Beschluss vom Bundesgerichtshof (12. Zivilsenat) - XII ZB 75/13

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. Januar 2013 wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen.

Beschwerdewert: 27.793 €

Gründe

I.

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Das Verfahren betrifft die Vollstreckbarerklärung von Zahlungspflichten aus einem türkischen Scheidungsurteil.

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Die Beteiligten sind türkische Staatsangehörige. Ihre 1998 geschlossene Ehe wurde durch rechtskräftiges Urteil des 1. Familiengerichts in Kartal/Türkei vom 14. Mai 2008 geschieden; die Präsidentin des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat durch Bescheid vom 28. Februar 2012 festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Scheidungsausspruchs vorliegen.

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In dem Urteil des Familiengerichts sind gleichzeitig Scheidungsfolgen geregelt worden. Dabei wurde der Antragsgegner unter anderem verurteilt, an die Antragstellerin gemäß Art. 174 Abs. 1 türkZGB einen materiellen Schadenersatz (Entschädigung) in Höhe von 15.000 YTL und gemäß Art. 174 Abs. 2 türkZGB einen immateriellen Schadenersatz (Genugtuung) in Höhe von weiteren 50.000 YTL zu zahlen; diese Verurteilungen wurden darauf gestützt, dass der Antragsgegner "durch die Ereignisse am Scheitern der Ehe für schuldig befunden worden ist". Daneben wurde der Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin gerichtliche und außergerichtliche Kosten des Scheidungsverfahrens in einer Gesamthöhe von 906,60 YTL zu erstatten.

4

Die Antragstellerin begehrt die Vollstreckbarerklärung der Zahlungspflichten aus dem Scheidungsurteil des türkischen Familiengerichts. Das von der Antragstellerin durch Schriftsatz vom 25. Oktober 2010 zunächst angerufene Landgericht Heidelberg hat ihr am 29. Oktober 2010 den folgenden Hinweis erteilt:

"Die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 3 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG) besteht nur im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AVAG. Dieser dürfte allerdings nicht eröffnet sein. (…) Das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen gilt zwar im Verhältnis zur Türkei. Die Vollstreckbarerklärung bezieht sich aber auf eine Verurteilung zur Zahlung von materiellem und immateriellem Schadenersatz als Folge der Scheidung. (…) Da die Verurteilung ausweislich der Urteilsgründe ohne jeden Bezug auf Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit der Ehegatten erfolgte, kommt eine Qualifizierung als Unterhaltsanspruch nicht in Betracht. (…)

Infolgedessen dürfte nur eine Zuständigkeit des Familiengerichts zur Entscheidung über die Vollstreckbarkeit im Beschlussverfahren gem. §§ 110, 95, 111 Nr. 10, 266 FamFG, 23a Nr. 1 GVG bestehen…"

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Das Landgericht hat sich sodann durch Beschluss vom 8. November 2010 für sachlich unzuständig erklärt und die Sache auf Antrag der Antragstellerin an das Amtsgericht Heidelberg verwiesen. Das Amtsgericht Heidelberg hat sich - nach Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens - im Hinblick auf den Wohnsitz des Antragsgegners seinerseits für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Wiesloch weiterverwiesen, welches dem Antrag der Antragstellerin aufgrund mündlicher Verhandlung stattgegeben und das Urteil des türkischen Familiengerichts wegen der darin enthaltenen Zahlungsverpflichtungen für vollstreckbar erklärt hat.

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Gegen die am 19. September 2012 zugestellte amtsgerichtliche Entscheidung hat der Antragsgegner innerhalb einer einmonatigen Frist Beschwerde eingelegt. Am 27. November 2012 ging bei dem Oberlandesgericht eine Beschwerdebegründung ein, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist. Das Oberlandesgericht hat den Beteiligten den Hinweis erteilt, dass es einer Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung nicht bedürfe, weil sich die Vollstreckbarkeit des türkischen Urteils nach dem Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2. Oktober 1973 (BGBl. 1986 II S. 826; im Folgenden HUVÜ 73) bestimme und das deutsche Ausführungsgesetz in §§ 11 ff. AVAG keine Frist für die Begründung der Beschwerde vorsehe. Sodann hat das Oberlandesgericht die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

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Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners, mit der er seine Abweisungsanträge weiterverfolgt.

II.

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Die Rechtsbeschwerde ist unstatthaft und daher unzulässig.

9

1. Das Beschwerdegericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Erstbeschwerde des Antragsgegners als Beschwerde nach § 11 Abs. 1 AVAG iVm Art. 13 HUVÜ 73, § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. c AVAG (aF) zu behandeln gewesen sei.

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a) Eine Beschwerde nach § 11 Abs. 1 AVAG, für deren Verfahren ergänzend die Vorschriften über das Beschwerdeverfahren nach §§ 567 ff. ZPO heranzuziehen sind (vgl. Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich/Wolf Das Recht der gesamten Zwangsvollstreckung 2. Aufl. § 13 AVAG Rn. 1), kann gegen solche Entscheidungen des ersten Rechtszuges gerichtet werden, die im Klausel-erteilungsverfahren nach §§ 3 ff. AVAG ergangen sind.

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Um eine solche Entscheidung handelt es sich bei dem amtsgerichtlichen Beschluss ersichtlich nicht.

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aa) Das von der Antragstellerin betriebene Verfahren war - was auch die Rechtsbeschwerde nicht anders sieht - jedenfalls nach der Erteilung der Hinweise durch das Landgericht und nach der Verweisung der Sache an das Amtsgericht allein darauf gerichtet, die Zahlungspflichten aus dem türkischen Scheidungsurteil auf der Grundlage des autonomen deutschen Rechts zur Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen und somit im Beschlussverfahren nach § 110 Abs. 2 Satz 1 FamFG für vollstreckbar erklären zu lassen. Über diesen Antrag entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges in einem kontradiktorisch geführten Hauptsacheverfahren durch Beschluss. Zwar ist auch das vereinfachte Klauselerteilungsverfahren nach §§ 3 ff. AVAG, welches der Ausführung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen auf unionsrechtlicher oder völkervertraglicher Grundlage dient, ein Beschlussverfahren. Es wird indessen in erster Instanz ohne Beteiligung des Antragsgegners und damit einseitig geführt (§ 6 Abs. 1 AVAG). Einen kontradiktorischen Charakter erlangt dieses Verfahren erstmals mit der Beschwerde eines Beteiligten (vgl. BGH Beschluss vom 4. Februar 2010 - IX ZB 57/09 - NJW-RR 2010, 571 Rn. 7).

13

bb) Zwar ist das Amtsgericht ausweislich der Gründe seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass auch im Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach nationalem Recht die materiellen Voraussetzungen für die Anerkennung einer ausländischen Unterhaltsentscheidung dem HUVÜ 73 und damit staatsvertraglichem Recht zu entnehmen sind, so dass das Amtsgericht insbesondere die Frage des Ordre-public-Verstoßes nicht auf der Grundlage von § 109 FamFG, sondern auf der Grundlage von Art. 5 HUVÜ 73 erörtert hat.

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Dies ändert in verfahrensrechtlicher Hinsicht aber nichts daran, dass die Entscheidung des Amtsgerichts in dem für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen nach deutschem Recht vorgesehenen kontradiktorischen FamFG-Erkenntnisverfahren nach Beteiligung des Antragsgegners ergangen ist. Auf Vorschriften des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes (AVAG) nimmt die amtsgerichtliche Entscheidung keinen Bezug. Auch die Beschlussformel ("wird für vollstreckbar erklärt" statt: "wird mit der Vollstreckungsklausel versehen") lässt unzweifelhaft darauf schließen, dass das Amtsgericht eine Entscheidung im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 110 Abs. 2 FamFG treffen wollte und auch getroffen hat. Folgerichtig enthält die amtsgerichtliche Entscheidung auch eine Belehrung über die Rechtsbehelfe der Beschwerde nach § 58 FamFG und der Sprungrechtsbeschwerde nach § 75 FamFG. Dies hat letztlich auch das Beschwerdegericht erkannt.

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b) Das Beschwerdegericht ist bei seinen Erwägungen zum Meistbegünstigungsgrundsatz offensichtlich von der Vorstellung geleitet worden, dass das Amtsgericht deshalb ein "falsches" Verfahrensrecht angewendet habe, weil im Anwendungsbereich des HUVÜ 73 und der zu seiner Durchführung in Deutschland erlassenen Ausführungsvorschriften ein Rückgriff auf die autonomen deutschen Regelungen zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen (§§ 108 ff. FamFG) ausgeschlossen sei. Dies ist aber - unabhängig davon, dass es sich dabei eher um eine Frage der inhaltlichen Richtigkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung im Hinblick auf die Beurteilung der Zulässigkeit des Antrags handelt - schon im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zutreffend.

16

aa) Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass auch ausländische Unterhaltsentscheidungen in einem FamFG-Verfahren durch Beschluss nach § 110 Abs. 2 Satz 1 FamFG für vollstreckbar erklärt werden können (vgl. nur Prütting/Helms/Hau FamFG 3. Aufl. § 110 Rn. 16; Johannsen/Henrich Familienrecht 6. Aufl. § 110 FamFG Rn. 19; Riegner FPR 2013, 4, 7; Botur FamRZ 2010, 1860, 1863). Soweit allerdings der Anwendungsbereich einer völkerrechtlichen Vereinbarung betroffen ist, geht diese Konvention gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 FamFG den Vorschriften des autonomen Rechts - hier also den §§ 98 ff. FamFG - vor. Andererseits wird das internationale Zivilverfahrensrecht durch das Günstigkeitsprinzip beherrscht, weil zwischenstaatliche Abkommen die Anerkennung ausländischer Entscheidungen erleichtern und nicht erschweren sollen. Soweit nach diesem Prinzip das Konventionsrecht selbst keinen Vorrang gegenüber innerstaatlichem Recht beansprucht und daher den Rückgriff auf ein (anerkennungsfreundlicheres) nationales Recht grundsätzlich zulässt, kann auch § 97 Abs. 1 Satz 1 FamFG einem solchen Rückgriff nicht entgegenstehen (vgl. Prütting/Helms/Hau FamFG 3. Aufl. § 97 Rn. 6; Haußleiter/Gomille FamFG § 97 Rn. 11; MünchKommFamFG/Rauscher 2. Aufl. § 97 FamFG Rn. 6). Einen absoluten Vorrang gegenüber innerstaatlichem Recht beansprucht das HUVÜ 73 nicht. Vielmehr findet das Günstigkeitsprinzip seinen ausdrücklichen Niederschlag in Art. 23 HUVÜ 73, wonach die Vorschriften des Übereinkommens nicht ausschließen, dass eine andere internationale Übereinkunft zwischen dem Ursprungsstaat und dem Vollstreckungsstaat oder das nichtvertragliche Recht des Vollstreckungsstaats angewendet wird, um die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung oder eines Vergleichs zu erwirken.

17

bb) Ob aus dem Günstigkeitsprinzip des Art. 23 HUVÜ 73 gleichzeitig folgt, dass der Berechtigte des ausländischen Unterhaltstitels in Deutschland ein freies Wahlrecht zwischen einem Klauselerteilungsverfahren nach den Ausführungsbestimmungen zum HUVÜ 73 einerseits und einem Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 110 Abs. 2 Satz 1 FamFG andererseits hat (Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 9 Rn. 707; vgl. auch Wieczorek/Schütze ZPO 4. Aufl. § 722 Rn. 10) oder ob es für ein Vollstreckbarerklärungsverfahren nach innerstaatlichem Recht am Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn das einfachere Klauselerteilungsverfahren nach den Ausführungsbestimmungen zum HUVÜ 73 mit Sicherheit zum gleichen Erfolg führen würde (Geimer/Schütze/Baumann Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Band IV Art. 23 HUVÜ 73 [Stand: Dezember 1989] Anm. III 2; MünchKommZPO/Gottwald 3. Aufl. Art. 23 HUVÜ Rn. 3; vgl. auch KG FamRZ 1998, 383, 384; AG Garmisch-Partenkirchen NJW 1971, 1235; Stein/Jonas/Münzberg ZPO 22. Aufl. § 722 Rn. 10; Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich/Wolf Das Recht der gesamten Zwangsvollstreckung 2. Aufl. Vorbemerkung zu §§ 1 ff. AVAG Rn. 2), braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Denn das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 110 Abs. 2 Satz 1 FamFG könnte der Antragstellerin unter den obwaltenden Umständen nicht abgesprochen werden. Es war gerade streitig, ob die in dem Urteil des Familiengerichts Kartal vom 14. Mai 2008 titulierten Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche unterhaltsrechtlich zu qualifizieren sind (vgl. dazu eingehend Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 9 Rn. 478 ff. mit Nachweisen zum Streitstand) und der Anwendungsbereich des HUVÜ 73 insoweit eröffnet war. Nach dem rechtlichen Hinweis des Landgerichts konnte die Antragstellerin nicht mehr davon ausgehen, dass sie im vereinfachten Klauselerteilungsverfahren nach §§ 3 ff. AVAG ohne weiteres Erfolg haben würde. Das innerstaatliche Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 110 Abs. 2 Satz 1 FamFG war für die Antragstellerin deshalb auch in dem Sinne günstiger, dass eine Vollstreckbarerklärung der im türkischen Scheidungsurteil titulierten Schadenersatzansprüche nach innerstaatlichem Recht ohne Rücksicht auf deren unterhaltsrechtliche Qualifikation erfolgen konnte (vgl. Prütting/Helms/Hau FamFG 3. Aufl. § 110 Rn. 16).

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c) Unter dem Gesichtspunkt der Meistbegünstigung hätte im Beschwerdeverfahren allenfalls erörtert werden können, ob das Amtsgericht sein Verfahren mit den sich für Familienstreitsachen aus § 113 Abs. 1 FamFG ergebenden verfahrensrechtlichen Modifikationen hätte durchführen dürfen. Denn es ist im Einzelnen streitig, ob das Verfahren zur Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung, wenn diese nach deutschem Rechtsverständnis eine Familienstreitsache zum Gegenstand hat, seinerseits kraft verfahrensrechtlichen Zusammenhangs Familienstreitsache ist (so etwa Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 35. Aufl. § 110 FamFG Rn. 5 f.; Hk-ZPO/Kemper 6. Aufl. § 231 FamFG Rn. 6 für Unterhaltssachen; dagegen etwa Hohloch GS Wolf S. 429, 433). Wenn das vorliegende Verfahren nicht als Familienstreitsache qualifiziert werden könnte, wäre die Auffassung des Beschwerdegerichts, wonach die (fristgerechte) Begründung der Beschwerde keine Zulässigkeitsvoraussetzung für das Rechtsmittel des Antragsgegners sei, zumindest im Ergebnis richtig, weil § 117 Abs. 1 FamFG in diesem Fall keine Anwendung fände. Eine weitere Befassung mit dieser Frage erübrigt sich jedoch an dieser Stelle, denn unabhängig von der Qualifikation des Verfahrens als Familienstreitsache wäre als statthaftes Rechtsmittel gegen die amtsgerichtliche Entscheidung allein die Beschwerde nach § 58 FamFG in Frage gekommen.

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2. Hätte das Beschwerdegericht daher nach dem zutreffenden Verfahrensrecht im Beschwerdeverfahren nach §§ 58 ff. FamFG über das Rechtsmittel des Antragsgegners entschieden, wäre eine Rechtsbeschwerde gegen die Beschwerdeentscheidung nur im Falle ihrer Zulassung eröffnet gewesen (§ 70 Abs. 1 FamFG). Da es an einer solchen Zulassung durch das Beschwerdegericht fehlt, ist die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners unstatthaft.

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3. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde kann auch nicht aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz hergeleitet werden.

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a) Allerdings dürfen die Verfahrensbeteiligten dadurch, dass das Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form erlassen hat, keinen Rechtsnachteil erleiden. Ihnen steht deshalb grundsätzlich sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung zulässig wäre. Der Grundsatz der Meistbegünstigung findet in gleicher Weise Anwendung, wenn - wie hier - das Gericht nach dem von ihm angewandten Verfahrensrecht die Entscheidungsform zwar zutreffend gewählt hat, der Fehler jedoch auf der Anwendung eines falschen Verfahrensrechts beruht (Senatsbeschlüsse vom 13. Juni 2012 - XII ZR 77/10 - FamRZ 2012, 1293 Rn. 16 f. und vom 29. Februar 2012 - XII ZB 198/11 - FamRZ 2012, 783 Rn. 12 f.).

22

b) Der Schutzgedanke der Meistbegünstigung gebietet es indessen nicht, dass das Rechtsmittel auf dem vom vorinstanzlichen Gericht eingeschlagenen falschen Weg weitergehen müsste; vielmehr hat das Rechtsmittelgericht das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre. Daher kann die Meistbegünstigung auch nicht zu einer dem korrekten Verfahren widersprechenden Erweiterung des Instanzenzuges führen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Juli 2015 - XII ZB 586/14 - juris Rn. 5 und vom 13. Juni 2012 - XII ZR 77/10 - FamRZ 2012, 1293 Rn. 18 mwN). Aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz lässt sich insoweit nicht herleiten, dass gegen eine inkorrekte Entscheidung auch noch dann ein ihrer äußeren Form entsprechendes Rechtsmittel - hier die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 15 Abs. 1 AVAG iVm § 574 Abs. 1 ZPO - zum Bundesgerichtshof statthaft ist, wenn gegen eine korrekte Entscheidung die Anrufung des Bundesgerichtshofs aus besonderen Gründen des jeweiligen Verfahrens - hier wegen des Fehlens einer positiven Zulassungsentscheidung nach § 70 Abs. 1 FamFG - nicht statthaft wäre.

23

Zwar hat das Beschwerdegericht ersichtlich deshalb von einer Zulassungsentscheidung abgesehen, weil es ausweislich seiner Entscheidungsgründe - folgerichtig - davon ausgegangen ist, dass seine Entscheidung einer zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nach § 15 Abs. 1 AVAG iVm § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO unterliegt. Im familiengerichtlichen Verfahren verbleibt es bei der Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde indessen auch dann, wenn das Beschwerdegericht aufgrund eines Rechtsirrtums davon ausgegangen ist, dass eine Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung schon kraft Gesetzes statthaft ist (Senatsbeschluss vom 9. Juli 2014 - XII ZB 7/14 - FamRZ 2014, 1620 Rn. 20; vgl. auch BGH Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - IX ZB 295/11 - NJW-RR 2012, 1509 Rn. 15 und vom 12. März 2009 - IX ZB 193/08 - NJW-RR 2009, 1349 Rn. 9 f.). Weil es nicht darauf ankommt, worauf der Rechtsirrtum des Beschwerdegerichts beruht, kann aus dem Gesichtspunkt, dass sich das Beschwerdegericht aufgrund der Anwendung eines unzutreffenden Verfahrensrechts keine Gedanken über die Zulassung der Rechtsbeschwerde machen musste, nicht hergeleitet werden, dass die bei Anwendung des zutreffenden Verfahrensrechts von einer positiven Zulassungsentscheidung abhängige Anrufung des Bundesgerichtshofs nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung statthaft sein müsste (vgl. auch BGH Beschluss vom 5. Juli 1990 - LwZR 7/89 - NJW-RR 1990, 1483 f.).

Dose                    Klinkhammer                           Nedden-Boeger

             Botur                                Guhling

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