Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 11 S 1325/19

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. April 2019 - 9 K 4688/18 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

 
Die Beschwerde der Klägerin gegen den oben genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart bleibt ohne Erfolg.
I.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Prozesskostenhilfe für ein von ihr beim Verwaltungsgericht Stuttgart betriebenes Klageverfahren (9 K 4688/18).
Die Klägerin ist kamerunische Staatsangehörige. Sie reiste im Jahr 2015 mit einem Visum in das Unionsgebiet ein und stellte noch im selben Jahr beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 11. August 2017 ab. Über die hiergegen von der Klägerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage war im für das Beschwerdeverfahren maßgebenden Zeitpunkt für die Prüfung der Sach- und Rechtslage noch nicht entschieden.
Die Klägerin wohnt seit Oktober 2017 im Gebiet der Beklagten. Im Februar 2018 beantragte sie bei der Beklagten die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis. Diesen Antrag lehnte die Beklagte nach vorangegangener Anhörung mit Bescheid vom 22. März 2018 ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass sie sich in Ausübung des ihr nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG (in der bis zum 29. Februar 2020 geltenden Fassung; nachfolgend § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG a.F.) eröffneten Ermessens gegen die Erteilung der begehrten Beschäftigungserlaubnis entscheide. Denn die Klägerin sei ihren asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG nicht nachgekommen und habe nicht hinreichend an der Beschaffung eines auf sie bezogenen Identitätspapiers mitgewirkt. Außerdem stellte die Beklagte auf den aus ihrer Sicht fehlenden Integrationswillen der Klägerin ab.
Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom 22. März 2018 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage (9 K 4688/18) und beantragte für diese Klage die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung ihrer Rechtsanwältin. Zur Begründung ihrer Klage führte sie unter anderem aus, dass sie nicht verpflichtet sei, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Ihre Identität sei aufgrund der über sie im Visa-Informationssystem gespeicherten personenbezogenen Daten bereits hinreichend geklärt. Außerdem legte die Klägerin mit ihrer Klage die Kopie einer Geburtsurkunde sowie diverse Nachweise zu aktuellen Integrationsbemühungen vor. In der Klageerwiderung hielt die Beklagte an ihrem Bescheid fest, stützte ihre Entscheidung nun aber maßgebend auf die fehlende Bereitschaft der Klägerin, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Zugleich signalisierte die Beklagte grundsätzliche Bereitschaft, der Klägerin im Falle der Vorlage des Originals einer echten Geburtsurkunde die beantragte Beschäftigungserlaubnis zu erteilen.
Im November 2018 legte die Klägerin der Beklagten eine von dieser als echt eingeschätzte Geburtsurkunde vor. Nachfolgend erteilte die Beklagte der Klägerin die beantragte Beschäftigungserlaubnis.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin mit Beschluss vom 16. April 2019 ab. In den Gründen des Beschlusses führte es aus, dass die Klage zum maßgebenden Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten habe. Die Klage sei bereits unzulässig gewesen. Der Klägerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da sie es in der Hand gehabt habe, durch Vorlage einer echten Geburtsurkunde bei der Beklagten das gewünschte Ziel zu erreichen. Überdies sei die Klage auch unbegründet gewesen. Die Beklagte habe in ihrer Ermessensentscheidung zu Recht zum Nachteil der Klägerin berücksichtigt, dass diese ihren asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 25. April 2019 zugestellt. Am 8. Mai 2019 legte diese für die Klägerin beim Verwaltungsgericht gegen den Beschluss Beschwerde ein. Die Klage im Verfahren 9 K 4688/18 sei zulässig und begründet. Zur weiteren Begründung wiederholte und vertiefte die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren. Die Beklagte ist der Beschwerde entgegengetreten.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Mit dem Verwaltungsgericht ist der Senat der Auffassung, dass der Klägerin kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe für die von ihr beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Verpflichtungsklage (9 K 4688/18) zusteht. Ebenso wenig kann die Klägerin die Beiordnung ihrer Rechtsanwältin für dieses Klageverfahren beanspruchen. Denn die Rechtsverfolgung der Klägerin hatte im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zum hier maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Gemäß § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren. Erforderlich ist zudem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter den gleichen Voraussetzungen erfolgt nach Maßgabe des § 121 Abs. 2 ZPO die Beiordnung eines Rechtsanwalts.
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Für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht ist auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs abzustellen (VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 16.01.2020 - 11 S 3282/19 -, juris Rn. 3, vom 27.08.2019 - 11 S 1879/19 -, juris Rn. 3 und vom 23.04.2019 - 11 S 2292/18 -, juris Rn. 3; Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 40; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 16.04.2019 - 1 BvR 2111/17 -, Rn. 25). Dieser Zeitpunkt ist auch für die Entscheidung in der Beschwerdeinstanz maßgebend (OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 28.10.2019 - 4 O 238/19 -, juris Rn. 14). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme ein (BVerwG, Beschluss vom 12.09.2007 - 10 C 39.07 u.a. -, Rn. 1; OVG Bln.-Bbg, Beschlüsse vom 08.07.2019 - 3 M 47.18 -, juris Rn. 7, und vom 27.07.2017 - 3 M 92.17 -, juris Rn. 6; Bay. VGH, Beschluss vom 11.02.2014 - 10 C 11.1680 -, juris Rn. 3); außerdem setzt die Entscheidungsreife regelmäßig voraus, dass dem Gericht die einschlägigen Verwaltungsvorgänge zugänglich gemacht worden sind (OVG Bln.-Bbg., a.a.O.).
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Für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht gilt im Prozesskostenhilfeverfahren ein grundsätzlich anderer Maßstab, als er für das Verfahren in der Sache selbst zugrunde zu legen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.11.2017 - 2 BvR 902/17 -, Rn. 12). Zur Gewährung von Prozesskostenhilfe ist es nicht erforderlich, dass der Prozesserfolg (annähernd) gewiss ist. Vielmehr besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht schon dann, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich erscheint wie ein Unterliegen, der Prozessausgang also offen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 -, BVerfGE 81, 347; Beschluss vom 22.05.2012 - 2 BvR 820/11 -, InfAuslR 2012, 317). Weder dürfen Beweiswürdigungen vorweggenommen noch sollen schwierige Rechtsfragen geklärt werden, die in vertretbarer Weise auch anders beantwortet werden können. Denn die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 -, BVerfGE 81, 347; Beschluss vom 05.12.2018 - 2 BvR 2557/17 -, Rn. 14).
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2. Nach diesem Maßstab bestehen gegen die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags durch das Verwaltungsgericht keine Bedenken.
14 
Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass zum hier maßgeblichen Zeitpunkt - dem Eingang der Stellungnahme der Beklagten sowie der einschlägigen Behördenakten beim Verwaltungsgericht am 22. Mai 2018 - die von der Klägerin erhobene Verpflichtungsklage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte. Dabei kann offen bleiben, ob die Annahme des Verwaltungsgerichts zutrifft, dass die Klage zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits unzulässig war. Denn zu diesem Zeitpunkt war jedenfalls nicht von der Begründetheit der Klage auszugehen. Nach den dem Verwaltungsgericht seinerzeit vorliegenden Informationen hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der von ihr beantragten Beschäftigungserlaubnis (nachfolgend a)). Ebenso wenig bestand Anlass, die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ermessensfehlerfrei neu zu entscheiden. Denn zum hier maßgeblichen Zeitpunkt litt die streitgegenständliche Verfügung der Beklagten vom 23. März 2018 an keinen nach § 114 VwGO relevanten Ermessensfehlern (nachfolgend b)).
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a) Die Klägerin war zum maßgeblichen Zeitpunkt Asylbewerberin und nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 4 Abs. 3 AufenthG (in der bis zum 29. Februar 2020 geltenden Fassung dieser Norm; nachfolgend § 4 Abs. 3 AufenthG a.F.). Nach der Rechtslage am 22. Mai 2018 kam als Grundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis allenfalls § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG a.F. in Betracht. Auf § 61 Abs. 1 Satz 2 AsylG (in der seit dem 1. März 2020 geltenden Fassung von § 61 AsylG) konnte sich die Klägerin zum hier maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht stützen.
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Nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG a.F. kann einem Asylbewerber, der sich seit drei Monaten gestattet im Bundesgebiet aufhält, abweichend von § 4 Abs. 3 AufenthG a.F. die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder eine solche Zustimmung aufgrund spezieller Regelung entbehrlich ist. Einen Anspruch gegen die Beklagte auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis konnte die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt aus dieser Norm aber nicht ableiten. Dabei spielt es keine Rolle, ob alle tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage im Falle der Klägerin erfüllt waren. Denn der Senat sieht keine Umstände, aus denen geschlossen werden könnte, dass das der Beklagten durch § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG a.F. eröffnete Ermessen zugunsten der Klägerin auf null reduziert war (zu den strengen Anforderungen an die Annahme einer solchen Ermessensreduzierung vgl. VG München, Urteil vom 07.03.2019 - M 12 K 18.5982 -, juris Rn. 21; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 32).
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Die Beklagte hatte der Klägerin die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nicht zugesichert oder sonstige Erklärungen abgegeben, aus denen sich eine Ermessensreduzierung zugunsten der Klägerin ergeben könnte. Die praktische und rechtliche Alternativlosigkeit einer Entscheidung zugunsten der Klägerin folgte auch nicht aus der Anwendung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) mit Blick auf eine vorangegangene Verwaltungspraxis der Beklagten. Hieran wäre allenfalls zu denken, wenn es im hier maßgeblichen Zeitpunkt der ständigen Übung der Beklagten entsprochen hätte, Asylbewerbern bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG a.F. Beschäftigungserlaubnisse regelmäßig zu erteilen, wenn sie ihren Mitwirkungspflichten nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 und 6 AsylG nachgekommen sind. Das Bestehen einer solchen Übung der Beklagten ist für den Senat aber nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht behauptet worden. Der von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid mitgeteilte Maßstab ihrer Ermessensausübung macht vielmehr deutlich, dass die Beklagte bei ihren Entscheidungen nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG a.F. den Ansatz verfolgt hat, „alle Gesichtspunkte des Einzelfalls“ in den Blick zu nehmen und in die Würdigung einzubeziehen. Dabei hat sie zwar auch die Bereitschaft des Asylbewerbers berücksichtigt, seinen asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten nachzukommen. Andere Gesichtspunkte, wie etwa das Bestehen von Ausweisungsinteressen gegen den Asylbewerber und dessen Bereitschaft, sich in die hiesige Gesellschaft zu integrieren, hat sie aber ebenfalls in ihre Überlegungen einbezogen. Die Ausrichtung der Beklagten am umfassenden Ansatz der konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls schließt es aber aus, dahingehend eine nach Art. 3 Abs. 1 GG relevante Selbstbindung der Beklagten anzunehmen, dass bei Vorliegen bestimmter, typisierter Umstände zwingend zugunsten des jeweiligen Antragstellers zu entscheiden wäre. Dies gilt auch dann, wenn - wie im Falle der von der Klägerin an den Tag gelegten Integrationsbemühungen - Umstände zu verzeichnen sind, die von der Beklagten typischerweise bei ihren Würdigungen Berücksichtigung finden.
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Sonstige Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass das Ermessen der Beklagten nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG a.F. zugunsten der Klägerin auf null reduziert war, sind nicht ersichtlich.
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b) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten zum hier maßgeblichen Zeitpunkt auf einem nach § 114 VwGO relevanten Ermessensfehler beruht hat.
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aa) Der oben bereits angesprochene Maßstab, an dem sich die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG a.F. orientiert hat, ist nicht zu beanstanden. Ebenso wenig begegnet es Bedenken, wenn die Beklagte in Konkretisierung dieses Maßstabs - der Würdigung aller Gesichtspunkte des Einzelfalls - den Themen Erfüllung asylverfahrensrechtlicher Mitwirkungspflichten, Bestehen von Ausweisungsinteressen sowie Umfang etwaiger Integrationsbemühungen besonderes Gewicht zugemessen hat. Hierbei handelt es sich nicht um sachfremde Erwägungen, die bei der Ermessensausübung nach § 61 Abs. 2 Satz 1 AsylG a.F. keine Berücksichtigung finden durften. Ebenso wenig ist es zu beanstanden, wenn die Beklagte bei der Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Falles der Klägerin der Nichterfüllung asylverfahrensrechtlicher Mitwirkungspflichten letztlich größeres Gewicht zugemessen hat als dem Umstand, dass die Klägerin im laufenden Klageverfahren Nachweise für durchaus relevante Integrationsbemühungen erbracht hat.
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bb) Auch die Anwendung des von der Beklagten herangezogenen Maßstabs lässt im Falle der Klägerin keinen relevanten Ermessensfehler erkennen.
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(1) So hat die Beklagte bei der Ermessensausübung zu Recht auf die Nichterfüllung von asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten der Klägerin abgestellt. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin zum hier maßgeblichen Zeitpunkt ihren Mitwirkungspflichten nicht hinreichend nachgekommen war.
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Dies gilt auch dann, wenn man den Einlassungen der Klägerin Glauben schenkt, dass sie tatsächlich nicht in der Lage sei, den Anforderungen des § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG nachzukommen, also den mit der Ausführung des Asylgesetzes betrauten Behörden einen Pass oder Passersatz vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Denn in diesem Fall ist die Klägerin nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Hierauf hat die Beklagte die Klägerin hingewiesen und den Erlass der beantragten Beschäftigungserlaubnis ausdrücklich von der Erfüllung dieser Pflicht abhängig gemacht. Diese Haltung der Ausländerbehörden war der Klägerin bereits aus einem von ihr im Mai 2017 betriebenen Erlaubniserteilungsverfahren bekannt. Jedenfalls zum hier maßgeblichen Zeitpunkt hatte das Verwaltungsgericht keinen Anlass für die Annahme, dass die Klägerin ihrer Verpflichtung aus § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG bereits hinreichend nachgekommen war.
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(a) Diese Verpflichtung hat entgegen der Auffassung der Klägerin zum hier maßgeblichen Zeitpunkt bestanden. Anderes ergibt sich nicht aus dem von der Klägerin geltend gemachten Umstand, dass in den Jahren 2014 und 2015 im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Visumsanträgen durch spanische und italienische Behörden personenbezogene Daten der Klägerin im Visa-Informationssystem gespeichert wurden. Durch das Vorhandensein und die Abrufbarkeit dieser Daten für die mit der Ausführung des Asylgesetzes betrauten Behörden entfällt nicht die Verpflichtung eines Asylbewerbers nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Dies erklärt sich daraus, dass der Gesetzgeber die Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG mit Blick darauf geschaffen hat, dass für den Asylbewerber im Falle eines für ihn negativen Abschlusses des Asylverfahrens zur Durchführung seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat dort anerkannte Identitätspapiere benötigt werden. Es geht also darum, die Möglichkeit der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu gewährleisten (Bergmann, in: ders/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 15 AsylG Rn. 11; Sieweke/Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 24. Edition 01.11.2019, § 15 AsylG Rn. 7). Allein durch die Nutzung personenbezogener Daten des Asylbewerbers aus dem Visa-Informationssystem wird aber nicht gewährleistet, dass der Herkunftsstaat des Asylbewerbers dessen Rückkehr zulässt. Das Visa-Informationssystem dient zwar unter anderem auch dem Zweck, zur Identifizierung von Personen beizutragen, die die Voraussetzungen für die Einreise in das Unionsgebiet oder den dortigen Aufenthalt nicht beziehungsweise nicht mehr erfüllen (vgl. Art. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 767/2008 ). Insofern erfüllt es auch Funktionen im Rahmen der Rückführung von Drittstaatsangehörigen aus dem Unionsgebiet. Das Visa-Informationssystem beinhaltet aber lediglich die in Art. 5 der VIS-Verordnung aufgeführten Kategorien von Daten (alphanumerische Daten über den Antragsteller und über Visa, Fotos, Fingerabdruckdaten und Verknüpfungen zu anderen Anträgen). Hierzu zählen zwar auch Informationen über Reisedokumente, die der Drittstaatsangehörige bei der Visumsbeantragung vorgelegt hat (Art und Nummer des Reisedokuments, der Code des ausstellenden Staates, das Datum des Ablaufs der Gültigkeitsdauer des Reisedokuments, die ausstellende Behörde sowie das Datum der Ausstellung des Dokuments; vgl. Art. 9 Nr. 4 Buchst. b bis d der VIS-Verordnung). Das Visa-Informationssystem umfasst aber keine Sammlung von Identifikationspapieren (oder auch nur authentischen Abbildungen), die benötigt werden, um im Falle einer Rückführung des Drittstaatsangehörigen dessen Aufnahme im Herkunftsstaat zu gewährleisten. Für einen Herkunftsstaat besteht keine Veranlassung, die im Visa-Informationssystem zu einem Asylbewerber gespeicherten Informationen als für eine Einreise in sein Staatsgebiet ausreichenden Identitätsnachweis anzuerkennen. Daher ist ein Asylbewerber auch dann verpflichtet, an der Beschaffung eines Identifikationspapiers mitzuwirken, wenn seine Identität für die mit der Durchführung des Asylgesetzes betrauten Behörden aufgrund der Informationen im Visa-Informationssystem über die betreffende Person hinreichend geklärt ist.
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(b) Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Pflicht zur Mitwirkung an der Beschaffung eines Identitätspapiers noch nicht hinreichend nachgekommen war.
26 
Von einem Asylbewerber kann zwar vor dem negativen Abschluss seines Asylverfahrens nicht uneingeschränkt verlangt werden, zu Behörden seines Herkunftsstaates persönlich Kontakt aufzunehmen, um dort die Ausstellung von Identitätspapieren zu erwirken (vgl. hierzu VG Freiburg, Beschluss vom 04.09.2019 - A 9 K 1479/19 -, juris Rn. 2 ff.; Bergmann, in: ders./Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 15 AsylG Rn. 11). Dies hat die Beklagte von der Klägerin aber auch nicht verlangt. Vielmehr hat die Beklagte die Klägerin wiederholt aufgefordert, anstelle des als entwendet bezeichneten Passes - auf welche Weise auch immer - ein sonstiges Dokument herbeizuschaffen, das zum Nachweis ihrer Identität geeignet sein kann (Personalausweis, Geburtsurkunde, Staatsangehörigkeitsurkunde, Familienbuch, Führerschein oder ähnliches). Hierauf ist aber zunächst keine sachangemessene Reaktion der Klägerin erfolgt. Vor Erhebung der Klage hat nichts darauf hingedeutet, dass sich die Klägerin in irgendeiner Weise um die Beschaffung eines der von der Beklagten angesprochenen Dokumente bemüht. Vielmehr hat sie sich auf die nicht näher erläuterte Behauptung beschränkt, dass sie keinen Zugang zu solchen Dokumenten habe und dass ihre Identität bereits hinreichend geklärt sei. Hierdurch war die Klägerin von ihren Mitwirkungspflichten aber nicht befreit. Vielmehr wäre zumindest zu erwarten gewesen, dass sie der Beklagten darlegt, welche Anstrengungen sie unternommen hat, über Verwandte oder Bekannte im Herkunftsstaat auf die Beschaffung von geeigneten Dokumenten hinzuwirken, beziehungsweise weshalb es aussichtslos sein wird, in dieser Richtung (weiter) tätig zu werden.
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Erst mit ihrer Klageschrift vom 17. April 2018 im Verfahren 9 K 4688/18 vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart hat die Klägerin ohne weitere Erläuterung zur Herkunft und Erstellung des Papiers die einfache Kopie einer Geburtsurkunde vorgelegt. Allein hierdurch hat die Klägerin ihre Pflicht zur Mitwirkung an der Beschaffung eines Identitätspapiers jedoch noch nicht erfüllt. Denn es war unwahrscheinlich, dass die einfache Kopie einer Geburtsurkunde ausreichen würde, die Beschaffung der zur Rückkehr der Klägerin in ihren Herkunftsstaat benötigten Dokumente wesentlich zu fördern. Das hierzu geeignete Original der Geburtsurkunde hat die Klägerin der Beklagten aber erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegt. Bis zu diesem Zeitpunkt hat sie weder angekündigt, die Urkunde alsbald vorzulegen, noch angegeben, wie sie in den Besitz der Kopie gelangt ist, noch Gründe mitgeteilt, weshalb sie durch Umstände, auf die sie keinen Einfluss hat, gehindert sei, das Original der Geburtsurkunde beizubringen. In dieser Situation ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte an der streitgegenständlichen Ermessensentscheidung bis zur Beibringung des Originals der Geburtsurkunde festgehalten hat.
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(2) Schließlich war zum hier maßgeblichen Zeitpunkt ein relevanter Ermessensfehler der Beklagten auch insofern nicht festzustellen, als diese der Klägerin in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides „fehlenden Integrationswillen“ vorgeworfen hat.
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Aus der Klageerwiderung der Beklagten vom 18. Mai 2018 lässt sich deutlich ablesen, dass die Beklagte an dieser Erwägung angesichts der von der Klägerin im Klageverfahren erbrachten beziehungsweise angekündigten Integrationsnachweise nicht mehr festgehalten hat. Vielmehr hat sie unter dem Eindruck der aktuellen Informationslage eine erneute Bewertung der konkreten Gegebenheiten des Falles der Klägerin vorgenommen und ihre Ermessenserwägungen in Bezug auf den streitgegenständlichen Bescheid ergänzt. Dies war im laufenden gerichtlichen Verfahren möglich und angesichts der neuen Informationen aus der Sphäre der Klägerin auch geboten (vgl. zum Nachschieben von Ermessenserwägungen bei Verpflichtungsklagen etwa W.-R. Schenke/R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl 2019, § 113 Rn. 232). Der Umstand, dass die Beklagte im Rahmen dieser Neubewertung dem Gesichtspunkt der nach wie vor unzureichenden Mitwirkung der Klägerin im Asylverfahren größeres Gewicht zugemessen hat als deren anerkennungswürdigen Integrationsbemühungen, ist - wie bereits oben gezeigt - nicht zu beanstanden. Diese Bewertung hält sich im Rahmen des der Beklagten durch den Gesetzgeber eröffneten Ermessensspielraums.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
31 
Ein Streitwert ist nicht festzusetzen, weil infolge der Zurückweisung der Beschwerde nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz eine Festgebühr angefallen ist. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
32 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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