des Senats bedarf dabei näherer Prüfung, ob es sich bei der Erteilung einer Tagespflegeerlaubnis um eines der in § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG genannten, sicherheitsrelevanten Zulassungs- und Erlaubnisverfahren handelt und ob eine Ausnahme von dem Vorhalte- und Verwertungsverbot auch bei der Rücknahme einer rechtswidrig erteilten Tagespflegeerlaubnis zu machen ist. Denn der mit dem Verwertungsverbot verfolgte Zweck, der Gefahr zu begegnen, dass die alte Tat der Öffentlichkeit nach Jahren anlässlich eines neuen Verfahrens bekannt wird und dadurch zum Verlust einer inzwischen mühsam aufgebauten Existenz führt, weshalb die Ausnahme nicht auf die Untersagung der Ausübung eines Berufs oder Gewerbes angewendet werden soll (so Tolzmann, BZRG 5. Aufl. 2014, § 52 Rn. 15; Bücherl in BeckOK StPO, 32. Edition 2019, § 52 Rn. 8), trifft auf die Tagespflegeerlaubnis so nicht zu (vgl. zur beruflichen Einordnung der Tagespflegerlaubnis auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.07.2017 - 12 S 102/15 - juris Rn. 24 ff.). Eine Tagespflegeerlaubnis wird jeweils nur für die Dauer von fünf Jahren erteilt (§ 43 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII), und es besteht für die Behörden eine Verpflichtung zur regelmäßigen Überprüfung, ob die Voraussetzungen für die Erteilung weiterbestehen. Mit der Einführung des § 72a SGB VIII sollte dabei nicht nur verhindert werden, dass einschlägig vorbestrafte Personen überhaupt im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten können. Vielmehr sollte die Verpflichtung zur regelmäßigen Überprüfung der persönlichen Eignung auch Abschreckungswirkung auf potentielle Bewerber haben und verhindern, dass einschlägig vorbestrafte Personen überhaupt im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten (vgl. Reg. - Entw. BT-Drs. 15/3676 vom 06.09.2004, S. 39). Deshalb könnte die Anwendbarkeit von § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG bei der Erteilung bzw. Rücknahme einer Tagespflegeerlaubnis möglicherweise anders zu bewerten sein.
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b) Unabhängig davon ergibt sich der Ausschluss des Antragstellers aus dem Kreis potentieller Tagespflegepersonen jedenfalls aus § 43 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VIII.
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Gem. § 43 Abs. 1 SGB VIII bedarf derjenige, der Kinder außerhalb ihrer Wohnung in anderen Räumen während des Tages mehr als 15 Stunden wöchentlich gegen Entgelt betreut, einer Erlaubnis. Die Erlaubnis wird gem. § 43 Abs. 2 SGB VIII erteilt, wenn die Person für die Kindertagespflege geeignet ist. Geeignet sind nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift Personen, die sich durch ihre Persönlichkeit, ihre Sachkompetenz und ihre Kooperationsbereitschaft mit Erziehungsberechtigten und anderen Tagespflegepersonen auszeichnen und zum anderen über kindgerechte Räumlichkeiten verfügen. Sie sollen über vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der Anforderungen der Kindertagespflege verfügen, die sie in qualifizierten Lehrgängen erworben oder in anderer Weise nachgewiesen haben.
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Der Begriff der Eignung der Tagespflegeperson ist nicht ins Ermessen der zuständigen Behörde, also des örtlichen Jugendamtes, gestellt, sondern es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Der Senat teilt die Auffassung des Antragsgegners, dass bezüglich der Persönlichkeit des Antragstellers durchgreifende Zweifel an seiner Eignung als Tagespflegeperson bestehen.
19 
Der Begriff der persönlichen Eignung umfasst neben den ausdrücklich im Gesetz aufgezählten Anforderungen die weitere Voraussetzung, dass in der Pflegestelle für die dort aufgenommenen Kinder keine anderen für ihre Entwicklung schädliche Risiken oder Gefährdungen vorhanden sind, die zwar nicht unmittelbar in der Person der Pflegeperson oder der sächlichen Ausstattung der zur Tagespflege genutzten Wohnung liegen müssen, aber dennoch letztlich der Sphäre der Pflegeperson zuzurechnen sind. Ein solches Risiko kann ein in der Wohnung mitlebender Ehemann oder Lebensgefährte der Tagespflegeperson sein, der in der Vergangenheit wegen einschlägiger Straftatbestände verurteilt wurde bzw. insoweit eines erheblichen Verdachts einer Straftat ausgesetzt war (siehe Hauck/ Noftz, SGB VIII, § 43 Rn. 16). Darüber hinaus kann ein Ausschluss der Eignung auch darauf gestützt werden, dass Anhaltspunkte bestehen, dass eine Pflegeperson oder eine in ihrem Haushalt lebende Person das sittliche Wohl des Kindes oder der Jugendlichen gefährden könnte (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.06.2016 - 12 A 2086/14 - juris Rn. 43 zu § 43 SGB VIII und Beschluss vom 17.03.2016 - 12 A 140/15 - juris Rn. 7 zu § 44 SGB VIII). Dabei können u.a. auch pädophile Neigungen, selbst ohne eine Verurteilung, bei der Eignungsprüfung im Rahmen des Erlaubnisverfahrens berücksichtigt werden (Schlegel/Voelzke aaO § 72a Rn.17; Schindler/Smessaert aaO § 72a Rn. 2 und Rn. 25).
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Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge in den 90er Jahren wegen seiner praktizierten pädophilen Neigungen rechtskräftig verurteilt worden. Die Verurteilung und die dabei verhängte Strafe kann dem Antragsteller zwar nach Ablauf der Tilgungsfrist möglicherweise nicht mehr vorgehalten werden. Die fehlende Verurteilung aufgrund von Straftaten nach § 72a SGB VIII ist jedoch nur eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die persönliche Eignung im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VIII. Die Annahme der fehlenden Eignung einer Betreuungsperson setzt für sich genommen keine Anklageerhebung oder gar eine Verurteilung im strafrechtlichen Sinne voraus (Schlegel/Voelzke aaO § 72a Rn. 17; Schindler/Smessaert aaO. § 72a Rn. 2). An dieser Einschätzung hat auch die durch das Kinder- und Jugendhilfeerweiterungsgesetz - KICK - vom 08.09.2005 (BGBl. I. S. 2729) eingeführte Bestimmung des § 72a SGB VIII, die durch das Kinderförderungsgesetz vom 10.12.2008 (BGBl. I, S. 2403) und das Bundeskinderschutzgesetz vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 2975) überarbeitet und erweitert wurde, nichts verändert. Denn diese Vorschrift enthält im Kern nichts Neues, sondern zählt zahlreiche Straftatbestände auf, die einer Beschäftigung im Bereich der Jugendhilfe - nunmehr zwingend - entgegenstehen sollen. Von Bedeutung sind dabei die verfahrensrechtlichen Vorgaben, dass die Vorlage von Führungszeugnissen von den betreffenden Personen verlangt werden muss. Ferner rückt die Vorschrift allein durch ihre Existenz die Wichtigkeit des Schutzes von Kindern vor (einschlägig) vorbestraften Personen ins Bewusstsein, bezweckt dabei keine Verschlechterung, sondern eine Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen (vgl. Reg. - Entw. BT-Drs. 15/3676 vom 06.09.2004, S. 3, S. 26 unter c, S. 39).
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Im Rahmen der Eignungsprüfung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VIII geht es entsprechend der präventiven, auf die Vermeidung eines künftigen Schadenseintritts gerichteten und daher vom Zweck des strafgerichtlichen Verfahrens abweichenden, Zielsetzung des Erlaubnisvorbehalts um eine Risikoeinschätzung für eine jugendhilferechtliche Entscheidung, die grundsätzlich auch aufgrund deutlich niederschwelligerer Hinweise und Anhaltspunkte für eine Gefährdung der betreuten Kinder als einer strafrechtlichen Verurteilung getroffen werden kann. Ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, ist eine Frage der prognostischen Wahrscheinlichkeit, bei der nicht der strafrechtliche Grundsatz „in dubio pro reo“ („Im Zweifel für den Angeklagten“) Anwendung findet, sondern die Formel „in dubio pro infante“ - „Im Zweifel für das (Klein-)Kind“ - (vgl. Mörsberger in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 43 Rn. 23a und § 44 Rn. 18).
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Im Falle des Antragstellers ergibt eine Gesamtwürdigung des konkreten Einzelfalls, dass auf Grund seiner pädophilen Neigung ein für die Betreuung von Kindern in der Tagespflege nicht verantwortbares Risiko besteht, das die Eignung des Antragstellers als Tagespflegeperson gem. § 43 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VIII ausschließt.
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Der Antragsteller hat seine pädophile Neigung selbst eingeräumt und angegeben, in den 90er Jahren wegen sexueller Übergriffe strafrechtlich in Erscheinung getreten. Seine sexuelle Orientierung beschränkt sich insoweit nicht allein auf seine pädophile Neigung, sondern diese hat sich durch entsprechende Handlungen auch bereits nach außen manifestiert. Damit stehen schwerwiegende Sachverhalte im Raum, die schon für sich allein betrachtet grundsätzlich Anhaltspunkte für eine Gefährdung des sittlichen Wohls der Kinder und Jugendlichen nahelegen. Denn zum Kinder- und Jugendschutz gehört die ungestörte, auch sexuelle Entwicklung. Im Hinblick auf die pädophilen Neigungen und Auffälligkeiten des Antragstellers in den 90er Jahren besteht danach die Sorge, dass es auch in der Tagespflege gegenüber den anvertrauten Kindern und Jugendlichen zu einem unangemessenen Verhalten kommen kann. Zwar liegen die Taten, die seinerzeit zur Verurteilung des Antragstellers geführt haben, über 20 Jahre zurück. Der Antragsteller war seinerzeit als Pfarrer tätig und hat angegeben, dass sich die Übergriffe auf zwölfjährige bzw. nach den Angaben seines Prozessbevollmächtigten auf zwölf- bis vierzehnjährige Jungen beschränkt hätten, die selbst zu ihm gekommen seien. In der Zwischenzeit sind keine neuen Vorfälle bekannt geworden.
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Der Antragsteller hat im Verfahren nach dem Bekanntwerden seiner strafrechtlichen Verurteilung auch eine Stellungnahme des ihn seinerzeit behandelnden Arztes Prof. Dr. … F… vom 13.10.1995 vorgelegt, worin ihm der Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie … bescheinigt, dass er sich bei diesem von August 1993 bis Januar 1995 in regelmäßiger ambulanter psychotherapeutischer Behandlung mit insgesamt 80 Therapiestunden befunden habe. Anlass für die Behandlung seien pädophile Delikte gewesen, die der Antragsteller begangen hätte. Aus Sicht des behandelnden Arztes war die psychotherapeutische Behandlung Ende Januar 1995 erfolgreich abgeschlossen. Nach Auffassung des seinerzeit behandelnden Arztes soll beim Antragsteller keine Pädophilie i.S. einer sexuellen Devianz (sexuellen Perversion) vorliegen. Im Rahmen der Behandlung sei es dem Antragsteller sowohl rational-intellektuell wie emotional möglich gewesen zu erkennen, aus welchen Gründen er die Handlungen mit den Jugendlichen begangen hätte. Die Prognose bezüglich solcher pädophiler Handlungen war aus Sicht des behandelnden Arztes gut. Diese positive Prognose ist allerdings in Zusammenhang mit dem seinerzeit ausgeübten Beruf eines Pfarrers zu sehen, den der Antragsteller nach seiner Verurteilung im Bereich der Altenseelsorge weiter ausgeübt hat. Dies lässt sich dem vorgelegten ärztlichen Bericht im letzten Absatz deutlich entnehmen. Die vorgelegte ärztliche Äußerung verhält sich somit nicht zur Frage, welche Auswirkungen es hat, wenn der Antragsteller sein - berufliches - Betätigungsfeld ändert und nunmehr Kleinkinder und Kinder im Vorschulalter betreut, auch wenn die bekannt gewordenen Übergriffe länger zurückliegen und sich auf ältere männliche Kinder und Jugendliche beschränkt haben sollen.
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Dass der Antragsteller durch die Therapie so gefestigt ist, dass keinerlei Risiken für diese Gruppe von Kindern bestehen, ist nicht belegt. Der Antragsteller hat bei seiner ersten Anhörung nach Bekanntwerden seiner Verurteilungen betont, dass es sich bei den Opfern der sexuellen Übergriffe um 12-jährige Jugendliche gehandelt habe, die freiwillig zu ihm gekommen seien. Auch die Kinder in der Kindertagespflege werden nicht unfreiwillig zu ihm kommen. Mit seiner Entscheidung, einen Beruf in der Kindertagespflege aufzunehmen, nimmt der Antragsteller eine Tätigkeit auf, die das Restrisiko von pädophilen Handlungen begünstigt; ein solches Restrisiko ist in der Kinder- und Jugendhilfe aber nicht hinnehmbar. Bei der Beurteilung von Verdachtsmomenten eines künftigen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen handelt es sich um einen komplexen, schwierigen Vorgang, für den regelmäßig Gutachten und Stellungnahmen forensisch erfahrener, sachverständiger Psychologen oder Psychiater/Psychotherapeuten verlässliche Grundlagen liefern können. Eine sichere fachärztliche Prognose, dass durch den Antragsteller pädophile Handlungen an Kindern bzw. Kleinkindern in der Tagespflege ausgeschlossen sind, liegt bislang nicht vor. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt sich deshalb nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass seine bereits einmal in entsprechenden Handlungen nach außen manifestierte pädophile Neigung eine solche Veränderung erfahren haben könnte, dass eine Gefährdung von Kindern und Jugendlichen auszuschließen wäre.
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Der Rücknahme der Tagespflegeerlaubnis steht nicht entgegen, dass die pädophile Neigung des Antragstellers und die Tatsache, dass dieser in den 90er Jahren wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden ist, dem Antragsgegner bereits bei Erteilung der Tagespflegeerlaubnis bekannt waren. Dies vermag kein Vertrauen des Antragstellers in den Bestand der rechtswidrigen Tagespflegerlaubnis dergestalt zu begründen, dass eine Rücknahme nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X mit Wirkung für die Zukunft nicht mehr möglich wäre. Denn angesichts des überragenden öffentlichen Interesses, eine Gefährdung von Kindern und Jugendlichen auszuschließen, ist ein solches Vertrauen voraussichtlich nicht schutzwürdig. Der Antragsgegner hat auch Ermessen ausgeübt und dabei das Interesse des Antragstellers an der Ausübung der Tagespflege in seine Entscheidung einbezogen.
27 
Es steht auch kein für den Antragsteller milderes Mittel zur Verfügung, mit welchem der Kindeswohlgefährdung gleich wirksam, aber für den Antragsteller weniger belastend als eine Rücknahme der Tagespflegeerlaubnis begegnet werden könnte. Eine Beschränkung der Tagespflege auf weibliche Kleinkinder, wie vom Verwaltungsgericht vorgeschlagen, ist nicht nur wenig praktikabel und vom Antragsgegner kaum lückenlos zu überwachen. Es gibt auch keine belastbaren Fakten, dass weibliche Kinder keinesfalls dem Risiko pädophiler Handlungen durch den Antragsteller ausgesetzt wären. Die sexuellen Übergriffe mögen sich zwar in der Vergangenheit gegen männliche Kinder und Jugendliche gerichtet haben; ob sich seine sexuellen Neigungen aber auch allein auf diesen Personenkreis beschränken und keinerlei Risiko für weibliche Kinder und Jugendliche besteht, ist bislang nicht belegt.
28 
Im Übrigen bestehen nach Auffassung des Senats Zweifel, ob die Ehefrau des Antragstellers die ihr vom Verwaltungsgericht zugedachte Kontrolle ihres Ehemannes erfüllen und sicherstellen könnte, dass der Antragsteller keinen Kontakt mehr zu männlichen Kindern erhält. Denn in der Beziehung der Eheleute dürfte der Ehefrau kaum eine jedenfalls gleichberechtigte Rolle zukommen, hat doch der Antragsteller anlässlich einer vom Antragsgegner durchgeführten Kontrolle angegeben, seine Ehefrau noch nicht von der erneuten Rücknahme der Tagespflegeerlaubnis informiert zu haben.
29 
2.) Unabhängig davon ist auch bei einer Abwägung zwischen dem Interesse an der Sicherheit von Kindern vor sexuellen Übergriffen einerseits und dem Interesse des Antragstellers an der Ausübung der Kindertagespflege und der Sicherung seiner ökonomischen Existenzgrundlage andererseits, wie sie das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss allein vorgenommen hat, der Antrag erfolglos.
30 
Bei der Gewichtung des Nachteils für den Antragsteller ist zu berücksichtigen, dass er durch die sofortige Vollziehung der Rücknahme der Pflegeerlaubnis eine Quelle seines derzeitigen Lebensunterhalts verliert, was umso schwerer wiegt, als aus demselben Sachverhalt auch seiner Ehefrau die Tagespflegerlaubnis entzogen worden ist, mit der die Betreuung der Kinder gemeinsam ausgeübt wurde (siehe dazu: VGH 12 S 676/19). Andererseits ist der Antragsteller Pfarrer im Ruhestand und müsste deshalb bereits aus dieser Tätigkeit über eine Einnahmequelle in Form eines Ruhegehalts verfügen. Seine Ehefrau hat nach den vorliegenden Unterlagen den Beruf der Erzieherin gelernt und dürfte angesichts des Fehlens von qualifizierten Kräften im Bereich der Kindererziehung jederzeit in der Lage sein, eine Beschäftigung als Erzieherin zu finden. Das versetzt den Antragsteller in die Lage, seinen Lebensunterhalt weiterhin zu bestreiten.
31 
Bei der Gewichtung des in Betracht zu ziehenden Nachteils für die Kinder ist für den Senat dabei von entscheidender Bedeutung, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern in hohen Maße persönlichkeitsschädigend ist, weil er in den Reifeprozess eines jungen Menschen eingreift und nachhaltig die Entwicklung seiner Gesamtpersönlichkeit gefährdet. Ein Kind oder Jugendlicher kann wegen seiner fehlenden oder noch nicht hinreichenden Reife das Erlebte intellektuell und psychisch in der Regel gar nicht oder nur sehr schwer verarbeiten. Ein Missbrauch kann langfristige seelische Traumatisierungen zur Folge haben, die es dem betroffenen Menschen auf lange Zeit oder dauerhaft unmöglich machen, ein von psychischer Beeinträchtigung freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Zugleich benutzt der Täter sein kindliches Opfer als Mittel der Befriedigung seines Geschlechtstriebs. In der Herabminderung zum bloßen Objekt seines eigenen Sexualverhaltens liegt eine grobe Missachtung der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte des betroffenen Kindes (zu den Wirkungen eines sexuellen Missbrauchs auf Kinder: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.12.2015 - DB 13 S 1634/15 - juris Rn. 52). Deshalb wiegt der Nachteil, den im Falle der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung die vom Antragsteller künftig betreuten Kinder erleiden werden, wenn sich der gegen den Antragsteller erhobene Vorwurf später bestätigt und die Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch werden, schwerer als der Nachteil, den der Antragsteller im Falle der Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung dadurch erleidet, dass er vorläufig den Beruf des Kindertagespflegers nicht mehr ausüben kann, obwohl sich später herausstellt, dass von ihm keinerlei Gefährdung der Kinder mehr ausgeht.
32 
Die Abwägung führt deshalb auch zu dem Ergebnis, dass das Interesse am Sofortvollzug der Rücknahme der Tagespflegerlaubnis (Schutz von Kindern vor möglichem sexuellem Missbrauch) schwerer wiegt als das Interesse des Antragstellers an der Fortsetzung seiner (Berufs-)Tätigkeit.
33 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 VwGO gerichtskostenfrei.
34 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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