Urteil vom Amtsgericht Magdeburg - 104 C 739/09, 104 C 739/09 (104)

Tenor

Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 20.02.2010 wird aufrechterhalten.

Die Beklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Produkthaftungsansprüche geltend.

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Die Beklagte ist die irische Produktionsgesellschaft der US-amerikanischen Gesellschaft B. S. Corporation mit Sitz in den USA. B. S. ist ein weltweit tätiges Medizintechnik-Unternehmen, das unter anderem Pacemaker-Systeme (PM) und implantierbare Cardiover-Defibrillatoren (ICD) herstellt und weltweit vertreibt. Ein Pacemaker-System (PM) ist ein Medizinprodukt, welchen Patienten, die unter bestimmten Herzrhythmusstörungen leiden, implantiert wird. Der PM überwacht über eine oder mehrere Elektroden ständig die Herztätigkeit (sog. Sensing). Falls die Herzsignale zu langsam sind (Bradykardie), kann das Herz von dem Aggregat stimuliert werden (sog. Pacing). Ein PM wird in der Regel im Bereich des Brustmuskels unter der Haut (subkutan) in eine "Gewebetasche" implantiert. Die Verbindung des PM zum Herzen wird durch eine Elektrode, zum Teil mehrere Elektroden hergestellt. Die Elektrode wird durch eine Vene bis ins Herz geführt. Der Bewegungssensor, der Akzelerometer, detektiert Bewegungen, die mit physikalischer Aktivität verbunden sind, und erzeugt ein elektrisches Signal, welches wiederum proportional zur Stärke der Körperbewegung ist. Dieses Signal wird benötigt, wenn eine Programmierung der Sensorfrequenz des PM erfolgen muss, etwa bei Patienten mit Chronotopischer Inkompetenz. Sowohl der PM als auch die einzelnen Elektroden sind Medizinprodukte im Sinne des § 3 Medizinproduktegesetz (MPG). Die Beklagte ist ein Krankenversicherer, bei welcher die Zeugen G. Z.‚ geb. am ..., wh. G. Straße ..., ... O., G. S., geb. am ..., verstorben am ..., und A. G., geb. am ..., wh. W. Weg ..., versichert sind bzw. waren. Ihnen wurde jeweils im Jahr 2000 ein Herzschrittmacher der Fa. Gu. GmbH implantiert. Der Versicherten G. Z. wurde am 28.06.2000 in der Universitätsklinik M., L. Straße ..., ... M. ein Herzschrittmacher vom Typ Gu. Pulsar Max SR 1171 mit der Seriennummer 302466 implantiert. Der Versicherten G. S. am 21.03.2000 in der Universitätsklinik M., L. Straße ..., ... M. ein Herzschrittmacher vom Typ Gu. Discovery DR 1273 mit der Seriennummer 127099 implantiert. Der Versicherten G. wurde am 28.06.2000 in der Universitätsklinik M., L. Straße ..., ... M. ein Herzschrittmacher vom Typ Gu. Discovery DR 1274 oder Pulsar Max 1270 mit der Seriennummer 496531 implantiert.

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Mit Schreiben vom 22.07.2005 versandte die Gu. GmbH ein als „Dringende Medizinprodukte Sicherheitsinformationen und Korrekturmaßnahmen" betiteltes Rundschreiben an die Ärzte, welche die betroffenen Produkte implantiert hatte. In dem Schreiben wird darauf hingewiesen, dass das Cardiac Rhythm Managementsystem kürzlich feststellen musste, dass ein in bestimmten Geräten verwendetes Bauteil zur hermetischen Versiegelung möglicherweise einem sukzessiven Verfall unterliege. Es werde eine Fehlerrate in den verbleibenden aktiven, implantierten Geräten von 0,17% bis 0,51 % prognostiziert, wobei die tatsächliche Häufigkeit höher liegen könne. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage K 1 (Blatt 31-34 d.A.) Bezug genommen. In einem weiteren Schreiben vom 23.01.2006 korrigierte die Beklagte die zu erwartende Fehlerrate nach oben auf 0,33 % - bis 0,88 %. Die bei den Versicherten G., S. und Z. implantierten Geräte waren Gegenstand des Rundschreibens, weshalb das Schreiben auch die Ärzte erreichte, welche im Jahr 2000 die jeweilige Implantation durchgeführt hatten. Nach Rücksprache mit den jeweiligen Kardiologen entschlossen sich die genannten Versicherten, die Herzschrittmacher zunächst zu explantieren und sodann durch andere Herzschrittmacher ersetzen zu lassen. Die jeweiligen Austauschoperationen erfolgten für die Versicherte Z. am 06.09.2005 (stationärer Aufenthalt 05.09. - 10.09.2005), für die Versicherte S. am 01.09.2005 (stationärer Aufenthalt 29.08. - 09.09.2005) und für die Versicherte G. am 07.10.2005 (stationärer Aufenthalt 06.10. - 10.10.2005). Für die Austauschoperationen entstanden der Klägerin als Krankenversicherer Aufwendungen in Höhe von 4.913,10 € (1.669,56 € Heilbehandlungskosten für die Versicherte Z. - 2.454,32 € Heilbehandlungskosten für die Versicherte S. - 789,22 € Heilbehandlungskosten für die Versicherte G.). Mit Schreiben vom 09.11.2005 informierte die Universitätsklinik M. die Klägerin darüber, dass aufgrund einer Sicherheitsinformation der Fa. Gu. GmbH und in Absprache mit den betroffenen Patienten ein Gerätewechsel durchgeführt wurde. Mit Schreiben vom 16.02.2006 wandte sich die Klägerin an die Fa. Gu. GmbH, Wi. ..., ... Gi. und meldete ihre Schadenersatzansprüche dem Grunde nach an. Mit Schreiben vom 20.02.2006 meldete sich die Fa. Gu. GmbH und bat um Übermittlung der Modell- und Seriennummern der explantierten Geräte. Die Klägerin kam dieser Bitte nach und übersandte mit Schreiben vom 20.03.2006 die gewünschten Modell- und Seriennummern. Mit Schreiben vom 20.04.2006 forderte die Klägerin die Fa. Gu. GmbH auf, ihr die durch den Austausch der Geräte entstandenen Kosten zu erstatten. Nachdem die Klägerin an den geforderten Ausgleich erinnert hatte, teilte die Fa. Gu. GmbH mit Schreiben vom 29.05.2006 mit, sie habe die Vorgänge vorsorglich und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht ihrem Haftpflichtversicherer gemeldet. Wegen weiterer Fragen solle sich die Klägerin an den Versicherer wenden. Daraufhin wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 02.06.2006 an die AC. und forderte diese auf, den Schaden zu ersetzen. Erst nach mehreren Erinnerungen seitens der Klägerin teilte diese mit Schreiben vom 10.10.2006 mit, die Fa. Gu. habe sämtliche Schadensmeldungen zurückgezogen, weshalb die Klägerin sich wieder unmittelbar an die Fa. Gu. wenden solle. Die Klägerin wandte sich daraufhin erneut an die Fa. Gu. GmbH. Auf dieses Schreiben meldete sich der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Beklagten und teilte mit, es bestünden keine Ansprüche, da die betreffenden Produkte von einer in den USA ansässigen Gu. Corporation in St. P., ... Ha. Avenue No. hergestellt worden seien. In der Folgezeit bemühte sich die Klägerin von dem Universitätsklinikum M. ergänzende Angaben zu bekommen. Mit Schreiben vom 27.11.2008 wandte sich die nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Klägerin per Faxschreiben an die Rechtsanwälte ... & ... G. und bat um Mitteilung, ob die Fa. Gu. GmbH die betreffenden Herzschrittmacher in den EG Raum importiert habe. Daraufhin teilten die genannten Rechtsanwälte mit Schreiben vom 17.12.008 mit, Herstellerin der Geräte sei die in Irland ansässige B. S. Cl., Ca. Road, Cl., Co. Ti., Irland gewesen.

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Seit dem 18.08.2007 ist die Gu. GmbH mit der B. S. verschmolzen.

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Die Klägerin meint, die Beklagte sei gemäß §§ 116 SGB X in Verbindung mit §§ 1, 8 ProdHaftG verpflichtet, 1.189,58 € zu zahlen. Die bei den Versicherten Z., S. und G. im Jahr 2000 implantierten Herzschrittmacher hätten eine Fehler im Sinne der §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 ProdHaftG aufgewiesen. Dem Schreiben der Gu. GmbH vom 22.07.2005 lasse sich entnehmen, dass bei den betroffenen Geräten der sukzessive Verfall der Dichtung nicht ausgeschlossen werden könne. Dieses wiederum habe eine erhöhte Feuchtigkeit im Inneren des Gehäuses zur Folge, was zu einer vorzeitigen Erschöpfung der Batterie führe. Das bedeute eine völligen Funktionsverlust des Gerätes. Ohne jede Vorwarnung könne es daher zu einem Verlust der Telemetrie und/oder dem Verlust der Stimulationstherapie kommen. Da es nicht einmal den ... der Fa. Gu. möglich gewesen sei, einen Test bezüglich des künftigen Versagens der Geräte zu bestimmen, seien schwerwiegende gesundheitliche Folgen bei einem weiteren Einsatz der Geräte nicht auszuschließen gewesen. Die Empfehlung der behandelnden Ärzte sei dann auch gewesen, die Geräte auszutauschen. Bei den betroffenen Geräten sei ein Fabrikationsfehler anzunehmen. Die von dem Fehler ausgehende Gefahr sei erheblich. Dieser erhebliche Fabrikationsfehler sei auch kausal für einen Gesundheitsschaden bei den genannten Versicherten, da diese bei Kenntnis von diesem eine Einwilligung in die Implantation derselben nicht erteilt hätten. Bei der Berechnung des Schadens sei zu berücksichtigen, dass die Geräte wegen Batterieerschöpfung regulär nach 84 Monaten (7 Jahren) auszutauschen gewesen seien. Der wegen des Fabrikationsfehlers erforderliche vorzeitige Austausch habe daher zu zusätzlichen Aufwendungen in Höhe von 1.189,58 € geführt. Mit der Klageschrift beantragte die Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Schadenersatz in Höhe von 1.189,58 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Auf Antrag der Klägerin erging am 20.02.2010 gemäß §§ 331 Abs. 3, 276 Abs. 1 ZPO ein Versäumnisurteil. Auf Blatt 93 d. A. wird insoweit Bezug genommen.

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Gegen das am 27.09.2010 zugestellte Urteil legte die Beklagte mit Schriftsatz vom 05.10.2010 - bei Gericht eingegangen am 05.10.2010 - Einspruch ein.

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Die Klägerin beantragt nunmehr, das Versäumnisurteil des Amtsgerichts vom 20.02.2010 aufrechtzuerhalten und und die weiteren Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.

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Die Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil des Amtsgerichts vom 20.02.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, die Klägerin habe die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Schadenersatz gemäß §§ 1, 3, 8 ProdHaftG weder hinreichend dargelegt noch unter Beweis gestellt. Das Schreiben der Gu. GmbH vom 22.07.2005 sei nicht geeignet, einen Fabrikations- oder Konstruktionsfehler im Sinne des ProdHaftG zu begründen. Bei dem Phänomen, das in dem Sicherheitsinformationsschreiben angesprochen werde, handele es sich um außerordentlich selten auftretende Einzelfälle, sie sich nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik auch bei Einhaltung der äußersten Sorgfalt nicht von vornherein ausschließen ließen. Es obliege jedoch der Klägerin gemäß § 1 Abs. 4 ProdHaftG einen Fehler, den Schaden und die Kausalität zwischen Fehler und Schaden nachzuweisen. Hilfsweise meint die Beklagte, selbst wenn ein Produktfehler im Sinne des § 3 ProdHaftG vorläge, wäre der Anspruch gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG bzw. § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG ausgeschlossen. Zum Zeitpunkt seines In-Verkehr-Bringens habe das Gerät sämtliche Anforderungen an Wissenschaft und Technik erfüllt. Hieraus sei zu folgern, dass die Möglichkeit, den potentiellen Fehler zu erkennen zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens noch nicht gegeben gewesen sei. Eine mögliche Haftung sei gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 ProdHaftG ausgeschlossen. Aus den umfangreichen Kontrollen und den Zertifizierungen vor dem In-Verkehr-Bringen sei auch zu schließen, dass ein möglicher Produktfehler zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen habe. Eine mögliche Haftung sei daher auch gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 ProdHaftG ausgeschlossen. Die Beklagte erhebt darüber hinaus die Einrede der Verjährung und vertritt die Auffassung, mögliche Ansprüche seien aufgrund der erhobenen Einrede nicht durchsetzbar.

Entscheidungsgründe

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Der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts vom 20.02.2010 ist zulässig, jedoch nicht begründet.

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Die Beklagte ist gemäß §§ 1, 3, 4, 8 ProdHaftG, § 116 SGB X verpflichtet, 1.189,58 € zu zahlen. Die bei den Zeugen G., S. und Z. ausgetauschten Herzschrittmacher sind bewegliche Sachen und damit ein Produkt gemäß § 2 ProdHaftG. Die Beklagte hat diese Herzschrittmacher zum Zwecke des Verkaufs im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit in den Geltungsbereich des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt und ist damit einem Hersteller gleichzusetzen, § 4 Abs. 2 ProdHaftG.

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Die bei den Zeugen G., S. und Z. ausgetauschten Herzschrittmacher waren fehlerhaft im Sinne des § 3 ProdHaftG, weshalb die Beklagte gemäß §§ 1, 8 ProdHaftG zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, welcher den Zeugen durch die Verletzung des Körpers entstanden ist.

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Dieser Schaden wiederum beträgt insgesamt 1.189,58 €‚ weshalb die Klägerin gemäß § 116 SGB X aus abgetretenem Recht die Zahlung von 1.189,58 € geltend machen kann.

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Ein Produkt ist gemäß § 3 ProdHaftG fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Darbietung dieses Produkts, seines Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann und des Zeitpunkts, zu dem es in den Verkehr gebracht wurde, zu erwarten berechtigt war. Wenn ein Produkt tatsächlich nicht die Sicherheit bietet, die berechtigterweise erwartet werden kann, so liegt dieser entweder in der Konstruktion des Produkts an sich, der Fabrikation des einzelnen Produkts oder aber in der unzureichenden Instruktion zum Gebrauch des Produkts. Grundsätzlich obliegt es dem Anspruchsteller den Beweis zu fuhren, dass ein Fehler im Sinne des § 3 ProdHaftG gegeben ist. Die Klägerin hat diesen Beweis geführt. Mit Schreiben vom 22.07.2005 teilte die Gu. GmbH mit, es sei festgestellt worden, dass bei bestimmten Herzschrittmachern ein zur hermetischen Versiegelung eingebauten Teil einem sukzessiven Verfall unterliege. Die geschätzte Ausfallrate liege bei 0,17 % - 0,51 %‚ wobei die tatsächliche Rate auch höher ausfallen könne. Bei einem Herzschrittmacher handelt es sich um ein medizinisches Gerät, bei denen die Anforderungen an dessen Sicherheit, die der Patient und der behandelnde Arzt zu erwarten berechtigt ist, besonders hoch. Dieses ergibt sich bereits aus der Funktion eines Herzschrittmachers und den Folgen, die eine Fehlfunktion für die körperliche Integrität bzw. Gesundheit des Trägers haben kann. Wenn bei einem Herzschrittmacher ein Ausfallrisiko festgestellt wurde, was oberhalb dessen liegt, was bei diesem Produkt berechtigterweise erwartet werden kann, so liegt ein Fehler im Sinne des § 3 ProdHaftG vor. Ob dieser Fehler auf eine fehlerhafte Konstruktion oder einen Fabrikationsfehler zurückzuführen ist, kann letztlich dahinstehen. Bei einem Herzschrittmacher reicht es aus, wenn ein potentieller Fehler bei einer Serie oder Gruppe tatsächlich festgestellt wurde. Ein Fehler am Produkt selbst muss in diesem Fall nicht mehr nachgewiesen werden (EuGH, Urteil vom 05.03.2015, C-503/13, C-504/13, zitiert bei beck-online). Auf den zu entscheidenden Fall übertragen bedeutet dieses folgendes. Es oblag nicht der Klägerin den Beweis zu führen, dass die Konstruktion der in Rede stehenden Herzschrittmacher aufgrund des verwendeten Dichtungsteils fehlerhaft war. Selbst wenn der von der Gu. GmbH festgestellte vorzeitige Ausfall der Dichtung auf einen Fabrikationsfehler zurückzuführen sein sollte, so genügte auch dieses, um einen Fehler im Sinne des Produkthaftungsgesetzes an jedem Produkt der gesamten Serie bzw. Gruppe zu begründen. Die vom Europäischen Gerichtshof verwendete Formulierung "potentieller Fehler" dürfte dahingehend zu verstehen sein, dass im Hinblick auf die Folgen eines Ausfalls des Herzschrittmachers bereits die Möglichkeit eines Fabrikationsfehlers auch an dem implantierten Gerät genügt, um einen Produktfehler zu begründen. Entscheidend ist allein, ob bei der Gruppe bzw. Serie des verwendeten Medizinprodukts der Risikogruppe III ein Ausfallrisiko festgestellt wurde, dass oberhalb dessen liegt, was berechtigterweise erwartet werden kann. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat das erkennende Gericht keinen Zweifel daran, dass das von der Gu. GmbH festgestellte und mit Schreiben vom 22.07.2005 auch mitgeteilte Ausfallrisiko bei den betreffenden Serien der Herzschrittmacher oberhalb dessen liegt, was berechtigterweise erwartet werden konnte. Der Europäische Gerichtshof hielt im Zusammenhang mit Defibrillatoren bereits ein Ausfallrisiko von 0,00008696 (4 Vorfälle bei 46.000 Geräten) für ausreichend, um einen Produktfehler zu begründen. Der Bundesgerichtshof spricht im Zusammenhang mit Medizinprodukten der Risikogruppe III von einer Fehlerquote gegen Null, die zu erwarten sei (BGH NJOZ 2014, 567). Der vom Gericht beauftragte Sachverständige, Prof. Dr. L. stellt in seinem Gutachten fest, entsprechend einer in den USA erhobenen Studie habe die Gesamtfehlerrate bei Herzschrittmachern in dem Zeitraum 1990 - 2005 0,39% betragen. Die von der Gu. GmbH mitgeteilte Fehlerrate von bis zu 0,51%, welche in einem weiteren Schreiben vom 23.01.2006 auf bis zu 0,88% erhöht wurde, liegt erheblich über den genannten Werten. Bei der Frage, in welchem Umfang sich ein Ausfallrisiko erhöht haben muss, um als fehlerhaft im Sinne des § 3 ProdHaftG gewertet zu werden, sind die Folgen eines Ausfalls immer zu berücksichtigen. Die Haftung entsprechend dem Produkthaftungsgesetz dient dem Integritätsinteresse. Je tiefgreifender die Folgen eines Ausfalls sind desto geringer müssen die Anforderungen an die Erhöhung des Risikos sein. Bei einem Zerfall der Dichtung in einem Herzschrittmacher ist mit einem Ausfall des Schrittmachers zu rechnen. Dieser wiederum kann zum Ableben des Trägers führen. Es liegt auf der Hand, dass angesichts dessen eher geringe Anforderungen an die Erhöhung des Risikos eines Ausfalls zu setzen sind. Bei Medizinprodukten ist daher bereits eine Erhöhung des Ausfallrisikos um 0,1% ausreichend, um einen Produktfehler zu begründen.

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Soweit die Beklagte auf einen Jahresbericht der Deutsche Herzschrittmacher- und Defibrillationsregister für das Jahr 2011 Bezug nimmt, ist auf folgendes hinzuweisen. Die als Anlage B 7 zur Akte gereichte Dokumentation ist nach Auffassung des Gericht nicht geeignet, Rückschlüsse auf das Ausfallrisiko bei den in Rede stehenden Herzschrittmachern zuzulassen. So ist zunächst einmal darauf hinzuweisen, dass ein Register für das Jahr 2011 keine präzisen Angaben zu Schrittmachern erlaubt, die im Jahr 2000 implantiert wurden. Ein Register, in welchem lediglich gemeldete Fälle ohne jeden weitere Prüfung aufgenommen werden, ist zudem auch aus methodischen Gründen nicht geeignet, zuverlässige Aussagen zu einem Ausfallrisiko zu treffen.

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Die Haftung der Beklagten ist auch nicht gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG ausgeschlossen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der vom Europäischen Gerichtshof genannte potentielle Fehler zu dem Zeitpunkt als die Beklagte die Herzschrittmacher in den Verkehr brachte, noch nicht vorhanden war. Eine Haftung der Beklagte ist auch nicht gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG ausgeschlossen. Soweit der vorzeitige Zerfall der Dichtung auf einen Fabrikationsfehler zurückzuführen ist, ist lediglich darauf hinzuweisen, dass dieser wohl hätte erkannt werden können. Dem Vorbringen der Beklagten lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, warum dieses nicht möglich gewesen sein sollte. Sollte der von der Beklagten festgestellte vorzeitige Zerfall der Dichtung nicht auf einen Fabrikationsfehler zurückzuführen sein, verbliebe allein ein Fehler in der Konstruktion. In diesem Fall genügte das Vorbringen der Beklagten aber ebenfalls nicht, um einen Ausschluss der Haftung zu begründen. Der vom Gericht bestellte Sachverständige weist zutreffend darauf hin, dass von anderen Herstellern Dichtungen verwendet worden wären, bei denen ein vorzeitiger sukzessiver Zerfall nicht festgestellt worden wäre.

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Die Beklagte ist daher gemäß §§ 1, 8 ProdHaftG verpflichtet, den Zeugen G., S. und Z. den Schaden zu ersetzen, der diesen infolge des vorzeitigen Austausches der Geräte entstanden ist. Der Europäische Gerichtshof hat in der bereits genannten Entscheidung vom 05.03.2015 geurteilt, bei den Kosten im Zusammenhang mit dem Austausch der Schrittmacher, einschließlich der Kosten für die chirurgischen Operationen, handele es sich um einen Schaden iSv Art. 9 S. 1 Buchst. A der RL 85/374, für den der Hersteller nach Art. 1 der Richtlinie hafte. Nach Auffassung des Gerichts besteht die Körperverletzung im Vorhandensein eines potentiell fehlerhaften Produkts im Körper, weshalb die Aufwendungen für den Austausch als kausal verursachter Schaden zu ersetzen sind. Die Klägerin hat diesen Schaden unter Berücksichtigung der üblichen Verwendungszeit eines Schrittmachers schlüssig dargelegt. Der Gesamtschaden beträgt daher 1.198,58 €.

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Dem Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 1.189,58 € steht auch nicht die seitens der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Gemäß § 12 Abs. 1 ProdHaftG verjährt der Anspruch nach § 1 ProdHaftG in 3 Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Ersatzberechtigte von dem Schaden, den Fehler und von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt oder hätte erlangen müssen. Die Klägerin wurde mit Schreiben des Universitätsklinikums M. vom 09.11.2005 erstmals über einen Gerätewechsel und einer Sicherheitsinformation der Fa. Gu. in Kenntnis gesetzt. Nach einem längeren Schriftwechsel wurde der Klägerin am 17.12.2008 durch die Rechtsanwälte ... & ... G. mitgeteilt, die bei den Zeugen G., S. und Z . explantierten Geräte seien durch die Fa. Gu. GmbH in den Europäischen Wirtschaftsraum verbracht worden. Die Verjährungsfrist begann erst ab Zugang des Schreibens vom 17.12.2008 zu laufen, weshalb am 13.03.2009, dem Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift bei Gericht, die Frist von 3 Jahren noch nicht abgelaufen war.

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Die Entscheidung über die Zinsen folgt aus §§ 280 Abs. 1, 288 BGB.

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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91, 95 ZPO.

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Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.


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