Beschluss vom Amtsgericht Köln - 73 IN 360/15
Tenor
werden die Kosten des Verfahrens der antragstellenden Gläubigerin auferlegt.
1
G r ü n d e :
2I.
3Mit Antrag vom 24.08.2015, eingegangen am 27.08.2015, hat die Antragstellerin unter Glaubhaftmachung von Forderung und Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin beantragt, das Insolvenzverfahren über deren Vermögen zu eröffnen. Der Antrag wurde der Schuldnerin aufgrund gerichtlicher Verfügung vom 02.09.2015 am 04.09.2015 zugestellt. Nach Erlass eines Beweisbeschlusses am 23.09.2015 hat die Antragstellerin mit Schreiben vom gleichen Tage, eingegangen am 26.09.2015, den Insolvenzantrag zurückgenommen und beantragt, der Schuldnerin die Kosten des Verfahrens gemäß § 4 InsO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 ZPO aufzuerlegen, weil ein Ausnahmefall von § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 ZPO vorliege. Dieser bestehe darin, dass die Schuldnerin vor Insolvenzantragstellung trotz Mahnungen der Antragstellerin eine Arbeitnehmerin nicht abgemeldet habe und aufgrund dessen – letztlich unberechtigte – Schätzungen zulasten ihres Beitragskonto vorgenommen wurden, die Anlass für den zugrundeliegenden Insolvenzantrag waren.
4II.
5Die Kosten waren der Antragstellerin gemäß § 4 InsO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 ZPO aufzuerlegen, weil sie den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin zurückgenommen hat. Ein Ausnahmefall nach § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 ZPO, wonach die Kosten des Verfahrens abweichend von der gesetzlichen Regelung des Halbsatzes 1 der Gegenseite auferlegt werden können, wenn sie dieser ‚aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind‘, liegt nicht vor. Denn ein solcher Ausnahmefall greift nach der Begründung des Gesetzgebers und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann ein, wenn der durch das Kindesunterhaltsgesetz vom 06.04.1998 (BGBl. I, S. 666) - das zugleich die Ergänzung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO um diese Ausnahme enthielt - geänderte § 93d ZPO (nunmehr § 243 FamFG, vgl. dazu auch Zöller/Greger, ZPO, § 269 Rn. 18) betroffen ist oder ein sonstiger von der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall vorliegt. Dazu gehören eine Kostentragungspflicht der beklagten Partei gemäß § 344 ZPO und eine von § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 ZPO abweichende Regelung der prozessualen Kostenlast in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich (BGH, Beschl. v. 06.07.2005, IV ZB 6/05, NJW-RR 2005, 1662, Rn. 6, 7). Demnach können ausschließlich Regelungen, die aus einem prozessualen Grund zu einer Kostentragungspflicht der beklagten Partei führen, eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 ZPO herbeiführen, nicht jedoch eine Kostengrundentscheidung, die materiell-rechtliche Fragen behandelt (BGH, a.a.O., Rn. 8).
6Vorliegend jedoch erstrebt die Antragstellerin eine Kostengrundentscheidung aufgrund materiell-rechtlicher Erwägungen, nämlich dass der Grund für ihren Antrag nachträglich weggefallen sei. Es habe sich erst nach Antragstellung herausgestellt, dass die Schuldnerin ihren Mitwirkungspflichten als Arbeitgeberin nicht nachgekommen sei und ihre Arbeitnehmerin nicht rechtzeitig bei der Antragstellerin abgemeldet habe. Eine solche Entscheidung aber kann ohne Weiteres in einem gemäß § 4 InsO i.V.m. § 91a ZPO nach einer Erledigungserklärung der Antragstellerin zu erlassenden Beschluss getroffen werden. In diesem Zusammenhang ist Raum für die Prüfung, ob aus Gründen der Verfahrensökonomie bereits im laufenden Verfahren ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch für die Kostenentscheidung zu berücksichtigen ist, ob also der Anlass für die Antragstellung nachträglich weggefallen ist und die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen der Schuldnerin aufzuerlegen gewesen wären. Eine solche Erledigungserklärung aber hat die Antragstellerin nicht abgegeben. Da es sich bei der stattdessen erklärten Rücknahme des Insolvenzantrages um eine Prozesshandlung handelt und sich die Antragstellerin zudem ausdrücklich auf die Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO beruft, ist auch eine dahingehende Auslegung ihrer Erklärung ausgeschlossen (s. auch BGH, Beschl. v. 13.12.2006, XII ZB 71/04, NJW 2007, 1460).
7Auch eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO kommt vorliegend nicht in Betracht, da zum einen diese Vorschrift einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich (vgl. dazu näher BGH, Beschl. v. 06.07.2005, a.a.O., Rn. 9 ff.) und überdies diese Regelung im Insolvenzverfahren nicht anwendbar ist. Die Regelungslücke, die der Gesetzgeber für das Klageverfahren schließen wollte, existiert im Insolvenzverfahren nicht. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO sollte die Lücke schließen, die sich ergibt, wenn sich die Klage nach Anhängigkeit (zu einer Erledigung vor Anhängigkeit vgl. Zöller/Greger, § 269 Rn. 18c), aber vor Rechtshängigkeit erledigt hat. Für diesen Fall sollte eine der § 91a-Entscheidung entsprechende Kostengrundentscheidung zulasten des Beklagten auch bei einer Erledigung vor Rechtshängigkeit ermöglicht werden. Dem Insolvenzverfahren aber ist eine Trennung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit fremd. Sie ist auch nicht erforderlich. Vielmehr tritt Rechtshängigkeit unabhängig davon, wer den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt, stets bereits mit Antragseingang beim Insolvenzgericht ein (so auch FK-InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 35, § 13 Rn. 53 m.w.N.; a.A. Uhlenbruck/Wegener, InsO, § 13 Rn. 56, wonach unter Differenzierung zwischen Schuldner- und Gläubigerantrag bei letzterem die Rechtshängigkeit erst gegeben sein soll, wenn die Zustellung des Antrages an den Insolvenzschuldner erfolgt ist).
8Dies ergibt sich zum einen aus § 5 Abs. 1 InsO, wonach die Amtsermittlungspflicht des Insolvenzgerichts - einschließlich der Möglichkeit einer Anordnung vorläufiger Maßnahmen nach § 21 InsO - auch bei einem Gläubigerantrag unmittelbar mit Feststellung der Zulässigkeit des Insolvenzantrages (§ 14 Abs. 1 Satz 1 InsO) einsetzt, unabhängig davon, ob der Schuldner - den zugleich die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO treffen - im Wege der Zustellung des Insolvenzantrages angehört wurde, vgl. §§ 14 Abs. 2, 10 Abs. 1 Satz 1 InsO. Da insbesondere auch die (ausschließliche, § 3 Abs. 1 InsO) Zuständigkeit des Insolvenzgerichts von Amts wegen zu ermitteln ist und ein zivilprozessualer Wahlgerichtsstand nach § 35 ZPO im Insolvenzverfahren ausscheidet - § 3 Abs. 2 InsO bestimmt vielmehr bei mehreren zuständigen Gerichten dasjenige als allein zuständig, bei dem zuerst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist -, besteht im Insolvenzrecht kein Bedürfnis für eine Regelung der Rechtshängigkeit entsprechend § 261 ZPO bzw. der Unterscheidung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit.
9Zum anderen ist die Wirkung einer Vielzahl von Vorschriften der Insolvenzordnung allein an die Antragstellung geknüpft, ohne dass die Insolvenzordnung jeweils eine Rechtshängigkeit des Insolvenzverfahrens verlangen oder auch nur erwähnen würde. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er zweifellos anders formuliert. Dies gilt etwa für die Rückschlagsperre, § 88 Abs. 1 InsO, den Sozialplan vor Verfahrenseröffnung, § 124 Abs. 1 InsO, und insbesondere sämtliche Insolvenzanfechtungsvorschriften, §§ 129 ff., 139 Abs. 1 InsO. Eine Zustellung des (zulässigen) Insolvenzantrages an den Schuldner ist hierfür ebensowenig Voraussetzung wie dessen Anhörung (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 InsO).
10Da mithin der Eingang des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Insolvenzgericht unmittelbar die Rechtshängigkeit begründet, ist bei einer nachfolgenden Erledigung unter Abgabe der entsprechenden Erklärungen allein § 4 InsO i.V.m. § 91a ZPO anwendbar, der eine entsprechende Kostenentscheidung zulasten des Schuldners ermöglicht. Allenfalls in dem Fall, dass der Anlass für den Insolvenzantrag nach dessen Absendung durch den Antragsteller, aber vor dessen Eingang bei Gericht wegfällt, ist eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO denkbar (FK-InsO/Schmerbach, § 13 Rn. 54). Ein solcher Fall jedoch ist vorliegend nicht gegeben.
11Rechtsbehelfsbelehrung:
12Gegen diesen Beschluss findet die sofortige Beschwerde statt, wenn der Gegenstandswert 600,00 EUR übersteigt (§ 4 InsO i.V.m. § 269 Abs. 5 Satz 1 ZPO).
13Die sofortige Beschwerde ist bei dem Amtsgericht Köln - Insolvenzgericht -, Luxemburger Str. 101, 50939 Köln, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch vor der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts zu Protokoll abgegeben werden.
14Die sofortige Beschwerde muss innerhalb von zwei Wochen beim Insolvenzgericht Köln eingegangen sein. Dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines anderen Amtsgerichtes erklärt wurde.
15Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung.
16Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie soll begründet werden.
17Köln, 18.11.2015
18Amtsgericht
19Richterin am Amtsgericht
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Referenzen
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- InsO § 14 Antrag eines Gläubigers 2x
- InsO § 5 Verfahrensgrundsätze 1x
- InsO § 124 Sozialplan vor Verfahrenseröffnung 1x
- IV ZB 6/05 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 129 ff., 139 Abs. 1 InsO 1x (nicht zugeordnet)
- InsO § 10 Anhörung des Schuldners 2x
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- InsO § 139 Berechnung der Fristen vor dem Eröffnungsantrag 1x
- ZPO § 344 Versäumniskosten 1x
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