Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 12 S 830/22

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 31. März 2022 - 6 K 50/22 - wird verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 31. März 2022 für beide Rechtszüge auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die am 04.04.2022 rechtzeitig beim Verwaltungsgericht Sigmaringen eingelegte Beschwerde des Antragstellers, eines im Jahre 2013 zum Studium nach Deutschland eingereisten bangladeschischen Staatsangehörigen, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 31.03.2022, mit dem der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich der Versagung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis nach § 16b AufenthG abgelehnt worden ist, ist als unzulässig zu verwerfen. Sie ist nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts begründet worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1, 2 und 4 VwGO).
Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 31.03.2022 zugestellt. Die Frist für die Vorlage der Beschwerdebegründung endete daher gemäß § 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 und 3, § 193 BGB mit Ablauf des 02.05.2022. Innerhalb der Frist ist eine Beschwerdebegründung beim Gerichtshof nicht eingegangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren und die Änderung des Streitwerts für das Verfahren im ersten Rechtszug von Amts wegen beruhen auf § 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Der Streitwert für das vorläufige Rechtsschutzverfahren gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Studiums nach § 16b AufenthG ist mit 5.000,-- Euro festzusetzen (ebenso VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.10.2020 - 11 S 1112/20 -, juris Rn. 61 i.V.m. Rn. 42). Der Senat folgt nicht der Auffassung, die in einer solchen Konstellation einen Streitwert in Höhe von 2.500,-- Euro annimmt (vgl. etwa OVG Thüringen, Beschluss vom 11.01.2021 - 3 EO 279/19 -, juris Rn. 52; VG München, Beschluss vom 14.03.2022 - M 10 S 21.6694 -, juris Rn. 58).
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung der Ausländersenate des erkennenden Gerichtshofs, dass eine Reduzierung des Streitwerts auf die Hälfte im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht erfolgt, wenn dem Ausländer aufgrund der in der Vergangenheit erteilten Aufenthaltstitel bereits die Perspektive für einen längerfristigen Aufenthalt eröffnet worden ist (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 21.01.2022 - 12 S 152/22 -, n.v., vom 30.03.2021 - 11 S 3421/20 -, juris Rn. 35, vom 22.10.2020 - 11 S 1112/20 -, juris Rn. 61, und vom 07.07.2020 - 11 S 2426/19 -, juris Rn. 51). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es dem Ausländer durch die Erteilung des Aufenthaltstitels ermöglicht worden ist, eine Lebensgrundlage im Bundesgebiet aufzubauen oder jedenfalls hiermit zu beginnen. Aus den mit der - freiwilligen oder erzwungenen - Ausreise verbundenen besonderen faktischen Folgen (Verlust z. B. von Arbeitsstelle, Wohnung und sozialem Umfeld), denen auch eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zukommt, lässt sich der Schluss ziehen, dass der Ausländer bereits im Eilverfahren ein Interesse an der erstrebten Entscheidung hat, das demjenigen im Hauptsacheverfahren gleichkommt; denn selbst wenn er im Hauptsacheverfahren obsiegen würde, wären die mit der Ausreise verbundenen Folgen nicht mehr ohne weiteres und in der Regel auch nicht in vollem Umfang wieder zu beseitigen. Fehlt allerdings dem in der Vergangenheit erteilten Titel aus seinem Zweck heraus von vornherein die Eignung, hierauf einen längerfristig angelegten Aufenthalt stützen zu können, so ist kein Grund ersichtlich, den Regelstreitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in voller Höhe anzusetzen. Denn der Ausländer verfügt in einem solchen Fall nicht über schützenswerte wirtschaftliche oder soziale Bindungen, deren (drohender) Verlust in einer auch in der Höhe des Streitwerts zum Ausdruck kommenden Bewertung seiner Interessen zu berücksichtigen wäre (vgl. grundlegend VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 09.11.2012 - 11 S 2015/12 -, juris Rn. 6, und vom 31.01.2011 - 11 S 2517/10 -, juris Rn. 4 f.).
Der Verwaltungsgerichtshof hat schon für die Rechtslage vor der Neufassung des Aufenthaltstitels zum Zweck des Studiums in Gestalt des § 16b AufenthG durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 15.08.2019 (BGBl. I S. 1307) angenommen, dass der Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950) sowie der nachfolgenden Änderungen (vgl. den Überblick bei Hailbronner, AuslR, § 16b Rn. 3 ff. ) gerade nicht mehr immanent ist, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet nach einem erfolgreichen Abschluss des Studiums auf jeden Fall beendet wird. § 16 Abs. 4 AufenthG a.F. hat - wenn auch nur im Ermessensweg - ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, nach erfolgreichem Abschluss des Studiums einen angemessenen Arbeitsplatz in Deutschland zu suchen bzw. eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen und hierfür einen Aufenthaltstitel zu erhalten (vgl. zur Entstehungsgeschichte von § 16 a.F. AufenthG und dem gesetzgeberischen Anliegen, den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt von Ausländern, die im Bundesgebiet studieren, zu fördern, Hailbronner, AuslG, § 16b Rn. 1 f. ). Der Verwaltungsgerichtshof hat daher den Streitwert bei vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Studium an einer Hochschule mit 5.000,-- Euro festgesetzt (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 09.11.2012 - 11 S 2015/12 -, juris Rn. 7, und vom 25.02.2008 - 11 S 2746/07 -, juris Rn. 21).
Durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist die Perspektive für einen dauerhaften Aufenthalt ausländischer Studierender im Bundesgebiet weiter gestärkt worden. Während nach alter Rechtslage ein Zweckwechsel nach einem abgebrochenen Studium zu einer Ausbildung ohne vorherige Ausreise regelmäßig ausgeschlossen gewesen ist (vgl. VG München, Beschluss vom 24.08.2010 - M 10 K 10.3263 -, juris Rn. 37 ff. ), erlaubt § 16b Abs. 4 AufenthG nunmehr einen Zweckwechsel auch ohne Erlangung eines Studienabschlusses zur Aufnahme einer qualifizierten schulischen (§ 16a Abs. 2 AufenthG) oder betrieblichen Berufsausbildung (§ 16a Abs. 1 AufenthG) und im Falle vorhandener Qualifikation zur Ausübung einer Beschäftigung als Fachkraft (§§ 18a f. AufenthG) bzw. Beschäftigung mit ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen (§ 19c Abs. 2 AufenthG). Die Beschränkung auf eine Ausbildung in sog. Engpassberufen ist entfallen. Damit wird Ausländern, die sich als nichtakademische Fachkraft qualifizieren wollen oder bereits über eine Qualifikation verfügen, auch nach Abbruch des Studiums eine Berufs- und Aufenthaltsperspektive ohne vorherige Ausreise eröffnet. Die Vorschrift ist Ausdruck des gesetzgeberischen Ziels, die Gewinnung ausländischer Auszubildender und Fachkräfte im Interesse der Bekämpfung des Fachkräftemangels zu fördern (Samel in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 16b Rn. 34 sowie ders., a.a.O., 14. Aufl. 2022 , § 16b Rn. 36).
Der Übergang vom abgeschlossen Studium zu einer regulären Erwerbstätigkeit unterfällt nicht dem § 16b Abs. 4 AufenthG. Eine Erwerbstätigkeit im Anschluss an ein erfolgreiches Studium wird aber nicht mehr als Ausnahme, sondern als erwünschter Normalfall ermöglicht. Inzwischen ist anerkannt, dass an der dauerhaften Beschäftigung von ausländischen Absolventen im Inland ein staatliches Interesse besteht. Gemäß § 20 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG hat der Ausländer nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Suche eines Arbeitsplatzes zu dessen Ausübung ihn seine Qualifikation befähigt. Die Aufnahme einer Beschäftigung oder einer selbstständigen Erwerbstätigkeit im unmittelbaren Anschluss an den Studienabschluss erfordert die Erteilung eines neuen Aufenthaltstitels und ggf. zusätzlich die Einhaltung der Zulassungsverfahren nach §§ 18 bis 21 AufenthG. Gemäß § 39 Nr. 1 AufenthV kann der Antrag jedoch im Inland gestellt werden. Auch wenn ein Rechtsanspruch auf einen Aufenthaltstitel zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nicht gegeben ist, kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Begründung eines Daueraufenthalts - ausgehend von § 16b AufenthG - unerwünscht sei; bei Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen sind kaum noch Ermessengründe vorstellbar, die angesichts eines i.d.R. bereits langjährigen Aufenthalts, gelungener Integration (Hochschulabschluss) und dem staatlichen Interesse im „Wettbewerb um die besten Köpfe“ die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen könnten (vgl. im Einzelnen Samel in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022 , § 16b Rn. 43 f.).
10 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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