Urteil vom Arbeitsgericht Köln - 1 Ca 5264/20
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23.07.2020 nicht zum 28.02.2021 beendet worden ist.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Der Streitwert wird auf 14.116,98 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen, arbeitgeberseitigen Beendigungskündigung.
3Der am xxxxx geborene Kläger ist Diplom-Ingenieur (FH) des Studienfachs Fahrzeugtechnik und war seit dem xxxxxx bei der Beklagten, die Ingenieurdienstleistungen u.a. im Bereich der Automobilindustrie anbietet, und bei der eine Mitarbeitervertretung auf Grund vertraglicher Vereinbarung besteht, als Konstrukteur beschäftigt. Sein letztes Bruttomonatsgehalt betrug seinen Angaben zufolge xxxxx €, nach Angaben der Beklagten lediglich xxxxx €.
4Bis einschließlich Juni 2019 waren bei der Beklagten ca. 400 Arbeitnehmer beschäftigt, darunter ca. 100 Arbeitnehmer in den Bereichen „Entwicklung und Konstruktion“ (E/K) sowie „Electrical Distribution Systems“ (EDS). Die weiteren Bereiche befassen sich den Angaben der Beklagten zufolge u.a. mit der Hard- und Softwareentwicklung für Steuergeräte sowie deren Programmierung.
5Im „Vertrag über die Rechte und Pflichten der Mitarbeitervertretung Kxxx“ zwischen der Geschäftsleitung und der Mitarbeitervertretung Kxxx der Beklagten vom 09.07.2019 heißt es – soweit hier von Interesse – auszugsweise:
6„§ 5 Rechte und Pflichten der Kommission der Mitarbeitervertretung K
7(1) Erweitertes Informations- und Anhörungsrecht
8Die Mitarbeiter der Kommission der Mitarbeitervertretung Kxxx haben ein erweitertes Informations- und Anhörungsrecht.
9Bei betriebsbedingten arbeitgeberseitigen Kündigungen müssen die Mitglieder der Kommission der Mitarbeitervertretung Kxxx mindestens eine Woche vor Ausspruch der Kündigung informiert und angehört werden. Die Frist kann in Absprache mit den Mitgliedern der Kommission in Einzelfällen aufgehoben werden. Bei arbeitgeberseitigen Kündigungen aus anderen Gründen wird die Kommission der Mitarbeiter zeitnah informiert.
10…“
11Mit am 27.07.2020 zugegangenem Schreiben vom 23.07.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30.09.2020.
12Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 13.08.2020 im Wege des sog. elektronischen Dokuments beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Kündigungsschutzklage vom 12.08.2020.
13Der Kläger ist der Ansicht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Dringende betriebliche Gründe für die Kündigung seien nicht gegeben. Er behauptet, die Beklagte habe die Tätigkeiten im Bereich der Abteilung E/K, in der er beschäftigt gewesen sei, auf Grund der guten Auftragslage nicht eingestellt. Vielmehr würden die Tätigkeiten, die von ihm in der Niederlassung Kxxx u.a. durchgeführt worden seien, nunmehr unverändert in Wxxxx erledigt. Für den weiterhin von der Beklagten am Standort Kxxx betriebenen Bereich Technologie/Absicherung (Versuch) seien weder ein Studium noch eine Ausbildung im Bereich der Elektrotechnik erforderlich. Dort arbeiteten Angestellte mit unterschiedlichen Ausbildungen, darunter auch Diplom-Ingenieure aus dem Bereich Fahrzeugbau. Deren Tätigkeiten könne er – ggf. nach kurzer Einarbeitungszeit wahrnehmen, da er die hierfür erforderliche Qualifikation habe. Die Mitarbeitervertretung sei nach Meinung des Klägers vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Bestritten werde schließlich, dass von der Beklagten eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige gemäß §§ 17 ff. KSchG gegenüber der Agentur für Arbeit abgegeben worden sei.
14Der Kläger beantragt sinngemäß,
15festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23.07.2020 nicht zum 28.02.2021 beendet worden ist.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Die Beklagte ist der Ansicht, die Kündigung sei aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt. Sie behauptet, ihre Gesellschafter und ihre Geschäftsführung hätten gemäß Gesellschafterbeschluss vom 15.07.2020 beschlossen, die Geschäftsfelder der Entwicklung und Konstruktion (E/K) sowie Electrical Distribution Systems (EDS) nicht weiter zu betreiben. Diese unternehmerische Entscheidung habe dazu geführt, dass sämtliche Arbeitsplätze der Mitarbeiter, die in diesen Einheiten beschäftigt gewesen seien, wie u.a. auch der Arbeitsplatz des Klägers, weggefallen seien. Unzutreffend sei die Behauptung des Klägers, dass Aufträge im Bereich der Abteilung E/K nunmehr von der Niederlassung Wxxxx aus bearbeitet würden, zumal sie dort keine Niederlassung habe. Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten seien für den Kläger nicht vorhanden. Eine Sozialauswahl sei nach Meinung der Beklagten – bezogen auf den gesamten Betrieb – ordnungsgemäß durchgeführt worden. Mit den bei ihr verbliebenen Mitarbeitern sei der Kläger auf Grund seiner Qualifikation, Kenntnisse und beruflichen Erfahrungen nicht vergleichbar. Für die Durchführung der Tätigkeiten innerhalb der verbleibenden Abteilungen habe sie als Anforderungsprofil seit Jahren eine erfolgreiche Absolvierung eines mindestens dreijährigen Studiums der Elektrotechnik oder im Bereich der Informatik nebst Nachweis einer entsprechenden Berufserfahrung von in der Regel mindestens ein bis zwei Jahren festgelegt. Ansonsten seien innerhalb der verbleibenden Abteilungen allenfalls staatlich geprüfte Techniker im Fachbereich Elektrotechnik mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung in diesem Bereich eingesetzt. Der Erwerb dieser fachlichen bzw. beruflichen Qualifikationen, die der Kläger nicht aufweise, sei zwingende Voraussetzung für die Ausübung dieser Tätigkeiten. Überdies sei der Kläger nach seinem Ausbildungsstand und seiner beruflichen Qualifikation als Diplom-Ingenieur des Studienfachs Fahrzeugtechnik nicht fähig, Hard- und/oder Software zu entwickeln oder gar letztgenannte zu programmieren. Ihre Mitarbeitervertretung habe sie vor Ausspruch der Kündigung am 23.07.2020 ordnungsgemäß beteiligt. Ihrer Pflicht zur Information der Kommission vor Ausspruch der Kündigungen sei sie im Rahmen einer Skype-Veranstaltung am 23.07.2020 zeitnah nachgekommen. Schließlich habe sie ihrer Auffassung nach auch die Massenentlassungsanzeige gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit ordnungsgemäß abgegeben.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
21I. Die Klage ist zulässig und begründet.
221. Dem Kläger musste keine Gelegenheit zur Stellungnahme auf das Vorbringen der Beklagten im letzten Schriftsatz vom 05.03.2021 mehr gegeben werden. Denn dieses Vorbringen hat für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits keine Entscheidungsrelevanz.
232. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nicht auf Grund der von der Beklagten mit Schreiben vom 23.07.2020 ausgesprochenen, dem Kläger seinen bislang insoweit unwidersprochen gebliebenen Angaben zufolge am 27.07.2020 zugegangenen Kündigung zum 28.02.2021, weil diese Kündigung unwirksam ist.
24a) Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 KSchG.
25aa) Die allgemeinen Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes sind hier erfüllt:
26Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden (§ 1 Abs. 1 KSchG). Die Beklagte beschäftigt unstreitig auch regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG.
27Der Kläger hat die Kündigung mit der vorliegenden, am 13.08.2020 im Wege des sog. elektronischen Dokuments beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen, der Beklagten ausweislich der Zustellungsurkunde am 19.08.2020 – und damit „demnächst“ i.S. von § 167 ZPO (vgl. dazu BAG, Urteil vom 20.02.2014 – 2 AZR 248/13, AP Nr. 78 zu § 4 KSchG 1969, zu II. 3. b) bb) der Gründe; Ahrendt, in: Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 3. Aufl. 2017, Kündigungsschutzklage [109], Rn. 11 - Unschädlichkeit einer Verzögerung der Zustellung von bis zu 14 Tagen) – zugestellten Kündigungsschutzklage vom 12.08.2020 rechtzeitig i.S. von § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach ihrem Zugang am 25.07.2020 gerichtlich angegriffen.
28bb) Die Kündigung war daher an den Wirksamkeitsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes zu messen. Dieser Überprüfung hat sie nicht standgehalten.
29(1) Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eine ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S. des § 1 Abs. 2 KSchG gekündigt worden, so ist die Kündigung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 KSchG trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.
30(2) Es bedurfte keiner Entscheidung darüber, ob von der nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten überhaupt hinreichend konkret dringende betriebliche Erfordernisse i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG, auf die sich die Beklagte im Streitfall allein beruft, dargetan wurden, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in deren Betrieb über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus entgegenstanden. Ebenso konnte dahingestellt bleiben, ob zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 23.07.2020 am 27.07.2020 die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers zu geänderten Bedingungen bestand.
31Jedenfalls ist die Kündigung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil nicht davon ausgegangenen werden konnte, dass die Beklagte eine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchgeführt hat.
32(a) Die Sozialauswahl i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, auf alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebes. In die soziale Auswahl sind daher grundsätzlich alle Arbeitnehmer einzubeziehen, die gegenseitig austauschbar sind. Der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer bestimmt sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer auf Grund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen („qualifikationsmäßige Austauschbarkeit“). An einer Vergleichbarkeit fehlt es allerdings dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig im Rahmen des Direktionsrechts auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann („arbeitsvertragliche Austauschbarkeit“). Maßgebend ist demnach, ob der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, einen Einsatz ohne Änderung des Arbeitsvertrags rechtlich zulässt (BAG, Urteil vom 02.03.2006 – 2 AZR 23/05, AP Nr. 81 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B. I. 1. der Gründe; BAG, Urteil vom 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, AP Nr. 163 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B. II. 2. a) der Gründe; BAG, Urteil vom 05.06.2008 – 2 AZR 907/06, AP Nr. 179 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B. I. 2. a) der Gründe; BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 420/09, AP Nr. 98 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu III. 2. d) der Gründe jeweils m.w. Nachw.).
33Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG hat zwar der Arbeitnehmer die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erscheinen lassen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend BAG, Urteil vom 24.03.1983 – 2 AZR 21/82, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B. III. 2. c) der Gründe), die auch von der erkennenden Kammer insoweit vollumfänglich geteilt wird, ist dabei aber die Darlegungslast wie folgt abgestuft: Es ist zunächst Sache des Arbeitnehmers, die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen, sofern er über die erforderlichen Informationen verfügt. Soweit er hierzu nicht in der Lage ist und er deswegen den Arbeit-geber zur Mitteilung der Gründe auffordert, die ihn zu der Auswahl veranlasst haben, hat der Arbeitgeber als Folge seiner materiellen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG auch im Prozess substantiiert vorzutragen. Diese sich aus der Mitteilungspflicht ergebende Vortragslast ist allerdings auf die subjektiven, vom Arbeitgeber tatsächlich angestellten Überlegungen beschränkt. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf die vollständige Auflistung der Sozialdaten aller objektiv vergleichbaren Arbeitnehmer. Gibt der Arbeitgeber keine oder keine vollständige Auskunft, so kann der Arbeitnehmer bei fehlender eigener Kenntnis seiner aus § 1 Abs. 3 KSchG i.V. mit § 138 Abs. 1 ZPO aus herzuleitenden Substantiierungspflicht, die Namen sozial stärkerer Arbeitnehmer zu nennen, nicht genügen. In diesen Fällen ist der der fehlenden Kenntnis des Arbeitnehmers entsprechende Vortrag, es seien sozial stärkere Arbeitnehmer als er vorhanden, schlüssig und ausreichend (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 18.01.2007 – 2 AZR 796/05, AP Nr. 89 zu § 1 KSchG 1969, zu B. I. 4. c) dd) (1) der Gründe m.w. Nachw.).
34(b) Da im Streitfall der Kläger bereits in der Klageschrift die Durchführung einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl ausdrücklich in Abrede gestellt hat, wäre es nach Maßgabe der vorangegangenen Grundsätze sodann Sache der Beklagten gewesen, im Einzelnen darzutun, dass bei Ausspruch der Kündigung die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten sozialen Gesichtspunkte zumindest ausreichend berücksichtigt worden sind. Hierzu trägt die Beklagte in Kern nur pauschal vor, sie habe die Sozialauswahl „bezogen auf den gesamten Betrieb“ durchgeführt, der Kläger sei jedoch mit den bei ihr verbleibenden Mitarbeitern nicht vergleichbar, da er die für die innerhalb der verbleibenden Abteilungen vorhandenen Arbeitsplätze erforderliche Qualifikation nicht habe, um diese „ordnungsgemäß zu besetzen“. Nähere Angaben zu den Tätigkeiten, die auf den mehr als 300 verbliebenen Arbeitsplätzen zu verrichten sind, und die dem Gericht eine Prüfung ermöglicht hätten, dass der Kläger mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern auf Grund seiner Qualifikationen vergleichbar ist oder nicht, hat die Beklagte indes nicht gemacht. Soweit sich die Beklagte – gewissermaßen global – darauf beruft, für die verbliebenen (mehr als 300) Arbeitsplätze habe sie als „Anforderungsprofil“ bzw. die erfolgreiche Absolvierung einer Ausbildung mit „ausgeprägtem Tiefgang“, d.h. insbesondere ein erfolgreich abgeschlossenes Studium im Bereich der Elektrotechnik oder ein erfolgreich abgeschlossenes Studium im Bereich der Informatik, hilfsweise die Qualifizierung als staatlich geprüfter Techniker im Fachbereich Elektrotechnik mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung im Bereich Elektrotechnik festgelegt, trifft es zwar zu, dass die Gestaltung des Anforderungsprofils für einen Arbeitsplatz nach der Rechtsprechung des Bundesarbeits-gerichts durchaus der freien „unternehmerischen“ Disposition unterliegt, und das Bestreben des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten – nach Möglichkeit – von Arbeitnehmern mit einer bestimmten Qualifikation ausführen zu lassen, grundsätzlich zu akzeptieren ist und von den Arbeitsgerichten nur auf Willkür und offenbare Unrichtigkeit hin gerichtlich überprüft werden kann (siehe etwa BAG, Urteil vom 02.03.2017 – 2 AZR 546/16, zitiert nach juris, dort Orientierungssatz 2 und Rn. 23 m.w. Nachw.). Im Rahmen der bei betriebsbedingten Kündigungen nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 KSchG zwingend vorzunehmenden Sozialauswahl ist allerdings – wie bereits ausgeführt – allein entscheidend, ob der gekündigte Arbeitnehmer auf Grund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, gleichwertige Tätigkeit – ggf. nach kurzer Einarbeitungszeit ausführen und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einseitig im Rahmen des Direktionsrechts auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann. Letzteres ergibt sich hier bereits aus der in § 1 Nr. 3 des Anstellungsvertrags der Parteien vom 15.06.2000 enthaltenen sog. Versetzungsklausel, wonach die Beklagte berechtigt ist, dem Kläger „eine anderweitige angemessene Tätigkeit zuzuweisen“ (Satz 1), und in der sich der Kläger verpflichtet hat, „eine ihm zugewiesene Arbeit zu übernehmen, soweit sie seiner Qualifikation entspricht bzw. zumutbar ist“ (Satz 2). Dass die auf den im Betrieb der Beklagten verbliebenen mehr als 300 Arbeitsplätzen zu verrichtenden Tätigkeiten vom Kläger mangels erforderlicher – beruflicher bzw. fachlicher – Qualifikation nicht ordnungsgemäß verrichtet werden können, wie dies die Beklagte bisher nur pauschal behauptet hat, wird von ihr nicht durch einen substantiierten und einlassungsfähigen Tatsachenvortrag belegt.
35(c) Eine betriebsbedingte Kündigung soll zwar dann nicht wegen unterlassener Sozialauswahl unwirksam sein, wenn mit der Kündigung eine – gleichwohl zufällig – vertretbare Auswahlentscheidung getroffen wurde. Denn auch unrichtige Erwägungen des Arbeitgebers können zufällig zu dem Ergebnis führen, dass dem am wenigsten schutzwürdigen Arbeitnehmer gekündigt worden ist (siehe etwa BAG, Urteil vom 14.03.2013 – 8 AZR 153/12, zitiert nach juris, dort Orientierungssatz 4 und Rn. 43; BAG, Urteil vom 27.07.2017 – 2 AZR 476/16, zitiert nach juris, dort Orientierungssatz 4 und Rn. 41 jeweils m.w. Nachw.). Der Arbeitgeber hat in solchen Fällen aufzuzeigen, dass und aus welchen Gründen soziale Gesichtspunkte gegenüber dem klagenden Arbeitnehmer deshalb ausreichend berücksichtigt wurden, weil ihm selbst dann, wenn ein seitens des Arbeitnehmers gerügter Auswahlfehler unterblieben wäre, gekündigt worden wäre (zu diesem Erfordernis: BAG, Urteil vom 27.07.2017 – 2 AZR 476/16, a.a.O., Rn. 41).
36Dem bisherigen Vorbringen der Beklagten lässt sich indes nicht entnehmen, dass sich die Kündigung des Klägers im Ergebnis als vertretbare Auswahlentscheidung in diesem Sinne darstellt.
37(d) Allein aus Gründen der Vollständigkeit sei schließlich erwähnt, dass sich aus dem bisherigen Vorbringen der Beklagten auch nicht ergibt, ob und wenn ja welche auf den im Betrieb der Beklagten verbliebenen mehr als 300 Arbeitsplätzen beschäftigten Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen waren, weil deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse der Beklagten gelegen haben soll.
38b) Unabhängig von den vorangegangenen Ausführungen ist die Kündigung der Beklagten vom 23.07.2020 auch wegen nicht ordnungsgemäßer Beteiligung der Mitarbeitervertretung nach Maßgabe von § 5 (1) Abs. 2 Satz 1 des Vertrags über die Rechte und Pflichten der Mitarbeitervertretung Kxxx vom 09.07.2019 unwirksam.
39aa) Gemäß § 5 (1) Abs. 2 Satz 1 dieses Vertrags müssen bei betriebsbedingten arbeitgeberseitigen Kündigungen die Mitglieder der Kommission der Mitarbeitervertretung Kxxx mindestens eine Woche vor Ausspruch der Kündigung informiert und angehört werden.
40bb) Diese Wochenfrist wurde von der Beklagten unstreitig nicht gewahrt. Denn die Beklagte führt u.a. selbst aus, ihre Geschäftsleitung habe die Mitarbeitervertretung von dem Ausspruch der beabsichtigten Kündigung „am 23.07.2020“ über den „den Kündigungen zugrundeliegenden Sachverhalt ordnungsgemäß informiert“.
41cc) Dass die in § 5 (1) Abs. 2 Satz 1 dieses Vertrags vereinbarte Wochenfrist hinsichtlich der Information und Anhörung der Mitarbeitervertretung durch die Beklagte bei betriebsbedingten arbeitgeberseitigen Kündigungen gemäß § 5 (1) Abs. 2 Satz 2 dieses Vertrags „in Absprache mit den Mitgliedern der Kommission“ im Falle der Kündigung des Klägers aufgehoben ist, hat die Beklagte – soweit ersichtlich – nicht behauptet.
42dd) Das Vorbringen der Beklagtenvertreterin im Kammertermin am 12.03.2021, die Regelung von § 5 (1) Abs. 2 Satz 1 des Vertrags über die Rechte und Pflichten der Mitarbeitervertretung Köln vom 09.07.2019 sei bei „kollektiven Maßnahmen“, wie ihren hiesigen Massenentlassungen, nach dem Willen der Parteien dieses Vertrags unanwendbar, findet in diesem Vertrag keinen Halt.
43ee) Rechtsfolge der Verletzung der in § 5 (1) Abs. 2 Satz 1 des Vertrags über die Rechte und Pflichten der Mitarbeitervertretung Köln vom 09.07.2019 vereinbarten Verpflichtung der Beklagten, die Mitglieder der Kommission der Mitarbeitervertretung Köln bei betriebsbedingten Kündigungen mindestens eine Woche vor Ausspruch der Kündigung zu informieren und anzuhören, ist nach Maßgabe des Rechtsinstituts des sog. Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter die Unwirksamkeit der Kündigung.
44(1) Der Beklagten ist zwar in der Tat einzuräumen, dass dieser Vertrag keine Regelung enthält, die der des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG hinsichtlich der Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch von arbeitgeberseitigen Kündigungen entspricht.
45(2) Gleichwohl ist die in § 5 (1) Abs. 2 Satz 1 des Vertrags über die Rechte und Pflichten der Mitarbeitervertretung Kxxx vom 09.07.2019 enthaltene Regelung nach Auffassung der Kammer dahin auszulegen, dass ein Verstoß hiergegen durch die Beklagte zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Dies verdeutlicht bereits die in dieser Regelung enthaltene Diktion „müssen“. Sofern ein Verstoß gegen diese Verpflichtung im Hinblick auf den Ausspruch von Kündigungen durch die Beklagte gleichsam rechtsfolgenfrei bleiben würde, wäre diese Regelung bloße Makulatur und das Papier nicht wert, auf dem sie steht.
46c) Ob die Kündigung der Beklagten vom 23.07.2020 zudem, wie vom Kläger angenommen, wegen nicht ordnungsgemäßer Massenentlassungsanzeige i.S. der §§ 17 ff. KSchG unwirksam ist, bedurfte angesichts der vorangegangenen Ausführungen keiner Entscheidung, so dass das diesbezügliche wechselseitige Vorbringen der Parteien nicht abschließend gewürdigt werden musste.
47II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V. mit § 495 ZPO i.V. mit § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
48III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG.
49V. Die Berufung war nicht gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. a), Abs. 3 ArbGG zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG) und die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ArbGG nicht gegeben waren. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung war gemäß § 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG im Tenor des Urteils auszu-sprechen (vgl. BAG, Urteil vom 25.01.2017 – 4 AZR 519/15, AP Nr. 51 zu § 64 ArbGG 1979, zu II. 2. c) bb) (2) (b) der Gründe m.w. Nachw.).
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