Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 23. Oktober 2019 - A 7 K 6956/17 - wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Zulassungsverfahrens.
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| 1. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO zuzulassen. Denn das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil ist entgegen den klägerischen Einwänden „mit Gründen versehen“. |
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| Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass das angefochtene Asylurteil des Verwaltungsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.10.2019 am 23.12.2019 und somit erst nach zwei Monaten fertiggestellt und der Geschäftsstelle übergeben worden ist; eine vorherige Übergabe (nur) des Tenors an die Geschäftsstelle ist den Akten nicht zu entnehmen. Es liegt folglich ein Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO vor, wonach das Urteil - bzw. in analoger Anwendung des § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO jedenfalls die vom Richter unterschriebene Urteilsformel (BVerwG, Urteil vom 10.11.1999 - 6 C 30.98 -, Juris Rn. 22) - innerhalb von zwei Wochen der Geschäftsstelle übergeben werden muss. § 116 Abs. 2 VwGO sieht vor, dass der Richter sich unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung, spätestens aber zwei Wochen danach im Ergebnis festlegt (BVerwG, Urteil vom 10.11.1999 - 6 C 30.98 -, Juris Rn. 26). Diese Zwei-Wochen-Frist ist keine reine Ordnungsvorschrift, sondern eine Verfahrensvorschrift mit zwingendem Inhalt (Gemeinsamer Senat, Beschluss vom 27.04.1993 - GmS-OGB 1.92 -, Juris Rn. 11). Ihre Verletzung stellt daher grundsätzlich einen Verfahrensmangel dar (BVerwG, Beschluss vom 10.03.2014 - 8 B 34.11 -, Juris Rn. 9, m.w.N.). Aus diesem Verfahrensmangel lässt sich allerdings nicht automatisch folgern, dass das erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist gefertigte Urteil im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen wäre. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn das angegriffene Urteil auf dem Verfahrensfehler beruhen kann. |
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| Nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind in dem verwaltungsgerichtlichen Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Dieser Verpflichtung ist nur dann genüge getan, wenn die Entscheidungsgründe, die in das schriftlich abzufassende und von den mitwirkenden Richtern zu unterzeichnende Urteil aufgenommen worden sind, mit den Gründen übereinstimmen, die nach dem Ergebnis der Urteilsberatung für die richterliche Überzeugung und für die von dieser getragenen Entscheidung maßgeblich waren. Ist der Zusammenhang der schriftlichen Urteilsgründe mit der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Urteils aufgrund der großen Zeitspanne nicht mehr gewährleistet, ist das Urteil nicht mit Gründen versehen im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die sich auf die in §§ 517, 548 ZPO zum Ausdruck kommende Wertung stützt, ist ein solcher Zusammenhang grundsätzlich erst dann nicht mehr gewährleistet und greift daher die Kausalitätsvermutung des § 138 Nr. 6 VwGO ein, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind (BVerwG, Urteile vom 10.11.1999 - 6 C 30.98 -, Juris Rn. 23, und vom 03.08.1998 - 7 B 236.98 -, Juris Rn. 6; Beschluss vom 27.08.2014 - 3 B 2.14 -, Juris Rn. 10; vgl. auch Gemeinsamer Senat, Beschluss vom 27.04.1993 - GmS-OGB 1.92 -, Juris); Entsprechendes gilt in Fällen, in denen das Urteil gemäß § 116 Abs. 2 VwGO anstelle der Verkündung zugestellt wird (BVerwG, Beschluss vom 03.05.2004 - 7 B 60/04 -, Juris Rn. 4). Bei Einhaltung der Fünfmonatsfrist kann das Urteil nur im Einzelfall als im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen gelten, sofern nämlich zu dem Zeitablauf als solchem Umstände hinzukommen, die die bereits wegen des Zeitablaufs bestehenden Zweifel zu der Annahme verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Urteilsfindung und den schriftlichen niedergelegten Gründen nicht mehr gewahrt ist (BVerwG, Beschluss vom 09.08.2004 - 7 B 20.04 -, Juris Rn. 17, Urteil vom 30.05.2012 - 9 C 5.11 -, Juris Rn. 24, und Beschluss vom 27.08.2014 - 3 B 2.14 -, Juris Rn. 10). |
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| Maßgeblich für die Frage der Verspätung ist danach die Zeitspanne zwischen Urteilsfindung (vgl. zu den verschiedenen Ansichten zum Beginn der Frist Bay. VGH, Beschluss vom 23.04.2019 - 13a ZB 18.32206 -, Juris Rn. 6) und der Übergabe der vollständig abgefassten Urteilsgründe an die Geschäftsstelle. Denn im Rahmen des § 138 Nr. 6 VwGO geht es um die Beurkundungsfunktion des Urteils, also die Frage, ob die Gründe des Urteils zuverlässig diejenigen Erwägungen wiedergeben, welche für das Ergebnis der Entscheidung ausschlaggebend waren. Nicht von Relevanz in diesem Zusammenhang ist hingegen der Zeitraum zwischen mündlicher Verhandlung und Fällung der Entscheidung und die Frage, ob infolge einer verzögerten Entscheidungsfindung das Mündlichkeitsprinzip verletzt ist; insoweit ist vielmehr gegebenenfalls § 138 Nr. 3 VwGO einschlägig (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.11.1999 - 6 C 30.98 -, Juris Rn. 22 f., und Beschluss vom 06.05.1998 - 7 B 437.97 -, Juris Rn. 5; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 138 Rn. 158). |
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| Der Kläger behauptet vorliegend nicht, dass das Verwaltungsgericht nach Entscheidungsfindung die Urteilsgründe erst nach Ablauf der von der Rechtsprechung entwickelten Fünfmonatsfrist oder jedenfalls erst nach einem derart langen Zeitraum an die Geschäftsstelle übergeben hat, sodass die Beurkundungsfunktion des Urteils nicht mehr gewahrt wäre. Der Sache nach rügt er vielmehr einen Verstoß gegen das Mündlichkeitsprinzip infolge der Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist des § 116 Abs. 2 VwGO. Sedes materiae dieser Frage aber ist, wie ausgeführt, nicht § 138 Nr. 6 VwGO, sondern § 138 Nr. 3 VwGO. |
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| 2. Der hier vorliegende Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO begründet allerdings im Ergebnis auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO (vgl. zur Unschädlichkeit der Erörterung von Vorbringen unter dem unzutreffenden Zulassungsgrund: BVerfG, Beschluss vom 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 -, Juris Rn. 25). |
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| Die fristgerechte Entscheidungsfindung, die § 116 Abs. 2 VwGO gebietet, soll nicht nur den Beteiligten alsbald Gewissheit über die getroffene Entscheidung verschaffen; in erster Linie soll sie vielmehr den notwendigen Zusammenhang zwischen mündlicher Verhandlung und Urteil wahren und gewährleisten, dass das schriftliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten vom Gericht nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch bei der Entscheidungsfindung tatsächlich in Erwägung gezogen worden ist. § 116 Abs. 2 VwGO dient somit der Sicherung des Anspruchs der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (BVerfG, Beschluss vom 14.03.1990 - 2 BvR 930/89 -, Juris Rn. 8; BVerwG, Urteile vom 10.11.1999 - 6 C 30.98 -, Juris Rn. 25 ff., und vom 25.01.1985 - 4 C 34.81 -, Juris Rn. 9, sowie Beschluss vom 06.05.1998 - 7 B 437.97 -, Juris Rn. 4 f.). |
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| Dies bedeutet jedoch entgegen der Auffassung des Klägers nicht, dass jede Verletzung von § 116 Abs. 2 VwGO automatisch oder jedenfalls dann, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, einen Gehörsverstoß - und in der Folge einen Verfahrensverstoß im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO - begründet. Vielmehr ist die Frage, inwieweit die verspätete Übergabe (auch) des Tenors an die Geschäftsstelle den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, stets nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, wobei dem Ausmaß der Fristüberschreitung eine wichtige Indizfunktion zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.02.2001 - 2 BvR 62/01 -, Juris Rn. 3; BVerwG, Urteile vom 10.11.1999 - 6 C 30.98 -, Juris Rn. 25, und vom 11.12.2003 - 7 C 19.02 -, Juris Rn. 22; ebenso OVG LSA, Beschluss vom 01.03.2001 - 1 L 6/11 -, Juris Rn. 8; OVG NRW, Beschluss vom 07.11.2001 - 5 A 1352/10 -, Juris Rn. 48; OVG RP, Beschluss vom 09.05.2003 - 8 A 10564/03 -, Juris Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 09.04.2001 - 19 ZB 00.32356 -, Juris Rn. 4; enger wohl BVerwG, Beschlüsse vom 06.05.1998 - 7 B 437.97 -, Juris Rn. 4, und vom 07.07.1998 - 9 B 931.97 -, Juris Rn. 2). Je gravierender die Zweiwochenfrist vom Verwaltungsgericht überschritten worden ist, je oberflächlicher Inhalt und Ablauf der mündlichen Verhandlung im Protokoll festgehalten wurden, je weniger sich die Angaben der Beteiligten im Urteil wiederfinden und je konkreter der Beteiligte darlegt, welche entscheidungserheblichen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte, die er (erstmals) in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, im Urteil nicht zur Kenntnis genommen und gewürdigt wurden, desto eher wird ein Gehörsverstoß anzunehmen sein, mithin das Urteil auf dem Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO beruhen können. Spiegelbildlich gilt, dass ein Beruhen umso eher ausgeschlossen werden kann, je geringer die zeitliche Überschreitung der Zweiwochenfrist ist, je detaillierter das Protokoll Inhalt und Ablauf der mündlichen Verhandlung - d.h. bei Asylverfahren insbesondere die Angaben des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Anhörung - wiedergibt, je genauer sich das Urteil mit dem Vortrag der Beteiligten auseinandersetzt und je pauschaler der Beteiligte die Verletzung des Mündlichkeitsprinzips rügt. |
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| 3. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht infolge der Überschreitung der Zweiwochenfrist den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, das Urteil mithin auf dem Verfahrensfehler beruhen könnte. Zwar wurde das Urteil erst zwei Monate nach der mündlichen Verhandlung gefällt. Dem sorgfältigen und ausführlichen Protokoll lassen sich jedoch die nicht außergewöhnlich komplexen Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung detailliert entnehmen; mit ihnen setzt sich das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung auseinander und legt sie weitgehend - insbesondere die Entziehung des Klägers vom Wehrdienst, seine Befürchtung, bei einer Einziehung Krankenhäuser und Schulen beschießen zu müssen, und eine in der mündlichen Verhandlung erstmals angesprochene einmalige vorübergehende Festnahme an einem Kontrollpunkt - seiner ausführlich begründeten Entscheidung zugrunde. Der Kläger selbst trägt nicht vor, welches konkrete Vorbringen in der mündlichen Verhandlung durch das Gericht nicht bedacht worden sein könnte, sondern verweist lediglich pauschal und abstrakt darauf, in Asylverfahren komme es ganz entscheidend auf den bleibenden Eindruck aus der mündlichen Verhandlung an und es könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein Richter gerade in Zeiten der Überlastung nach zwei Monaten die mündliche Verhandlung noch hinreichend vor Augen habe. |
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| Der Beschluss ist unanfechtbar. |
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