Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 6 S 2716/21

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. August 2021 - 2 K 2258/21 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den weiteren Betrieb der Spielhalle „...“ der Antragstellerin in der ..., bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den am 16.06.2021 gestellten Antrag auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis zu dulden.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Erfolg. Die von der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung fristgemäß (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben dem Senat Veranlassung, den angefochtenen Beschluss zu ändern und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den weiteren Betrieb der Spielhalle „...“ der Antragstellerin in der ..., ..., bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis vom 16.06.2021 zu dulden.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dazu ist nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen, dass ein Anordnungsgrund besteht, d.h. eine vorläufige gerichtliche Entscheidung erforderlich ist, und ein Anordnungsanspruch gegeben ist, also die tatsächlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch erfüllt sind.
Der Antragstellerin fehlt nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (1.), ihr Antrag ist nicht auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet (2.) und sie hat sowohl einen Anordnungsanspruch (3.) als auch einen Anordnungsgrund (4.) glaubhaft gemacht.
1. Am Rechtsschutzbedürfnis mangelt es nur, wenn das prozessuale Vorgehen einem Antragsteller offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.03.2014 - 1 C 5.13 -, juris Rn. 8; Urteil vom 29.04.2004 - 3 C 25.03 -, BVerwGE 121, 1 ; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.05.2021 - 1 S 1048/21 -, juris Rn. 21). Dies ist hier nicht der Fall.
Insbesondere geht der Senat nicht davon aus, dass sich die Antragstellerin bzw. deren gesetzliche Vertreter und Mitarbeiter auch bei Vorliegen einer auf einer gerichtlichen Entscheidung beruhenden aktiven Duldung des Betriebs der Spielhalle der Verfolgung wegen einer Straftat nach § 284 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB oder einer Ordnungswidrigkeit nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 LGlüG ausgesetzt sähen und daher die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Duldung des Spielhallenbetriebs der Antragstellerin nichts nützen könnte. Zwar bewirkt eine bloße Duldung des Weiterbetriebs einer Spielhalle – anders als etwa eine (vorläufige) glücksspielrechtliche Erlaubnis – nicht die formelle Legalisierung des Betriebs und vermag es deshalb möglicherweise auch nicht, die objektiven Tatbestände des § 284 Abs. 1 StGB und des § 48 Abs. 1 Nr. 1 LGlüG entfallen zu lassen. Ihr muss aber eine das Straf- und Ordnungswidrigkeitenunrecht ausschließende Wirkung beigemessen werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um eine nach verwaltungsrechtlichen Maßstäben rechtmäßige aktive Duldung handelt, die der Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Erlaubnisverfahrens sowie der Gewährung effektiven Rechtsschutzes dient (vgl. eingehend VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.07.2021 - 6 S 2237/21 -, juris Rn. 7 ff. m.w.N.).
2. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache steht dem Erlass der einstweiligen Anordnung nicht entgegen. Denn die von der Antragstellerin begehrte Duldung des Weiterbetriebs ihrer Spielhalle würde die Hauptsache nicht vorwegnehmen. In der Hauptsache begehrt die Antragstellerin die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis. Ihr Begehren ist also darauf gerichtet, die Spielhalle formell legal zu betreiben. Die von der Antragstellerin mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz begehrte Duldung bleibt hinter diesem Begehren zurück, weil die bloße Duldung des Weiterbetriebs – anders als eine vorläufige glücksspielrechtliche Erlaubnis – nicht die formelle Legalisierung des Betriebs bewirkt (OVG NRW, Beschluss vom 26.09.2019 - 4 B 255/18 -, ZfWG 2019, 516 m.w.N.).
3. Die Antragstellerin hat einen im Wege der einstweiligen Anordnung sicherungsfähigen Anspruch auf Duldung des Weiterbetriebs ihrer Spielhalle „...“ bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren Erlaubnisantrag vom 16.06.2021 glaubhaft gemacht. Ihr wird aller Voraussicht nach – rückwirkend zum 01.07.2021 – eine Erlaubnis zum Betrieb der Spielhalle „...“ nach § 41 Abs. 1 Satz 1 LGlüG zu erteilen sein.
Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 LGlüG bedarf der Betrieb einer Spielhalle der Erlaubnis nach dem Landesglücksspielgesetz, die die Erlaubnis nach § 33i GewO ersetzt und die Erlaubnis nach Artikel 1 § 24 Abs. 1 des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags mit umfasst. Es handelt sich dabei um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Zwar sieht die Norm nicht ausdrücklich eine gebundene Zulassungsentscheidung vor, doch folgt aus der Entstehungsgeschichte der Norm und dem Willen des Gesetzgebers, dass bei Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen und Fehlen von Versagungsgründen kein Raum für eine Ermessensausübung mehr verbleibt. Die Erlaubnis ersetzt die gewerberechtliche Erlaubnis gemäß § 33i GewO, bei der es sich um eine gebundene Entscheidung handelte (vgl. Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, Stand: Februar 2021, § 33i Rn. 31 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 09.03.2005 - 6 C 11.04 -, NVwZ 2005, 961 m.w.N.; OVG LSA, Beschluss vom 21.10.2014 - 1 M 116/14 -, ZfWG 2015, 134 <135>). An dieser Rechtslage hat sich mit der landesrechtlichen Normierung der Erlaubnis in § 41 LGlüG nichts geändert. Nach der Gesetzesbegründung unterstellt § 41 Abs. 1 LGlüG im Einklang mit der bisherigen Rechtslage den Betrieb einer Spielhalle der generellen Erlaubnispflicht, deren Voraussetzungen künftig allein in diesem Gesetz geregelt sind (LT-Drs. 15/2431, S. 103). Zum Versagungsgrund des § 41 Abs. 2 Nr. 3 LGlüG heißt es, dass die Erteilung der Erlaubnis, sofern keine sonstigen Versagungsgründe gegeben sind, erst dann erfolgt, wenn das Regierungspräsidium Karlsruhe das ihm von der zuständigen örtlichen Behörde übermittelte Sozialkonzept nicht beanstandet hat (LT-Drs. 15/2431, S. 104). Auch daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei Erfüllung sämtlicher Erlaubnisvoraussetzungen und Nichtvorliegen von Versagungsgründen die Erlaubnis zwingend zu erteilen ist. Die Regelungssystematik des § 41 Abs. 1 und 2 LGlüG spricht ebenfalls für dieses Ergebnis (vgl. [zur Parallelregelung in § 24 GlüStV 2012] Brüning/Bloch, in: Becker/Hilf/Nolte/Uwer, Glücksspielregulierung, Kommentar, 2017, § 24 GlüStV Rn. 6 m.w.N.; a.A. Hecker, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, § 24 GlüStV Rn. 25).
Danach bedarf der Betrieb der Spielhalle der Antragstellerin hier einer Erlaubnis nach § 41 Abs. 1 LGLüG, da es sich bei der Spielhalle „...“ – unstreitig – um eine Spielhalle im Sinne des § 40 LGlüG handelt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Erlaubnisvorbehalt in § 41 Abs. 1 LGlüG bestehen nicht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.07.2015 - 6 S 679/15 -, ZfWG 2015, 383 ).
10 
Die für die Spielhalle beantragte Erlaubnis wird voraussichtlich zu erteilen sein, da dem Betrieb der Spielhalle – soweit ersichtlich – keine Versagungsgründe nach § 41 Abs. 2 LGlüG entgegenstehen.
11 
Das Abstandsgebot aus § 42 Abs. 1 LGlüG wird eingehalten. Im Abstand von 500 Metern Luftlinie befinden sich nach Aktenlage derzeit keine weiteren Spielhallen mehr.
12 
Die Spielhalle steht auch nicht im baulichen Verbund mit einer weiteren Spielhalle. Zwar hatte die Antragstellerin an dem fraglichen Standort ursprünglich zwei Spielhallen betrieben (... und ...), für die ihr auf ihren Antrag vom 23.01.2012 am 06.02.2012 die erforderlichen Erlaubnisse nach § 33i Abs. 1 GewO erteilt worden waren. Die zweite Spielhalle, die wegen Verstoßes gegen das Verbundverbot (§ 42 Abs. 2 LGlüG) nicht genehmigungsfähig war, wurde jedoch zwischenzeitlich aufgegeben.
13 
Das Mindestabstandsgebot in § 42 Abs. 3 LGlüG kann der Antragstellerin nicht nach § 41 Abs. 2 Alt. 2 Nr. 2 LGlüG entgegengehalten werden, weil es sich bei ihrer Spielhalle um eine vor Inkrafttreten des Landesglückspielgesetzes genehmigte Bestandsspielhalle handelt, für die § 42 Abs. 3 LGlüG nach der in § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG getroffenen Übergangsvorschrift keine Anwendung findet.
14 
§ 42 Abs. 3 LGlüG bestimmt, dass zu einer bestehenden Einrichtung zum Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen ein Mindestabstand von 500 Metern Luftlinie, gemessen von Eingangstür zu Eingangstür, einzuhalten ist. Dieser Vorgabe wird die Spielhalle der Antragstellerin nicht gerecht. Sie befindet sich in einer Entfernung von 427 Metern zum ... Gymnasium und in 375 Metern Entfernung zu der Jugendeinrichtung „...“. Beide Einrichtungen sind solche im Sinne des § 42 Abs. 3 LGlüG, da sie zumindest auch dem Aufenthalt von Jugendlichen dienen. Der Schutzzweck der Norm besteht darin, Jugendliche vor den Gefahren der Spielsucht zu schützen. Kinder sind hingegen aufgrund ihres Entwicklungsstands nicht in der Lage, diese Gefahren zu realisieren und daher insoweit nicht schutzbedürftig. Demzufolge werden Einrichtungen, die ausschließlich zum Aufenthalt von Kindern bestimmt sind, nicht von § 42 Abs. 3 LGlüG erfasst. Zu den von der Norm geschützten Einrichtungen zählen deshalb insbesondere Schulen, Jugendheime und Einrichtungen für den Schulsport. Kindertagesstätten, Kinderkrippen oder Spielplätze werden nicht geschützt (vgl. LT-Drs. 15/2431, S. 105 f.).
15 
Jedoch findet § 42 Abs. 3 LGlüG auf die Spielhalle der Antragstellerin nach
§ 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG keine Anwendung. Nach § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG gilt § 42 Abs. 3 LGlüG nur für Spielhallen, für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landesglücksspielgesetzes eine Erlaubnis nach § 33i GewO noch nicht erteilt worden ist. Dies ist bei der Spielhalle der Antragstellerin nicht der Fall. Denn das Landesglücksspielgesetz ist nach § 53 Abs. 1 LGlüG am Tag nach seiner Verkündung am 28.11.2012 (GBl. S. 604) und mithin am 29.11.2012 in Kraft getreten. Die Erlaubnis nach § 33i GewO war der Antragstellerin aber bereits davor, nämlich unter dem 06.02.2012 erteilt worden.
16 
Der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen einschränkenden Auslegung von § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG dergestalt, dass die Norm nur – zeitlich beschränkt – bei der Erteilung von Erlaubnissen unter Befreiung von der Einhaltung der Anforderungen des § 42 Abs. 1 und 2 LGlüG nach § 51 Abs. 5 Satz 1 LGlüG (sog. Härtefallbefreiung) zur Anwendung kommt (in diesem Sinne auch VG Freiburg, Beschluss vom 13.07.2021 - 7 K 2107/21 -, juris Rn. 10; VG Karlsruhe, Beschluss vom 30.07.2021 - 14 K 1992/21 -, juris Rn. 53 ff.), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Eine solche Auslegung findet im eindeutigen Wortlaut der Vorschrift keine Stütze, und die Voraussetzungen für eine entsprechende teleologische Reduktion sind nicht erfüllt (so zutreffend VG Stuttgart, Urteil vom 12.05.2020 - 18 K 10575/18 -, juris Rn. 51 ff.).
17 
Die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift im Wege teleologischer Reduktion steht den Gerichten nur dann zu, wenn dies aufgrund des vom Gesetzgeber mit der Vorschrift verfolgten Regelungsziels geboten ist, die gesetzliche Regelung also nach ihrem Wortlaut Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll. Ob eine planwidrige Gesetzeslücke als Voraussetzung einer teleologischen Reduktion vorliegt, ist nach dem Plan des Gesetzgebers zu beurteilen, der dem Gesetz zugrunde liegt (stRspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2019 - 5 C 1.18 -, NVwZ-RR 2019, 653 m.w.N.).
18 
Gemessen daran ist nicht erkennbar, dass nach dem Wortlaut des § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG planwidrig sämtliche „Altspielhallen“, für deren Betrieb eine Erlaubnis nach § 33i GewO vor dem 29.11.2012 erteilt wurde, von der Anwendung des § 42 Abs. 3 LGlüG ausgenommen wären. Die Begründung des Gesetzesentwurfs bringt vielmehr eindeutig den Willen des Landesgesetzgebers zum Ausdruck, dass § 42 Abs. 3 LGlüG für Bestandsspielhallen grundsätzlich nicht gelten soll. Bereits im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich, dass ein Mindestabstand von 500 Metern zu bestehenden Einrichtungen, die dem Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen dienen, nur für „neue Spielhallen“ vorgesehen werde (vgl. LT-Drs. 15/2431, S. 51). In der Gesetzesbegründung zu § 51 wird die Regelung des § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG als eigenständige Regelung behandelt, der ein eigener Absatz gewidmet ist. Hier wird ausgeführt, § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG berücksichtige, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landesglücksspielgesetzes bereits erteilte Erlaubnisse für Spielhallen die Abstandsregelung gegenüber Einrichtungen zum Aufenthalt von Kindern oder Jugendlichen im Sinne von § 42 Abs. 3 LGlüG nicht hätten berücksichtigen können, weshalb die Regelung für solche Erlaubnisse nicht nachträglich angewandt werde (vgl. LT-Drs. 15/2431, S. 113). Eine zeitliche Befristung dieser Regelung lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Sie folgt insbesondere nicht daraus, dass es sich um eine Übergangsregelung handelt.
19 
Auch systematische Erwägungen, die zwingend dafür sprächen, dass § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG nach dem Willen des Landesgesetzgebers nur im Rahmen von Härtefallbefreiungen zur Anwendung kommen sollte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich aus der Regelung der Härtefallbefreiung in § 51 Abs. 5 Satz 1 bis 4 LGlüG nicht zwingend, dass auch § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG nur im Rahmen von Härtefallbefreiungen anwendbar wäre. Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 51 Abs. 5 LGlüG die Übergangsregelungen zu den nach § 42 LGlüG einzuhaltenden Anforderungen in einem Absatz zusammengefasst. In § 51 Abs. 5 Satz 1 bis 4 LGlüG hat er geregelt, unter welchen Voraussetzungen Bestandsspielhallen mit langem Bestandsschutz im Sinne des § 51 Abs. 4 Satz 1 LGlüG über den 30.06.2017 hinaus von der Einhaltung der Anforderungen des § 42 Abs. 1 und 2 LGlüG befreit werden können. § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG knüpft demgegenüber nicht an § 51 Abs. 4 Satz 1 LGlüG an, sondern enthält eine eigenständige Übergangsregelung zu dem Abstandsgebot des § 42 Abs. 3 LGlüG, die allen Spielhallen zugute kommen soll, die bei Inkrafttreten des Gesetzes eine Erlaubnis nach § 33i GewO hatten.
20 
Sinn und Zweck des Gesetzes gebieten kein abweichendes, sich über den Wortlaut und den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzendes Auslegungsergebnis. Zwar würde das in § 1 LGlüG in Verbindung mit § 1 Satz 1 Nr. 3 GlüStV normierte Ziel des Gesetzes, einen hochrangigen Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten, bei einer Geltung des Abstandsgebots auch für Bestandsspielhallen zweifellos noch besser verwirklicht, doch hat der Gesetzgeber mit der getroffenen Regelung gewisse Abstriche bei der Erreichung dieses Ziels in Abwägung mit den Interessen der Betreiber bewusst in Kauf genommen. Zudem ist der Verweis auf § 1 Satz 1 Nr. 3 GlüStV auch deshalb nicht tragfähig, weil in § 1 GlüStV mehrere gleichrangige Ziele normiert sind, und der Glücksspielstaatsvertrag selbst gerade kein dem § 42 Abs. 3 LGlüG entsprechendes Mindestabstandsgebot zum Zweck des Jugendschutzes vorsieht. Nach dem Regelungskonzept des Glücksspielstaatsvertrags kann das Ziel der Gewährleistung des Jugendschutzes also auch durch andere Maßnahmen verwirklicht werden.
21 
Weiter ist zu berücksichtigen, dass § 42 Abs. 3 LGlüG auch bei Bestandsspielhallen durchaus Bedeutung erlangen kann, wenn – was hier nicht der Fall ist – eine Auswahlentscheidung zwischen konkurrierenden Spielhallen zu treffen ist. Im Rahmen solcher Auswahlentscheidungen kann die Nähe einer Spielhalle zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche im Sinne des § 42 Abs. 3 LGlüG und eine sich daraus ergebende Gefährdungslage bei der Ermessensausübung durchaus berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne auch Mock, VBlBW 2017, 221 <229>).
22 
Nach alldem entfällt die in § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG vorgesehene Privilegierung von Bestandsspielhallen erst dann, wenn ein Betreiberwechsel vorliegt oder die Legalisierung des Spielhallenbetriebs mittels der erforderlichen Erlaubnis unterbrochen ist und der Betrieb auch nicht aktiv geduldet wurde. Eine solche Zäsur liegt hier nicht vor.
23 
§ 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG kommt nur dem Betreiber zugute, dem die Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden ist. Begibt sich der Betreiber einer Spielhalle des ihm durch das Landesglücksspielgesetz vermittelten Vertrauensschutzes, entfallen auch die hiermit einhergehenden Privilegierungen. Daher gewährt der Gesetzgeber - dem entsprechenden gewerberechtlichen Grundsatz folgend - bei einem Betreiberwechsel keinen Vertrauensschutz, weil der Neubetreiber nie selbst im Besitz einer vertrauensbegründenden Erlaubnis nach § 33i GewO war und die Erlaubnis des Vorbetreibers nicht übertragbar ist (vgl. LT-Drs. 15/2431 S. 112 f.). Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.05.2017 - 6 S 306/16 -, ZfWG 2017, 416 ). Demzufolge kommt § 42 Abs. 3 LGlüG trotz der Regelung des § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG „ungeschmälert zur Anwendung“, wenn „ein solcher Betrieb (...) den Inhaber wechselt und damit eine neue Erlaubnis erforderlich wird“ (vgl. LT-Drs. 15/2431 S. 113). Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber den Betreiberwechsel zur umfassenden Prüfung der Erlaubnisvoraussetzungen in den Blick genommen hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.11.2019 - 6 S 199/19 -, VBlBW 2020, 508 ).
24 
Eine solche Zäsur stellt in gleicher Weise der gesetzlich missbilligte, da ohne die erforderliche Erlaubnis erfolgende Weiterbetrieb einer Spielhalle nach Ablauf der Gültigkeitsdauer einer nach § 33i GewO oder § 41 Abs. 1 LGlüG erteilten Erlaubnis dar. Ist die Legalisierung des Spielhallenbetriebs mittels der erforderlichen Erlaubnis unterbrochen und liegt damit keine „nahtlose Fortschreibung“ der Erlaubnis nach § 33i GewO vor, bedarf es für den Weiterbetrieb der zu Unrecht weiterbetriebenen oder den Wiederbetrieb der zwischenzeitlich eingestellten Spielhalle - wie im Falle des Betreiberwechsels - einer neuen Erlaubnis. Der von § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG vermittelte Bestands- und Vertrauensschutz entfällt während erlaubnisfreier Zeiten. Es ist nicht ersichtlich, dass der als Übergangsvorschrift vorgesehene § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG nach dem Willen des Gesetzgebers zeitlich quasi unbegrenzt auf jede Spielhalle Anwendung finden soll, die einst eine Erlaubnis nach § 33i GewO innehatte. Vielmehr bedarf es - wie beim Betreiberwechsel - einer neuen Erlaubnis, in deren Rahmen § 42 Abs. 3 LGlüG ungeschmälert zur Anwendung kommt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.11.2019 - 6 S 199/19 -, a.a.O. Rn. 16).
25 
Daran gemessen ist hier keine Zäsur eingetreten, die zum Wegfall der Privilegierung des § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG geführt hätte.
26 
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin begründet der erlaubnisfreie Zeitraum vom 01.07.2013 bis zum 30.06.2017 hier angesichts der Umstände des vorliegenden Einzelfalles keine Zäsur in dem dargestellten Sinne: Nach
§ 51 Abs. 4 Satz 2 LGlüG bedurfte die Antragstellerin ab dem 01.07.2013 einer Erlaubnis nach § 41 LGlüG für den weiteren Betrieb ihrer Spielhallen. Den entsprechenden Erlaubnisantrag hat sie vor Ablauf der Geltungsdauer der Erlaubnis nach § 33i GewO am 15.05.2013 gestellt. Dieser Antrag wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 05.08.2013 abgelehnt. Zugleich wurde die Schließung der Spielhallen angeordnet, ohne jedoch die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu verfügen. Der Schließung sei spätestens sechs Wochen nach „Eintritt der Rechtskraft“ dieser Verfügung nachzukommen. Am Ende der Begründung zur Schließungsanordnung wurde ausgeführt, die gesetzte Frist für die Geschäftsabwicklung erscheine angemessen. In diesem Zeitraum seien eventuelle Umnutzungen und auch etwaige Personalveränderungen vollziehbar. Die Anordnung sei nicht mit der Anordnung des Sofortvollzugs verbunden. Dies ermögliche der Antragstellerin, die Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfen zu lassen, ohne dass vorher durch eine Vollziehung der Schließungsverfügung vollendete Tatsachen geschaffen würden. Einen Hinweis darauf, dass ungeachtet der unterbliebenen Anordnung des Sofortvollzugs bezüglich der Schließungsverfügung der weitere Betrieb der Spielhallen nicht nur rechtswidrig, sondern sogar nach § 284 StGB strafbar ist, enthielt der Bescheid nicht. Nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont durfte die Antragstellerin als juristischer Laie die von der Antragsgegnerin abgegebenen Erklärungen dahin verstehen, dass der weitere Betrieb ihrer Spielhallen seitens der Antragsgegnerin geduldet werde. Die Duldung wurde aktiv erneuert, indem die Antragsgegnerin in der Berufungsverhandlung vor dem erkennenden Senat am 23.05.2017 einem Ruhen des Verfahrens zustimmte und damit dazu beitrug, dass die gerichtliche Überprüfung der Verfügung vom 05.08.2013 nie zu einem Abschluss kam und diese Verfügung bis heute nicht bestandskräftig geworden ist. Schließlich ist auch die Antragsgegnerin, die sich erstmals in der Beschwerdeerwiderung im vorliegenden Eilverfahren auf eine infolge des Weiterbetriebs nach dem 01.07.2013 eingetretene Zäsur beruft, in der Folgezeit nicht von einem unerlaubten und zu missbilligenden Weiterbetrieb der Spielhallen ausgegangen. Andernfalls hätte sie der Antragstellerin nicht am 03.07.2017 eine neue Erlaubnis nach § 41 LGlüG erteilen dürfen. Vielmehr hätte sie die Erteilung der Erlaubnis wegen fehlender Zuverlässigkeit der Antragstellerin ablehnen müssen. Bei einer Gesamtschau dieser Umstände ist danach vorliegend von einer aktiven Duldung für den erlaubnisfreien Zeitraum vom 01.07.2013 bis zum 30.06.2017 auszugehen.
27 
Der Umstand, dass die Spielhalle nach Aufgabe der im selben Gebäude betriebenen Spielhalle „...“ nicht mehr als „...“, sondern als „...“ firmiert, stellt ebenfalls keine Zäsur in dem dargestellten Sinne dar. Unerheblich ist auch, dass der Antragstellerin mit der unter dem 13.07.2020 erteilten Änderungsgenehmigung gestattet wurde, die Zahl der Geldspielgeräte von acht auf zwölf zu erhöhen (vgl. zu dieser Obergrenze § 3 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz SpielV). Denn die Regelung des § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG knüpft nicht an eine bestimmte Zahl von Spielgeräten, sondern an den Betrieb der Spielhalle als solcher an.
28 
Schließlich ist eine Zäsur nicht dadurch eingetreten, dass die Erlaubnis vom 03.07.2017 in der Fassung der Änderungsgenehmigung vom 13.07.2020 mit Ablauf des 30.06.2021 außer Kraft getreten ist und die Antragsgegnerin bislang weder eine neue Erlaubnis noch eine Duldung erteilt hat. Denn die Antragstellerin hat vor Ablauf der Geltungsdauer der erteilten Erlaubnis die nahtlose Neuerteilung ab dem 01.07.2021 beantragt und unmittelbar nach Erhalt des Schreibens der Antragsgegnerin vom 21.07.2021, aus welchem hervorging, dass der weitere Betrieb nicht geduldet würde, um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht.
29 
4. Die Antragstellerin hat auch den notwendigen Anordnungsgrund im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht.
30 
Ob eine vorläufige Regelung nötig erscheint, ist auf der Grundlage einer Interessenabwägung zu beantworten. Es ist zu prüfen, ob es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten.
31 
Gemessen daran ist die einstweilige Anordnung mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich, um wesentliche Nachteile für die Antragstellerin abzuwenden. Der weitere Betrieb der Spielhalle ohne Duldung würde die Antragstellerin der Gefahr von ordnungswidrigkeiten- und/oder strafrechtlichen Konsequenzen (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 LGlüG oder § 284 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB) aussetzen. Es ist ihr nicht zuzumuten, die für die Ahndung im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren erforderliche Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen „auf der Anklagebank“ zu erleben (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.09.2019 - 4 B 255/18 -, a.a.O. Rn. 76 m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 7.4.2003 - 1 BvR 2129/02 -, BVerfGK 1, 107 ).
32 
Ohne den Ausspruch der vorläufigen Duldung des Weiterbetriebs der Spielhalle wäre die Antragstellerin, wenn sie sich jedenfalls rechtskonform verhalten möchte, gezwungen, ihren Betrieb aufzugeben. Eine Betriebsaufgabe würde wegen der jedenfalls teilweise nicht rückgängig zu machenden wirtschaftlichen Folgen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung ihrer durch Art. 19 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 12 und 14 GG grundrechtlich geschützter Rechtspositionen bedeuten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte (OVG NRW, Beschluss vom 26.09.2019, a.a.O. Rn. 78).
33 
Darauf, dass die Antragsgegnerin die Schließung der Spielhalle bislang nicht angeordnet hat, kommt es demnach nicht an. Denn die Gefahr von ordnungswidrigkeiten- und/oder strafrechtlichen Konsequenzen besteht bereits wegen der fehlenden Erlaubnis. Da die Antragsgegnerin zudem mit Schreiben vom 21.07.2021 ausdrücklich angekündigt hatte, in nächster Zeit zu überprüfen, ob die Spielhalle ohne gültige Erlaubnis geöffnet ist und ggf. Strafanzeige zu erstatten, musste die Antragstellerin auch nicht erst abwarten, bis gegen sie ein Bußgeldverfahren anhängig gemacht oder der Vorwurf strafbaren Handelns erhoben wird.
34 
II. Einer Entscheidung über den weiteren Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Fortbetrieb der Spielhalle bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung vom Abstandsgebot und dem Verbundverbot des § 42 LGlüG im Härtefallverfahren nach § 51 Abs. 5 LGlüG zu dulden, bedarf es nicht. Der Senat legt diesen Antrag in Übereinstimmung mit dem am 16.06.2021 bei der Antragsgegnerin gestellten Antrag sachdienlich als Hilfsantrag aus, über den nicht entschieden werden muss, nachdem die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag Erfolg hat.
35 
Ebenso wird mit der Entscheidung des Senats der von der Antragstellerin begehrte Erlass einer „Zwischenverfügung“ in Form eines Hängebeschlusses entbehrlich.
36 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
37 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 Satz 1, 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
38 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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