Beschluss vom Bundesgerichtshof (7. Zivilsenat) - VII ZR 161/13

Tenor

Der Beschwerde der Beklagten zu 5 wird stattgegeben.

Das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 30. April 2013 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 2.158.873,10 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 5 auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin beauftragte unter Einbeziehung der VOB/B (1996) die Beklagte zu 5 im Jahr 1998 zu einem Pauschalpreis von netto 2.000.030 DM mit der Lieferung und Montage einer Stahl-Glas-Fassade. In dem der Auftragsvergabe zugrundeliegenden Leistungsverzeichnis heißt es unter Ziffer 5.5.0:

Die Verglasung gehört zur Leistung. Es dürfen nur einwandfreie, plane und unbeschädigte Glaseinheiten eingebaut werden. Die Glasdicken sind gemäß der statischen Erfordernisse und der bauphysikalischen Forderungen zu ermitteln, dürfen aber die in den einzelnen Glastypen beschriebenen Mindestdicken nicht unterschreiten.

2

Die Glasfassade wurde im Abstand von etwa 70 cm vor der bereits vorhandenen Klinkerfassade errichtet und mit einer zweiseitig gelagerten ESG-Verglasung versehen.

3

Im Zeitraum von Oktober 2000 bis Mai 2007 kam es zu insgesamt sechs Brüchen der Fassadenverglasung. Die Klägerin übersandte der Beklagten zu 5 mit Schreiben vom 20. September 2002 eine Mängelanzeige. Die Parteien verständigten sich darauf, die Ursachen der Glasbrüche durch einen Privatsachverständigen überprüfen zu lassen. Dieser erarbeitete Vorschläge, die die Beklagte zu 5 umsetzte. Im Juli 2004 leitete die Klägerin beim Landgericht ein selbständiges Beweisverfahren ein.

4

Im Jahr 2010 hat die Klägerin Klage u.a. gegen die Beklagte zu 5 erhoben und beantragt, die Beklagte zu 5 zu verurteilen, an sie 2.158.873,10 € zu zahlen. Die Klägerin hat vorgetragen, dass das Werk der Beklagten zu 5 wegen des Einbaus ungeeigneter Glasscheiben mangelhaft sei.

5

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass das Werk der Beklagten zu 5 mangelhaft sei.

6

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Im Übrigen hat es die Sache unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an das Landgericht zurückverwiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Beklagte zu 5 ihren Klageabweisungsantrag weiter.

II.

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Das Berufungsurteil ist aufzuheben, weil es auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten zu 5 auf rechtliches Gehör beruht.

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1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

9

Die von der Beklagten zu 5 errichtete Glasfassade sei insgesamt mangelhaft, da im Zeitraum von 2000 bis 2007 sechs ca. 4 qm große und 140 kg schwere Glasscheiben unter erheblichen Gefahren für Fußgänger gebrochen seien und eine Fremdeinwirkung als Ursache mangels konkreter Anhaltspunkte nicht in Betracht komme. Eine Hausfassade müsse so beschaffen sein, dass von ihr keine unbeherrschbaren Gefahren insbesondere für Leib und Leben von Menschen ausgingen.

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Die Ansprüche der Klägerin seien auch nicht verjährt. Die Beklagte zu 5 habe nach Entgegennahme der Mängelanzeige im September 2002 am 21. November 2002 sowie am 10. Dezember 2002 im Beisein des Sachverständigen an Ortsbesichtigungen teilgenommen. Entsprechend den Empfehlungen des Gutachters habe die Beklagte zu 5 nach März 2003 mehrere Scheiben mit Kantenbeschädigungen ausgetauscht. Darin sei aus Empfängersicht jedenfalls ein Anerkenntnis im Sinne des § 212 Abs. 1 BGB zu sehen. Darauf, ob die Abnahme bereits am 19. Juni 1998 erfolgt sei, oder ob die Frist der Verjährung ohnehin nach § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B (1996) neu zu berechnen gewesen wäre, komme es für die Entscheidung nicht mehr an.

11

Soweit die Beklagte zu 5 - erstmals in der Berufungserwiderung - vorbringe, ihr Geschäftsführer habe beim Ortstermin ausdrücklich erklärt, die Arbeiten lediglich aus Kulanz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht übernehmen zu wollen, unterliege dieses Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO einem Novenausschluss und sei damit präkludiert.

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2. Das Berufungsgericht hat gegen den Anspruch der Beklagten zu 5 auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, verstoßen. Die Übergehung des Vortrags der Beklagten zu 5, ihr Geschäftsführer habe ausdrücklich erklärt, die Arbeiten lediglich aus Kulanz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht übernehmen zu wollen, findet im Prozessrecht keine Stütze (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1487; BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 - VII ZR 59/12, NZBau 2013, 632 Rn. 10).

13

Den Vortrag der Beklagten zu 5 konnte das Berufungsgericht schon deshalb nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückweisen, weil dieser bereits im Schriftsatz vom 26. Mai 2011 Gegenstand des erstinstanzlichen Vortrages war. Zudem kam es dem Landgericht auf die Frage der Verjährung nicht an, so dass einer Präklusion neuen Vortrags zur Verjährung § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entgegenstünde.

14

3. Der Gehörsverstoß ist für die Frage der Begründetheit der Verjährungseinrede entscheidungserheblich.

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Zwar kann in der Durchführung von Mängelbeseitigungsarbeiten ein zum Neubeginn der Verjährung führendes Anerkenntnis eines Mängelbeseitigungsanspruchs liegen, § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Das gilt aber nicht, wenn der Unternehmer zum Ausdruck bringt, die Arbeiten nur aus Kulanz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erbringen zu wollen (BGH, Beschluss vom 23. August 2012 - VII ZR 155/10, BauR 2012, 1789 Rn. 11 = NZBau 2012, 697). Nach dem unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten zu 5 hat ihr Geschäftsführer im Rahmen des Ortstermins am 18. Dezember 2002 dies gegenüber allen Beteiligten, insbesondere den Vertretern der Klägerin, erklärt. Nach den bisherigen Feststellungen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zu 5 im weiteren Verlauf der Gespräche von ihrer Erklärung abgerückt sein könnte. Das schriftliche Gutachten des Privatsachverständigen enthält vielmehr den Hinweis, keine konkreten Angaben zu den Ursachen der Scheibenbrüche machen zu können, was die behauptete Kulanzerklärung des Geschäftsführers plausibel erscheinen lässt.

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Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach einer Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die von der Beklagten zu 5 im März 2003 durchgeführten Arbeiten aus Kulanz erfolgten.

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4. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da die Klage nicht, wie die die Beklagte zu 5 meint, aus anderen Gründen abweisungsreif ist.

18

a) Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte zu 5 die Glasfassade nur mit Mängeln behaftet errichtet hat.

19

aa) Nach § 13 Nr. 1 VOB/B (1996) und § 633 Abs. 1 BGB a.F. ist ein Werk mangelhaft, wenn es mit Fehlern behaftet ist, die den gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Welchen Gebrauch und damit welche Beschaffenheit des Werkes die Parteien vereinbart haben, ist durch Auslegung des Werkvertrages zu ermitteln. Zur vereinbarten Beschaffenheit gehören alle Eigenschaften des Werkes, die nach der Vereinbarung der Parteien den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen. Dieser bestimmt sich nicht allein nach der zu seiner Erreichung vereinbarten Leistung oder Ausführungsart, sondern auch danach, welche Funktion das Werk nach dem Willen der Parteien erfüllen soll. Dies gilt unabhängig davon, ob die Parteien eine bestimmte Ausführungsart vereinbart haben oder die anerkannten Regeln der Technik eingehalten worden sind. Ist die Funktionstauglichkeit für den vertraglich vorausgesetzten oder gewöhnlichen Gebrauch vereinbart und dieser Erfolg mit der vertraglich vereinbarten Leistung oder Ausführungsart oder den anerkannten Regeln der Technik nicht zu erreichen, schuldet der Unternehmer die vereinbarte Funktionstauglichkeit (BGH, Urteil vom 8. November 2007 - VII ZR 183/05, BGHZ 174, 110 Rn. 15).

20

bb) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Mangelhaftigkeit der Glasfassade nicht. Wie die Beschwerde zu Recht beanstandet, hat das Berufungsgericht den von der Beklagten geschuldeten Erfolg abstrakt vorausgesetzt und die gebotene Auslegung des Vertrages unterlassen. Der bloße Umstand, dass Glasscheiben gebrochen sind, sagt nichts darüber aus, welche Vertragspartei dieses Risiko zu tragen hat (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - VII ZR 203/11, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, Rn. 16 ff.).

21

cc) Es kommt vielmehr darauf an, ob die Parteien als Funktion der in Auftrag gegebenen Glasfassade vereinbarten, dass keine Glasbrüche, außer durch Fremdeinwirkungen, auftreten dürfen. Das ist durch Auslegung nach den allgemein anerkannten Auslegungsregeln zu ermitteln, §§ 133, 157 BGB. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, insbesondere der zum Ausdruck gekommene Wille der Klägerin, für welchen Zweck sie das Bauwerk nutzen wollte und welchen Anforderungen es nach diesem Zweck genügen musste. Diese Auslegung des Vertrages kann der Senat nicht selbst vornehmen, da das Berufungsgericht keine hinreichenden Feststellungen zu den auslegungserheblichen Umständen getroffen hat. Allein die Formulierung in Ziffer 5.5.0 des Leistungsverzeichnisses, zu verwenden seien nur "einwandfreie und unbeschädigte Glaseinheiten", besagt noch nichts darüber, welche Vertragspartei das Risiko von Glasbrüchen zu tragen hat, wenn die Glasscheiben zwar technisch einwandfrei hergestellt und montiert werden, ein Glasbruchrisiko aufgrund verdeckter Nickelsulfideinschlüsse aber verbleibt.

22

Soweit die Beschwerde meint, der Vertrag müsse dahingehend ausgelegt werden, dass ein Bruch der Glasscheiben aufgrund unvermeidbarer Nickelsulfideinschlüsse in den Risikobereich der Klägerin falle, da sich ansonsten die Beklagte zu 5 zu einer objektiv unmöglichen Leistung verpflichtet hätte, ist dieser Schluss nicht zutreffend. Bereits nach altem Schuldrecht führte die Verpflichtung zur Herstellung eines unmöglichen Werks nicht zur Nichtigkeit des Vertrages nach § 306 BGB a.F., sondern zur Anwendung des § 635 BGB a.F., wonach der Auftragnehmer zum Schadensersatz verpflichtet war (BGH, Urteil vom 9. Juli 1970 - VII ZR 70/68, BGHZ 54, 236, 237 f.). Diese Rechtsfolge folgt nunmehr aus § 634 Nr. 4, § 311a Abs. 2 BGB (BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - VII ZR 203/11, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, Rn. 25).

23

b) Soweit die Beklagte zu 5 darüber hinaus rügt, die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Entbehrlichkeit der Fristsetzung, zum Verschulden und zur Schadensberechnung seien fehlerhaft, führt dies ebenfalls nicht zur Abweisung der Klage.

24

Sollten sich die Parteien darauf verständigt haben, dass die Glasfassade über kein Bruchrisiko außerhalb von Fremdeinwirkungen verfügen durfte, könnte ein technisch unmöglich zu erfüllendes Leistungsversprechen vorliegen, das unabhängig von einer Fristsetzung einen Schadensersatzanspruch begründet. Zudem wäre, soweit es auf ein Verschulden der Beklagten zu 5 nach altem Recht ankäme, der Verschuldensmaßstab ein anderer (vgl. zum neuen Recht § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB). Und schließlich müsste der Klägerin Gelegenheit gegeben werden, den Schaden neu zu berechnen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - VII ZR 203/11, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, Rn. 25).

25

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

26

a) Sollte die Beweisaufnahme ergeben, dass der Geschäftsführer der Beklagten zu 5 nicht erklärt hat, ausschließlich aus Kulanz tätig zu werden, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob die Parteien unter Mitwirkung des Privatsachverständigen eine Anerkenntniswirkung vereinbarten, die ausschließlich die vom Sachverständigen in seinem Gutachten erwähnten möglichen Mangelursachen erfasst.

27

b) Begann die Verjährungsfrist mit der Durchführung der Arbeiten im März 2003 nicht neu, kommt es auf die streitige Frage an, wann die Fassadenarbeiten der Beklagten zu 5 abgenommen wurden. Des Weiteren ist erheblich, ob die Voraussetzungen des § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B (1996) gegeben sind.

28

c) Sollte keine Verjährung eingetreten sein, wird das Berufungsgericht entsprechend den Ausführungen zu 4.a) erneut zu prüfen haben, ob das Werk der Beklagten zu 5 mit Mängeln behaftet hergestellt wurde.

Eick                         Safari Chabestari                         Halfmeier

            Kartzke                                      Jurgeleit

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