Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 12 S 1365/22

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Mai 2022 - 9 K 1919/22 - wird verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I. Der im Juni 2017 geborene Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.05.2022, mit dem sein Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, ihm einen dem individuellen Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung im Umfang von sechs Stunden werktäglich ab sofort nachzuweisen, als unzulässig abgelehnt worden ist. Das Verwaltungsgericht war zu der Auffassung gelangt, der Antrag sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil die Eltern des Antragstellers nach ihrer Kündigung des vorherigen Betreuungsplatzes des Antragstellers im November 2021 weder gegenüber dem Antragsgegner noch gegenüber der Stadt P. ihren Bedarf für einen Betreuungsplatz angemeldet hätten. Ohne vorherigen Antrag bei der Behörde bestehe in der Regel kein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Der Antragsteller habe auch nicht davon ausgehen können, dass dem Antragsgegner aufgrund der vorherigen Anmeldungen der Bedarf bereits bekannt gewesen sei. Gründe, die ausnahmsweise zur Bejahung des Rechtsschutzbedürfnisses auch ohne vorherigen Antrag bei der Behörde sprechen würden, seien nicht ersichtlich.
Das Verfahren des Antragstellers wurde bei dem Verwaltungsgericht in Papierform geführt.
Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 20.05.2022 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 31.05.2022 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung wurde einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Die über das besondere elektronische Anwaltspostfach (§ 31a BRAO) eingereichte und mit einer unter dem Text angefügten Namenswiedergabe des Verfahrensbevollmächtigten versehene Beschwerde ist am 01.06.2022 bei dem Verwaltungsgericht Stuttgart eingegangen.
Mit Schreiben vom 13.06.2022, per Post am 20.06.2022 bei dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingegangen, hat das Verwaltungsgericht den Ausdruck des elektronischen Rechtsverkehrs zur Beschwerde (bestehend aus dem Eingangsblatt, dem Inhalt der Dokumente [Beschwerdeschrift vom 31.05.2022] und dem Transfervermerk) vorgelegt.
Mit Eingangsverfügung der Senatsvorsitzenden vom 21.06.2022 wurde der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers auf § 146 Abs. 4 VwGO hingewiesen.
Mit an das Verwaltungsgericht Stuttgart adressiertem (und das erstinstanzliche Aktenzeichen angebenden) Schriftsatz vom 13.06.2022, bei diesem Gericht über das besondere elektronische Anwaltspostfach am 14.06.2022 um 15:08 Uhr eingegangen, hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers die Beschwerde begründet. Die nicht qualifiziert elektronisch signierte Beschwerdebegründung enthält unter dem Dokumententext eine Namenswiedergabe des Verfahrensbevollmächtigen.
Mit Schreiben vom 15.06.2022, eingegangen am 24.06.2022, hat das Verwaltungsgericht Stuttgart dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einen Ausdruck zum elektronischen Rechtsverkehr zur Beschwerdebegründung (bestehend aus dem Eingangsblatt, dem Dokumenteninhalt [Begründungsschriftsatz vom 13.06.2022 nebst Anlagen] sowie dem Transfervermerk) vorgelegt.
Mit Verfügung des Senats vom 27.06.2022 wurde der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers auf Bedenken hinsichtlich der Wahrung der Beschwerdebegründungsfrist hingewiesen. Es wurde auf § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO und unter anderem auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16.02.2022 - OVG 10 S 42/21 -, juris Rn. 6, Bezug genommen und ausgeführt, dass ein rechtzeitiger Eingang bei dem Verwaltungsgericht zur Fristwahrung nicht genüge.
Mit Schriftsatz vom 30.06.2022, bei dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am selben Tag eingegangen, hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers unter Bezugnahme auf die Eingangsverfügung des Senats vom 21.06.2022 „die eingereichte Beschwerdebegründung“ um einen ausdrücklichen Beschwerdeantrag „ergänzt“.
10 
Mit Schreiben vom 04.07.2022 ist der Antragsgegner der Beschwerde entgegengetreten. Die Beschwerde genüge mehrfach nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 1 bis 3 VwGO. Die Beschwerde sei verspätet begründet worden. Sie sei nicht innerhalb der Monatsfrist zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gelangt. Sie sei auch nicht bei dem Verwaltungsgerichtshof, sondern bei dem Verwaltungsgericht eingereicht worden. Die Beschwerdebegründung vom 14.06.2022 enthalte zudem entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO keinen Antrag. Der Schriftsatz vom 30.06.2022 sei verspätet.
11 
Mit Schriftsatz vom 07.07.2022 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers zur gerichtlichen Verfügung vom 27.06.2022 Stellung genommen. Es sei davon auszugehen, dass die Beschwerdebegründungsfrist eingehalten sei. Die Begründung sei zwar am 14.06.2022 bei dem Verwaltungsgericht Stuttgart eingegangen. Es handele sich dabei jedoch nicht um einen ähnlich gelagerten Fall wie in dem vom Senat angeführten Fall des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg. Dort sei die Beschwerdebegründung zwar auch bei einem unzuständigen Gericht eingereicht worden, allerdings sei dort hinzugekommen, dass die Begründung erst am letzten Tag der gesetzten Frist eingegangen sei. Somit habe für das unzuständige Gericht keine Möglichkeit bestanden, den Schriftsatz fristwahrend an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Hier jedoch sei die Begründung schon am 14.06.2022 eingegangen, also sechs Tage vor dem Fristablauf. Gemäß einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestehe insbesondere in Fällen, in denen das unzuständige Gericht bereits mit der Sache befasst gewesen sei, eine Fürsorgepflicht des Gerichts. Diese Fürsorgepflicht bestehe entweder darin, die Partei rechtzeitig zu informieren, dass die Beschwerde bei dem falschen Gericht eingelegt worden sei, oder aber darin, für eine fristwahrende Weiterleitung des Schriftsatzes zu sorgen. Vorliegend sei eine fristwahrende Weiterleitung nicht erfolgt. Grundsätzlich müsste nach Einführung der elektronischen Akte in Baden-Württemberg und der Möglichkeit der sicheren Übermittlung von Schriftsätzen auf elektronischem Wege davon auszugehen sein, dass eine fristwahrende Weiterleitung innerhalb von sechs Tagen möglich sein sollte. Zudem habe der Senat unter dem 21.06.2022 auf § 146 Abs. 4 VwGO hingewiesen. Dies sei schon nach Ablauf der Frist erfolgt. Damit habe eine fristwahrende Einreichung der Beschwerdebegründung nicht mehr erreicht werden können. Die Ergänzung der Beschwerdebegründung sei dann als Reaktion auf den Hinweis des Senats auch direkt an den Verwaltungsgerichtshof gesendet worden. Hinzu komme, dass vor Erhalt der gerichtlichen Verfügung vom 21.06.2022 kein Aktenzeichen des Verwaltungsgerichtshofs bekannt gewesen sei, sodass eine Zuordnung vor Ort nicht möglich gewesen wäre. In anderen Fällen erfolge der Hinweis auf das Aktenzeichen durch das nächsthöhere Gericht so pünktlich, dass eine fristwahrende Einreichung der Beschwerdebegründung möglich sei.
12 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts und des Senats sowie auf die vom Antragsgegner vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
13 
II. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen, weil die Beschwerdebegründungsfrist nicht gewahrt und dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist.
14 
Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123 VwGO) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie - wie hier - nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, gemäß § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO bei dem Oberverwaltungsgericht (hier gemäß § 184 VwGO, § 1 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg) einzureichen.
15 
Hiernach ist die Beschwerdebegründungsfrist, über die in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses zutreffend belehrt und auf die auch in der Eingangsverfügung der Senatsvorsitzenden vom 21.06.2022 hingewiesen worden ist, nicht gewahrt. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses wurde der angefochtene Beschluss dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers am 20.05.2022 zugestellt. Demzufolge lief die Beschwerdebegründungsfrist mit Ablauf des 20.06.2022 ab (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO i.V.m. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Innerhalb dieser Frist ist eine Beschwerdebegründung bei dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg nicht eingegangen.
16 
Die Begründungsfrist ist auch nicht durch die an das Verwaltungsgericht Stuttgart adressierte Beschwerdebegründung vom 13.06.2022 gewahrt. Zwar ist diese dort am 14.06.2022 und mithin noch innerhalb der Frist eingegangen. Ein fristgerechter Eingang bei dem erstinstanzlichen Gericht genügt ausweislich des klaren Wortlauts des § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO aber nicht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.02.2022 - OVG 10 S 42/21 -, juris Rn. 6; Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 20; Rudisile in: Schoch/Schneider, VwGO, § 146 Rn. 13b ).
17 
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist dem Antragsteller nicht zu gewähren.
18 
War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 60 Abs. 1 VwGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Verschuldet ist eine Fristversäumung, wenn der Beteiligte nicht die Sorgfalt hat walten lassen, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (BVerwG, Beschluss vom 21.12.2021 - 9 B 19.21 -, juris Rn. 12). Nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO steht dabei das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden des Beteiligten gleich. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
19 
Nach diesem Maßstab ist dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren, da die Beschwerdebegründungsfrist von dem Bevollmächtigten des Antragstellers nicht unverschuldet versäumt worden ist.
20 
Das Fristversäumnis beruht auf einer vom Bevollmächtigten des Antragsstellers verschuldeten Einreichung der Beschwerdebegründung bei einem unzuständigen Gericht. Angesichts der eindeutigen Regelung in § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO und den Ausführungen in der dem angefochtenen Beschluss beigefügten Rechtsmittelbelehrung war es offenkundig, dass die Beschwerdebegründung - sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist - bei dem Verwaltungsgerichtshof und nicht bei dem Verwaltungsgericht einzureichen war. Bei einer rechtlich geschuldeten Durchsicht seines Schriftsatzes nebst Ausgangskontrolle hätte es dem Bevollmächtigten des Antragstellers auffallen müssen, dass der Schriftsatz an das unzuständige Gericht adressiert und gesendet worden war (zu den anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs vgl. auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 31.03.2022 - 11 ZB 22.39 -, juris Rn. 4; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.02.2022 - 2 A 2940/21 -, juris Rn. 6). Ein Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ist regelmäßig nicht unverschuldet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.10.2021 - 8 C 4.21 -, juris Rn. 16; BSG, Beschluss vom 18.11.2020 - B 1 KR 1/20 B -, juris Rn. 17; BAG, Beschluss vom 05.06.2020 - 10 AZN 53/20 -, juris Rn. 37). Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend ausnahmsweise eine andere Beurteilung geboten sein könnte, sind weder vorgebracht worden noch sonst ersichtlich.
21 
Die Ursächlichkeit des dem Antragsteller zuzurechnenden Verschuldens seines Verfahrensbevollmächtigten für das Fristversäumnis ist auch nicht deshalb entfallen, weil das Verwaltungsgericht Stuttgart die bei ihm am 14.06.2022 und mithin sechs Tage vor dem Fristablauf eingegangene Beschwerdebegründung fristwahrend an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hätte weiterleiten müssen.
22 
Aus der auf dem Gebot eines fairen Verfahrens beruhenden Fürsorgepflicht des erstinstanzlichen Gerichts für die Prozessbeteiligten folgt, dass es fristgebundene Schriftsätze des Rechtsmittelverfahrens, die bei ihm eingereicht werden, im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterleiten muss. Die Weiterleitung hat ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen. Allerdings braucht das unzuständige Gericht den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten nicht die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien abzunehmen. Mit der Formulierung „ordentlicher Geschäftsgang“ ist deshalb gemeint, dass die Vorinstanz zu Eilmaßnahmen rechtlich nicht verpflichtet ist. So muss sie weder den Beteiligten, der seinen Schriftsatz irrtümlich bei ihr eingereicht hat, durch Telefonat oder Telefax auf diesen Irrtum hinweisen, noch muss sie den Schriftsatz selbst etwa per Telefax an das Rechtsmittelgericht weiterleiten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.12.2021 - 9 B 19.21 -, juris Rn. 18). Geht der Schriftsatz so zeitig bei dem mit der Sache befasst gewesenen Gericht ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres erwartet werden kann, darf die Partei nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht bei dem Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, so ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht. Mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichts wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.06.1995 - 1 BvR 166/93 -, juris Rn. 48).
23 
Dies zugrunde gelegt, ist das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers nicht durch ein in der Sphäre des Verwaltungsgerichts Stuttgart liegendes Verschulden überlagert worden. Zwar traf das Verwaltungsgericht als mit der Sache vorbefasstem Gericht nach dem dargestellten Maßstab grundsätzlich die Verpflichtung, fristgebundene Schriftsätze des Rechtsmittelverfahrens, die bei ihm eingereicht werden, im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Dies führt hier aber nicht zu einem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.
24 
Dem Verwaltungsgericht kann zunächst eine verspätete Weiterleitung der (ausgedruckten) Beschwerdebegründung per Post nicht vorgeworfen werden. Eine postalische Weiterleitung des Schriftsatzes durch das Verwaltungsgericht war vorliegend nicht veranlasst. Seit Inkrafttreten des mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (ERVGerFöG; BGBl. I 2013, 3786) in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügten § 55d VwGO am 01.01.2022 (vgl. Art. 26 Abs. 7 und Art. 5 Nr. 4 ERVGerFöG) ist eine - bis zum 31.12.2021 noch formwahrend möglich gewesene - postalische Weiterleitung einer anwaltlichen Beschwerdebegründung nicht mehr geeignet, eine Beschwerdebegründung im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO zu bewirken. Denn bezogen auf den maßgeblichen Zugang bei dem nach § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO zuständigen Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg fehlt es bei einem Eingang der Beschwerdebegründung lediglich in Schriftform im Sinne des § 126 Abs. 1 BGB an den Voraussetzungen des § 55d Satz 1 VwGO. Nach § 55d Satz 1 VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die - wie hier - durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Nach § 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Diese Voraussetzungen liegen bei einer postalischen Übersendung des (ausgedruckten) Dokuments von Gericht zu Gericht nicht vor. Auch ein Ausnahmefall nach § 55d Satz 3 und 4 VwGO ist nicht gegeben. Auf die Einhaltung der elektronischen Form kann nicht verzichtet werden (vgl. zu alledem auch OLG Bamberg, Beschluss vom 02.05.2022 - 2 UF 16/22 -, juris Rn. 20 ff.).
25 
Ungeachtet vorstehender Ausführungen führt auch der Umstand, dass das Vorlageschreiben des Verwaltungsgerichts vom 15.06.2022 (einen Tag nach Eingang der Beschwerdebegründung beim Verwaltungsgericht) datiert, nicht zu einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Denn ausgehend vom Datum 15.06.2022 hätte es einem ordentlichen Geschäftsgang auf jeden Fall noch entsprochen, die Beschwerdebegründung - da es sich bei dem 16.06.2022 in Baden-Württemberg um einen gesetzlichen Feiertag (Fronleichnam) handelte - am Freitag, 17.06.2022, bei der Post aufzugeben. Dann aber hätte mit einem Eingang der (ausgedruckten) Beschwerdebegründung bei dem Verwaltungsgerichtshof frühestens am folgenden Werktag (Samstag, 18.06.2022) oder am Montag, 20.06.2022, gerechnet werden können (vgl. zu den Postlaufzeiten § 2 Nr. 3 Satz 1 Post-Universaldienstleistungsverordnung [PUDLV] vom 15.12.1999). Bei dem Verwaltungsgerichtshof hätte das Schreiben mit der Beschwerdebegründung zunächst von der Poststelle zur Geschäftsstelle und von dort zur zuständigen Berichterstatterin gelangen müssen, damit von dieser die Entscheidung hätte getroffen werden können, wie hinsichtlich der (nun wieder eingescannten) Beschwerdebegründung weiter zu verfahren ist. Die entsprechende Verfügung hätte sodann an die Geschäftsstelle übermittelt und ausgeführt werden müssen. Unter Berücksichtigung dieser Abläufe wäre ein dann wohl erfolgter Hinweis des Senats darauf, dass die hier in Papierform eingegangene Beschwerdebegründung den Formanforderungen nicht genügt und die Beschwerdebegründung zudem bei dem unzuständigen Gericht eingereicht worden ist, im ordentlichen Geschäftsgang frühestens am 21.06.2022 - nach Fristablauf - zu erwarten gewesen, sodass ein Verschulden des Gerichts (gleichgültig, ob Verwaltungsgericht oder Verwaltungsgerichtshof) in diesem Vorgang nicht zu erkennen ist. Angesichts dessen wirkt es sich auch nicht mehr aus, dass die Beschwerdebegründung tatsächlich erst am 24.06.2022 bei dem Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist.
26 
Dem Verwaltungsgericht kann ferner nicht in einer den Antragsteller vom Verschuldensvorwurf entlastenden Weise angelastet werden, dass es die an das Verwaltungsgericht Stuttgart adressierte und bei ihm vom Verfahrensbevollmächtigen des Antragstellers über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingereichte Beschwerdebegründung nicht elektronisch an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg weitergeleitet hat. Dabei kann offen bleiben, ob eine Weiterleitung eines - wie hier - über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingereichten, lediglich - einfach - (vgl. Ulrich in: Schoch/Schneider, VwGO, § 55a Rn. 86 ) signierten, nicht aber qualifiziert elektronisch signierten Dokuments überhaupt geeignet wäre, eine formwirksame Beschwerdebegründung zu bewirken. Dies könnte deshalb fraglich sein, weil ein elektronisches Dokument, das aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach versandt wird und - wie hier - nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht ist, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.10.2021 - 8 C 4.21 -, juris Rn. 4; BSG, Beschluss vom 18.11.2020 - B 1 KR 1/20 B -, juris Rn. 11; BAG, Beschluss vom 05.06.2020 - 10 AZN 53/20 -, juris Rn. 14). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist der Gedanke, dass die Authentizität und Integrität der Daten gewährleistet sein sollen (vgl. BSG, Beschluss vom 18.11.2020 - B 1 KR 1/20 B -, juris Rn. 13 f.; BVerwG, Beschluss vom 12.10.2021 - 8 C 4.21 -, juris Rn. 5; BAG, Beschluss vom 05.06.2020 - 10 AZN 53/20 -, juris Rn. 18). Ob dieser Zweck auch dann als gewahrt angesehen werden kann, wenn ein nur einfach signiertes Dokument von einem Gericht an ein anderes Gericht elektronisch weitergeleitet wird und die mit Blick auf das besondere elektronische Anwaltspostfach notwendigen Angaben - wie hier aus dem Ausdruck zum elektronischen Rechtsverkehr - ersichtlich sind (zur Wirksamkeitsproblematik vgl. etwa auch VG Halle, Urteil vom 15.11.2015 - 5 A 235/21 -, juris Rn. 27, sowie Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 18.08.2022 - 102 VA 68/22 -, juris Rn. 24), kann vorliegend dahinstehen. Denn für eine Überlagerung des Verschuldensvorwurfs des Antragstellers durch einen solchen des Verwaltungsgerichts fehlt es nach dem dargestellten Maßstab jedenfalls daran, dass eine elektronische Weiterleitung eines bei dem Verwaltungsgericht über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingegangenen, an dieses Gericht adressierten Schriftsatzes zumindest hinsichtlich solcher Akten, die - wie hier - bei dem Verwaltungsgericht noch als Papierakten geführt wurden, in Baden-Württemberg nicht dem ordentlichen Geschäftsgang des Verwaltungsgerichts entspricht.
27 
Entsprechend § 1 Satz 1 der Verordnung des Justizministeriums zur elektronischen Aktenführung bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften vom 29.03.2016 (GBl. 2016, 265; eAktVO) wurde das mit hier streitgegenständlichem Beschluss vom 12.05.2022 bei dem Verwaltungsgericht Stuttgart abgeschlossene Verfahren des Antragstellers dort als Papierakte geführt. Denn nach dieser Vorschrift werden bei den in der Anlage zu dieser Verordnung bezeichneten Gerichten und Staatsanwaltschaften die Akten in den genannten Verfahren ab dem angegebenen Zeitpunkt elektronisch geführt. Ausweislich V. der Anlage zu § 1 eAktVO werden bei dem Verwaltungsgericht Stuttgart (erst) seit dem 01.06.2022 alle Verfahren (ohne - hier nicht vorliegende - Verfahren über die Vergabe von Studienplätzen - Numerus-Clausus-Sachen -, Disziplinarsachen, Personalvertretungssachen) elektronisch geführt.
28 
Die Beschwerdebegründung des Antragstellers vom 13.06.2022 war (neben der Angabe des erstinstanzlichen Aktenzeichens) an das Verwaltungsgericht Stuttgart - und nicht etwa an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - adressiert. Dementsprechend war der Schriftsatz vor einer weiteren Bearbeitung vom Gericht zur Akte zu nehmen. Dies hatte nach § 1 Satz 3 eAktVO in Papierform zu geschehen. Denn nach § 1 Satz 3 eAktVO werden Akten, die zum angegebenen Zeitpunkt (dem im Sinne des § 1 Satz 1 eAktVO) bei dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft - wie hier - bereits in Papierform angelegt sind, im Ganzen in Papierform geführt, sofern nicht in der Anlage für Akten in - hier nicht vorliegenden - Verfahren nach § 151 Nummer 4 und § 271 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die in Papierform angelegt wurden, ab dem in der Anlage bestimmten Zeitpunkt die Weiterführung in elektronischer Form angeordnet wird (Hybridaktenführung). Erst nach diesem Verfahrensschritt war die (Papier-)Akte sodann mit der Beschwerdebegründung dem/der zuständigen Berichterstatter/in vorzulegen, damit diese(r) entscheiden konnte, wie nun damit weiter zu verfahren war.
29 
Der Senat verkennt nicht, dass eine von einem Rechtsanwalt fälschlicherweise an das Verwaltungsgericht adressierte und gesendete Beschwerdebegründung auch dann, wenn sie dort über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingereicht wird, nicht mehr formwirksam im ordentlichen Geschäftsgang an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg weitergeleitet werden kann, wenn das Verfahren dort in Papierform geführt wurde. Dies ist indes Folge der dargestellten gesetzlichen Bestimmungen.
30 
Das Vorbringen des Antragstellers zum Vorgehen des Senats rechtfertigt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gleichfalls nicht. Dem Senat ist kein zur Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist führendes Verschulden anzulasten. Zum einen bestand am Tag des Eingangs der Beschwerdeschrift vom 31.05.2022 bei dem Verwaltungsgerichtshof am 20.06.2022 noch kein Anlass, auf die Notwendigkeit der Einreichung der Beschwerdebegründung bei dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hinzuweisen. Denn an diesem Tag war die Beschwerdebegründungsfrist noch nicht abgelaufen und es steht einem Rechtsschutzsuchenden frei, Fristen bis zuletzt auszuschöpfen. Zum anderen ergab sich bei Eingang der Beschwerde bei dem Verwaltungsgerichtshof auch aufgrund der dem angefochtenen Beschluss angefügten Rechtsmittelbelehrung keine Notwendigkeit für einen entsprechenden Hinweis. Denn in dieser ist ausdrücklich ausgeführt, dass die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen ist und dass die Begründung, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einzureichen ist. Gründe für einen entsprechenden Hinweis boten sich dem Senat vielmehr erst, nachdem das Verwaltungsgericht die bei ihm eingereichte Beschwerdebegründung vorgelegt hat. Erst aus diesen Unterlagen wurde ersichtlich, dass der Antragsteller die Beschwerdebegründung bei dem unzuständigen Gericht eingereicht hat. Im Zeitpunkt des Eingangs dieser Unterlagen bei dem Verwaltungsgerichtshof - am 24.06.2022 - war die Beschwerdebegründungsfrist aber schon abgelaufen, sodass ein Hinweis das bereits eingetretene Fristversäumnis nicht mehr hätte verhindern können.
31 
Soweit der Antragsteller schließlich geltend macht, dass in anderen Fällen der Hinweis auf das Aktenzeichen durch das nächsthöhere Gericht so pünktlich erfolge, dass eine fristwahrende Einreichung der Beschwerdebegründung möglich sei, verfängt auch dies nicht. Die Beschwerde ging bei dem Verwaltungsgerichtshof erst am 20.06.2022 - dem letzten Tag der Beschwerdebegründungsfrist - ein. Ein Hinweis auf das Aktenzeichen konnte daher im ordentlichen Geschäftsgang frühestens am folgenden Tag - nach Fristablauf - erwartet werden, was hier im Übrigen auch erfolgt ist.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 VwGO.
33 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen