Urteil vom Arbeitsgericht Ulm - 2 Ca 263/04

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.050 EUR festgesetzt.

4. Soweit die Berufung nicht Kraft Gesetzes statthaft ist, wird sie nicht gesondert zugelassen

Tatbestand

 
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schadensersatz in Höhe von 1.050,00 EUR zu bezahlen, da sich die Klägerin verspätet bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet hat, und die Beklagte die Klägerin nicht auf deren Verpflichtung hingewiesen hat, sich frühzeitig bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden.
Die Klägerin war auf Grund eines befristeten Arbeitsvertrags vom 05.08.2003 bis 31.12.2003 bei der Beklagten als Sachbearbeiterin in der Kreditorenbuchhaltung bei einem monatlichen Bruttoverdienst von 1.850,00 EUR beschäftigt. Zuvor war die Klägerin bereits über eine Leiharbeitsfirma bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Mitte November 2003 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der befristete Arbeitsvertrag nicht verlängert würde. Die Klägerin meldete sich daraufhin am 24.11.2003 bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend. Die Agentur für Arbeit kürzte auf Grund der §§ 37 b, 140 SGB III das Arbeitslosengeld der Klägerin um insgesamt 1.050,00 EUR mit der Begründung, die Klägerin habe sich nicht fristgerecht drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitssuchend gemeldet. Gegen den Bescheid der Agentur für Arbeit vom 02.02.2004 erhob die Klägerin Widerspruch. Dieser wurde zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt vor,
die Beklagte sei gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III verpflichtet gewesen, sie auf ihre Verpflichtung gemäß § 37 b SGB III zur frühzeitigen Meldung bei der Agentur für Arbeit hinzuweisen. Da die Beklagte dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei, habe sie sich gegenüber der Klägerin schadensersatzpflichtig gemacht.
Es werde bestritten, dass die Beklagte mittels eines Aushangs auf die Meldepflicht des § 37 b SGB III hingewiesen habe. Selbst wenn ein solcher Aushang vorhanden gewesen wäre, sei dieser nicht geeignet, um der Hinweispflicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III Genüge zu tun. Zwar handle es sich bei § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III nur um eine Sollvorschrift, da jedoch der Arbeitnehmer regelmäßig nicht über seine Pflicht zur frühzeitigen Meldung nach § 37 b SGB III Bescheid wisse, während ein solches Wissen vom Arbeitgeber verlangt werden könne, verdichte sich die Sollvorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III zu einer Mussvorschrift.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.050,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen
Die Beklagte beantragt:
Die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor,
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sie habe am schwarzen Brett in der Zentrale ein Informationsblatt ausgehängt, in welchem die Mitarbeiter explizit auf die bestehende Meldepflicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III hingewiesen würden. Ein solcher Aushang sei auch ausreichend, um der Hinweispflicht nachzukommen. Im Übrigen begründe eine Verletzung von § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III keinen Schadensersatzanspruch, da es sich um eine bloße Sollvorschrift handele.
12 
Abschließend wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie alle sonstigen Aktenteile.

Entscheidungsgründe

 
I.
13 
Es kann dahinstehen, ob die Beklagte die Klägerin mittels eines Aushangs auf deren Verpflichtung zur frühzeitigen Meldung bei der Agentur für Arbeit hingewiesen hat und ob ein solcher Aushang ausreichend wäre, um der Hinweispflicht des Arbeitgebers aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III zu genügen. Selbst für den Fall, dass die Beklagte die Klägerin nicht bzw. nicht genügend auf ihre Verpflichtung nach § 37 b SGB III hingewiesen hätte, würde es dem von der Klägerin erhobenen Anspruch an einer Anspruchsgrundlage fehlen. Der Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 2 Abs. 2 Nr. 3, 37 b, 140 SGB III. Es stellt keine vertragliche Pflichtverletzung dar, wenn der Arbeitgeber entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III den Arbeitnehmer über die Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung bei der Agentur für Arbeit nicht informiert (so auch Arbeitsgericht Verden, Urt. v. 27.11.2003 -3 Ca 1567/03 -, NZA-RR 2004, 108 f.; Bauer/Krets, NJW 2003, 537, 541; Rolfs, NZA 2003, 1323; anderer Ansicht Köhler DStR 2003, 1303, 1304). Dafür sprechen insbesondere folgende Argumente:
14 
Bei der Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III handelt es sich um eine sozialrechtliche Vorschrift, die also öffentlich rechtlicher Natur ist und mit der eine arbeitsmarktpolitische Zielrichtung verfolgt wird. Dagegen soll die Vorschrift nicht die privatrechtlichen Interessen des Arbeitnehmers schützen (vgl. Arbeitsgericht Verden, a.a.O.; Bauer/Krets a.a.O.)
15 
Gegen einen Schadensersatzanspruch des nicht vom Arbeitgeber informierten Arbeitnehmers spricht auch, dass es sich bei § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III um eine Sollvorschrift handelt. Aus der Systematik des § 2 SGB III verbietet es sich auch, die Sollvorschrift des Absatz 2 Nr. 3 als Mussvorschrift zu lesen, denn der Gesetzgeber hat in § 2 SGB III deutlich zwischen Muss- und Sollvorschriften unterschieden.
16 
Als Argument gegen eine mögliche Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers kann auch ein Vergleich der verschiedenen Unterpunkte des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III dienen. Danach soll der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor der Beendigung des Arbeitsverhältnis auch frühzeitig über die Notwendig eigener Aktivitäten bei der Suche nach einer anderen Beschäftigung informieren und ihn hierzu freistellen. Allein hinsichtlich der vom Arbeitgeber geforderten Freistellung findet sich eine weitere besondere Regelung in § 629 BGB. Dort ist geregelt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach der Kündigung eines dauernden Dienstverhältnisses auf Verlangen angemessene Zeit zum Aufsuchen eines anderen Dienstverhältnisses freizustellen hat. Hierbei handelt es sich nicht um eine bloße Sollvorschrift, sondern um eine zwingende Vorschrift. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Freistellung nach § 629 BGB kann anerkanntermaßen eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers nach sich ziehen (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 4. Auflage 2004, § 629 BGB Rdnr. 24). Wenn nun der Gesetzgeber einen Unterfall des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III herausgreift, speziell regelt und von der Sollvorschrift zu einer Mussvorschrift erhebt, deren Verletzung Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann, deutet dies darauf hin, dass es sich bei den anderen Alternativen des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III gerade nicht um zwingende Regelungen handelt, die eine Schadensersatzpflicht nach sich ziehen können.
17 
Gegen einen Schadensanspruch des Arbeitgebers spricht auch, dass der Gesetzgeber in § 140 SGB III ausdrücklich geregelt hat, welche Sanktion einen Arbeitnehmer trifft, der seiner Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung als arbeitssuchend nach § 37 b SGB III nicht nachkommt. Dies zeigt deutlich, dass der Gesetzgeber in erster Linie den Arbeitnehmer und nicht den Arbeitgeber in die Pflicht nehmen möchte.
18 
Der Beklagtenvertreter steht auf dem Standpunkt, die Sollvorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III verdichte sich vorliegend zu einer Mussvorschrift. Da es sich bei der Beklagten um einen Großbetrieb handle, verfüge dieser über alle Informationen über die Gesetzesänderung bezüglich der Meldepflicht, während die Klägerin als juristische Laiin von der Neuregelung des § 37 b SGB III nichts erfahren habe. Nach Auffassung der erkennenden Kammer kann allein mit dieser Begründung ein Schadensersatzanspruch nicht zuerkannt werden.
19 
Zwar mag es häufig der Fall sein, dass der Arbeitgeber, nicht aber der Arbeitnehmer über die Meldepflicht des Arbeitnehmers nach § 37 b SGB III unterrichtet ist. Es ist auch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber gerade aus diesem Grund den Arbeitgeber auffordert, den Arbeitnehmer auf seine Meldepflicht hinzuweisen.
20 
Dies rechtfertigt es nach Auffassung der erkennenden Kammer jedoch nicht, die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III entgegen ihrem Wortlaut als zwingende Vorschrift zu verstehen. Dies ergibt sich schon daraus, dass ein Wissensvorsprung hinsichtlich der Meldepflicht beim Arbeitgeber zwar häufig vorliegen mag, jedoch auch längst nicht jeder Arbeitgeber von § 37 b SGB III Kenntnis hat.
21 
Aus vorstehenden Gründen erscheint es nicht gerechtfertigt, die Verletzung der Sollvorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III als Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht anzusehen, die einen Schadensersatzanspruch rechtfertigen könnte.
II.
22 
1. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.
23 
2. Die Streitwertfestsetzung beruht dem Grunde nach auf § 61 Abs. 1 ArbGG und entspricht in der Höhe dem Nennwert der Klageforderung.

Gründe

 
I.
13 
Es kann dahinstehen, ob die Beklagte die Klägerin mittels eines Aushangs auf deren Verpflichtung zur frühzeitigen Meldung bei der Agentur für Arbeit hingewiesen hat und ob ein solcher Aushang ausreichend wäre, um der Hinweispflicht des Arbeitgebers aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III zu genügen. Selbst für den Fall, dass die Beklagte die Klägerin nicht bzw. nicht genügend auf ihre Verpflichtung nach § 37 b SGB III hingewiesen hätte, würde es dem von der Klägerin erhobenen Anspruch an einer Anspruchsgrundlage fehlen. Der Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 2 Abs. 2 Nr. 3, 37 b, 140 SGB III. Es stellt keine vertragliche Pflichtverletzung dar, wenn der Arbeitgeber entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III den Arbeitnehmer über die Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung bei der Agentur für Arbeit nicht informiert (so auch Arbeitsgericht Verden, Urt. v. 27.11.2003 -3 Ca 1567/03 -, NZA-RR 2004, 108 f.; Bauer/Krets, NJW 2003, 537, 541; Rolfs, NZA 2003, 1323; anderer Ansicht Köhler DStR 2003, 1303, 1304). Dafür sprechen insbesondere folgende Argumente:
14 
Bei der Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III handelt es sich um eine sozialrechtliche Vorschrift, die also öffentlich rechtlicher Natur ist und mit der eine arbeitsmarktpolitische Zielrichtung verfolgt wird. Dagegen soll die Vorschrift nicht die privatrechtlichen Interessen des Arbeitnehmers schützen (vgl. Arbeitsgericht Verden, a.a.O.; Bauer/Krets a.a.O.)
15 
Gegen einen Schadensersatzanspruch des nicht vom Arbeitgeber informierten Arbeitnehmers spricht auch, dass es sich bei § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III um eine Sollvorschrift handelt. Aus der Systematik des § 2 SGB III verbietet es sich auch, die Sollvorschrift des Absatz 2 Nr. 3 als Mussvorschrift zu lesen, denn der Gesetzgeber hat in § 2 SGB III deutlich zwischen Muss- und Sollvorschriften unterschieden.
16 
Als Argument gegen eine mögliche Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers kann auch ein Vergleich der verschiedenen Unterpunkte des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III dienen. Danach soll der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor der Beendigung des Arbeitsverhältnis auch frühzeitig über die Notwendig eigener Aktivitäten bei der Suche nach einer anderen Beschäftigung informieren und ihn hierzu freistellen. Allein hinsichtlich der vom Arbeitgeber geforderten Freistellung findet sich eine weitere besondere Regelung in § 629 BGB. Dort ist geregelt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach der Kündigung eines dauernden Dienstverhältnisses auf Verlangen angemessene Zeit zum Aufsuchen eines anderen Dienstverhältnisses freizustellen hat. Hierbei handelt es sich nicht um eine bloße Sollvorschrift, sondern um eine zwingende Vorschrift. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Freistellung nach § 629 BGB kann anerkanntermaßen eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers nach sich ziehen (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 4. Auflage 2004, § 629 BGB Rdnr. 24). Wenn nun der Gesetzgeber einen Unterfall des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III herausgreift, speziell regelt und von der Sollvorschrift zu einer Mussvorschrift erhebt, deren Verletzung Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann, deutet dies darauf hin, dass es sich bei den anderen Alternativen des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III gerade nicht um zwingende Regelungen handelt, die eine Schadensersatzpflicht nach sich ziehen können.
17 
Gegen einen Schadensanspruch des Arbeitgebers spricht auch, dass der Gesetzgeber in § 140 SGB III ausdrücklich geregelt hat, welche Sanktion einen Arbeitnehmer trifft, der seiner Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung als arbeitssuchend nach § 37 b SGB III nicht nachkommt. Dies zeigt deutlich, dass der Gesetzgeber in erster Linie den Arbeitnehmer und nicht den Arbeitgeber in die Pflicht nehmen möchte.
18 
Der Beklagtenvertreter steht auf dem Standpunkt, die Sollvorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III verdichte sich vorliegend zu einer Mussvorschrift. Da es sich bei der Beklagten um einen Großbetrieb handle, verfüge dieser über alle Informationen über die Gesetzesänderung bezüglich der Meldepflicht, während die Klägerin als juristische Laiin von der Neuregelung des § 37 b SGB III nichts erfahren habe. Nach Auffassung der erkennenden Kammer kann allein mit dieser Begründung ein Schadensersatzanspruch nicht zuerkannt werden.
19 
Zwar mag es häufig der Fall sein, dass der Arbeitgeber, nicht aber der Arbeitnehmer über die Meldepflicht des Arbeitnehmers nach § 37 b SGB III unterrichtet ist. Es ist auch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber gerade aus diesem Grund den Arbeitgeber auffordert, den Arbeitnehmer auf seine Meldepflicht hinzuweisen.
20 
Dies rechtfertigt es nach Auffassung der erkennenden Kammer jedoch nicht, die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III entgegen ihrem Wortlaut als zwingende Vorschrift zu verstehen. Dies ergibt sich schon daraus, dass ein Wissensvorsprung hinsichtlich der Meldepflicht beim Arbeitgeber zwar häufig vorliegen mag, jedoch auch längst nicht jeder Arbeitgeber von § 37 b SGB III Kenntnis hat.
21 
Aus vorstehenden Gründen erscheint es nicht gerechtfertigt, die Verletzung der Sollvorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III als Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht anzusehen, die einen Schadensersatzanspruch rechtfertigen könnte.
II.
22 
1. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.
23 
2. Die Streitwertfestsetzung beruht dem Grunde nach auf § 61 Abs. 1 ArbGG und entspricht in der Höhe dem Nennwert der Klageforderung.

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