Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - A 12 S 1507/20

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. März 2020 - A 6 K 2032/18 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Gründe

Der am 07.05.2020 gestellte Antrag des Klägers, eines pakistanischen Staatsangehörigen, auf Zulassung der Berufung gegen das am 07.04.2020 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg bleibt ohne Erfolg. Der seitens des Klägers gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG geltend gemachte Verfahrensmangel, die Entscheidung sei nicht im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO mit Gründen versehen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG), rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage des 1982 geborenen Klägers, die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 1, 3 und 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 16.02.2018 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen, weiterhin hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot vorliegt, abgewiesen. Es hat zur näheren Begründung, weshalb dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen, auf den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes verwiesen und unter Hinweis auf § 77 Abs. 2 AsylG festgestellt, dass es diesem folgt. Der Kläger habe im Termin zur mündlichen Verhandlung bei seiner Anhörung die Gründe für seine Ausreise aus dem Heimatland wiederholt, die er auch schon beim Bundesamt angegeben habe.
Der Kläger rügt, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen, weil sie abgesehen von dem Verweis auf die angegriffene Entscheidung des Bundesamtes keine Begründung im engeren Sinne enthalte. Dieses Vorbringen führt nicht zu einer Zulassung der Berufung.
Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen im Urteil die Gründe schriftlich niedergelegt werden, die für die Überzeugungsbildung des Gerichts maßgeblich waren. Den Entscheidungsgründen kommt eine doppelte Aufgabe zu. Sie sollen zum einen die Beteiligten über die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Gerichts unterrichten und ihnen die Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht. Zum anderen sollen sie die Nachprüfung des Urteils im Rechtsmittelverfahren ermöglichen. Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung, wenn die Entscheidungsgründe diese doppelte Aufgabe nicht mehr erfüllen können, also den Beteiligten, aber auch dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung zu überprüfen. Das ist nur der Fall, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstands fehlen oder sich als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.11.2002 - 2 C 25.01 -, juris Rn. 12; Beschlüsse vom 15.07.2010 - 8 B 94.09 -, juris Rn. 13, und vom 25.09.2013 - 1 B 8.13 -, juris Rn. 16, m.w.N.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.05.2019 - 9 A 1619/19.A -, juris Rn. 3; vgl. auch Neumann/ Korbmacher, in: Sodan/ Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 138 Rn. 217). Kein Begründungsmangel im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO liegt, vor, wenn die Gründe nicht überzeugend, nur oberflächlich, sachlich unvollständig, unrichtig oder sonst fehlerhaft sind (näher Berlit in: GK-AsylG, § 78 Rn. 480 ff. m.w.N.).
Ausgehend von diesen Maßstäben liegt der geltend gemachte Begründungsmangel nicht vor.
Das Verwaltungsgericht, das im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausführlich die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben aufgeführt hat, hat in den Entscheidungsgründen von der in § 77 Abs. 2 AsylG gesetzlich eingeräumten Möglichkeit, von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen, unter den dort genannten Voraussetzungen Gebrauch gemacht, indem es auf die Begründung in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes vom 16.02.2018 verwiesen hat. In diesem Bescheid hat das Bundesamt unter Angabe der jeweiligen Rechtsgrundlagen im Einzelnen begründet, weshalb im Falle des Klägers weder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch die Zuerkennung subsidiären Schutzes noch die Feststellung erfolgen kann, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. So hat es auf Seite 3 unter anderem dargelegt, dass eine politisch motivierte Verfolgung seitens des pakistanischen Staates oder dem Staat zuzurechnende Verfolgung weder vorgetragen noch ersichtlich sei. Das Vorbringen des Klägers, er werde von den Brüdern seiner Geliebten gesucht, sei eine Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure. Zudem habe der Kläger selbst vorgetragen, dass er keine konkreten Morddrohungen erhalten habe. Die vom Kläger vorgetragenen Ursachen seiner Flucht hätten keinen Bezug zu den in § 3 AsylG vorgesehenen Verfolgungsmerkmalen. Es handele sich um eine Bedrohung mit privatem bzw. strafrechtlichem und nicht politischem Hintergrund. Auf Seite 4 f. führt das Bundesamt unter näherer Begründung aus, dass dem Kläger darüber hinaus Schutz nach § 3d Abs. 1, 2 AsylG zur Verfügung stehe, auf den er sich ebenso verweisen lassen müsse, wie gemäß § 3e AsylG auf die bestehende Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes. Unter Hinweis auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Mai 2016 stellt das Bundesamt auf Seite 5 fest, dass das Vorbringen des Klägers, ein Umzug sei nicht möglich, weil er keine Lust gehabt habe, in Pakistan zu bleiben, nicht nachvollziehbar sei. Da der Kläger erwerbsfähig sei, sei ihm und seiner Familie der Umzug in andere Landesteile und die Integration in den örtlichen Arbeitsmarkt in Pakistan möglich und zumutbar. Hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes führt das Bundesamt auf Seite 7 bis 9 unter Darlegung der rechtlichen Voraussetzungen aus, dass dem Sachvortrag des Klägers keine Hinweise zu entnehmen seien, dass ihm bei Rückkehr nach Pakistan die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch herrsche weder ein landesweiter noch ein regionaler, ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Insoweit führt das Bundesamt unter eingehender Darstellung der Sicherheitslage in Pakistan aus, dass der Vortrag des Klägers keine Anhaltspunkte dafür enthalte, dass er in irgendeiner Weise von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Pakistan betroffen wäre. In Bezug auf die nationalen Abschiebungsverbote stellt das Bundesamt ab Seite 10 fest, dass im Fall des Klägers keine Verletzung des Art. 3 EMRK drohe, weder individuell noch - und dies wird weiter ausgeführt - im Hinblick auf schlechte humanitäre Bedingungen im Heimatland. Dem Kläger sei es bis zu seiner Ausreise gelungen, für sich durch Arbeit eine bescheidene Lebensgrundlage zu schaffen. Somit bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er nicht imstande sein werde, bei einer Rückkehr nach Pakistan eine zumindest existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Es drohe dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib und Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Dass diese vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Begründung unvollständig oder so verworren oder unverständlich ist, dass sie unbrauchbar wäre, legt der Zulassungsantrag nicht dar.
Das Zulassungsvorbringen legt auch nicht dar, dass die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei, weil das Verwaltungsgericht zu Unrecht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte, gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angefochtenen Bescheids zu verweisen. Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.02.2019 (- 2 BvR 1193/18 -, juris) kann entgegen der Ansicht des Klägers nicht entnommen werden, dass § 77 Abs. 2 AsylG wegen der durch § 78 Abs. 3 VwGO erschwerten Möglichkeit, in Asylverfahren die Berufung zu beantragen, verfassungskonform dahingehend auszulegen wäre, dass neben dem Verweis auf den angegriffenen Verwaltungsakt in dem Urteil zumindest in Grundzügen eine eigene Entscheidung des Gerichts ersichtlich sein müsse. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft einen als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrag und befasst sich mit den Anforderungen an die Offensichtlichkeitsprüfung im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens. In Bezug hierauf führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass das Verwaltungsgericht aufgrund einer eigenständigen Beurteilung insbesondere zu prüfen hat, ob das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts auch weiterhin Bestand haben kann. Insoweit moniert es im konkreten Fall, dass das Verwaltungsgericht sich mit den dabei anzulegenden Maßstäben inhaltlich nicht auseinandergesetzt, sondern lediglich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen habe. Diesen Verweis auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid sieht das Bundesverfassungsgericht - anders als der Kläger meint - nicht grundsätzlich als unzulässig an. Es hat ihn nur deshalb beanstandet, weil im von ihm zu beurteilenden Einzelfall schon die vom Bundesamt gegebene Begründung für das Offensichtlichkeitsurteil defizitär war. Dass ein Verweis auf die Ausführungen des Bundesamtes unzureichend gewesen wäre, wenn der Bundesamtsbescheid eine den Anforderungen an ein Offensichtlichkeitsurteil genügende Begründung enthalten und sich diese weiterhin als zutreffend erwiesen hätte, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen.
Erst recht gibt der Beschluss keinen Anlass für die Annahme, dass ein Verweis gemäß § 77 Abs. 2 VwGO bei einem einfach unbegründeten Asylantrag wegen der Einschränkungen bei der Zulassung der Berufung durch § 78 Abs. 3 VwGO keine hinreichende Begründung darstellt. Denn entgegen der Annahme des Klägers schließt es die Bezugnahme auf die Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts weder aus, eine Divergenzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) zu erheben oder die grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) geltend zu machen, noch wird diese Möglichkeit unzumutbar erschwert. Gegenstand der Prüfung, ob das Verwaltungsgericht von der Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abgewichen ist, oder ob sich Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen, ist bei einem Verweis nach § 77 Abs. 2 AsylG die im Bescheid des Bundesamtes enthaltene Begründung, auf die das Verwaltungsgericht Bezug genommen hat. Da der Bescheid des Bundesamtes den Beteiligten vorliegt, ist nicht ersichtlich, weshalb es dem Kläger nicht möglich sein sollte, die darin enthaltene Begründung nachzuvollziehen. Eine Erschwernis, die Zulassung der Berufung zu erreichen, oder gar ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich daraus nicht.
Fehl geht das Zulassungsvorbringen zudem schon in der Annahme, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts im vorliegenden Fall ausschließlich aus einer Bezugnahme nach § 77 Abs. 2 VwGO besteht. Denn das Verwaltungsgericht hat zumindest einige darüber hinausgehende Ausführungen gemacht, die auch hinreichend erkennen lassen, dass eine Überprüfung des angefochtenen Bescheids durch das Verwaltungsgericht stattgefunden hat. So hat es dargestellt, welche Ansprüche von ihm geprüft worden sind und mit welchem Ergebnis. Die - möglicherweise nicht sehr geglückte - Feststellung, ihm sei eine andere Beurteilung als die vom Bundesamt in der Bescheidung vom 16.02.2018 getroffene nicht möglich, ist offensichtlich nicht so zu verstehen, dass sich das Verwaltungsgericht an einer abweichenden Beurteilung gehindert gesehen hätte. Vor dem Hintergrund, dass die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung dem entsprachen, was er schon beim Bundesamt vorgetragen hatte, hat das Verwaltungsgericht mit seiner Feststellung vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass es die Einschätzung des Bundesamtes teilt. Mit der weiteren Feststellung des Vorliegens einer inländischen Fluchtalternative - gemeint der Sache nach interner Schutz - wird ergänzend zu der in Bezug genommenen Begründung im Bescheid des Bundesamtes vom 16.02.2018 in sehr verkürzter Form das wesentliche, zur Ablehnung der geltend gemachten Ansprüche führende Argument nochmals betont. Diese Begründung ist zwar sehr knapp, genügt aber gerade noch der Anforderung, dass die Entscheidung auch im Falle eines Verweises gemäß § 77 Abs. 2 AsylG aus sich heraus verständlich bleiben muss (vgl. dazu Funke-Kaiser in: GK-AsylG, § 78 Rn. 25 ).
10 
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
11 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.
12 
Der Beschluss ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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