Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 6 S 2181/20

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 26. Mai 2020 – 9 K 2025/20 – wird verworfen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

 
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die in einem waffenrechtlichen Verwaltungsvollstreckungsverfahren ergangene richterliche Durchsuchungsanordnung des Verwaltungsgerichts ist unzulässig. Das als Beschwerde auszulegende Rechtsmittel (1.) wahrt die Beschwerdefrist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht, über die das Verwaltungsgericht ordnungsgemäß belehrt hat (2.). Zudem ist der Antragsgegner entgegen § 67 Abs. 4 VwGO nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten (3.).
1. Der Senat legt den „Widerspruch“, der keine bestimmten Anträge enthält, sachdienlich als Beschwerde mit dem Ziel aus, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.10.2020 - 1 S 2679/19 -, VBlBW 2021, 127 ) feststellen zu lassen. Denn die Durchsuchungsanordnung wurde am 22.06.2020 vollzogen und die im angefochtenen Beschluss ausgesprochene Geltungsdauer der Durchsuchungsanordnung von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses ist abgelaufen. Die durch das Verwaltungsgericht angeordnete Maßnahme hat sich damit in vollem Umfang erledigt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.04.2021 - 6 S 4129/20 -, juris Rn. 2).
2. Die Beschwerde wahrt die zweiwöchige Beschwerdefrist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO, über die der Antragsgegner ordnungsgemäß belehrt wurde, nicht.
a) Nach § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Die Beschwerdefrist ist gemäß § 147 Abs. 2 VwGO auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Beschwerdegericht eingeht.
Der angefochtene Beschluss vom 26.05.2020 wurde dem Antragsgegner ausweislich der bei den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde am 22.06.2020 im Wege der persönlichen Übergabe unter der Zustellanschrift zugestellt. Die Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO von zwei Wochen für die Einlegung der Beschwerde endete daher nach § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 ZPO sowie § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 06.07.2020. Die mit Schriftsatz vom 14.07.2020 eingelegte, am 17.07.2020 beim Verwaltungsgericht eingegangene Beschwerde wahrt diese Frist nicht.
b) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts nicht nur über die Beschwerdefrist und den Vertretungszwang, sondern auch über eine - tatsächlich nicht gegebene - Begründungspflicht, der innerhalb eines Monats zu genügen sei, belehrt.
Zwar beginnt die Frist für ein Rechtsmittel nach § 58 Abs. 1 VwGO nur zu laufen, wenn der betreffende Beteiligte über das Rechtsmittel, das Gericht, bei dem es anzubringen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt worden ist. Ist die Belehrung unrichtig erteilt, ist die Einlegung des Rechtsmittels nach § 58 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Jahres seit der Zustellung der Entscheidung zulässig, gegen die es sich richtet. Jedoch liegt ein solcher Fall hier nicht vor. Denn die Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts im Beschluss vom 26.05.2020 ist gemessen an den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO nicht unrichtig, so dass die Frist nach § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit der Zustellung des Beschlusses zu laufen begonnen hat und es daher dabei bleibt, dass die Beschwerde nicht fristgerecht eingelegt worden ist.
Die Rechtsmittelbelehrung belehrt im Einklang mit § 58 Abs. 1 VwGO zutreffend über das Rechtsmittel, das Gericht, bei dem es anzubringen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Frist. Denn sie führt im Einklang mit den einschlägigen gesetzlichen Regelungen aus, dass den Beteiligten die Beschwerde zusteht (§ 146 Abs. 1 VwGO), dass die Beschwerde innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses beim Verwaltungsgericht Karlsruhe einzulegen ist (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und dass die Frist auch gewahrt ist, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingeht (§ 147 Abs. 2 VwGO). Weiter gibt sie die Adressen des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs und damit deren Sitz zutreffend an. Schließlich belehrt die Rechtsmittelbelehrung im Einklang mit § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO darüber, dass sich die Beteiligten vor dem Verwaltungsgerichtshof, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen müssen und dass dies auch für Prozesshandlungen gilt, durch die ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird (§ 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO).
Entspricht damit die Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich der Notwendigkeit, sich vor dem Verwaltungsgerichtshof durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen, der gesetzlichen Regelung, so ist sie auch nicht deshalb geeignet, bei dem Betroffenen einen Irrtum über diese Notwendigkeit hervorzurufen, weil auf das Erfordernis einer Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten nicht bereits bei der Belehrung über die Beschwerdefrist und das Gericht, bei dem die Beschwerde einzulegen ist, sondern erst im weiteren Verlauf der Rechtsmittelbelehrung hingewiesen wird. Denn wie die Einlegung eines Rechtsmittels nach einer Rechtsmittelbelehrung zu erfolgen hat, lässt sich nicht der isolierten Betrachtung einer einzelnen Passage, sondern nur der Rechtsmittelbelehrung insgesamt entnehmen. Danach geht aber aus der Rechtsmittelbelehrung ohne weiteres hervor, dass bereits die Einlegung der Beschwerde als diejenige Prozesshandlung, die das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof einleitet, durch einen Prozessbevollmächtigten erfolgen muss (vgl. BayVGH, Beschluss vom 19.09.2014 - 10 CS 14.1485 -, juris Rn. 14).
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Allerdings ist eine Rechtsmittelbelehrung nicht nur dann im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht oder unzutreffend enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsmittels hervorzurufen und ihn dadurch davon abzuhalten, das Rechtsmittel überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 29.08.2018 - 1 C 6.18 -, BVerwGE 163, 26 m.w.N.). Hinter § 58 VwGO steht der Gedanke, dass dort, wo es möglich ist, Rechtsbehelfe (Rechtsmittel) zu ergreifen, auch sichergestellt sein soll, dass der Betroffene davon und von den Voraussetzungen, unter denen dies geschehen kann, im konkreten Einzelfall unterrichtet ist. Die Vorschrift soll verhindern, dass ein statthafter Rechtsbehelf nur deshalb nicht oder nicht fristgerecht ergriffen wird, weil der Betroffene die Möglichkeit des Rechtsbehelfs oder die Modalitäten seiner Einlegung nicht kennt. Das Einhalten der Rechtsbehelfsfrist soll dem Betroffenen nur dann zugemutet werden, wenn durch eine ordnungsgemäße Belehrung sichergestellt ist, dass er sich über den Rechtsbehelf und die Art und Weise, in der er einzulegen ist, im Klaren sein muss (Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Juli 2020, § 58 Rn. 15). Irreführende Belehrungen setzen die Rechtsbehelfsfrist dann nicht in Lauf, wenn sie geeignet sind, bei dem Adressaten der Belehrung einen Irrtum hervorzurufen, der das Einlegen des Rechtsbehelfs erschweren kann. Eine solche Irreführung hat das Bundesverwaltungsgericht etwa bei einer Rechtsbehelfsbelehrung angenommen, in der es hieß, die Klage müsse innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids „mit entsprechender Begründung“ eingereicht werden (BVerwG, Urteil vom 01.11.1967 - V C 92.67 -, BVerwGE 28, 178 ); die Erschwerung ist darin zu sehen, dass der Zusatz bei dem Leser den Eindruck erwecken kann, die Klage sei innerhalb dieser Frist auch zu begründen (Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider, a.a.O. § 58 Rn. 61). Dementsprechend setzt auch die einem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung, die den Eindruck erweckt, der Widerspruch könne nur schriftlich eingelegt werden und müsse innerhalb der Widerspruchsfrist begründet werden, die Widerspruchsfrist nicht in Lauf (BVerwG, Urteil vom 13.12.1978 - 6 C 77.78 -, BVerwGE 57, 188 ). Die Formulierung in einer Rechtsbehelfsbelehrung „Der Widerspruch soll begründet werden" ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg geeignet, bei dem Leser den irreführenden Eindruck zu erwecken, dass der Widerspruch entgegen der gesetzlichen Regelung - möglichst - zu begründen ist und dies noch innerhalb der Widerspruchsfrist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.1992 - 11 S 2218/92 -, VBlBW 1993, 230 ). Alle diese Fälle betrafen Rechtsmittelbelehrungen, die geeignet waren, beim Betroffenen den unzutreffenden Eindruck hervorzurufen, das Rechtsmittel müsse gleichzeitig mit seiner Einlegung auch begründet werden.
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Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den angeführten, bislang in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen grundlegend dadurch, dass das Verwaltungsgericht hier offenbar von einem zweistufig aufgebauten Rechtsmittel mit zweiwöchiger Beschwerdefrist und einmonatiger Begründungsfrist ausging. Denn die Belehrung über die vermeintlich innerhalb eines Monats einzureichende Begründung gibt die Anforderungen des nur in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123 VwGO) einschlägigen § 146 Abs. 4 VwGO wieder.
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Nach Auffassung des Senats ist diese, einen vermeintlich zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmenden gesonderten Akt betreffende unrichtige Belehrung nicht geeignet, den Beschwerdeführer von der Einlegung der Beschwerde innerhalb der gesetzlich normierten Zweiwochenfrist abzuhalten. Die Rechtsmittelbelehrung konnte beim Adressaten nicht den Eindruck hervorrufen, dass Rechtsmittel müsse bei Einlegung zugleich auch begründet werden. Das Einhalten der Rechtsmittelfrist konnte dem Beschwerdeführer zugemutet werden, weil durch die hinsichtlich der Einlegung der Beschwerde (erste Stufe) und des Vertretungszwangs ordnungsgemäße Belehrung sichergestellt war, dass er sich über den Rechtsbehelf und die Art und Weise, in der er einzulegen ist, im Klaren sein musste. Die unzutreffende Belehrung bezüglich der später einzureichenden Beschwerdebegründung (zweite Stufe) war nicht geeignet, bei dem Adressaten der Belehrung einen Irrtum hervorzurufen, der bereits das Einlegen des Rechtsmittels hätte erschweren können.
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3. Nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO müssen sich die Beteiligten vor dem Verwaltungsgerichtshof (vgl. § 184 VwGO in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO), außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird (§ 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO). Dieser Anforderung, auf die der Antragsgegner in der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses und nochmals in der Eingangsverfügung des 1. Senats vom 28.07.2020 hingewiesen worden ist, genügt die von ihm persönlich am 17.07.2020 eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht. Sie ist mangels Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten als Prozesshandlung unwirksam.
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4. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO) sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da im Beschwerdeverfahren lediglich eine Festgebühr anfällt (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses gemäß Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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